Am 11. Dezember hat die sogenannte Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) ihren ersten Fortschrittsbericht an Bundesverkehrsminister Scheuer übergeben. Dazu erklärte der Vorsitzende des Lenkungskreises der NPM und frühere SAP-Vorstandssprecher, Multi-Aufsichtsrat, Präsident von Acatech und auf höchster politischer Ebene bestens vernetzte Henning Kagermann:
„Die Ergebnisse unserer bisherigen Arbeit können sich sehen lassen. Wir wissen, dass wir ein sehr großes Rad drehen müssen. Es geht nicht nur darum zu zeigen, wie wir in Zukunft unterwegs sein werden. Wir müssen uns vielmehr anschauen, welche übergreifenden Entwicklungen auf das gesamte Mobilitätssystem einwirken und wie wir diese integrieren. Ganz wichtig bei unserer Arbeit ist, dass wir die Nutzerperspektive bedenken und berücksichtigen. Welchen Sinn haben die besten Ideen und Konzepte zur Zukunft der Mobilität, wenn sie von den Nutzerinnen und Nutzern nicht akzeptiert werden? Die Menschen begeistern und auf dem Weg in die Mobilitätszukunft mitnehmen sind unabdingbare Voraussetzungen, damit ein ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Mobilitätssystem Wirklichkeit werden kann.“
Weise gesprochen, könnte man sagen – und niemandem wehgetan. Diese aus der Pressemitteilung anlässlich der Übergabe des Fortschrittsberichts zitierte Einschätzung ist ein schönes Bespiel dafür, wie in Deutschland durch die Einrichtung gesellschaftlich ausgewogen besetzter Expertengremien Konflikte in der Ausrichtung politischer Ziel- und Weichenstellungen wegmoderiert und der Kompromissfindung in hochkarätig besetzten Kungelrunden anheimgestellt werden.
Mit den von der NPM formulierten 10 Kernthesen zur Zukunft der Mobilität wird sich eine große Mehrheit in Politik und Gesellschaft einverstanden erklären. Es werden ja auch so fundamentale Wahrheiten verkündet, wie die Feststellung, dass technologische und gesellschaftliche Entwicklungen die Mobilität verändern, dass die Zukunft der Mobilität Straßen-, Schienen-, Schiffs- und Luftverkehre verknüpft und dass der Verkehrssektor verbindlichen Klimaschutzzielen unterliegt. Insbesondere letzteres hat ja mittlerweile ähnliche Verbindlichkeit wie die Dogmen der Unfehlbarkeit des Papstes und der Jungfrauengeburt im katholischen Katechismus.
Nicht legitimierte Lenkungs- und Expertenkreise
Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität reiht sich ein in eine Kette von Beispielen der Delegation politischer Entscheidungsfindung in solche politisch nicht wirklich legitimierten gesellschaftliche Lenkungs- und Expertenkreise. Vergleichbares geschah bereits bei der sogenannten „Kohlekommission“, aber auch schon 2011 nach Fukushima bei der Einsetzung einer „Ethik-Kommission für eine sichere Energieversorgung“. Offensichtlich traut sich Politik nur noch, weitreichende wirtschaftspolitische Entscheidungen zu fällen, wenn diese in entsprechenden außerparlamentarischen Gremien vorbereitet werden und scheinbar objektiven Vorgaben von Experten folgen. Eine Entwicklung, die nicht nur aufgrund der Qualität dieser Entscheidungsvorlagen, sondern auch aus grundsätzlichen demokratietheoretischen Erwägungen Sorge bereitet, denn die demokratische Legitimation dieser „Räte“ bewegt sich am Ende auf dünnem Eis.
Wie zu erwarten sind die Verlautbarungen eines Gremiums wie der Nationalen Plattform Mobilität (NPM) politische Kompromisse. Industrie, Gewerkschaften und Interessenvertreter in der Plattform sowie die adressierte Politik müssen mit den Ergebnissen leben können und ihr Gesicht wahren. Die beteiligten Wissenschaftler werden ohnehin so ausgesucht, dass sie die Kompromissfindung nicht stören. Man muss auch wissen, dass die NPM aus der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) hervorgegangen ist, deren Ziel es war, Deutschland bis 2020 zum Leitmarkt und zum Leitanbieter für Elektromobilität zu machen. Nachdem trotz der hervorragenden Beratung durch dieses offensichtliche Lobbygremium – in der NPE saßen 10 Industrievertreter (!), 6 Politiker, 3 Wissenschaftler und 4 Vertreter von Verbänden und Gewerkschaften – dieses Ziel krass verfehlt wurde, heißt es nun im neuesten Papier der NPM, dass Deutschland Leitmarkt und Leitanbieter für die Mobilität der Zukunft werden soll. Wunderbar.
Von solchen industriepolitischen Phantasien berauscht, liefert die NPM ein Potpourri von Ideen für ein „zukunftsweisendes und innovatives Mobilitätssystem, das tragfähig, bezahlbar, bedarfsgerecht, klimafreundlich und nachhaltig ist“. Offenheit gegenüber neuen Technologien ermöglicht Innovationen, deren schnelle Umsetzung in Produkte und Geschäftsmodelle erfolgsentscheidend ist. Und das in Deutschland, wo bereits die Einrichtung eines 5G-Mobilfunknetzes aufgrund heftigen Widerstands vor Ort zur Mission Impossible wird.
Die NPM singt auch das Hohelied der Sektorkopplung: „Der Energiesektor kann durch Elektrolyse gewonnenen Wasserstoff und mit dem Stromnetz verbundene Elektrofahrzeuge zukünftig als flexiblen Energiespeicher einsetzen“. Abgesehen davon, dass bei diesem Satz wohl das Lektorat versagt hat, ist die Geschichte von den Elektroautos als Batterie derzeit auch nicht viel mehr als eine fromme Wunschvorstellung, und eine Wasserstoffökonomie im großen Maßstab steht noch in den Sternen, auch wenn Verkehrsminister Scheuer bereits von einer nationalen Wasserstoffstrategie fabuliert.
In wohlfeilen Worten die schöne neue Welt
Und so geht es weiter. Nirgendwo wird jedoch thematisiert, dass die Schaffung eines solchen neuen Mobilitätssystems insbesondere im Hinblick auf die politisch gesetzten Klimaschutzziele wohl einer Quadratur des Kreises nahekommt und was eine solche Quadratur kosten wird. Die angesichts der „normativen Kraft des Faktischen“, also der Strukturen unseres aktuellen Mobilitätssystems und der Ansprüche der Nutzer an Mobilität und Logistik offensichtliche massiven Zielkonflikte, Kontingenzen sowie der disruptive und gleichzeitig planwirtschaftliche Charakter des maßgeblich von der Idee der Dekarbonisierung getriebenen Projekts bleiben einfach außen vor.
Dagegen wird in wohlfeilen Worten die schöne neue Welt der Mobilität beschrieben. Kein Wort darüber, dass ein sektorales Klimaschutzziel für den Verkehr grundsätzlich beträchtliche Ineffizienzen nach sich zieht. Keine Erörterung der Frage, wo der „erneuerbare Strom“ (sic!) herkommen soll, der perspektivisch die geplanten 7 bis 10 Millionen Elektrofahrzeuge bedienen soll, wenn in den nächsten Jahren Kraftwerkskapazitäten im nuklearen und konventionellen Bereich massiv abgebaut werden. Reines Hoffen darauf, dass die erforderlichen Größenordnungen einer Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf Schiene und Binnenschiff irgendwie zustande kommen, was bisher aber noch nirgendwo funktioniert hat. Kein Wort dazu, dass die Deutsche Bahn in ihrer jetzigen Verfassung wohl kein Baustein einer Verkehrswende, sondern eher ein Sanierungsfall ist.
Und zum Schluss eine gehörige Portion Chuzpe in Bezug auf die wegen ihrer hohen Wertschöpfung für Deutschland besonders relevanten und nunmehr massiv gefährdeten Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. In schönstem Beratersprech – oder ist das schon Neusprech? – wird von Toolboxen zur strategischen Personalentwicklung, von regionalen Kompetenz-Hubs und von Transformationsgesellschaften gefaselt. Die Beschäftigten der Automobilindustrie werden begeistert sein, wenn sie zu CO2-sparenden Lastenfahrradfahrern umgeschult werden.
Besonders sollten sich dem Bürger die Nackenhaare bei folgendem Satz aufstellen: „Bleiben die gewünschten Effekte aus, muss nachgesteuert und korrigiert werden können“. Das erinnert ein bisschen an: „Bist Du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt“. Preispolitische Eingriffe und noch umfassendere und schärfere Regulierungen im Rahmen des angedachten Monitorings ebnen den Weg in einen umfassenden Staatsinterventionismus im Mobilitäts- und Transportsektor, wie ihn ja auch das Klimapaket bereits vorsieht.
Dieses Mal lobt Minister Scheuer das Gremium bei der Übergabe des Berichts: Die Kommission habe wichtige Impulse für das Klimapaket der Bundesregierung gegeben. Das las sich im Frühjahr noch anders; damals wies er die Vorschläge der AG Klimaschutz als „gegen jeden Menschenverstand gerichtet“ zurück und sprach von Lobbyisten, die ihre „immer wieder aufgewärmte Agenda“ durchdrücken wollten. Ein Minister in der Defensive sollte sich nicht auch noch mit einer Nationalen Plattform anlegen. Zumal sie ihm so artig eine Vorlage liefert, weiter ein ganz großes Rad zu drehen.