Mein schönes Augsburg ist jetzt mohrenfrei. Das Traditionshotel, das seit Jahrhunderten – bis vor kurzem mit Stolz – den Namen „Drei Mohren“ trug, hat den Namen nach langer kontroverser Debatte jetzt von seiner feinen Fassade abmontiert. In den nächsten Tagen werden die Mohren durch das grammatikalisch problematische „Maximilian's“ ersetzt. Mit dem Deppen-Apostroph soll nun wieder Ruhe einkehren nach einer Zeitgeist-Diskussion, die – wie so oft – auf einem Missverständnis beruhte. Was ist Rassismus? Oder, um das Thema zu erweitern: Was ist eine rücksichtsvolle Sprache?
Als ich in den siebziger und achtziger Jahren regelmäßig die South Circular Road in London entlang fuhr, war dort noch ein Warnschild zu bewundern: „Cripples crossing“! Dass es diese sehr deutliche Warnung vor die Straße „überquerenden Krüppeln“ heute nicht mehr gibt, ist zweifellos ein sprachlicher Fortschritt. Auch den liebevoll erhaltenen Schuhkarton aus den fünfziger Jahren mit der Aufschrift „negerbraun“ als Beschreibung des (nicht mehr vorhandenen) Inhalts gibt es heute so nicht mehr, und das ist gut so. Aber zwischen diesen selbstverständlichen Absagen an beleidigende Begriffe und dem heutigen reflexartigen Rassismus-Geschrei bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit liegen Welten. (Wobei der Schuhkarton mit dem „negerbraun“ auch als Zeuge einer unschuldig-naiven Zeit dienen kann.)
Nehmen wir also die „Drei Mohren“. Jemand sieht oder hört das Wort und zack – Rassismus! Dass der Name des Hotels eine historisch begründete Hommage an drei vornehme Reisende aus Abessinien ist, juckt keinen Rassismus-Rufer. Der Anschein genügt – und basta. Oberfläche ersetzt in der Rassismus-Debatte den Hintergrund. Damit wird der konkrete, alltägliche Rassismus, den es bei uns ja durchaus gibt, bagatellisiert. Das wahre Problem soll durch beschwörende Ersatzhandlungen nach Voodoo-Manier verbannt werden. Das kann nur scheitern. Die Augsburger Hotelleitung bekennt vernünftigerweise, dass sie angesichts des öffentlichen Drucks die Namensänderung aus geschäftlichen Gründen vollzogen hat, und nicht etwa, weil sie sich eines jahrhundertealten Rassismus schuldig fühlt.
Ein Stück Wertschätzung in Richtung Afrika verschwindet
Das Ergebnis ist allerdings, dass eine Hommage an die afrikanischen Promis, die vor 500 Jahren in der steinreichen Stadt genächtigt haben sollen, von der Bildfläche verschwindet. Die edlen Mohren haben ihre Schuldigkeit getan, sie müssen gehen. Ein Stück Wertschätzung in Richtung Afrika verschwindet wegen eines Missverständnisses, das stärker ist als die positive Geschichte.
Dies geschieht ähnlich auch auf andere Weise. So wird die Krippe im Ulmer Münster Opfer eines religionspolitisches Verfahrens. Figur des Anstoßes ist die Figur Melchiors, eines der heiligen drei Könige. Die hat natürlich ihren historischen Sinn. Aber das reicht nicht, um ihre Aufstellung zu sichern. Warum nicht? In diesem Fall aber geht es unter anderem um die Darstellung der betont dicken Lippen des Afrikaners. Tatsächlich ist die rund hundert Jahre alte Darstellung problematisch. Sie entstammt einer weniger empfindsamen Zeit. Unsere Zeit ist sensibler, aber auch heuchlerischer, also weg mit den dicken Lippen!
Nehmen wir die Entfernung Melchiors von seinem angestammten Platz als Anlass, der selten gestellten Lippenfrage einmal ein paar Worte zu widmen. Zweifellos gibt es Lippendarstellungen, die herabmindernd und rassistisch gemeint sind und nicht nur so empfunden werden. Aber auch die afrikanische Lippe hat Anspruch auf eine vernünftigen Behandlung. An satten Lippen, wie sie in Afrika nun mal häufiger sind als in Europa, ist nichts, aber auch gar nichts auszusetzen. Wer sich an ihnen stößt, ist bestenfalls ein Eurozentrist, im Zweifel ein – jawohl – Rassist. Viele weiße Frauen, die mit der mangelnden Fülle ihrer Lippen nicht zufrieden sind, lassen sich schönheitschirurgisch auf diesem Gebiet ein bisschen nachhelfen. Ähnliches gilt auch für die Region, die in Amerika „booty“ heißt. Auch da hofft die eine oder andere Frau auf eine etwas afrikanischere Ausprägung. Aber das nur am Rande.
Afrikanische Lippen aus Angst vor Rassismus arisiert
Problematisch wird es, wenn afrikanische Lippen aus Angst vor Rassismus so weit arisiert werden müssen, dass sie sich an die messerschmalen Lippen eines preußischen Unteroffiziers annähern. Da wird die Angst vor Rassismus zu einem eigentlich perfideren Rassismus. Man sollte den verschiedenen Rassen ihre Merkmale gönnen. Das geht, ohne sie rassistisch zu karikieren. Sollen etwa auch krause Haare zwanghaft in schwedisches Langhaar gestreckt werden? Dies zu tun, soll den Betroffenen selber überlassen sein, nicht aber zum Darstellungszwang werden. Im Gegenteil. Zum stolzen „black is beautiful“ gehört das Bekenntnis zu den eigenen, besonderen und eben darum schönen Merkmalen. Sie zu leugnen, ist eine Form der Entwürdigung.
Man tut den Rassen keinen guten Dienst, wenn man sie leugnet, wie es demnächst unser Grundgesetz tun wird. Mit der Streichung des Wortes Rasse ist nichts gelöst. Mit der Europäisierung der Optik auch nicht. Mit der platten Bauchreaktion auf Worte wie „Drei Mohren“ schon gar nicht. Es genügt schon, dass der Morgenländer Jesus seit Jahrhunderten in unseren europäischen Darstellungen als eine Art leidender Lohengrin dargestellt wird. Aber das ist ein (gar nicht so) anderes Thema.