Günter Keil, Gastautor / 08.10.2011 / 18:04 / 0 / Seite ausdrucken

Die Mini-Kernreaktoren kommen (gekürzte Version)

Alle, die tiefer in das Thema einsteigen möchten, finden hier den 1. Teil der Langfassung (Und hier den 2.)

Von Günter Keil

Die vergangenen 2 Jahre hat Frau Merkels Regierung die Kernkraft als “Brückentechnologie” bezeichnet, die man nur noch für eine gewisse Übergangszeit brauchen würde.  Es ist anzunehmen, dass sie diese Bewertung nicht im benachbarten Ausland verkündet hat, das schließlich seit dem Jahre 2000 damit beschäftigt ist, im Rahmen des Generation IV International Forum, dem 12 Länder und die EURATOM angehören,  gemeinsam 7 verschiedene Technologielinien der übernächsten Reaktorgeneration zu entwickeln. Ohne deutsche Beteiligung.

Merkels Regierung hatte noch vor wenigen Monaten die Nutzungsdauer dieser Brückentechnologie deutlich verlängert - und sie dann nach dem Unglück von Fukushima als einziges Land der Welt fallen gelassen.

Im Zusammenhang mit dem beschleunigten Ende der Brückentechnologie Kernkraft in Deutschland opferte auch der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Energie, Chemie Michael Vassiliadis kurzerhand alle Gewerkschaftsmitglieder und Mitarbeiter der deutschen Kernkraftwerke auf Merkels Altar der Energiewende mit einer klaren Zustimmung zur Beendigung der Kernkraftnutzung. Zugleich leistete er einen weiteren Beitrag zur urdeutschen Debatte mit Leerbegriffen und ersetzte die nun demontierte Nuklearbrücke durch eine neue bzw. recht alte Brücke: Stromerzeugung mit Kohle. Er nannte das tatsächlich auch wieder “Brückentechnologie” - also eine Brücke als Ersatz für eine Brücke.

Ein Blick über den Zaun ergibt ein gänzlich anderes Bild: Niemals hat die technologische Weiterentwicklung der Nukleartechnik in den Ländern Russland, Frankreich, USA, China, Indien, Südkorea und Kanada seit der Inangriffnahme dieser Entwicklungen stillgestanden. Selbst die südafrikanische Republik und Argentinien haben eigene Entwicklungen vorangetrieben.

Das Ende dieser Brücke ist jetzt nicht mehr zu erkennen; es liegt vermutlich im Jahre 2100 - oder auch noch 100 Jahre danach.

Die sogenannte nukleare Renaissance ist jedenfalls bereits seit geraumer Zeit im Gange. Heute haben 42 Nationen Baupläne für die Errichtung von Kernkraftwerken (KKW) – davon 19 erstmalig - und weitere 7 haben ihr Interesse daran bekundet.
In fortgeschrittenem Planungsstadium befinden sich ferner in 20 Ländern 102 Kernkraftwerks-Blöcke. 

Diese Kernkraftwerke gehören zum Teil noch zur 2. Generation der Leichtwasserreaktoren (LWR), teilweise aber auch schon zur 3. Generation, wie z.B. der französische Typ EPR, der jetzt in Finnland und Frankreich gebaut wird und an dessen Entwicklung noch Siemens beteiligt war..
Die vierte Generation wird jedoch vollkommen neue Maßstäbe in Bezug auf inhärente Sicherheit, vielfältige Anwendungsmöglichkeiten wie die Wasserstofferzeugung, Verringerung der langlebigen nuklearen Abfälle und damit auch sehr große Sicherheit in Bezug auf die Weiterverbreitung von spaltbarem Material setzen.

Die Renaissance der großen Kernkraftwerke ist jedoch nur ein Aspekt der Entwicklung: Was jetzt zusätzlich mit Macht in den Markt dringt, ist eine neue Klasse von Kernreaktoren, die bislang nur ein unbeachtetes Schattendasein führten - vom Militär in den USA und Russland einmal abgesehen - : 

Die Kleinreaktoren.
Während die bisherigen KKW der 2. Und 3. Generation eine elektrische Leistung von typischerweise mindestens 600 MWel (MW = Megawatt = 1000 kW) aufwiesen, die oft bis 1.600 MWel pro Reaktorblock reichte, arbeiten die Minireaktoren im Leistungsbereich zwischen 1 und 100 MWel. Ihr vorgesehener Einsatzbereich übertrifft jedoch den der klassischen nuklearen Großkraftwerke bei weitem:
Weil die üblichen großen KKW weitab von den Städten erbaut wurden, konnte ihre Abwärme, die zur Zeit bei 70% der aus dem Kernbrennstoff gewonnenen Energie liegt, nur in die Umwelt abgegeben werden. Für Kohlekraftwerke gilt meistens das Gleiche.
Eine Ausnahme bildete das mit russischen Reaktoren ausgerüstete KKW Lubmin, dessen Abwärme über Fernheizleitungen ins nahe Greifswald geleitet wurde. Dieses Kraftwerk wurde nach der “Wende” stillgelegt und wird demontiert.

Die neue Klasse der Minireaktoren zielt nun genau auf dieses Anwendungsfeld: Sie sind sämtlich für einen Einsatz in Stadtnähe ausgelegt; in der Regel unterirdisch gebaut, durch passive Kühlsysteme gegen den Ausfall von Pumpen geschützt und zudem oftmals inhärent sicher, vielfach für Jahrzehnte mit Brennstoff ausgestattet und während ihres Betriebes wartungsfrei. Ihre Hersteller sprechen daher von einer Betriebsweise wie bei einer wartungsfreien Batterie und die Betreibergesellschaft muß kein einheimisches Fachpersonal bereitstellen. Anschließen und vergessen ist das Motto.
Die Minireaktoren sollen sowohl Strom als auch Heizwärme für nahe Kommunen liefern.  Die durchweg hohe Sicherheit, durch die ihre Akzeptanz bei der Bevölkerung erhöht werden kann, und ihre sehr oft unterirdische Bauweise prädestiniert diese Systeme als stadtnahe Energielieferanten.
Auch die Meerwasserentsalzung wird bei mehreren Kleinsystemen als Anwendungszweck genannt.

Die Stromversorgung in Ländern mit wenig Infrastruktur und geringerer Bevölkerungsdichte könnte mit derartigen Kleinsystemen bezahlbar werden. Die günstigen Kosten können durch die Komplett-Vorfertigung von vollständig ausgerüsteten Reaktormodulen in der Fabrik mit ihren Preis- und Qualitätsvorteilen erwartet werden. Die Modularität erhöht zudem die gesamte Anlagenverfügbarkeit und zugleich die Sicherheit.

Nukleare Kleintechnik bietet daher vor allem einen Weg für Entwicklungsländer, um eine Nuklearindustrie zu einem Bruchteil der Kosten und Risiken aufzubauen, die üblicherweise mit großen konventionellen Kernkraftwerken in Verbindung gebracht werden; auch werden kaum Spezialisten für den Betrieb benötigt. Kleine Nuklearanlagen können somit die Energielösung für die Grundlastversorgung für viele Entwicklungsländer darstellen, die ansonsten auf fossile Brennstoffe angewiesen wären. Genau dies wird von den verschiedenen Herstellern als ihre wichtigste Vermarktungsstrategie genannt.
Für alle Länder wiederum, die in gemäßigten oder kälteren Zonen liegen, kann diese Technik Gas und Heizöl zur Hausheizung; aber auch zugleich die teuren Großkraftwerke ersetzen.

Diese Entwicklung bedeutet eine potenzielle Ausweitung der Kernenergie-Anwendung in mehrere neue und bedeutende Energiemärkte, die kaum unterschätzt werden kann.

In der Kerntechnik wußte man schon immer, daß der Bau von kleinen Reaktoren   einfacher und unkritischer ist. Forschungsreaktoren und Reaktoren für die Herstellung von medizinisch nutzbaren Isotopen gibt es schon lange. Einige Kleinreaktoren wurden auch in beachtlicher Stückzahl gebaut; überwiegend als Antrieb in Atom-U-Booten,  Handelsschiffen und Eisbrechern. Weitere dienten als Energiequellen für entlegene Standorte im hohen Norden.

Die UdSSR baute etwa 20 Typen mit unterschiedlichen Reaktortechniken. Das Sosny-Institut in Weißrußland,entwickelte und baute ab 1976 zwei auf Lastwagen montierte, luftgekühlte kleine Hochtemperaturreaktoren Pamir-630D, die 300-600 kWel leisteten.
Seit 1976 arbeiten in einer abgelegenen Region Sibiriens 4 kleine Einheiten eines Siedewasser-Reaktors, die mit einer Leistung von 62 MWth (thermisch)  und 11 MWel (elektrisch) Strom und Heizwärme liefern.

Die USA betrieben zwischen 1962 und 1972 kleine Leichtwasser-Reaktoren des Typs PM-3A (11 MWth und 1,5 MWel ) im McMurdo-Sund in der Antarktis. Mehrere erfolgreiche kleine Reaktoren entstanden nach 1950 in einem nationalen Programm, so der Big Rock Point BWR (Siedewasserreaktor) mit 67 MWel , der 35 Jahre bis 1997 lief.

Auch auf Schiffen und U-Booten gibt es schon lange kleine Kernreaktoren:
Der russische KLT-40S von OKBM Afrikantow ist ein in Eisbrechern bewährter Reaktor.

Überhaupt fällt auf, dass sich heute mehrere der Entwicklungslinien, die von der Arbeitsgemeinschaft der 4. Generation bearbeitet werden, im Minireaktor-Zoo wieder finden - und teilweise bereits seit langem eingesetzt werden: Zum Beispiel schnelle Reaktoren und Hochtemperaturreaktoren. Bei den schnellen Reaktoren ist der Grund offensichtlich: Sie nutzen das Natururan U-238 etwa 60-fach besser aus als die LWR und damit erhält man mit nur einer Brennstoffbeladung enorm lange Betriebszeiten.

Der folgende Auszug aus den laufenden Entwicklungen der Kleinreaktoren gibt einerseits einen Eindruck von der erstaunlichen technologischen Bandbreite, mit der gearbeitet wird, andererseits aber auch von der Breite der angestrebten Anwendungen sowie von dem außerordentlich hohen Sicherheitsniveau, das hier zum Standard wird - und das bei kleinen Reaktoren auch aus physikalischen Gründen viel leichter als bei Großkraftwerken zu realisieren ist.

Eine Übersicht über einige der in Entwicklung befindlichen Kleinsysteme mit elektrischen Leistungen bis 125 MWel:

1. Leichtwasser-Kleinreaktoren:
Leichtwasser-Reaktoren mit langsamem, thermischem Neutronenspektrum gehören zur 2.  und in neuester Ausführung 3. Generation der Kernkraftwerke. Auch sie gibt es im Kleinformat:

KLT-40S (Russland)
Als Nachfolger der schon länger in Eisbrechern eingesetzten KLT-40-Reaktoren entwickelte das russische Unternehmen OKBM Afrikantow den 35 MWel -Druckwasserreaktor KLT-40S. Er soll als schwimmendes Kraftwerk eingesetzt werden, das entlegene Hafenstädte 35 bis 40 Jahre lang mit Strom und Wärme versorgen kann.  Erster Einsatz des ersten schwimmfähigen Kernkraftwerks Akademik Lomonossow soll 2012 an der Halbinsel Kamtschatka zur Versorgung der Siedlung Viljuchinsk erfolgen.
Derweil entwickelt OKBM den RITM-200, einen 55 MWel Reaktor, der die zwei KLT-40S in schwimmenden KKW ersetzen soll.

mPower (USA)
Babcock & Wilcox strebt ein aus modularen, unterirdisch installierten 125 MWe -LWR-Reaktorblöcken bestehendes Kraftwerk an.  Bei Brennelemente-Wechsel oder Reparaturarbeiten muß nur ein Modul heruntergefahren und ggf. herausgenommen werden, während die übrigen weiter laufen.
Ein Vorteil ist die kostengünstige und qualitativ überlegene Komplettfertigung eines Moduls in einer Fabrik, von der es zur Kraftwerksbaustelle transportiert und eingebaut werden kann. Betont werden die erweiterten Sicherheitsfunktionen der Reaktoren: Passive Sicherheitssysteme, keine aktiven Kernkühlsysteme. Keine Notstromaggregate, sondern Batterieversorgung.

NuScale (USA)   
NuScale entwickelt ebenfalls modular aufgebaute LWR. Ein Kraftwerk soll aus 1 bis 12 Modulen bestehen und bei 12 Modulen eine Leistung von 540 MWel liefern, wobei das Einzelmodul 45 MWel beisteuert.
Das Notkühlsystem des Reaktors arbeitet passiv und bedarf keiner Stromversorgung.
Komplettfertigung in einer Fabrik; unterirdische Montage.

SMART (Südkorea)
Auch das Korea Atomic Energy Research Institute KAERI arbeitet seit 1997 an einem modularen „System-Integrated Modular Advanced Reactor (SMART)“: Ein 330 MWth bzw. 100 MWel – Reaktor, der für Stromerzeugung, Meerwasserentsalzung und Fernwärmeversorgung eingesetzt werden soll. 

CAREM (Argentinien)
Ein modularer 27 MWel Reaktor für Stromerzeugung oder Wasserentsalzung. In ca. 10 Jahren Einsatz in der NW-Provinz Formosa.

VKT-12 (Russland)
Der VKT-12 ist ein kleiner transportabler 12 MWel Reaktor (BWR), der dem   VK-50-Prototyp in Dimitrowgrad ähnelt. Brennstoffwechsel alle 10 Jahre.  Reaktorbehälter: 2,4 m Innendurchmesser, Höhe 4,9 m.

ABV (Russland)
Ein in Entwicklung befindlicher kleiner Druckwasserreaktor von OKBM Afrikantow ist der ABV mit einem Leistungsspektrum von 45 MWth (ABV-6M) bis herunter zu 18 MWth (ABV-3), somit 18 – 4 MWel.  Brennstoffwechsel-Intervall ist ca. 8-10 Jahre.

NHR-200 (China)
Der Nuclear Heating Reactor (Nuklearer Heizreaktor) NHR-200, entwickelt von der Tsinghua Universität, ist ein einfacher 200 MWth - Druckwasserreaktor für die Fernheizung oder Wasserentsalzung. 2008 beschloß die Regierung den Bau einer Multi-Effekt-Entsalzungsanlage (MED) mit dem NHR-200 auf der Halbinsel Shandong.

Holtec HI-SMUR (USA)
Holtec International gründete im Februar 2011 eine Tochter – SMR LLC – um den unterirdisch installierten 140 MWel - Reaktor „Holtec Inherently Safe Modular Underground Reactor“  kommerziell zu verwerten.  Er besitzt passive Kühlung. 

TRIGA (USA)
Das TRIGA Power System ist ein Druckwasserreaktor, dessen Konzept auf General Atomics bewährtem Forschungsreaktor-Design beruht. Es ist ein 64 MWth , 16,4 MWel System.

2. Gasgekühlte Hochtemperatur (HTR)- Kleinreaktoren

HTR-10 (China)
Chinas HTR-10 ist ein 10 MWth experimenteller gasgekühlter HTR am INET-Institut an der Tsinghua Universität nördlich Pekings. Vorbild war der deutsche HTR bzw. AVR. Der Brennstoff ist auch hier ein „Kugelbett“ (27.000 Elemente). Betriebstemperatur 700oC. Im Jahre 2004 erfolgte ein extremer Sicherheitstest,  in dem der Umlauf des Kühlmittels Helium unterbrochen wurde, ohne den Reaktor abzuschalten. Bedingt durch die Physik des HTR ging die Kettenreaktion zurück; der Reaktor kühlte ab. Die Temperatur überstieg niemals sichere 1600oC.
Beim HTR-Versuchsreaktor AVR (Jülich) hatte man schon viel früher den gleichen Test zwei Mal erfolgreich durchgeführt.

Adams Engine (USA)
Adams Atomic Engines´ 10 MWel - HTR-Konzept besitzt einen Reaktorkern mit ca. 80.000 Brennstoffelementen. Die Ausgangstemperatur ist 800oC. Eine Demo-Anlage soll 2018 fertig gestellt sein.

MTSPNR (Russland)
Der kleine modulare, transportable, luftgekühlte HTR „MTSPNR“ wird vom N.A. Dolezal Forschungs- und Entwicklungsinstitut (NIKIET) entwickelt. Zweck: Wärme- und Stromversorgung entlegener Regionen.  Die 2-Reaktoren-Einheit liefert 2 MWel . Laufzeit:  25 Jahre ohne Brennstoffergänzung.

3. Schnelle Kleinreaktoren
Als schnelle Reaktoren bezeichnet man Anlagen mit einem schnellen Neutronenspektrum. Weil das in Leichtwasserreaktoren übliche Kühlmittel Wasser die schnellen Neutronen abbremst, erfüllen Salzschmelzen oder flüssige Metalle die Kühlaufgabe.
Schnelle Reaktoren haben den Vorteil, dass sie nicht nur das Natururan U-238 vollständig - und nicht nur zu 1,5-2,2% wie die Leichtwasserreaktoren - ausnutzen; sie verbrennen bzw. spalten zudem auch die entstandenen langlebigen radioaktiven Isotope (insbesondere das Plutonium- 239 mit 24.000 Jahren Halbwertszeit) vollständig und hinterlassen nur Spaltprodukte, - relativ kurzlebige Isotope- , die nach ca. 300 - 400 Jahren komplett zerfallen sind. Daher könnten sie auch mit aufbereiteten Nuklearabfällen aus den üblichen Leichtwasser-Reaktoren als Brennstoff gefüttert werden und deren Plutonium verbrennen – und damit auch das Endlagerproblem weitgehend entschärfen.

Bei den schnellen Minireaktoren gibt es folglich auch zwei Entwicklungslinien:


        3.1 Schnelle Salzschmelze-Kleinreaktoren

FUJI (Japan)
Er gehört bereits zur 4. Generation der Flüssigsalz-Reaktoren (MSR). Der FUJI ist ein kleiner Brutreaktor mit eigenem Brennstoffkreislauf.
Als Vorstufe soll der miniFUJI gebaut werden (1,8 m Durchmesser und 2,1 m Höhe)  und dabei die respektable Leistung von 7 bis 10 MWel erreichen. Danach   soll der FUJI gebaut werden, der 100 bis 300 MWel erreichen könnte.
Passive Kühlung; der Brennstoff kann allein durch Schwerkraft aus dem Reaktor entfernt werden.  Auch soll das reichlich vorhandene Thorium als Brennstoff mitgenutzt werden.
2010 wurde in Tokio die International Thorium Energy & Molten-Salt Technology Inc. (IThEMS) gegründet, die innerhalb von 5 Jahren den ersten Thorium-MSR miniFUJI bauen will.

3.2 Flüssigmetall-gekühlte schnelle Kleinreaktoren

HPM (USA)
Die Hyperion Power Generation Inc. in Santa Fe baut den Minireaktor HPM mit einer Leistung von 25 MWel und 75 MWth. Es ist ein schneller Reaktor (LFR)  mit Kühlung durch eine flüssige eutektische Blei-Wismut-Mischung. 
Auch dieser kleine Reaktor – 1,5 m Durchmesser, 2,5 m Höhe - wird komplett in einer Fabrik hergestellt und per Bahn, LKW oder Schiff zum Einsatzort gebracht und unterirdisch eingebaut. Der Brennstoffvorrat reicht für einen 10-jährigen Betrieb, dann Rücktransport und Brennstoff-Erneuerung.
Das Unternehmen hat auch Schiffsantriebe im Blick.

SSTAR (Japan)
Dieser bleigekühlte schnelle Reaktor wird von Toshiba u.a. entwickelt. Er soll unterirdisch installiert werden. Nach 20 Betriebsjahren ohne neuen Brennstoff wird der Reaktor zum Brennstoff-Recycling abgeholt. Der Kern ist 1 m hoch und hat 1,2 m Durchmesser (20 MWel –Version).

SVBR-100 (Russland)
Der Blei-Wismut-gekühlte schnelle Reaktor SVBR mit 75-100 MWel und
400 – 495 oC wurde von Gidropress entwickelt.  Der Reaktor der Alfa-Klasse U-Boote (s.o.), war bereits im Wesentlichen ein SVBR.
2020 soll der 100 MWel-SVBR in Dimitrowgrad ans Netz gehen. Nach den gleichen Designprinzipien ist ein SVBR-10 mit 12 MWel geplant.

4S (Japan)
Toshiba und das CRIEP-Institut entwickeln zusammen mit SSTAR Work und Westinghouse einen Super-Safe, Small & Simple (4S) Natrium-gekühlten schnellen Reaktor, der auch als „nukleares Batteriesystem“ bezeichnet wird. Wiederum Komplettfertigung in der Fabrik, unterirdischer Einbau vor Ort und passive Sicherheitseigenschaften.  10 MWel –  und eine 50 MWel –Versionen sind geplant. Aufgabe: Stromerzeugung und elektrolytische Wasserstofferzeugung. Ein erster Standort wird Galena/Alaska sein.
Der L-4S ist eine Blei-Wismut-gekühlte Version des 4S-Designs.

EHNS (USA)
Die „Encapsulated Nuclear Heat Source“ EHNS ist ein 50 MWel Flüssigmetall-gekühlter Reaktor, der von der University of California, Berkeley, entwickelt wird.  Der Brennstoffvorrat soll 15 – 20 Jahre reichen. Danach Abtransport und Ersatz. Die ENHS ist für Entwicklungsländer entworfen.

Neue Entwicklungen für Reaktoren mittlerer Leistung
Zwischen den konventionellen nuklearen Großkraftwerken und den Kleinreaktoren wird es natürlich keine Lücke geben. Kernkraftwerke mit Leistungen zwischen 100 und 300 MWel werden von vielen Betreibern gewünscht. Bei diesen wird man zunächst überwiegend auf thermische Leicht- und Schwerwasserreaktoren setzen.
Man bevorzugt nun aber gleichfalls eine Modulbauweise, die hier nicht nur der rationellen Fertigung gilt, sondern bei der ein größeres Kraftwerk dadurch realisiert werden kann, daß es aus mehreren kleineren Reaktormodulen aufgebaut wird.
Die oben beschriebenen Typen mPower, NuScale, Holtec und SMART sind Beispiele.
Weiterhin gehören u.a. fünf neue Entwicklungen in den USA, Russland, Indien China und Japan zu dieser Leistungsklasse.

Über die umfangreichen internationalen Entwicklungsarbeiten an großen Reaktoren der 3. und 4. Generation kann hier aus Platzgründen nicht detailliert berichtet werden.

Eine Frage bleibt: Warum nicht gleich so ?
Spätestens nachdem sich der Leser bis hierher durchgekämpft hat, drängt sich ihm vermutlich die Frage auf:  Wenn sich die Entwickler der Kernreaktoren im Laufe der Zeit Schritt für Schritt, beginnend mit Reaktoren kleiner Leistungen zu den imponierenden Anlagen der 1000-MWel –Klasse hochgearbeitet haben – wieso hat es bei den Energieversorgern als Käufer niemals eine Rolle gespielt, daß sehr große Leichtwasserreaktoren trotz ihrer tief gestaffelten, aufwendigen Sicherheitseinrichtungen dennoch prinzipiell zu einem Kernschmelze-Unfall fähig sind ?  Und Kleinreaktoren eben nicht.
Und wo hätte die Leistungsgrenze gelegen, unterhalb derer ein derartiger Unfall aus physikalischen Gründen unmöglich ist ?

Die Antwort gab meinem Kollegen Rainer Six und mir Professor Dr.-Ing. Kurt Kugeler, der ehemalige Direktor des Instituts für Reaktorsicherheit und –technik an der RWTH Aachen, in einem Gespräch im Jahre 1996:
Bis zu einer Leistungsgrenze von 200 MWel würde die nach dem Abschalten eines Leichtwasserreaktors noch entstehende Nachwärme der zerfallenden kurzlebigen Isotope auch bei einem völligen Ausfall der Kühlung – auch der Notkühlung -  sicher abgeleitet. Erst bei Überschreitung der Schmelztemperatur der Brennstab-Hüllrohre von ca. 1.900 oC würden die heißen Brennstoffpellets freigesetzt. Diese für eine Kernschmelze notwendige Temperatur würde aber bei diesem kleineren Reaktor auf keinen Fall mehr erreicht; der Reaktor kühlt dann im Laufe einiger Wochen ab. Laut Prof. Kugeler könnte man diese sichere Leistungsgrenze noch durch eine Änderung der Kerngeometrie – z.B. ein Torus an Stelle einer zylindrischen Form –  weiter bis auf ca. 300 MWel erhöhen. Der einzige Preis für diese Konstruktion, die einen schweren Kernschmelze-Unfall absolut ausschließen würde, wäre eine durchaus erträgliche Kostenerhöhung pro Kilowattstunde.
Das Institut von Prof. Kugeler hatte bereits 1968 vorgeschlagen, einen solchen nicht zur Kernschmelze fähigen Reaktor zu bauen, und zwar unterirdisch, und darüber einen größeren Erdhügel zu errichten. Diese Tatsachen und dieser Vorschlag waren somit vor dem Beginn der Entwicklung und des Baus von Kernkraftwerken in Deutschland allen Fachleuten und auch den potenziellen Betreibern, den EVU, wohl bekannt.
Weshalb hat man dann derartige Kernreaktoren nicht entwickelt und gebaut ?
Kugelers Antwort war resignierend: Niemand interessierte diese im Grunde fundamentale Sicherheitsfrage.  Man wollte nur eine möglichst große Leistung – allein aus Kostengründen.
So wurde die Entwicklung mittelgroßer und kleiner Kernreaktoren einfach ausgelassen und gleich der Schritt zu sehr großen Blöcken getan – mit der Konsequenz, daß diese leichtfertig ignorierte Achillesferse der großen Reaktoren speziell in der deutschen Politik eine immer größere Rolle spielte, bis schließlich Frau Merkel die Gelegenheit des Fukushima-Unfalls benutzte, um dieses politisch unangenehme Thema loszuwerden.

Man kann seine Phantasie spielen lassen und sich vorstellen, wie es in Deutschland weitergegangen wäre, wenn Industrie und Betreiber rechtzeitig über ihre Verantwortung nachgedacht hätten, wie es ihre Pflicht gewesen wäre. Und von vornherein ausschließlich inhärent sichere Reaktoren der mittleren Leistungsklasse, wie sie jetzt das Ausland entwickelt, gebaut hätten. Die Modulbauweise wäre bereits damals die logische Konsequenz für den Bau von ebenfalls inhärent sicheren, aus vielen derartigen Einheiten bestehenden Großkraftwerken gewesen.
Deutschland hätte Maßstäbe gesetzt und zumindest im eigenen Lande wären Reaktorkatastrophen nicht nur praktisch, sondern physikalisch unmöglich gewesen. Nur das Endlager-Problem, das heute einer Lösung durch die schnellen Reaktoren entgegen geht, wäre damals übrig geblieben.

Hätte es jemals eine bemerkbare Anti-Atomkraft-Bewegung gegeben ?
Wären die Grünen immer noch eine Splitterpartei ?
Hätten wir heute einen höheren Kernkraftstrom-Anteil als Frankreich ?
Wären die deutschen modularen Kernkraftwerke heute ein Exportschlager ?

Es bleibt nur die Schlußfolgerung, daß die Industrie bereits zu Beginn der Entwicklungsarbeiten in Ignoranz und Kurzsichtigkeit den späteren Untergang der friedlichen Nutzung der Kernkraft in Deutschland selbst vorprogrammiert hat.

Das Ausland führt uns jetzt vor, wie die Entwicklung der Kernkraftnutzung erfolgreich weitergehen wird – und eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, auch in
Deutschland in die Entwicklung der inhärent sicheren Kernreaktoren einzusteigen und den Ausstieg aus den großen Reaktorblöcken mit dem Einstieg in kleine und mittlere nukleare Heizkraftwerke zu verbinden.
. Den inhärent sicheren HTR haben die Deutschen schließlich erfunden und gebaut – er funktionierte perfekt – und wurde dann politisch stillgelegt.

Aber die Geschichte läßt sich nicht zurück drehen. Alle anderen die Kernkraft nutzenden Länder sowie viele Schwellenländer werden die rationelle Einstiegsmöglichkeit in die kleinen, sicheren, wartungsarmen KKW der 3. und 4. Generation ergreifen. Die Vorteile sind zu überzeugend.
Deutschland hingegen wird vermutlich noch lange viel Lehrgeld für den fundamentalen sicherheitstechnischen Konstruktionsfehler seiner Kernkraftwerke und die daraus erwachsenen politischen Konsequenzen bezahlen und sich mit Atomstromimporten, Kohlekraftwerken sowie wetterabhängigem Windstrom herumschlagen.
Ein deutlicher Anstieg der Strompreise ist durch die Konsequenzen der sog. Energiewende unabwendbar geworden.
Wie lange das die Wirtschaft und die Bürger aushalten, läßt sich nicht vorhersagen.
Aber sobald die Energiewende spürbar schmerzt, wird es für die Regierung schwierig. Auch für eine rot-grüne. In der Tradition der deutschen Energiepolitik käme dann eine neue Energiewende.

Dr. Ing. Günter Keil arbeitete bis zu seiner Pensionierung 2002 in leitender Funktion im Bundesforschungsministerium

 

 

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