Der Sound des deutschen Migrationsforschungsbiotops ist kaum unterscheidbar von Verlautbarungen linksgrüner Politiker und Aktivisten. Als Beispiele dienen hier das "Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung" (DeZIM) und der "Rat für Migration (RfM)".
Im ARD-Deutschlandtrend von Januar 2025 wurde eine repräsentative Stichprobe ab 18 Jahren nach dem wichtigsten und zweitwichtigsten politischen Problem in Deutschland befragt, das vordringlich gelöst werden müsse. Das Ergebnis konnte nicht sonderlich überraschen: Rund 37 Prozent nannten das Thema Zuwanderung und Flucht als eines der beiden wichtigsten Probleme, gefolgt von wirtschaftlichen Problemen mit 34 Prozent. Dann kommt lange nichts, denn Ukraine-Krieg, bewaffnete Konflikte und Außenpolitik wurden nur von 14 Prozent als relevantes Problem genannt und damit auf Platz 3 verbannt.
Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, ob und in wie weit sich dieses Hauptproblem – Migration und Zuwanderung – und vor allem natürlich dessen Lösung auch abbilden in den Aktivitäten derjenigen Institutionen, die in Deutschland schwerpunktmäßig diese Fragen wissenschaftlich bearbeiten sollen und nicht zuletzt deshalb großzügig mit Steuergeldern gefördert werden. Um das Ganze nicht ausufern zu lassen, beschränke ich mich hier auf zwei der führenden wissenschaftlichen Einrichtungen: das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) und den Rat für Migration (RfM), bei dem es sich um eine Art Transmissionsriemen zwischen universitärer Forschung und Medien handelt.
Das DeZIM mit Hauptsitz in Berlin und stolzen 192 Mitarbeitern (12/23) wird seit Gründung 2017 geleitet von der Politologin Prof. Naika Fouroutan und, eher im Hintergrund und eher zurückhaltend von seinem Lehrstuhl an der Uni Mannheim aus agierend, Prof. Frank Kalter. Schaut man sich kritisch Fouroutans in Wikipedia aufgelistetes, recht langes Veröffentlichungsverzeichnis an, drängt sich der Eindruck einer in wissenschaftlicher Hinsicht eher mittelmäßigen Politologin auf, mehr eine Freundin des Besinnungsaufsatzes denn methodisch anspruchsvoller Forschung.
Aber sie war nicht nur fleißig, sondern eben auch zur rechten Zeit am rechten Ort und hatte zudem auch ein gewisses Gespür für seinerzeit angesagte Themen. Da die deutsche Migrationsforschung nahezu ausschließlich von grünlinker und damit heutzutage meist auch woker Ideologie getragen wird, muss Fouroutan ähnlich wie ihre Kollegen in diesem Milieu auch keine wirklich harten Grundsatzdiskussionen fürchten, zum Beispiel zu ihrer damaligen Kritik an Sarrazins Klassiker „Deutschland schafft sich ab“. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die schnöde Realität mittlerweile nicht die von Fouroutan vorgebrachte Kritik bestätigt, sondern Sarrazins damalige Lagebeurteilung samt Zukunftsprojektionen.
Mythen und Desinformation
Klicken wir also (Stand am 28.2.) die DeZIM-Homepage an. Neben einigen durchs Institut führenden Links erblickt der Leser vorrangig sechs "Teaser", von denen vier grundsätzlich so klingen, als könnten die Beiträge dahinter die aktuelle deutsche Migrationsdebatte etwas voranbringen. Aber tun sie das auch? Beginnen wir mit einer Art Kurzen Lehrgang: „Mythen, Desinformation und verkürzte Darstellungen um Migration“ heißt der Beitrag. Was hat der DeZIM-Experte Dr. Lukas M. Fuchs uns mitzuteilen? Zunächst, dass er die beiden Aussagen des (tatsächlich einschlägig ausgewiesenen) Ökonomen Professor Bernd Raffelhüschen "Migration nach Deutschland kostet den Staat Milliarden" und "Auch die fiskalische Bilanz zukünftiger Zuwanderung ist somit negativ und beträgt bei den angenommenen 293.000 Zuwanderern pro Jahr knapp das Anderthalbfache der aktuellen jährlichen Wirtschaftsleistung" – für unzutreffend halte.
Denn, so der DeZIM-Fuchs: „Wichtig zu beachten ist: Gesellschaftlicher Nutzen berechnet sich nicht so einfach in Haushaltsausgaben und -einnahmen. Die Arbeit und der wirtschaftliche Mehrwert, die vielen sozialen und kulturellen Beiträge, die Menschen mit Migrationsgeschichte leisten, sind so nicht zu berechnen. So funktioniert eine Gesellschaft, Migration hin oder her, schlichtweg nicht.“ Als Kronzeuge für diese vollmundigen Behauptungen wird dann der mittlerweile allenfalls noch im linksgrünen Milieu für voll genommene Ökonom Professor Marcel Fratscher zitiert: „Wenn man diese Betrachtung ernst nimmt, dann sind auch 70 Prozent der Deutschen ohne Migrationsgeschichte – nämlich alle Menschen mit mittleren und geringeren Einkommen – ein solches Verlustgeschäft.” Meine weiterführende Leseempfehlung zur massiven Belastung der öffentlichen Finanzen durch die Migration findet sich hier.
Dossier: Zahlen, Daten und Fakten zu Migration und Integration
Bei diesem DeZIM-Dossier handele es sich um „eine wissenschaftlich fundierte und faktenbasierte Informationsquelle (…). Hier finden Sie aktuelle Daten und Analysen zu zentralen Fragen rund um Migration und Integration – verständlich aufbereitet und mit klaren Antworten aus der Forschung“, so die DeZIM-Anmoderation. Schauen wir mal rein: „Ist die Auslagerung der Asylverfahren an der EU-Außengrenze sinnvoll?“ Die prägnante DeZIM-Kurzantwort: „Nein. Die gewünschten Steuerungseffekte sind nicht zu erwarten.“
Was empfiehlt das DeZIM stattdessen? „Regionale Schutzsysteme in Erstaufnahme- und Transitkontexten stärken. Reguläre Wege für Schutzsuchende und andere Migrant*innen nach Deutschland ausbauen. Investitionen in die Aufnahme- und Integrationsinfrastruktur in Deutschland erhöhen.“ Alles klar, machen wir. Aber war der gewünschte „Steuerungseffekt“ nicht eigentlich auch der, dass schlussendlich weniger kommen sollen?
„Was ist mit irregulärer Migration und „illegaler Migration“ gemeint?“ fragt das DeZIM etwas scheinheilig, denn: „Grundsätzlich ist kein Mensch illegal. Es gibt das wichtige Grundrecht auf Asyl.“ Munter wird dann weitergefragt: „Sind Sozialleistungen der Pull-Faktor für Asylsuchende?“ Fachlich angemessen wäre hier zwar die Formulierung ein Pull-Faktor, aber egal. „Nein, dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege“, so das DeZIM vollmundig. „Damit wird die komplexe Dynamik des Migrationsgeschehens nur unzureichend abgebildet.“ Hört sich gut an, ist aber Bullshit und würde einer strikten empirischen Überprüfung selbstverständlich nicht standhalten.
Die Pull-Wirkung von Sozialleistungen im weitesten Sinne kann weder unabhängig von der Größe der potentiell zu Flucht oder Migration in Betracht kommenden Population im Herkunftsland noch der bereits im Zielland lebenden migrantischen Gemeinde betrachtet werden. Grundsätzlich gilt: Wo bereits viele sind, wollen noch mehr hin. Ganz besonders, wenn sich im Aufnahmeland bereits spezifische migrantische Milieus, Stadtviertel oder gar Strukturen wie Little Kabul oder Little Lagos etabliert haben und deren Bewohner zudem von großzügigen Sozialleistungen profitieren.
In der gegenwärtigen Mainstream-Migrationsforschung werden Pull-Faktoren v. a. deshalb geleugnet, weil sie Migrations-Kritikern ein Einfallstor dafür bieten, durch restriktive Maßnahmen unterschiedlicher Art Migrationsströme wirksam zu begrenzen. Für eine detaillierte Diskussion dieses Problems fehlt hier der Raum. Wer sich aber mit Pull-Faktoren und Fragen zur Migrationsdynamik näher befassen möchte, dem sei der gut lesbare Klassiker von Paul Collier "Exodus" empfohlen.
Die Asyldebatte nach der Gewalttat von Aschaffenburg
Dazu wird ein Interview verlinkt, das ein DeZIM-Mitarbeiter, der Psychologe David Schiefer, dem nur in Insiderkreisen bekannten MIGAZIN gab. Es ist leider ganz überwiegend hinter der Bezahlschranke verborgen – was natürlich auch ein Hinweis auf den Stellenwert ist, den DeZIM solchen Ereignissen beimisst. Belassen wir es notgedrungen also bei der – allerdings durchaus prägnanten – Anmoderation dieses Interviews durch DeZIM: „Geflüchtete Menschen kommen nach Deutschland, um hier Sicherheit zu finden. Gleichzeitig wird ihnen pauschal unterstellt, dass sie die Sicherheit gefährden.“ Wenn diese Aussage tatsächlich den Kern des Interviews trifft – was vernünftigerweise anzunehmen ist – dann bedarf es dazu keines weiteren Kommentars.
Ein Beitrag mit der Überschrift "Kompass statt 5-Punkte-Plan: Leitlinien einer progressiven Migrationspolitik" von N. Fouroutan erschien in Die progressive Lage, einer „Kolumne“ von Das Progressive Zentrum. Eine Organisation, in der „viele Menschen gemeinsam an der Verwirklichung progressiver Ideen“ arbeiten, selbstverständlich überwiegend finanziert durch „öffentliche Institutionen“, will meinen: die Steuerzahler.
Nach Fouroutan schlittere Deutschland „in der Migration in eine aktionistische Abschottungspolitik, die jegliche Expertise aus Wirtschaft, Recht und Wissenschaft ignoriert“ und den Blick von den erforderlichen migrationspolitischen Weichenstellungen ablenke. Als Gegenmodell des vorrangig mit den Stimmen von CDU und AfD vom Bundestag verabschiedeten Fünf-Punkte-Plans stellt die Autorin nun ihren Fünf-Punkte-Kompass zu einer koordinierten Migrationspolitik vor. Der beginnt mit der Forderung nach einem Migrationsministerium, worüber man ja durchaus nachdenken könnte.
Die folgenden drei Punkte thematisieren dann ganz überwiegend Probleme einer gezielten Fachkräftezuwanderung adressieren und sind deshalb hier nicht weiter zu erörtern, außer vielleicht, dass die von Fouroutan veranschlagten Größenordnungen – trotz der unstrittigen demographischen Veränderungen – reichlich überdimensioniert erscheinen. Aber damit gelingt es Fouroutan im fünften Punkt – Soziale Verantwortung – eben auch, den relativen Anteil der irregulären Migration kleinzurechnen.
Aber das war es dann auch schon! Mehr hat sie zu den Problemen der ungeplanten und unkontrollierten Migration und deren Lösung nicht zu bieten, nur noch die aus meiner Sicht völlig unbegründete Hoffnung, dass durch die geplante „Fachkräftemigration“ die Problemmigration zahlenmäßig abnehme. Alles doch sehr dünn und zudem sehr problemverschleiernd.
Der Rat für Migration (RfM)
Dieser Rat ist ein 1998 gegründeter Zusammenschluss von Wissenschaftlern mit dem Ziel, politische Entscheidungen und öffentliche Debatten über Migration, Integration und Asyl kritisch zu begleiten. Diese Begleitung erfolgt durch RfM-Publikationen oder auch mit Hilfe von Interviews mit den jeweiligen Experten, die das RfM-Sekretariat vermittelt.
In größeren Abständen meldet sich auch der RfM-Vorstand zu Wort, z.B. am 30.Januar, und
„verurteilt das Vorgehen der CDU/CSU-Fraktion bezüglich der Abstimmung zum Entschließungsantrag (bekannt als „Fünf Punkte für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“) am gestrigen Mittwoch. Die wissentliche und willentliche Hinnahme der Zustimmung der AfD-Fraktion stellt einen in der Geschichte der bundesdeutschen Demokratie beispiellosen Vorgang der Normalisierung der extremen Rechten dar. Auch die Inhalte des Antrags gefährden die Demokratie. Den Bruch mit grundlegenden Werten, wie sie das Grundgesetz als Lehre aus der Geschichte gezogen hat sowie die Ankündigung, Europa-Recht zu brechen, stellen einen Angriff auf die normativen Grundlagen der Einwanderungsgesellschaft Deutschland dar. Der Antrag befördert die Spaltung der Gesellschaft und gefährdet ihr demokratisches Fundament. Der Vorstand des Rats für Migration fordert die Unionsfraktion auf, ihren Entwurf für ein „Zustrombegrenzungsgesetz“ zurückzuziehen.“
Ein Appell, der, zumindest bisher, folgenlos verhallte. Aber der Sound dieser Stellungnahme ist typisch für das deutsche Migrationsforschungsbiotop: kaum unterscheidbar von entsprechenden Verlautbarungen linksgrüner Politiker und Aktivisten, dabei unglaublich anmaßend und der, im Kern, ebenso totalitären wie kindlich anmutenden Vorstellung verhaftet, dass alles, was ihnen politisch nicht in den Kram passt, die Gesellschaft spaltet. Ergänzt wurde dieser Appell am nächsten Tag durch eine ausführlichere Stellungnahme, unterstützt von zehn weiteren, eher unbedeutenden Organisationen dieses Milieus und zahllosen akademischen Sympathisanten, natürlich wieder unter einer markigen Überschrift: „Für eine politische Orientierung an Fakten und der historischen Verpflichtung auf die Menschenrechte!“ Darunter machen sie es nicht.
Erfreulicherweise wird in diesem kämpferischen Aufruf der Wissenschaftsaktivisten deren Befürchtung deutlich, dass ihre bisher weitgehend unangefochtene Deutungshoheit zunehmend in schweres Fahrwasser zu geraten droht. Ob da der folgende Verweis auf die eigene Großartigkeit und Bedeutsamkeit wirklich hilfreich ist?
„Die sich abzeichnende autoritäre Wende gefährdet die Grundlagen einer offenen, demokratischen Gesellschaft. Wir wissen, dass die Erkenntnisse der Migrations-, Integrations- und Rassismusforschung unverzichtbar sind, um eine gerechte und vielfältige Gesellschaft zu gestalten.“
Nun ja, wenn die Habecksche oder grünlinke Energiewendepolitik sogar physikalische „Erkenntnisse“ durchgängig ignorieren kann, sollte das mit sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen doch erst recht möglich sein. So könnte in etwa die saloppe Antwortversion an den RfM lauten. Die etwas tiefschürfendere würde dagegen vorrangig darauf hinweisen, dass eine völlig einseitig an Belangen der Migranten orientierte und dabei die Interessen der autochthonen Bevölkerung konsequent ignorierende oder gar verächtlich machende Migrationsforschung es künftig immer schwerer haben wird, von Politik und Steuerzahler als unverzichtbar eingestuft zu werden. Irgendwann wird den hiesigen Migrationsforschern auch das stete Schwingen der Rassismuskeule nicht mehr helfen und es heißt dann vielleicht nur noch: Das kann weg!
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im zivilrechtlichen Bereich.