Peter Grimm / 12.01.2024 / 12:00 / Foto: Pixabay / 163 / Seite ausdrucken

Die merkwürdige Geheimplan-Hysterie

Namhafte Kommentatoren und Politiker, bis hin zum Kanzler, äußerten sich gestern erregt über einen "Geheimplan", der in "Geheimgesprächen" von Rechtsextremen mit AfD- und Werteunion-Mitgliedern sowie geldgebenden Unternehmern ausgeheckt worden sein soll. Worüber regen sie sich auf?

Vorgestern hatte Correctiv, nach Eigenbeschreibung "ein gemeinwohlorientiertes Medienhaus, das Demokratie stärkt“, diese angebliche rechte Verschwörung enthüllt und seit gestern vermitteln manche Medienberichte und Politiker-Reaktionen den Eindruck, dass hier diverse rechte Kräfte im Zusammenspiel mit der AfD schon die ethnische Säuberung nach der Machtübernahme planten.

Die Beschreibung der Correctiv-Recherche an einem geheimnisvollen Ort, einer Hotelvilla am Rande von Potsdam auf einem Wassergrundstück, scheint dem Drehbuch eines durchschnittlichen deutschen Serienkrimis entlehnt. An allen Seiten des Hauses wurden Kameras platziert, damit niemand unerkannt bleibt, der an diesem finsteren Treffen teilnahm. Um auch vom Wasser überwachen zu können, hatten sich Correctiv-Mitarbeiter nach eigenen Angaben ein Sauna-Floß gemietet. 

Die Überwachungs-Journalisten zählten dann 20 Teilnehmer und fast alle konnten sie namentlich identifizieren. Über die, deren Name nicht mitgeteilt wurden oder werden konnten, wussten die Correctiv-Mitarbeiter zu berichten, dass es "ein junger 'Identitärer'", "ein IT-Unternehmer und Blut-und-Boden-Nazi" und "ein Neurochirurg aus Österreich" waren. 

Nicht nur mit Kameratechnik, auch personell hat sich Correctiv mächtig ins Zeug gelegt. 18 Mitarbeiter werden namentlich als das "CORRECTIV-Team hinter der Recherche" vorgestellt, wobei sich drei von ihnen um "Design" und vier von ihnen um "Kommunikation" kümmerten. Und eine Mitarbeiterin war für den "Faktencheck" zuständig. Die haben nun – sonst hätte sich der Aufwand ja nicht gelohnt – den "Geheimplan gegen Deutschland" enthüllt. So titelten sie jedenfalls.

Was war denn so geheim?

Es ließe sich jetzt diskutieren, ob Correctiv mit der Überwachung der Hotel-Villa die Grenzen der Legalität verlassen hat. Aber das soll hier nicht Thema sein. Welcher Journalist würde diese bei einer brisanten Recherche nicht auch großzügig interpretieren. Doch wenn der Correctiv-Text, der inhaltlich von den meisten anderen Medien nur zitiert bzw. kolportiert wurde, aller sprachlichen Dramatik, Interpretation und Metaphorik entkleidet wird, bleibt so viel von einer Verschwörung nicht übrig. Nicht einmal für jemanden, der die Weltanschauungen der Gesprächsteilnehmer für grausam hält.

Was war denn an all dem Enthüllten "geheim"? Es handelte sich um keine öffentliche Veranstaltung, sondern um einen privaten Gesprächskreis, zu dem geladene Gäste erschienen. Und die sprachen über "Remigration", womit in diesem Fall die Vorstellung von einer teilweisen Rückabwicklung massenhafter Zuwanderung gemeint ist. Nachdem, was Correctiv über das „Geheimtreffen“ schrieb, soll sogar darüber gesprochen worden sein, wie Eingebürgerte, also deutsche Staatsbürger, ausgebürgert und abgeschoben werden könnten. Ist die Ausbürgerung Deutscher, auch die von Eingebürgerten, verfassungsrechtlich überhaupt tragbar oder ist eine ungeheuerliche und verfassungswidrige Idee?

Solche Fragen kann man stellen, aber es rechtfertigt doch keinen Staatsstreich-Verdacht, wenn über das Thema gesprochen wird. „Zu prüfen ist, ob Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, die an Organisierter Kriminalität nachweisbar mitwirken, die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden kann“, heißt es in einem Positionspapier der Innenminister der unionsgeführten Länder aus dem Sommer letzten Jahres. Und das war nicht geheim, sondern es wurde auch in öffentlich rechtlichen Medien darüber berichtet.

Über die Ideen, die bei Correctiv ein „Geheimplan“ sind, wird schon geraume Zeit so Einiges geschrieben und veröffentlicht, nur fand das oft kein allzu großes Interesse. Dass der Identitären-Vordenker Martin Sellner für die "Remigration" eintritt, konnte auch jeder nachlesen. Es ist keine Überraschung, wenn er diese Positionen auch in Gesprächen vertritt, zu denen er als Vortragsredner eingeladen wird. Inwieweit einige von Correctiv zitierten konkreten Aussagen auch aus dem Zusammenhang gerissen worden sind, wie Martin Sellner in einem Video erklärt, oder nicht, wissen nur die offiziellen und inoffiziellen Teilnehmer der Runde. Aber entscheidend ist: Das waren alles Äußerungen in einem privaten Gesprächskreis. Es handelt sich hier weder um öffentliche Auftritte oder Aufrufe, noch um die klandestine Ausarbeitung eines konkreten "Geheimplans“ zur Vertreibung von Millionen Ausländern und Eingebürgerten. 

Wo war doch gleich die Wannsee-Konferenz?

Die Reaktionen in Politik und Medien sind aber genau von einer solchen Hysterie getragen, als wäre das der Fall. Glaubt man in den Parteien, die dem wachsenden Zuspruch der von ihnen ausgegrenzten AfD gegenwärtig ratlos gegenüberstehen, dass ihnen das nützt? Glauben sie, dass etwas mehr Nazi-Schwefelgeruch im Zusammenhang mit der AfD hilft, damit wieder mehr Wähler auf die Warnungen an der Brandmauer achten? Wahrscheinlich gibt es diese Hoffnung, deshalb gehen dann auch gerne mal die Maßstäbe verloren, wenn sogar eine Verbindung mit der Wannsee-Konferenz hergestellt wird. Im Correctiv-Originaltext heißt es: 

"Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat. Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten."

Dieser Vergleich wurde von vielen gern aufgegriffen, manchmal so schnell, dass sich peinliche Fehler einschlichen. Beispielsweise bei dem stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Dirk Wiese, der im Interview mit Welt TV fehlerhaft rekapitulierte:

"Das sind Pläne, die erinnern uns an die dunkelsten Zeiten der deutschen Vergangenheit. Ich will mal dran erinnern, in Potsdam hat damals auch die Wannsee-Konferenz stattgefunden (...)."

Genosse Wiese hat in der Eile wohl vergessen, dass in Potsdam nur der von Correctiv beobachtete Gesprächskreis stattgefunden hat. Der Ort der Wannsee-Konferenz war, wie der Name erahnen lässt, eine Villa am Wannsee im Stadtteil Berlin-Zehlendorf. Da ist Potsdam zwar in der Nähe, aber diesen Unterschied könnte man kennen. 

Muss solch ein Versprecher hier kleinkrämerisch aufgerechnet werden? Das geschieht nur, weil es ein Zeichen dafür ist, wie schnell und unbedacht einem Politiker die unangemessenen Vergleiche über die Lippen gehen. Auch wenn jemand diesen Potsdamer Gesprächskreis und die dort diskutierten  Remigrationsvorstellungen von Martin Sellner furchtbar findet, kann der doch nicht ernsthaft mit jener Konferenz verglichen werden, auf der die millionenfache Ermordung der europäischen Juden im Auftrag der nationalsozialistischen Machthaber geplant und ihre Umsetzung festgelegt wurde. Kam da niemandem der Gedanke, wie fatal es ist, wenn man diese beispiellose Massenmord-Planung durch solche Vergleiche banalisiert? Offenbar nicht. Die Schlagzeilen sind gesetzt, da wird jetzt auch kaum einer der politischen Akteure zur Gelassenheit zurückfinden. 

Hysterische Aufregung ist leichter

Nur als kleiner Exkurs der Vollständigkeit halber: Man erfährt bei Correctiv auch, wer bei den wohlhabenden Gästen um Zuwendungen und Spenden warb und über welche Wege der Geldtransfers nachgedacht wurde. Das klingt allein schon deshalb anrüchig, weil jeder weiß, dass es in der Wirklichkeit oft tatsächlich schnell anrüchig wird, wenn es um Geld geht. Nur solche Gespräche von Politikern und politisch Bewegten mit ihnen wohlgesonnenen Wohlhabenden gibt es rechts, die gibt es links und die gibt es auch in der Mitte. Und wer nun wem wirklich wie viele Euro gegeben hat, konnte das Correctiv-Rechercheteam auch nicht belegen. Vielleicht kommt das noch und weitere Enthüllungen in diesem Fall sind schon geplant. Die Mitarbeiter stehen bei dem Thema offenbar nicht unter Zeitdruck, denn von der Veranstaltung am 25. November 2023 bis zu dem investigativen Bericht darüber hat es schließlich eine Weile gedauert. 

Dank des Echos in Politik und Medien hat es der Correctiv-Bericht geschafft, trotz seiner eher dürftigen Fakten einen Ton zu setzen, als hätten hier Verschwörer zu einem "Vertreibungsgipfel" zusammen gesessen. Und jeder Gast des Gesprächskreises wird zum Mitverschwörer erklärt, alle Anwesenden gelten nun quasi als Staatsfeinde, um die sich der Verfassungschutz kümmern sollte. Differenzieren ist nicht die Sache der kraftvoll klingenden Kommentatoren. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich auch der Bundeskanzler daran beteiligt. Immerhin muss er so wenigstens nicht über die verfehlte deutsche Migrationspolitik sprechen. Die hysterische Aufregung über vermeintliche Geheimpläne ist leichter, sie hilft nur am Ende niemandem. 

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

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Leserpost

netiquette:

M.Müller / 12.01.2024

Herr Hinz: Das Gericht beanstandete den Faktencheck nicht inhaltlich, wie von Ihnen suggeriert, im Gegentei. Es gab Correctiv inhaltlich Recht. Allerdings monierte es, dass der oberflächliche Leser den von correctiv gecheckten Brief als TE’s eigenes Werk ansehen konnte. Die von TE in der Überschrift emachte und zurecht korrigierte Behauptung, der Brief sei von über 500 Wissenschaftlern verfasst worden, bemängelte das Gericht dagegen nicht. Somit stellt sich Ihre Frage genau anders herum.

Hans Bendix / 12.01.2024

Nun, da haben sich ein paar Leute irgendwo - ca. acht Kilometer von der Wannseevilla entfernt - zu einem Gespräch über die Flut illegal eingereister Ausländer und eine mögliche Abhilfe getroffen - und schon gelten die als kriminelle Vereinigung. Anderenorts - auch ca. acht Kilometer von der Wannseevilla entfernt - treffen sich regelmäßig ein paar Leute, die öfter darüber reden, wie sie mehr Ausländer zum illegalen Einmarsch überreden , legal Drogen verticken, Schutzgelder erpressen, Naturgesetze leugnen und die öffentliche Meinung beherrschen können - das ist eine kriminelle Vereinigung. Nur - leider - waren die Erstgenannten Privatpersonen, die anderen nennen sich “Regierung”. #sozialistenfuesilieren

gerhard giesemann / 12.01.2024

Eine Partei, die den Islam hier weg haben will, ist antifaschistisch. Wer das hier haben will, ist faschistisch. Ist es das. was nicht heraus kommen soll? Denn jedem sollte klar sein: Moslems wählen nicht “woke” - das ist denen zuwider.

Gert Friederichs / 12.01.2024

Ich war schon mehrfach nahe dran, bei einem/einer dieser rotgrünen Anklagenvertreter per Mail nachzufragen, ob sie die von ihnen beanstandeten Tatbestände auch nur irgendwie der Realität entsprechend nachgeprüft hätten, etwa durch Lesung/Ansicht der Äußerungen von Baab, Ganser, Rothfuß, Sellner. Und da bin ich gleich auch in diese Falle gelaufen und habe mich erst einmal an der völlig unbedeuteten Vita dieser Leute aufgehangen, um zur Einsicht zu gelangen, dass dies völlig 100% zwecklos wäre! Dann aber habe ich mich in einigen Fällen dazu aufgerafft, nachzuprüfen, welche geistig hochstehenden Werke von ebendiesen produziert worden sind. Ich glaube, die liegen alle noch tief vergraben in Geheimfächern.

Frank in SA Theimer / 12.01.2024

Wie kann man eigentlich die Pläne der EU bzw UN nennen, Millionen Menschen aus Afrika in die EU “umzusiedeln”? Ist das nicht fast schon das gleiche?

S. Malm / 12.01.2024

Hysterie? Rot-Grün-Woke versuchen die legale Ausweisung von “Flüchtlingen” durch Wannseekonferenz-Framing zu diffamieren. Mit Hysterie hat das nichts, aber gar nichts zu tun. Mit Aufoktroyieren von rot-grün-woken Ansichten hingegen alles. Es ist reines Wunschdenken (und auch ziemlich naiv) das für Hysterie zu halten.

Talman Rahmenschneider / 12.01.2024

Das hier, Herr Grimm, ist auch so richtig typisch: “Wie sich die „New York Times“ in die rechte Kampagne gegen Claudine Gay einspannen ließ”. Der site, der mir unbekannt ist, heisst uebermedien dot de. Nichts, aber auch nichts, war daran rechts, es war auch keine “Kampagne”. Die gut studierte Wissenschaftlerin geriet zuerst in die Kritik, als sie sich ungenügend von verbalem eliminatorischen Antisemitismus (from the river ro the sea) distanzierte, als sie nicht zurücktrat, packte man ihre mannigfaltigen kopierten, nicht gekennzeichneten Zitate in ihren Arbeiten aus, von denen man sicherlich schon vorher gewusst hatte, denn sie war vermutlich eine Quotenpersönlichkeit. Ein Präsident oder eine Präsidentin von Harvard hat dafür zu sorgen, dass alle auf dem Campus sicher sind und unbehelligt studieren können. Das war hier nicht der Fall. Die meisten Eliteinstitutionen sind auf einer vereisten Piste, und unten wartet ein harter Aufprall. Einer der Hauptspender für Harvard brach sofort weg. Es wird eng für die linksgrüne woke Gesellschaft. Das Einzige, das sie können, ist andere als “rechts” brandmarken. Inzwischen sind gefühlte 70% rechts, alle Kritiker, alle nichtfarbigen Leistungsträger, alle Juden, alle weißen Männer, alle konservativ-liberalen Frauen usw. Der Aufprall beginnt gerade. Mit dem Bauern. Er wird hart.

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