Von Wolfram Weimer.
Gefühlt hat Angela Merkel die kommende Bundestagswahl schon jetzt gewonnen. Umfragen, Kommentare, Politologen und die Wurstfachverkäuferin sind sich weithin einig – “Merkel IV” wird kommen. Wahrscheinlich geschrumpft, vielleicht ergrünt. Aber ein echter Machtwechsel bleibt bis 2021 aus. Der einzige Haken an der Sache: So einig waren sich neulich bereits alle beim Brexit, bei Trump und der immerwährenden Tabellenführerschaft von Bayern München. Auch da hat kaum jemand an einen Wechsel geglaubt – und doch ist genau der jeweils eingetreten.
Aus dem Konrad-Adenauer-Haus wird nun die Selbstverständlichkeit der Merkel-Macht als Leitidee im Land versprüht als sei das ein ewig haltbares, betörendes CDU-Parfüm. Doch so selbstverständlich ist ihr politischer Odem nicht mehr. Im Flakon der Kanzlerin verflüchtigt sich so manche Ingredienz ihrer Macht.
So hat die CDU nach nur anderthalb Jahren “Wir schaffen das” jeden vierten Wähler verloren. Sie ist in den Umfragen von 42 auf 32 Prozent abgerutscht. Millionen deutscher Normalbürger haben sich mit der Migrationskrise von ihr abgewandt – manche lautstark-wütend hin zur AfD, andere bedacht zur FDP, viele leise in stille Enthaltung und Enttäuschung.
Bei den beiden jüngsten Landtagswahlen unterschritt die CDU die Demütigungs-Schwelle und erreichte keine 20 Prozent mehr. Die Serie von Wahlniederlagen wird länger und schmerzhafter, immer mehr Parteifunktionäre verlieren Ämter und Mandate. Die CSU hat ihr die Gefolgschaft lautstark infrage gestellt und lächelt nurmehr gequält zur neuerlichen Kandidatur. Kurzum: Das eigene Lager steht nicht geschlossen, sondern tief zerrissen und ausgedünnt hinter ihr. Man bedenke: In der Regentschaft von Angela Merkel seit 2006 hat die CDU die Hälfte ihrer Ministerposten verloren.
Die Merkel-CDU ist vor allem für Merkel gut
Unter Unionisten verfestigt sich damit der Eindruck, dass die Merkel-CDU auf Dauer vor allem für Merkel gut sei, kaum mehr aber für die CDU. Unter Merkel sind konservative, wirtschaftsliberale, kirchengebundene und patriotische Milieus immer weiter an den Rand gedrängt worden. Mancher CDU-Funktionär wittert um die Kanzlerin herum daher eine Stimmung wie 2005 um Gerhard Schröder und die SPD. Was damals die 2010-Agendapolitik war, ist heute die Multikulti-Migrationspolitik. Beides polarisiert die Gesellschaft und verschreckt das jeweils eigene Lager bis ins Mark. Das mag übertrieben sein – und doch ist aus der präsidialen Kanzlerin eine Polarisierungs-Regentin geworden.
Tatsächlich steht dem damaligen Erfolg der Linkspartei heute der AfD-Aufstieg gegenüber – das härteste Indiz für Merkels schwindende Akzeptanz. Die selbst ernannte Alternative zur Alternativloskanzlerin positioniert sich schließlich gezielt als “Merkel muss weg”-Partei. Das bedeutet aber auch, dass die AfD von der neuerlichen Kandidatur unmittelbar profitieren wird, zumal die Ankündigung ganz im Gestus von Hillary Clinton geschah und von einem herbeigeeilten Barack Obama als Rettung der Welt oder mindestens des Westens eingeläutet wurde. Im ersten Entwurf des Wahlprogramms machte man doch tatsächlich den gleichen Fehler wie Clinton und beschimpfte abtrünnige Rechtswähler als “Verlierer”.
In Wahrheit aber geht es bei den Wahlen dieser Jahre nicht um soziale Fragen von Verlierern. Es geht nicht um Materialismus, sondern um Idealismus. Die Wähler von Trump und AfD entstammen nicht den Rändern, sondern der wohlsituierten Mitte der Gesellschaft, ihr massenhafter Widerstand ist keine Frage des Bankkontos. Es geht ihnen tatsächlich um Identität, Kultur, Stolz, Glauben, Sicherheit und Freiheit – auch um die Freiheit der Rede. Die Wut auf ein allzu staatsnahes Mediensystem der rot-grünen Besserwisser-Bevormundung ist ein Befreiungsversuch vom Diktat politischer Korrektheiten. Dieser Rechtsruck ist kein soziales Phänomen, sondern ein zutiefst politisches. Sicherheit und Identität werden die neuen Schlüsselbegriffe und bei beiden hat die Kanzlerin Schwächen offenbart.
Der Protest des neo-konservativen Bürgertums entfaltet unerwartete Eigendynamik
Merkel gerät damit in ein Dilemma: Wandelt sie sich – wie es die CSU gerne hätte – zur Grenzschützerin und Kulturkampfkanzlerin gegen den Islamismus, dann verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. Bleibt sie aber auf Kurs, verliert sie ihre Kernwählerschaft. Einen Stigmatisierungs-Wahlkampf nach dem Motto “Anständige gegen Extremisten” wird nicht mehr möglich sein, weil in der Breite des Bürgertums die Akzeptanz für AfD-Positionen schon zu groß geworden ist.
Die Trump- und Brexit-Wahlen zeigen zugleich, dass der Protest des neo-konservativen Bürgertums an unerwarteter Eigendynamik gewinnen kann. Die Wählerschaft ist in ruppiger Bewegung wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Merkels Risiko für ein weiteres Abrutschen wird damit mit jedem islamischen Attentat, jedem Moschee-Großbau und jedem weiteren Flüchtlingsschub größer. Sie weiß selbst, dass es ein wilder, riskanter Wahlkampf wird. Als sie ihre erneute Kandidatur am Sonntag bekannt gab, gestand sie ahnend: “Diese Wahl wird wie keine zuvor – jedenfalls seit der deutschen Wiedervereinigung nicht – schwierig.”
Und doch hat Merkel einen großen Trumpf in der Hand – die Schwäche ihrer Gegner, insbesondere der Sozialdemokraten. Der SPD-Kandidat, der die größten Chancen gehabt hätte, Frank-Walter Steinmeier, wird jetzt Bundespräsident. Bei Martin Schulz und Sigmar Gabriel kann sich Merkel entspannen und Olaf Scholz wird von Gabriel nicht vorgelassen.
Und so kann die Kanzlerin es sich strategisch leisten, eine AfD zweistellig erstarken und eine FDP in den Bundestag zurückkehren zu lassen. Sie spekuliert nicht auf eine absolute oder auch nur große Mehrheit, sie setzt auf die negative Mehrheit, dass man gegen die Union nicht regieren kann. Dazu hilft der Aufstieg der AfD sogar, denn damit reicht es ihr zum Machterhalt, bei der Bundestagswahl einfach stärkste Partei zu werden. Sie kann die CDU weiter schrumpfen und ihre Kanzlerschaft doch retten. Es sei denn, ein Brexit-Trump-Erdrutsch kommt auch in Deutschland in Gang. Aber in einem Land, in dem Bayern München immer Tabellenführer ist, wird das schon nicht passieren.
Zuerst erschienen in The European hier.