Gunter Frank / 03.04.2019 / 12:00 / Foto: Raimond Spekking / 69 / Seite ausdrucken

Die Medien, die Wissenschaft und eine Ausladung

In einem Interview in der Welt äußerte sich der Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger Mathias Döpfner zum Fall Claas Relotius und den Folgen für die Glaubwürdigkeit der Medien. Man möchte vielem darin zustimmen. Er äußerte auch die Hoffnung, dass die Branche aus diesem Fall lernen wird.

Dies ist ein guter  Anlass, in einem weit bedeutenderen Fall von Scharlatanerie und Hochstapelei die Probe aufs Exempel zu machen und sechs davon betroffene Chefredakteure (Zeit, Spiegel, Welt, Bild, Focus und Bilder der Wissenschaft) um eine Stellungnahme zu bitten. Es geht dabei pars pro toto um die Ernährungswissenschaft.

Sind es wirklich Relotiaden, die die Glaubwürdigkeit der Medien substanziell in Frage stellen? Oder ist es vielmehr die Missachtung selbst der geringsten Regeln bezüglich Objektivität und Nachprüfbarkeit, mit der inzwischen fast alle etablierten Medien über wissenschaftliche Daten berichten? Ganz besonders dann, wenn man sich vor Augen führt, dass uns nicht das Grundgesetz vor Despotie, Ideologie und Willkür schützt. Es ist vielmehr der dahinterstehende Grundkonsens einer aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft.

Der Konsens, dass Objektivität und Nachprüfbarkeit die wichtigsten Kriterien für Entscheidungen sind, bei denen es um elementare Fragen der Gemeinschaft geht. In einer aufgeklärten Gesellschaft stellt eine unabhängige, objektiv und kompetent handelnde Wissenschaft dabei die Instanz dar, die diesen Konsens versinnbildlicht. Fällt dieser Konsens, schützt uns kein Gesetz vor einem Rückfall in eine regressive Zwangsgesellschaft. Wer Objektivität ablehnt, um sich durch Moral zu legitimieren, der setzt sich irgendwann über jede Regel hinweg.

Abschalten als emotionaler Selbstschutz

Nun wurden Tatsachen und Fakten schon immer selektiv und manipulativ eingesetzt. Nichts Neues. Aber das Ausmaß des Wissenschaftsmissbrauchs, mit dem heute fragwürdige Weltanschauungen als wissenschaftlich belegt verkauft werden, ohne Sorge, entlarvt zu werden, hat ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Da helfen auch vereinzelte Lichtblicke nicht mehr. Diesem Missstand widmeten wir kürzlich an der Universität Heidelberg ein umfangreiches Symposium.

Ich persönlich setze mich dieser täglichen Verspottung von Anstand und Vernunft nicht mehr aus und lese nicht einmal mehr die Onlineversionen etablierter Medien, geschweige denn schaue ich noch Nachrichtensendungen. Dies ist keine Kopfentscheidung, sondern emotionaler Selbstschutz, denn sie bereitet mir inzwischen wirklich körperliches Unbehagen. Und ich weiß, dass es vielen vernünftigen Menschen ähnlich geht.

Doch hier eine Probe aufs Exempel. Das Buch „Der Ernährungskompass – das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung“ des Journalisten Bas Kast und die Berichterstattung darüber setzt dieser Entwicklung aktuell die Krone auf. Dazu veröffentlichte ich eine Buchrezension, unter anderem auf Achgut.com: Voodoo-Master der Ernährungs-Wissenschaft. Kasts Buch lässt sich leicht als Hochstapelei entlarven. Es genügt, einfach ein paar Quellen genauer anzuschauen. Dennoch wird dieses Buch seitenweise positiv besprochen und gar zum Wissenschaftsbuch 2018 gekürt. Es ist omnipräsent.

Die Chefredakteure der Zeitungen und Magazine, die sich daran besonders beteiligen, habe ich um eine Stellungnahme gebeten. Mit Verweis auf die erwähnte Buchrezension bat ich höflich darum, zu erklären, warum sie derartigen Wissenschaftsunfug fördern, anstatt ihn zu entlarven und so ihre Leser narren. Vier antworteten nicht, zwei haben es wenigstens versucht. Doch was sagt es aus, wenn ein Chefredakteur, der sicher versiert über DJ-Kultur promovierte, versucht, selbst mit medizinischen Quellen, die er ganz offensichtlich nicht versteht, die Kritik eines Fachmanns zu entkräften.

Ebenso schlicht liest sich die Antwort des Chefredakteurs, in dessen Verantwortung Wissenschaftsbücher des Jahres gekürt werden. Niemand verlangt, dass Chefredakteure alles selbst überprüfen können. In meinem Verständnis kann man von Chefredakteuren jedoch erwarten, dass sie solch schwere Vorwürfe unabhängig und fachgerecht prüfen lassen, vor allem die Quellen. Es geht schließlich um die anhaltende Täuschung ihrer Leser und darum, Schaden von ihnen abzuwenden. Die (Nicht-)Antwort der Chefredakteure zeigt jedoch, dass sie daran kein Interesse haben. 

Die Schlagzeilen-Demokratie

Spätestens seitdem der ehemalige Innenminister de Maizière mit unfassbarer Unbedarftheit offenbarte, in welchem Umfang sich die Bundesregierung bezüglich der Grenzöffnung 2015 durch die Furcht vor negativen Schlagzeilen leiten ließ, sollte jedem klar sein, wie sehr sich Politik selbst in elementaren Fragen nach der Medienmeinung ausrichtet. Und da Politik tief in die Universitäten hinein bestimmt, findet diese Entwicklung auch an den Orten statt, an denen man Objektivität und Nachprüfbarkeit eigentlich als Grundprinzip vorfinden sollte.

In Folge verdrängt in unseren Universitäten Haltung und Moralismus zusehends objektives Fachwissen und ermöglicht so Karrierenetzwerke, die jedem Kompetenzanspruch Hohn sprechen. So schließt sich der Kreis. Die Realität wird konsequent der Öffentlichkeit vorenthalten, in der jedoch die realen Probleme Dimensionen annehmen, die wir uns vor 20 Jahren noch nicht vorstellen konnten. Und selbst an den Universitäten werden echte Fachleute ausgegrenzt, die diesem Irrsinn mit kompetenter Forschung begegnen könnten. 

Wie um mich zu widerlegen, erhielt  ich letzte Woche einen Anruf der Redaktion Maischberger. Man lud mich für die heute geplante Sendung zum Thema Ernährung ein. Ebenfalls eingeladen: Der hier erwähnte Bas Kast. Meine Verwunderung hielt nicht lange an, denn zwei Tage später wurde ich ausgeladen. Man hatte inzwischen meine Buchrezension auf Achgut.com gefunden und fürchtete nun, dass die Auseinandersetzung mit Bas Kast und mir zu heftig würde.

Doch der eigentliche Grund besteht darin, dass meine Buchrezension nicht in Die Welt oder dem Spiegel stand. Dort werden solche Analysen nicht publiziert siehe oben, sondern auf Achgut.com. Ganz egal wie berechtigt und fundiert eine Kritik ist, man gilt als Outlaw, während Scharlatane, die geschickt auf der Meinungswelle reiten, regelmäßig von ihren Kollegen in den etablierten Medien hochgelobt werden. Um das eigene Weltbild zu retten, verweigert man die Konfrontation mit der Wirklichkeit. Man lädt den Fachmann aus und überlässt dem Blender die Bühne. Dieser Vorgang könnte nicht besser das aktuelle Verständnis der Öffentlich-Rechtlichen bezüglich ihres Informationsauftrages beschreiben und das der etablierten Medien insgesamt. 

Wichtige Debatten werden weggedrängt

Diese umfassende, schamlose, sich selbst feiernde Missachtung wissenschaftlicher Objektivität zerstört die Glaubwürdigkeit der Medien. Geschichtenerfinder wie Claas Relotius amüsieren uns jedoch lediglich. Das Beispiel Bas Kast spielt auf dem Gebiet der Ernährungswissenschaften, einem Feld, auf dem ich mich ausgezeichnet auskenne. Verglichen mit der tatsächlichen wissenschaftlichen Erkenntnislage stimmt so gut wie kein Medienartikel mehr, der sich mit Ernährung und Gewicht befasst.

Ursachen-Wirkungsbeziehungen werden dreist zugunsten einer totalitären Naturideologie aus dem 19. Jahrhundert umgedichtet oder von Neo-Puritanern einfach frei erfunden. Auf anderen Gebieten wie Migration, Antisemitismus, Sicherheit, Umweltschutz, Energie oder Klima, in denen ich kein Experte bin, dürfte es nicht viel anders aussehen.

Die wirklich wichtigen Debatten werden zunehmend auf den Hauptplätzen verweigert. Angesichts der Qualität, die sich inzwischen in Medien wie Achgut.com sammelt, fühle ich mich dort zwar zunehmend wohl, aber diese Entwicklung bereitet mir dennoch ein mulmiges Gefühl. In Deutschland wird gerne alles in Beziehung zum Dritten Reich gesetzt. Nun denn. Mulmig wird mir besonders dann, wenn die dafür Verantwortlichen an den üblichen Pogrom-Gedenktagen so einträchtig wie wohlfeil wieder und wieder die Frage stellen: Wie konnte das geschehen? Vielleicht genau so.

Gunter Frank ist Arzt in Heidelberg und Buchautor.

Foto: Raimond Spekking CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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karl deutz / 03.04.2019

“Verglichen mit der tatsächlichen wissenschaftlichen Erkenntnislage stimmt so gut wie kein Medienartikel mehr, der sich mit Ernährung und Gewicht befasst. ... Auf anderen Gebieten wie Migration, Antisemitismus, Sicherheit, Umweltschutz, Energie oder Klima, in denen ich kein Experte bin, dürfte es nicht viel anders aussehen.” Ich kenne mich leider auch nur in einem der genannten Gebiete sehr gut aus, der Energietechnik. Und bereits seit Jahrzehnten fallen mir Medienberichte auf, die gruselige Fehler enthalten. Auch Interviewpartner (nicht selten als “Experte” vorgestellt), die ungehindert blanken Unfug erzählen. Das alleine ist nicht neu. Neu ist das, was Sie auch schildern, nämlich dass Kritiker nicht gehört sondern diffamiert werden. Ich erlebe es in meinem beruflichen wie privaten Umfeld in fast 100% der Fälle.  Sachargumente werden nicht einmal angehört, geschweige denn diskutiert. Bevor der erste kritische Satz zu Ende formuliert ist, stehe ich in der bösen Ecke, Thema beendet. Obwohl ich in diesen Kreisen ein anerkannter Experte bin. Allenfalls mit Menschen unter 40 ergibt sich mitunter eine angeregtere Diskussion. Die vertrauen voll und ganz der Wissenschaft. Ein ernst zu nehmender Wissenschaftler muss allerdings Mitglied bei Greenpeace sein. Oder zumindest im Auftrag von Greenpeace arbeiten. Alles andere ist Fake.

Mario Richter / 03.04.2019

Sehr geehrter Herr Frank, ich habe mir die Reportage/Realsatire Schlank durch Schokolade-Eine Wissenschaftslüge angesehen und muss sagen: Hochinteressant. Am Ende des Films musste ich lachen, obwohl einem die Tränen kommen sollten! Ein Muss für jeden Diät-Geplagten! Viele Grüße

Dr. Gottfried Köppl / 03.04.2019

Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass die Medien das Regierungshandeln kritisch kommentieren. Und spätestens seit Kant ist Wissenschaft nur seriös, wenn sie kritisch ist. In Demokratien wird auch der Protest der Jugend von den Herrschenden in der Regel nicht bejubelt. All dies hat sich in bedenklicher Weise verändert. Die Diffamierung unabhängiger und kritischer Selbstdenker nimmt zu.

Rolf Schwarz / 03.04.2019

Na hoffentlich wird Ihnen Gelegenheit für eine Rezension der Sendung gegeben.

Matthias Braun / 03.04.2019

” Wissenschaft besteht aus Fakten wie ein Haus aus Backsteinen, aber eine Anhäufung von Fakten ist genausowenig Wissenschaft wie ein Stapel Backsteine ein Haus ist. “ ( Henri Poincaré )

Andreas Rochow / 03.04.2019

Verehrter Kollege Frank, Sie sprechen gleich zwei Großbaustellen an: 1.) Die öffentlich-rechtlichen und andere Großmedien, die konzertiert steuern, worüber man spricht und worüber nicht und welche Gedanken und Meinungen politisch korrekt und welche es nicht sind. Kurz: Medien, die sich berufen fühlen, rund um die Uhr den Mainstream zu konstruieren. Diese Dienstleistung geht darüber hinaus, uns in der Flut der Informationen und Bilder Orientierung zu geben; mit ihrer Medienmacht verfolgen sie eine politische-ideologische Agenda. 2..) Junk-Science und pseudowissenschaftliche Scharlatanerie: An fast allen Universitäten ist “Gender” vertreten, auch an jenen, in denen seit Jahrzehnten über Naturwissenschaft, Biologie, Humangenetik und Medizin Forschung und Lehre betreiben wird! Die “Konstrukt-These” zum Geschlecht, die die Chromosomen-Konstellation (XX für weiblich, XY für männlich) einfach ignoriert, symbolisiert den Kampf einer populistischen Junk- oder Fake-Science gegen Wissensbestände der angewandten Natur- und Biowissenschaften! Die Freiheit der Wissenschaft wird seit Jahrzehnten von zumeist linksgrünen Aktivisten durch politische Instrumentalisierung verletzt und nachhaltig beschädigt. Medien und die Politiker sind mit der Objektivitätsprüfung überfordert! Bei der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen sind die Wissenschaftler selbst gefragt; ausdrücklich nicht die einschlägig hochbezahlten Medienstars, die Junk-Science auf Bestellung liefern und zu “Instanzen” hochgejubelt werden, obwohl sie ein Bild der Wissenschaft zeichnen, das mit der Wirklichkeit nur entfernt zu tun hat! - Ich bin der Meinung, dass der “Polit-Talk” in den Mainstreammedien nicht zur Objektivität beitragen kann! Parlamentarier haben die Möglichkeit, trendsetzende Wissenschaftler in sog. Anhörungen, bspw. auf Fraktionsebene, reden und streiten zu lassen. Die Kultur des wissenschaftlichen Streits ist uns leider fremd geworden. Sie benötigt Reanimation.

Klaus Bochert / 03.04.2019

Bisher konnten diese Druckerzeugnisse wenigsten drei gute Zwecke erfüllen: Man konnte Fische einwickeln, den Kamin anzünden und den Vogelkäfig damit auslegen. Doch vermehrt bekomme ich zugetragen das damit in Berührung gekommene Fische ranzig werden, Kamine nur qualmen und Vögel entkräftet zu Boden fallen. Besonders üble Auswirkungen haben ÖR-Sendungen, die ich lieber nicht beschreibe, da es sensible Menschen gibt, aber seit drei Jahren geht es mir besser da ich den Fernseher entsorgt habe.

Jochen Brühl / 03.04.2019

Ich kann die Befindlichkeit nur bestätigen. Deutsche Mainstreammedien konsumiere ich pauschal nicht mehr. Ich sehe mir dort online nur noch die Überschriften an, um die Themen zu lesen. Bereits dabei fällt auf, dass an der Interessenlage der Meisten Bürger vorbei berichtet wird. Allein anhand der Überschrift weiß Ich, was im Artikel steht und was ich mir nicht antun muss. Wenn das dann auch noch von “wissenschaftlichen Erkenntnissen” zumal linker deutscher Hochschulen handelt, gilt das erst recht.

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