Felix Perrefort / 06.04.2019 / 14:00 / Foto: achgut.com / 0 / Seite ausdrucken

Die Massenschlägerei, das Kopftuch und die Schwurbler

„Der Alex funktioniert“, verkündete dessen „Manager“, Andreas Richter, am 4.3.2019, bevor etwa drei Wochen später circa vierhundert Einzelfälle auf diesem Platz zusammentrafen, um zu klären, was in der zivilisierten Form der Sprache offenbar nicht mehr geregelt werden wollte. Doch kein Grund zur Beunruhigung; es ist alles nicht so übel, wie man meinen könnte.

So wusste der herzallerliebst dreinblickende Herr Richter am 13.2.2019, wie man den tendenziell doch eher negative Schlagzeilen machenden Ort doch bitte nicht zu bezeichnen hat und außerdem, was zu tun ist: „Schwieriges Pflaster würde ich anders formulieren. Es ist vielleicht ein graues Pflaster, auf dem viele Gegensätze zusammenprallen. Das macht es bunt und lebendig, manchmal bis es quietscht. Kulturell ist es zur Zeit noch etwas holperig, aber das können wir ja gemeinsam tolerant und behutsam ausbalancieren.“ (Hervorhebung durch den Autor.)

Ob er das kulturelle Gequietsche hätte tolerant und behutsam ausbalancieren können, oder ob es nicht doch einer Hundertschaft bedurfte, um die Verwandlung eines öffentlichen Ortes in eine Kampfzone internetaffiner Bruderhorden rückgängig zu machen, weiß er vermutlich selbst; es sich öffentlich einzugestehen widerspräche allerdings seinem Selbstverständnis als multikulturell versierter Image-Polierer und damit einem Job, den er lieber den dortigen Straßenkünstlern überlassen sollte: die graue Realität bunt zu überpinseln.

„Nix Verrohung“

Nun hält sich der Diversity-Beauftragte mit aktuellen Verlautbarungen gerade zurück. Das ist jedoch insofern kein Problem, als da ein Sebastian Leber im Tagesspiegel zur Stelle ist, die unverbesserlichen Schwarzseher, die in Anbetracht solcher Ereignisse gar eine gesellschaftliche Tendenz der Verrohung wittern, ins helle Deutschland zurückzupfeifen: Etwa weil in Berlin bereits 2016 ein Hubschrauber bei der Deeskalierung einer Party mitwirken musste, 2013 in einem Schwimmbad Randale ausbrachen (übrigens ausgehend von „ausländischstämmigen Jugendlichen“) und Rapper sich schon mit Messern verletzten, müsse man die Massenschlägerei als Moment einer zumindest partiellen Entwicklung hin zum Besseren verstehen: „Jedenfalls tragen die heutigen Youtuber ihre Konflikte im Vergleich zu den Rappern damals sehr viel zivilisierter aus. Nix Verrohung. Nix alles immer schlimmer. Leider fallen einem positive Veränderungen selten auf.“ (Hervorhebung durch den Autor.)

Nun könnte man über dieses beschwichtigende Gestammel einfach nur lachen und es ignorieren, handelte es sich bei den Urhebern solcher „so argumentfreien wie empirieresistenten Vereidigung aufs Positive“ (Magnus Klaue) nicht um eiskalte Ideologen, denen die mitunter tödliche Gewalt Berlins keine Silbe wert ist. Schließlich sind sie selbst integraler Teil der von ihnen wegen ihres Desinteresses verleugneten Verrohungstendenz, zu der die Gewöhnung an offenen Antisemitismus ebenso sehr gehört wie „geschützte“ Weihnachtsmärkte oder zunehmende Messergewalt – die Liste wäre fortzuführen.

Dass ein für die bürgerliche Presse arbeitender Journalist sich einer auf vermeintlichen „Kanacken“-Slang regredierten Sprache bedient, entspricht der gedanklichen Regression, die dafür nötig ist, einen Artikel gegen die Annahme gesellschaftlicher Verrohung zu schreiben, der vor Belegen für diese nur so strotzt. Dies wäre ebenso als deren Symptom zu betrachten wie die einschleimende Art der Berliner Polizei, die ihre Video-Ansage an die Jungmänner allen Ernstes mit einem Hip-Hop-Beat unterlegte und damit als bürgerliche Exekutive auf das Niveau lässig wirken wollender Sozialarbeiter herabsinkt: Appeasement gilt in diesem Land nicht als Feigheit, sondern als Vermittlungskompetenz antirassistisch geläuterter Nazi-Nachfahren.

Das Recht der Stärkeren, die eigentlich schwach sind

Diese würden an den Zuständen migrantischer Verrohung keinerlei Kritik öffentlich aussprechen, die dem Erhalt öffentlicher Ordnung und somit dem Schutz des Individuums verpflichtet ist – mithin die im Kollektiv verschmelzenden Aggressoren ins Gebet zu nehmen hätte. So wäre beispielsweise der Mangel dieser Jungmänner an Toleranz zu thematisieren, die zu einem gefestigten Ich gehören und sie befähigen würde, das zu ertragen, was sie selbst in Frage stellt oder herausfordert.

Wo jedoch archaische Ehrvorstellungen dominieren, wird das Recht des Stärkeren gegen das in Stellung gebracht, was an die eigene Schwäche erinnert: Wer juvenile Streitigkeiten im Internet nicht ertragen kann und sich gar als Fußsoldat irgendwelcher Youtuber mobilisieren lässt, der bleibt offenbar trotz Aufwachsen in einem westlichen Land dem Verlangen nach „Ehre“ verhaftet. Und das zielt darauf, die an der Welt erfahrenen Kränkungen im Dienste autoritär geführter Gemeinschaft auszuagieren, statt durch Entfaltung des eigenen Selbst zu sublimieren.

Statt jedoch Kritik zu üben decken antirassistisch geläuterte Deutsche beispielsweise in Form diskriminierungskritischer Pädagog*innen“ ebensolche Migranten, die nicht zu selbstbewussten Bürgern heranwachsen, sondern stattdessen Manövriermasse antiwestlicher Agitatoren werden, durch Verschweigen, Beschwichtigen oder Relativieren, während sie deren Schwestern obendrein noch in den Rücken fallen: So löst ein „Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik“ mit einer Stellungnahme gegen das Kinderkopftuch den Interessenkonflikt zwischen den unters Kopftuch Genötigten und den sich freiwillig verhüllenden Mädchen zugunsten der letzteren auf; wohlwissend, dass die wenigsten Mädchen – weil sie noch Kinder sind – sich gegen den totalitären Zugriff durch Religion, Clan und Familie werden durchsetzen, sondern durchaus einen „Safe Space“ benötigten, der laizistisch erst herzustellen wäre.

Es scheint, als wollten die Hochschulen gar keine Orte der Aufklärung mehr sein, sondern sich als ideologisierte Sachverwalter dem Regierungsapparat andienen, der die in Folge scheiternder Migrationspolitik überhaupt erst entstandenen Konfliktherde zugunsten der Stärkeren entscheidet.

Ein goldener Engel des Antirassismus

Was vermutlich der ein oder andere der postmodern gestimmten Wissenschaftler mit Gender-Ikone Judith Butler begründen würde, die das Subjekt als vornehmlich durch die Sprache ermöglichtes betrachtet, weshalb eine islamkritische Debatte Moslems wohl in ihrer „Identität“ gefährden würde, hört sich als Argument gegen ein Kopftuchverbot für Minderjährige im öffentlichen Raum dann so an: Über „eine Polarisierung der Debatte um den Islam [werde] die Integrität vieler Mitglieder dieser Gesellschaft in Frage [gestellt]“. Man möchte ein Taschentuch reichen.

Dass Moslems Kritik an ihrer Ideologie nicht aushalten könnten, sondern sie unmittelbar als einen Angriff auf ihr Selbst erfahren würden, ließe sich übrigens durchaus als ein antimuslimisches Vorurteil verstehen, das man auch in einer ganz anderen politischen Ecke vermuten könnte – werden Moslems hier doch als tendenziell aufklärungsresistent projiziert. So etwas kann ohne rot zu werden wohl nur erstunterzeichnen, wer sich wie der notorische Politikwissenschaftler und Antirassist, Floris Biskamp, öffentlich auf Facebook als goldenes Engelchen präsentiert. Dabei scheint ihm gar nicht aufzufallen, dass ein solcher spielerischer Umgang mit geschlechtlichen Erwartungen dort nicht in Frage kommt, wo islamische Geschlechterrollen durch das Kopftuch durchgesetzt werden, er also für sich Selbstverständlichkeiten in Anspruch nimmt, die für andere zu erkämpfen das betreffende Verbot ein erster Schritt wäre.

Doch üben Biskamp und nicht zuletzt Mitunterzeichnerin Lamya Kaddor, Spezialistin im Zitatefälschen gegen rechts und Verkünden strohdummer Thesen, sich lieber im vorauseilenden Gehorsam: „Ein Kopftuchverbot für Minderjährige würde zudem manchen Mädchen den Zugang zu Bildungseinrichtungen verwehren.“ Damit beugt sich das Netzwerk jenen muslimischen Eltern, die der Familienehre wegen die allgemeine Schulpflicht unterlaufen würden, und meint, das wäre dann Rassismuskritik. Wie der ideologiekritische Autor Thomas Maul argumentierte, wäre allerdings gerade ein Kopftuchverbot „in einem vernünftigen Sinn antirassistisch und feministisch, weil es hier um die Bürgerrechte von Migrantinnen geht, die vom Kopftuch individuell praktisch und gesellschaftlich symbolisch, aggressiv und werbend verletzt werden. Weil es jede Erziehung von einheimischen wie migrantischen Mädchen wie Knaben zu sexuell selbstbestimmten Bürgern unterläuft und konterkariert, wird das Kopftuch an Mädchen während dieser Unterrichtung geduldet. Da das islamistische Racket nicht nur Mädchen und Frauen, sondern auch liberale Väter und Mütter unter Druck setzt, so mein Argument, würde ein staatliches Verbot auch in innerislamischen Kämpfen die Richtigen unterstützen und nicht wie jetzt die Falschen.

Da sich das ganze islamische Sexualitätsdispositiv samt Ehrbegriff symbolisch und praktisch im Kopftuch verdichtet, wäre das Kopftuchverbot ein erster und entscheidender Schritt zur Auflösung des fatalen Zusammenhangs von Ehre und Scham, damit also auch zur Vermeidung einer spezifischen Identitätskrise, die sich in spezifischen Krisenlösungsstrategien manifestiert. Ich sage nicht, dass damit alle Probleme von heute auf morgen mit einem Schlag gelöst wären, ich sage nur, dass das der Beginn wäre, langfristig zu einer nicht-islamistischen Sozialisation, zum Abbau einer Gegengesellschaft zu kommen, und deutlich zu machen, worin die hiesige Gesellschaft ihre eigenen wesentlichen Errungenschaften sieht.“

Sie werden insgeheim verachtet

Umso dringlicher wird die Verbreitung der nun „migrationspädagogisch“ (!) denunzierten Petition von Terre des Femmes für das Kopftuchverbot an Schulen, denn: „Die Frühverschleierung konditioniert Mädchen in einem Ausmaß, dass sie das Kopftuch später nicht mehr ablegen können. Heranwachsende stehen nicht selten bis zur Volljährigkeit in finanzieller und rechtlicher Abhängigkeit vom Elternhaus. Zudem unterliegen ‚Teenager‘ einem starken Einfluss durch ihr soziales Umfeld und ihre Altersgruppe, den ‚Peergroups‘. Uns geht es um den Schutz der Rechte der Mädchen und ihrer freien, selbstbestimmten Entfaltung in der Gesamtgesellschaft.“

Diese Gesamtgesellschaft wird von einer islamischen Gegengesellschaft unterlaufen, auf die nicht nur die von Verwandtschaft und „Community“ observierten muslimischen Mädchen verweisen, sondern auch die Ehrenjungs vom Alexanderplatz. Die Auflösung bürgerlicher Gesellschaft in kulturelle Communities stellt langfristig betrachtet eine massive Gefahr dar, die zu skandalisieren man von links bis weit in die CDU hinein sich zu fein ist, und die verräterisch ignoriert wird von aus Steuergeldern finanzierten und daher mit wenigen Ausnahmen konformistischen Wissenschaftlern, von Journalisten bis hin zu den neuerdings nachgefragten Diversity-Managern.

Der diesem Schlag Menschen entsprechende, diskriminierungssensible und sich sehr geschlechterprogressiv vorkommende Sozialcharakter wird von den Freunden archaischer Ehre und bandenförmiger Konfliktlösung bestenfalls nicht respektiert. Viel eher wird er verachtet, und dabei wird es nicht bleiben: Denn einstweilen wendet sich das ewiggestrig-autoritäre Milieu gegen die postmodern-antiautoritären Paternalisten, wie man derzeit an britischen Schulen, wo LGBT-Kurse wegen Proteste muslimischer Eltern abgebrochen worden sind, beobachten kann.

Es gibt aber auch Lichtblicke. So ließ sich ein Mitglied der Grünen namens Gudrun Schittek kürzlich in der „Taz“ zitieren: „Es geht nicht um Vielfalt, sondern um Menschenrechte.“

Eine ausführliche Kritik Floris Biskamps schrieb ich einmal für das „Kritiknetz“. Sie findet sich hier.

Terre des Femmes entgegnete den Migrationsschwurblern hier.

Unsere News-Redaktion informierte über den Kopftuchstreit hier.

Foto: achgut.com

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