Wer ist überrascht, dass Bayern, also die CSU, mal wieder von einem Amigo-Skandal durchgerüttelt wird? Eine Partei, die über Jahrzehnte ein Abo aufs Regieren hat, ist geradezu genetisch der Gefahr ausgesetzt zu versumpfen. Die CSU hat sich in dieser Disziplin den Ruf hoher Meisterschaft erworben, so unschlagbar wie in der Bundesliga Bayern München. Fast möchte man von einem Alleinstellungsmerkmal sprechen. Aber nur fast.
Gemäß dem deutschen Nordsüdgefälle mag sich das eine oder andere Nord- oder Westlicht darüber freuen, dass den allzu siegessicheren Bayern, um im Fußball-Bild zu bleiben, endlich mal wieder die Lederhosen ausgezogen werden. Aber Amigos gibt es nicht nur im Bayern-Look. Wer in den sechziger und siebziger Jahren im Ruhrgebiet gelebt und gearbeitet hat, ist dem gleichen Phänomen unter den drei Buchstaben SPD begegnet, bei gleichzeitigem Absingen des Bergmannsliedes „Glückauf, der Steiger kommt“. Man sprach dort und damals nicht von Amigos sondern vom Klüngel, ein Begriff, der sich ein wenig außerhalb des Reviers, in Köln, ein Gütesiegel erster Klasse erworben hat.
Nein, eine Überraschungsparty ist das nicht, was sich gerade in Bayern abspielt. Und die Moral? Ach die Moral, die ist den Raffkes hinlänglich entgegengehalten worden und prallt mehr oder weniger hart ab. Dazu noch etwas zu sagen, kann man sich hier sparen. Allenfalls lohnt es sich auf die unfreiwillig humoristische Empörung einiger Politiker der Linken hinzuweisen, die sich aufpumpen und selber von dem Seeräuberschatz leben, den sie als Nachfolgerin der DDR-Staatspartei in einem bis heute geheimen Versteck vergraben haben.
Das Schlimmste an der Sache ist etwas anderes. Es sind die drohenden politischen Verwerfungen für ganz Deutschland. Schließlich ist die CSU als mächtiger Juniorpartner die unentbehrliche Mehrheitsbeschafferin für die CDU. Wenn es – wie jetzt - mit der CSU bergab geht, geht es mit der ganzen Union bergab. Man muss kein Fan der Christdemokraten sein und schon gar nicht muss man den Untergang der Democrazia Cristiana in Italien bemühen. Aber dass da etwas auf gefährliche Weise aus dem Gleichgewicht geraten kann, ist unbestreitbar und besorgniserregend.
Schwarz und Grün sind die neuen kommunizierenden Röhren
Aktuelle Umfragen sehen die Union unter 30 Prozent. Würde sie noch mehr abrutschen, so brächte das den ganzen Laden ins Wanken. Seit die SPD sich still und leise aus dem großen Geschehen verabschiedet hat und die grüne Konkurrenz den Schwarzen auf den Leib gerückt ist, hat sich in Deutschland ein neues Gleichgewicht entwickelt. Schwarz und Grün sind die neuen kommunizierenden Röhren der Bundespolitik. Sackt Schwarz ab, legt Grün zu. Bleibt Schwarz stabil, kommt Grün nicht ganz nach oben.
Da Schwarz zur Zeit alles andere als stabil ist, legt Grün zu. So ist nun mal das politische Leben, könnte man sagen, wäre Grün nicht eine so problematische Alternative. Dabei soll es hier gar nicht um die traurige Entwicklung der Grünen von einer widerborstigen, tendenziell liberal gestrickten Frauen-Partei zu einem etablierten Bevormundungs-Verein gehen. Viel problematischer ist die große Versuchung, der eine allzu starke grüne Partei ausgesetzt wäre und der sie womöglich nicht widerstehen kann. Wie einst das „China, China, China“ von Kurt Georg Kiesinger, so klingt heute der Warnruf „Grün-Rot-Rot“ im Ohr.
So lange die Union groß genug ist, um den Grünen ein rot-rotes Experiment zu vermasseln, bewegt sich unser Land auf halbwegs sicherem Boden. Und noch fehlen nach aktuellen Umfragen rund ein Dutzend Sitze, um im Bundestag Grün-Rot-Rot möglich zu machen. Das klingt beruhigend, ist es aber nicht. Die Union muss nur noch ein Stück weiter abrutschen, und schon haben wir den Salat.
Grüne Bekenntnisse, dass man allein schon aus außenpolitischen Gründen mit der Linken nicht kann, sind schön, aber was sind sie wert? Einem Winfried Kretschmann würde man ein solches Bekenntnis abnehmen, beim HB-Duo an der Spitze der Bundes-Grünen kann man da nicht so sicher sein. Ihnen könnte ja auch der in der Politik zu vergebene Höchstpreis locken. Was wenn eine(r) von beiden vor der Wahl stünde, als Juniorpartner(in) der Union oder als Chef(in) einer Links-Koalition in die Regierungsverantwortung zu treten? Da kann man dann nur noch die Gebetszeile abwandeln: Führe sie nicht in Versuchung.
Amateurhafte und diktatorische Handhabung der Corona-Krise
Ja, die moralische Empörung über die Masken-Amigos der CSU hat sicher das Prädikat wertvoll verdient. Aber tiefer greift die Sorge, eine tektonische Verschiebung der deutschen Politik zu erleben. Die Sorge ist umso dringlicher, da sie ja nicht nur von der bayerischen Skandalpartei geschürt wird. Auch die CDU leistet ihren Beitrag zum Abstieg der Konservativen. Auf Bundesebene haben wir schließlich die amateurhafte und zugleich diktatorische Handhabung der Corona-Krise. So geraten CDU als Impf-Versager und CSU als Amigo-Truppe und beide zusammen als Lockdown-Befehlshaber im Tandem auf eine abschüssige Straße. Und das ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl.
Und noch etwas: Dass sich die Union so schwer tut, dem Volk ihren Nachfolge-Kandidaten für Angela Merkel zu präsentieren, wirkt als Problemverstärker. Wenn wenigstens ein überzeugender Kandidat dabei wäre. Markus Söder ist als Zampano mit der eisernen Faust immer noch der populärste. Aber der muss sich jetzt erst einmal mit seinen Amigos herumschlagen. Dies wiederum erfreut klammheimlich seine christdemokratischen Konkurrenten, von denen einer weniger mitreißend ist als der andere. Alles in allem: Bisher dumm gelaufen.
Annalena Baerbock und Robert Habeck sehen – das hat bereits die Wahl in Baden-Württemberg gezeigt – fürs Erste wie die Gewinner aus. Sie sollen ruhig strahlen, die Schwächeanfälle der (noch) großen schwarzen Konkurrenz genießen und ein wenig träumen. Aber der Wähler oder die politische Vernunft bewahre uns vor einer Kanzlerin Baerbock oder einem Kanzler Habeck, getragen von einer ideologisch verbissenen SPD und einer nicht satisfaktionsfähigen Linken.
Wie lässt sich der Alptraum am ehesten verhindern? Ein Skandal- und Pleiten-Moratorium der regierenden Parteien in Berlin und München würde helfen.