Erstaunliche Töne waren am Wochenende von der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) zu hören: Angesichts immer niedrigerer sogenannter Infektionszahlen sei es kaum zu rechtfertigen, den Bürgern länger eine allgemeine Maskenpflicht aufzuerlegen. Vielleicht nicht gleich überall, aber nach und nach sollten die Menschen in Deutschland ihre Masken doch fallen lassen dürfen. Kabinettskollege Jens Spahn (CDU) wollte ihr da wahrscheinlich nicht nachstehen – die Maskerade fällt ja auch irgendwie in sein Ressort – und stellte ebenfalls den Masken-Fall in Aussicht.
Gerade beim Bundesgesundheitsminister schlösse sich an dieser Stelle auch ein nachhaltiger Kreislauf. Am Anfang der Corona-Krise erklärte er den Deutschen noch, warum es völlig unnötig sei, im Alltag Masken zu tragen, um sie kurz darauf mit Mund und Nase hinter selbige zu zwingen. Dann ließ er zu viele, zu teure und zu schlechte Masken beschaffen, was seinem Haus mal Spott und mal Kritik eintrug. Etwas Ärger gabs obendrauf, als herauskam, welche Politiker beim Maskengeschäft mitverdient hatten. Für Jens Spahn könnte die Befreiung von der Maskenpflicht auch ein Befreiungsschlag aus dem Maskendesaster sein.
Bis zum Montagmorgen konnte man als Chronist des Corona-Wahnsinns noch hoffen, in dieser entspannten Art nun weiter über Jens Spahn und seine Mitstreiter räsonieren zu können. Wenn neben denen, die ohnehin längst das Ende von Grundrechtseinschränkungen forderten, nun auch maßgebliche Akteure der Corona-Politik vom Ende der Maskenpflicht sprachen, würde es ja wohl bald heißen: Masken runter! Selbst die Liebhaber des Corona-Ausnahmezustands schienen einzusehen, dass sich der Zwang zum alltäglichen Maskenball kaum mehr legitimieren lässt. Passend dazu machten die Bilder die Runde, die die Herrschenden der G7-Mächte, nah und maskenfrei zusammen sitzend zeigten, also all die Regeln ignorierend, denen die meisten der von ihnen Regierten unterliegen. Hätten die Herrschenden ihren Beherrschten erklärt, wir testen mal kurz die neuen Freiheiten, bevor ihr die morgen bekommt, wäre das zwar immer noch eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens unwürdig, dennoch hätte sich kaum jemand daran gestört.
Wieder einmal die vierte Welle
So standen zum Wochenbeginn kurzzeitig alle Zeichen auf Abschied vom Maskenzwang. Doch als hätte jemand von irgendwoher dekretiert, dass das rückgängig gemacht werden müsse, änderte sich das am Montag schlagartig. Plötzlich überboten sich Koalitionspolitiker in Bekenntnissen zum Maskenzwang. CSU-Generalsekretär Markus Blume zu "Bild": "Ich kann nur davor warnen, so zu tun, als sei Corona schon vorbei." Er halte die Abstandsregeln und die Maskenpflicht "für die geringste Zumutung und für einen sehr guten Schutz nach wie vor". Ähnlich hatte sich sein SPD-Kollege Lars Klingbeil geäußert: "Ich glaube, es verlangt uns als Gesellschaft nicht viel ab, wenn wir jetzt im öffentlichen Nahverkehr, dort, wo wir wirklich auf Menschen treffen, wenn wir dort die Masken weiterhin tragen. Ich halte das für richtig." Wenn die Corona-Mutation sich nicht als so krass erweisen sollte, wie man im schlimmsten Fall befürchten müsse, dann sei das "eine Frage von Wochen", habe er der "Bild" gesagt: "Die sollten wir uns noch an diese Regeln halten und die Masken tragen".
Auch eine Sprecherin der Bundesregierung, der ja Lambrecht und Spahn eigentlich auch angehören, warnte, die Maskenpflicht zu schnell aufzuheben. Die Infektionszahlen würden zwar sinken. "Trotzdem mahnen wir zur Vorsicht", fügte sie hinzu und habe auf die Gefahr von Virusvarianten verwiesen. Deshalb solle man die Regeln vor allem in Innenräumen nicht zu schnell lockern. Und als hätte man es am kuschligen und maskenfreien G-7-Tisch in Cornwall abgesprochen, meldete sich in Großbritannien Boris Johnson zu Wort und erklärte, dass der große „Tag der Freiheit“, mit dem eigentlich demnächst das Ende aller Corona-Beschränkungen gefeiert werden sollte, wegen der Virusmutationen um vier Wochen verschoben werden müsse.
In der Das-muss-rückgängig-gemacht-werden-Stimmung wollte auch die Opposition, also die gute Opposition, und manch Verbandsvertreter rechtzeitig ein Masken-Bekenntnis ablegen.
Die Co-Chefin der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow, sei gegen ein schnelles Ende der Maskenpflicht, meldete zeit.de. Sie halte es für "völlig falsch", jetzt eine Debatte über eine generelle Aufhebung der Maskenpflicht zu führen, habe sie weiter gesagt. In Deutschland sei durch Impfungen noch keine Herdenimmunität erreicht und die Pandemie sei global noch nicht im Griff: "Deshalb ist es aus meiner Sicht dringend notwendig, dass wir überall dort, wo viele Menschen aufeinandertreffen, sei es beim Einkaufen, beim Zugfahren, sei es möglicherweise auch in den Schulen, weiter auf Maskenpflicht setzen." Auch mit Blick auf eine mögliche vierte Welle habe sie sich dafür ausgesprochen, die Maskenpflicht beizubehalten.
Hilfe von Honeckers Nachfolgerinnen
Da hört sich die Genossin Linken-Vorsitzende und damit Nach-Nach-Nach-Nach-Nach-Nach-Nach-Nachfolgerin von Erich Honecker an, als wäre sie eine Gefolgsfrau des CSU-Kollegen Markus Söder. Aber bei Corona kennen viele deutsche Politiker ja keine Parteien mehr. Man fragt sich nur, ob Frau Lambrecht und Herr Spahn jetzt öffentlich widerrufen müssen. Vielleicht entschuldigen sie sich ja bald dafür, nicht bedacht zu haben, dass die Idee, auf den Maskenzwang zu verzichten, den „Querdenkern“ nützen könnte.
Überraschender war die Unterwerfungsgeste eines Verbandes, von der ebenfalls zeit.de berichtete. "Wir müssen jetzt alles vermeiden, was die erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie gefährdet und möglicherweise in einen nächsten Lockdown führt", habe der Handelsverband Deutschland mitgeteilt. Die Lockerungen der vergangenen Wochen dürften nicht aufs Spiel gesetzt werden, hätte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth gewarnt. Kunden und Händler hätten sich an die Maskenpflicht gewöhnt. "Sie sollte erst abgeschafft werden, wenn die Experten aus Medizin und Politik das für verantwortbar halten."
Ob das die Händler, die für unzählige Stunden unter die Maske gezwungen werden, ähnlich sehen? Vor allem mit Blick auf jene Kunden, die nicht kommen, weil ein Einkaufserlebnis ohne freies Atmen für sie mehr Last als Lust ist? Aber was haben die schon zu sagen? Auch etliche Lehrerverbandsfunktionäre möchten die Schüler lieber maskiert in der Schule sehen. Ob sie damit wirklich die Interessen der meisten Lehrer vertreten, kann wahrscheinlich niemand sicher sagen. Die der Schüler ganz gewiss nicht.
Immerhin zeigen uns unsere nördlichen Nachbarn, dass es auch ohne Masken geht. Dänemark schafft die Maskenpflicht weitestgehend ab. Wenigstens Urlaub von der Maske ist möglich.