Der in seinem eigenen Land denkbar unbeliebte Emmanuel Macron hat in Dresden einen einmaligen und anmaßenden Auftritt hingelegt. Die deutschen Gastgeber bilden dafür nur die Staffage und kuschen unterwürfig.
Die Show ist fast einmalig. Denn noch nie seit de Gaulles Besuch in Deutschland 1963, (den der Verfasser dieser Zeilen auf dem Schoß seines Großvaters andächtig verfolgte), ist es einem Staatsoberhaupt gelungen, einen „Staatsbesuch“ in Deutschland so meisterhaft für das eigene Image und die nationalen Interessen seines Landes zu nutzen. Ein Europa, das sich nicht zu schützen wisse, könne womöglich sterben, rief Macron in Dresden seinen Zuhörern zu. Wer stimmt dem nicht zu ?
Stets redet der junge Autokrat aus Paris im Namen Europas, seiner Mission und Finalität, um dahinter seine knallharte Interessenpolitik zugunsten Frankreichs zu verbergen:
- Ein französischer Staatskonzern (Nexter) soll den deutschen Konstrukteur des meist verkauften Kampfpanzers (KMW) schlucken und heißt deshalb schon KNDS.
- Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) verfolgt mit dem Satellitenprojekt IRIS 2 ein Industrievorhaben, bei dem kraft Intervention des französischen EU-Kommissars Thierry Breton Pariser Unternehmen dominieren.
- Bei dem Kampfjet-Projekt FCAS hat Paris die französische Führung zur Vorbedingung gemacht. Beim Panzerprojekt MGCS will sich Paris durch zähe Verhandlungen langfristig die Führung sichern.
Deutsch-französische „Erbfreundschaft“
Über die 49 AKWs in Frankreich redet Macron selbstverständlich nicht. Noch nicht. Er wartet auf die Gelegenheit, nach der Europa-Wahl die Weichen so zu stellen, dass deren Modernisierung oder Abriss („Rückbau“) aus dem EU-Budget bezahlt wird. Macron führt die deutsche Polit-Elite vor, er zeigt vor aller Welt, wie provinziell die deutsche Politik ist. Im Grunde taugen Steinmeier und Scholz gerade noch dazu, Ansprachen zu halten, um für das Dekor zu sorgen. Sie sind Staffage und bieten Macron eine Plattform („Staatsbesuch“), um die Öffentlichkeit für seine großspurigen Visionen einzunehmen, eine Öffentlichkeit, der von den öffentlich-rechtlichen Medien die Unbeliebtheit Macrons im eigenen Land vorenthalten wird.
Der Diskurs deutsch-französischer „Erbfreundschaft“ ist so zu einem Prärogativ der Pariser Politik geworden, den Kurs Europas von Paris aus zu bestimmen und die politische Klasse Deutschlands auf die Rolle von Claqueuren zu reduzieren. Der große Bluff aus Paris konnte also erst dank der Collaboration der deutschen Politoligarchie und der Staatsmedien gelingen: Staatsbesuch aus Fankreich als Unterwerfung Deutschlands! Bereits in seiner 2. Sorbonne-Rede zur europäischen Zukunft skizzierte Macron die Umrisse eines französischen Europas. Nachdem Deutschland zur ersten Sorbonne-Rede von Macron lange geschwiegen hatte, entschuldigte sich der damalige Außenminister Heiko Maas devot für die deutsche Zurückhaltung.
Angesichts der kühnen Vorschläge Macrons in seiner zweiten Europarede an der Sorbonne am 25.4.2024 hätten in deutschen Ohren die Alarmglocken schrillen müssen:
- Eine große europäische Anleihe zur Rüstungsfinanzierung, natürlich mit Präferenz für europäische Hersteller, will sagen: aus französischer Produktion
- Die Änderung des Mandats der EZB – ohne Vertragsänderung – und ihre Ausrichtung an Wachstums- und ökologischen Transformationszielen
- Die Herstellung eines „mächtigen Europas“ („puissance Europe“) durch Verstärkung der „europäischen“ Verteidigung
Ablenkung
Wenn diese Vorschläge – so Macron – nicht umgesetzt würden, bestünde das Risiko, dass Europa untergehe. Derartige Vorstöße des französischen Präsidenten sollen von seinen innenpolitischen Defiziten ablenken: Die öffentlichen Finanzen sind völlig aus der Kontrolle geraten. Mit fast 6 Prozent Defizit bei erlaubten 2 Prozent ist Frankreich in puncto öffentliche Finanzwirtschaft der kranke Mann Europas. Es sind die alten französischen Vorstellungen von mehr Geld für Europa (für französische Projekte), Beschränkung des freien Warenverkehrs durch Verpflichtung der öffentlichen Auftraggeber, europäisch zu kaufen und natürlich der Ausbau der Europäischen Union zu einer Verteidigungsgemeinschaft. Gemeint ist eine Gegenveranstaltung zur NATO. Um all dies mit den europäischen Partnern hinzubekommen, muss zunächst Deutschland auf französischen Kurs gebracht werden. So kommt der „Staatsbesuch“ gerade recht.
Im Übrigen sollen Macrons Visionen von der innenpolitischen Misere ablenken, der sich der französische Staatschef angesichts sinkender Zustimmungswerte und einer erodierenden Legitimität seines Regimes gegenübersieht. Dass ein französischer Staatschef dennoch Lektionen an seine europäischen Partnerländer erteilt, ist für sich genommen sehr typisch für die Anmaßungen französischer Politik. Während Deutschland etwa 8 Milliarden aufwendet, um der Ukraine mit Waffenlieferungen zur Seite zu stehen, spendiert Frankreich nur 2 Milliarden. Darin sind die (umstrittenen) Wertansätze für uralte Panzer (AMX) aus den 70er Jahren enthalten, die die französische Armee schon längst verschrotten wollte.
Die Frage ist nur, wie lange sich die großen europäischen Mitgliedsländer, aber noch mehr die Staaten mittlerer Größe wie Finnland, Schweden, Österreich, Tschechien, Portugal, diese hochtrabenden Lektionen eines Pariser Autokraten gefallen lassen. Vor diesem Hintergrund dürfte es wünschenswert sein, dass sich Deutschland zum Anwalt dieser Länder macht und sich von Macrons Bevormundung befreit. Dies führt zur zentralen Botschaft von Macrons Dresdner Rede, dem Schutz Europas, zurück. Ein starkes und unabhängiges Europa darf sich nicht von einem Land, noch dazu einem so maroden Regime wie der Pariser Autokratie von Macron vereinnahmen lassen. Das deutsche Politik-Establishment liefert indessen unser Land dem Pariser Machthaber aus. Das nennt man neuerdings „Staatsbesuch“. So gewinnt die politische Verzwergung Deutschlands an politischer Form.
Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, Gründer von http://www.europolis-online.org. Buchpublikation: Markus C. Kerber, Europa ohne Frankreich? Deutsche Anmerkungen zur französischen Frage, Edition Europolis 2. Auflage