Roger Letsch / 31.01.2021 / 13:00 / Foto: Helmut Jilka / 43 / Seite ausdrucken

Die Macht der Kleinen: Der GameStop-Aufstand

„GameStop? Nie gehört!“ So ging es wohl vielen bis vor wenigen Tagen. Die Läden der Kette in den Innenstädten, in denen Computer- und Konsolenspiele verkauft werden, haben eine spezielle Zielgruppe – doch welcher Gamer kauft in Zeiten von AppStore oder GooglePlay noch Spiele in der Kohlenstoffwelt. Dazu kommt aktuell natürlich die Frage, wie man überhaupt in ein Ladengeschäft gehen soll, wenn dort weder Milch noch Toilettenpapier verkauft wird. Alle Läden sind ja geschlossen.

Die Aktie des amerikanischen Resellers GameStop dümpelte lange auf niedrigstem Niveau von 4 bis 6 Dollar, was Hedgefonds auf den Plan rief, die für die Aktie auf „short“ gingen. Short-Selling beziehungsweise Leerverkauf ist der Verkauf eines Vermögenswertes, den Sie aktuell nicht besitzen, mit der Hoffnung, dass er an Wert verlieren wird und Sie den Handel mit einem Gewinn abschließen können. Man nennt diese Art des Handelns auch shorten.

Das bedeutet im Klartext, die Hedgefonds wetteten auf deren weiteren Abstieg der GameStop-Aktie und verkauften sie „leer“. Wenn alles gut geht (oder für die Betroffenen schlecht), funktioniert das ungefähr so: Sie besaßen die Aktien zwar nicht – logisch, sie hielten ja nichts davon – und leihen sie sich für den Deal von jemandem, der tatsächlich welche besitzt.

Eine Beispielrechnung

Nehmen wir an, dass zur Zeit die Aktien vom Unternehmen ABC zu einem Preis von 75 Dollar gehandelt werden, aber Sie der Meinung sind, dass der Wert sinkt und sich daher dazu entscheiden die Aktie short zu verkaufen. Sie leihen sich von Ihrem Broker 100 Aktien vom Unternehmen ABC und verkaufen diese auf dem offenem Markt.

Über die nächste Woche fällt der Markt signifikant um 40 €, so dass Sie Ihre Short-Position verkaufen und 100 ABC-Aktien für 40 Dollar zurückkaufen. Sie rechnen die Differenz zwischen dem Preis, der galt, als Sie die Aktien ausgeliehen haben (75 Euro x 100 = 7.500) und dem Rückkaufswert der Aktie (40 Euro x 100 = 4.000 Euro) aus. In diesem Fall ergibt diese Differenz den Gewinn von 3.500 Dollar, ausgenommen der Kosten, die Ihr Broker für sich (seine Leistungen) berechnen würde.

Liegen Sie jedoch falsch und der Markt steigt kontinuierlich, sind Sie einem potenziell unendlichen Risiko ausgesetzt. Weil Sie die Aktie geliehen haben, kann Ihr Broker diese zu jedem Zeitpunkt zurückfordern und Sie müssten die Position bei einem Verlust schließen.

Und genau jetzt kam bei GameStop jemand ins Spiel, der dem Leerverkäufer das Geschäft versauen will. Keiner der üblichen Verdächtigten, sondern ein schlafender Riese: Reddit. Das ist eins der ältesten und größten Internetforen der Welt. Es gibt unzählige sogenannte Sub-Reddits, Unterforen für Spezialthemen, doch bis vor ein paar Tagen hatte kaum jemand beispielsweise von der Unterkategorie /wallstreetbets gehört. Dort tauschen mehrere Millionen User – Spinner wie Könner – seit Jahren Aktien- und Anlagetipps und machen im klitzekleinen Maßstab (und häufig nur virtuell) das, was die großen Hedgefonds in der Finanzwirtschaft machen: spekulieren.

Von 70 Milliarden Dollar Verlusten ist insgesamt die Rede

Im Sommer 2020 bekam man bei r/wallstreetbets Wind von den Short-Positionen einiger Hedgefonds unter anderem in Sachen GameStop. Doch mit den Hedgefonds hatten viele der User noch eine Rechnung offen. Rache für 2008, als Hedgefonds nach der Finanzkrise gerettet wurden oder sich durch Insiderwissen schnell genug aus der Schusslinie bringen konnten, während hunderttausende Kleinanleger buchstäblich alles verloren.

Ende 2020 ging dann die Post ab. Über App-basierte Handelsplattformen wie „Robinhood“ investierten hunderttausende Kleinanleger meist kleine Beträge in die GameStop-Aktie, die dann vor wenigen Tagen durch die Decke ging. 200 Dollar... 300 Dollar… vielen Hedgefonds bluteten Augen und Brieftaschen, denn sie mussten das Spiel mitspielen. Um ihre Positionen auszugleichen und die geliehenen Aktien zurückgeben zu können, mussten sie für diese Preise GamesStop Aktien kaufen, wodurch die Kurse noch weiter munter nach oben schossen. Erschwerend kam hinzu, dass die wallstreetbets-Foristen das Moto „kaufen und halten“ ausgegeben hatten. Niemand wollte die Aktie verkaufen, natürlich auch an die Hedgefonds nicht. Eine Aufwärtsspirale mit Raketenantrieb. Und ein historischer Akt: Die Mainstreet hatte der Wallstreet den Krieg erklärt. 

Dort war jetzt der Teufel los…, die Bewertung der Kurssprünge einiger Aktien aus der dritten Reihe fällt jedoch höchst unterschiedlich aus. Die Börsenaufsicht SEC kündigte Untersuchungen an, die demokratische Senatorin Elisabeth Warren fordert von der SEC, „Investoren zu schützen“ – in diesem Fall kurioserweise vor dem eigenen Erfolg – und im Netz werden die über Reddit verbundenen Kleinanleger, die durch massenhaften Kauf der Aktien von zum Beispiel GameStop den Kurs durch die Decke getrieben haben, als Helden gefeiert, die wie David gegen Goliath einigen Hedgefonds arge Blessuren beigebracht haben. 

Hauptbetroffener: Melvin Capital. Zwar haben sich mittlerweile wohl alle Hedgefonds aus ihren Short-Positionen zurückgezogen, aber um welchen Preis? Bei etwa 6 Dollar wettete man auf den Untergang, bei 300 Dollar musste man schließlich sehr viel Geld in die Hand nehmen, um aus der Wette wieder raus zu kommen. Von 70 Milliarden Dollar Verlusten ist insgesamt die Rede, beziehungsweise 787 Prozent Wertzuwachs, je nachdem an welchem Ende der Nahrungskette man sitzt.

Die Auguren der Börsen, die Experten und Analysten versuchen, das Geschehen mit dem Vokabular zu erklären, das sie immer verwendet haben. Man interviewt sich gegenseitig, setzt den Aktienkurs in Relation zum Jahresumsatz und hält für eine Erklärung schließlich einen feuchten Finger in den Wind. Der Spuk sei vorbei, der Short-Squeeze zwar schmerzhaft gewesen, aber nun wieder alles „business as usual“. Kaum jemand hat wirklich verstanden, dass wir gerade Zeuge einer völlig neuartigen Schlacht in einer digitalen Revolution geworden sind. Einer Revolution, die ab jetzt auf drei Schlachtfeldern, statt nur auf zweien, geschlagen wird.

Das erste Schlachtfeld

Digitalisierung ist ein Zauberwort, ohne das deutsche Politiker keine Reden halten können. In diesen Reden malen sie dann gern kitschige Bilder von der Zukunft, das Leben ist leicht, die Mitbestimmung der Menschen gut simuliert, Konflikte durch künstliche Intelligenz eingehegt, Energieverbrauch und Stoffkreisläufe perfekt organisiert, das Klima gerettet. Doch Digitalisierung und Buchdruck haben eines gemeinsam: sie sind vielfältig einsetzbar und in der Lage, jede Art von Ideen und Gedanken zu verbreiten. Und beide entziehen sich immer wieder den regulatorischen Bestrebungen derer, die glauben, das Recht dazu zu haben. Bücher sind Bibel und Boccaccio. Digitalisierung ist Dorothee Bär und Darknet.

Die ersten, die die Ambivalenz des Digitalen Zeitalters zu spüren bekamen, waren die Medien. Anfangs belächelt, hielt man das Internet später schlicht für einen weiteren Kanal, die eigenen Inhalte und Welterklärungen an den Leser und Zuschauer zu bringen. Das Informationsmonopol, Korrespondentennetze und haufenweise kluge oder doch zumindest klug wirkende Köpfe konnten nicht verhindern, dass die Menschen immer mehr dazu übergingen, sich die Informationen direkt oder auf Schleichwegen zu beschaffen. Wozu dem ARD-Reporter bei der Schilderung der Vorkommnisse auf dem Tahrirplatz in Kairo lauschen, wenn man die Bilder live über eine Webcam vor Ort sehen kann? Warum die Informationen mühsam aus den Vorurteilen und politischen Filtern eines als Journalist verkleideten Aktivisten pellen, wenn man sich via Augenzeugen und sozialen Medien selbst ein Bild machen kann?

Die Auflagen der Zeitungen schwanden, Relevanz und Akzeptanz öffentlich finanzierter Medien ging zurück. Die Medien fanden sich nun im Internet wieder, wo sie nicht exklusiv, sondern nur ein Player unter vielen waren. Der Kampf um Relevanz und damit ums Überleben wurde schmutziger. Heute wird er mit Framing, Denunziation, Verleumdung, Cancle-Cultur, Sperrungen, Löschung und dreisten Lügen geführt. Konkurrierten die Medien einst noch um die Gunst von Leser, Hörer und Zuschauer, ist heute jeder Leser, Hörer und Zuschauer selbst potenziell ein konkurrierendes Medium, das sich durch Kommentare, Blogs, Facebook-Shitstorm oder Video-Empörung lautstark Luft verschaffen kann.

Das zweite Schlachtfeld

Derselbe Überlebenskampf um Relevanz und Einfluss tobt in der Politik, und er wird mit denselben Waffen geführt. Im Bestreben, für den politischen Rivalen möglichst unangreifbar zu sein, befleißigte man sich einer möglichst unverbindlichen Sprache, blieb so lange wie möglich vage. Musste man als Politiker hin und wieder doch mal konkret werden, war das spätestens nach zehnmal Tagesschau wieder vergessen. Alles versendet sich!

Doch das Netz vergisst nicht. Noch Jahre später kann man nachlesen, was Horst Seehofer im Interview mit dem „Hintertupfinger Dorfboten“ sagte, und falls er versucht haben sollte, den Artikel wegen Peinlichkeiten oder enthaltenen Falschaussagen aus der Welt zu schaffen, hat sicher irgend ein Heimatverein dafür gesorgt, dass im Webarchiv alles zu finden ist. Im Ergebnis versucht die Politik, noch unkonkreter und buchstäblich zum Pudding zu werden, der unmöglich an die Wand zu nageln ist.

Wir erkennen nun, dass es lediglich diese lautstarke Unverbindlichkeit ist, die die meisten Politiker auf ihre Posten brachte. Kompetenz lässt sich dabei mühelos durch Haltung ersetzen, womit der rasante Verlust an Verantwortung einher geht. Verantwortung ist etwas, dass man mit anderen verhandelt, in der Regel mit Wählern oder Mitarbeitern. Haltung ist viel billiger zu haben und noch dazu so schön unverbindlich. Man muss sie nur mit sich selbst verhandeln und kann sie mit Hilfe der Medien täglich polieren lassen, nachdem sie in den sozialen Medien verlacht und mit Tomaten beworfen wurde. Abends, bei Lanz, Illner oder Maischberger sitzen sie dann müde von ihren Schlachten zusammen, die Politiker und die Medien, und lecken sich die Wunden, die ihnen Wähler, Leser und Zuschauer tagsüber schlugen.

Das dritte Schlachtfeld

Zunächst das Offensichtliche und ein wenig Begriffssymbolik. Dass die User der Reddit-Plattform r/wallstreetbet ausgerechnet die Aktie von GameStop als Symbol ausgewählt haben, obwohl sie ja noch andere Assets aufs Korn genommen hatten, könnte am Namen liegen. Ziel war ja, den Hedgefonds das „Spiel“ zu vermiesen. Also „Stop the Game“ bei GameStop. Etwas gewagter ist sicher die These, hier würde gewissermaßen eine Schlacht im seit einigen Jahren tobenden „Neuen Amerikanischen Bürgerkrieg“ ausgefochten. Eine „Schlacht am Bull Run“ wie 1861, nur mit neuer Symbolik, als „Run“ auf einen „Bullenmarkt“ (Hausse) an der Börse. Kein Nord gegen Süd, sondern ein klein gegen groß, abgehängt gegen systemrelevant, Regelbrecher gegen Regelverbieger.

Die meisten Kommentatoren gingen davon aus, dass die gigantischen Kurssprünge bei GameStop einige wenige steinreich machen würden. Das ist sicher nicht ganz falsch, sucht die Ursachen aber dort, wo man sie an der Börse immer zu finden glaubt: bei der Gier. Die ist als Produktivkraft und Antrieb sicher nicht zu unterschätzen. In diesem Fall liegt die Sache aber anders. Es geht um Rache. Wie schon gesagt: Rache für 2008, als Hedgefonds nach der Finanzkrise gerettet wurden oder sich durch Insiderwissen schnell genug aus der Schusslinie bringen konnten, während hunderttausende Kleinanleger buchstäblich alles verloren. Doch im Gegensatz zu 2008 hatte sich nun etwas Entscheidendes verändert. Und genau hier finden wir das verbindende Element mit den anderen beiden Schlachtfeldern: Frei verfügbare Informationen als Teil der Allmende! Dank Internet und Digitalisierung.

Das Informationsmonopol, der Wissensvorsprung der großen Investoren, die man gern unter dem Begriff „Wallstreet“ subsummiert, war verschwunden. Für Medien und Politik war er das längst. Das Internet und zahlreiche Tools und Apps, die eigentlich dazu da waren, dass Neugierige am Katzentisch der Börsen Platz nehmen und den Großen beim Spiel zusehen konnten, sorgten gemeinsam mit der gewaltigen Zahl der User dafür, dass r/wallstreetbet plötzlich am großen Tisch saß. Amateure, gewiss. Aber viele. Das Spiel ist riskant, gewiss. Aber die persönlichen Risiken sind meist recht klein. Den letzten werden die Hunde beißen, gewiss. Aber die Aussicht auf Rache ist jede Mühe und jeden Verlust wert. Was hat man auch zu verlieren in einer von der Politik zum Lockdown verdonnerten Welt, in der man zwar nicht plötzlich wie 2008, aber doch schleichend auf Pleite und Untergang zusteuert? Was liegt da in der Post? Ein Stimulus-Scheck der Regierung? Was soll ich mit 600 Dollar retten? Oder, …was kann ich damit machen!?

Die Welt der Banken und Börsen war bisher trotz erkennbarer Schwächen und sogar Betrügereien erstaunlicherweise weitgehend verschont geblieben vom Zorn der Bürger. Kein Wunder, dort liegen schließlich die Pensionsfonds von Millionen Amerikanern. Proteste wie „Occupy Wallstreet” diskreditierten sich letztlich durch Gewalt selbst und zerfielen in extremistische Lagerkämpfe.

Die Wallstreet blieb unter sich, pflegte eine ausgrenzende Sprache, und wenn mal etwas schief ging, ließ man sich von der Politik mit Steuerzahlergeld retten. Die Prügel der öffentlichen Meinung steckte die Politik ein, aber die ließ sich dafür ja auch fürstlich bei ihren Wahlkämpfen bezahlen. Die Politik stieg gern selbst auf in einen Club, der ideologisch keine Berührungsängste kennt. Über die Geschäfte der Familie Biden wurde schon viel berichtet und selbst ein Erzlinker wie Bernie Sanders, der noch 2016 im Vorwahlkampf den „Millionairs and Billionairs“ mit Enteignung drohte, strich 2020 die „Millionairs“ aus seinem Kampf-Vokabular. Ihm war aufgefallen, dass er dank seiner Buchverkäufe selbst einer geworden war. Wer sich übrigens fragt, warum Sanders gerade seinen zweiten Frühling als Running-Gag und Meme erlebt… dieser Spott ist die populistische Rache an der Scheinheiligkeit der linken Politprominenz. Gewaltfrei und lustig. 

Neu verteilte Karten

Fast unbemerkt wurden auf den Finanzmärkten die Karten neu verteilt. Der Informationsvorsprung der Wallstreet ist dahin, die Mainstreet kann jetzt mitspielen. Man braucht lediglich eine große Community, ein paar hundert Dollar, einen Schluck Weltverachtung und ein Smartphone, sonst nichts. Keinen Vermittler, keinen Filter, kein Limit. Dass der Zorn der „Plebs“ ausgerechnet die Hedgefonds trifft, liegt in ihrem Charakter begründet. Hedgefonds spielen nicht mit eigenem Geld und auf eigenes Risiko, sondern mit dem Geld anderer Leute.

Etwas, dass sie mit der Politik gemeinsam haben. Dabei würde ich nicht so weit gehen, das Geschäftsmodell von Hedgefonds generell als verwerflich oder kriminell zu bezeichnen. In intakten Märkten können sie wertvolle Informationen liefern, Trends erkennen und Schwachstellen aufzeigen. Selbiges gilt auch für die Leerverkäufe, die ja nichts anderes als Wetten auf fallende Märkte sind. Und Wetten kann man auch verlieren, wie einige nun lernen mussten.

Ich bezweifle aber, dass die Entwicklung an den Börsen im Moment noch aufgrund rationaler und klarer Informationen zu erklären ist. Die Notenbanken drucken Geld, als gäbe es kein Morgen, und das meiste davon inflationiert Sachwerte wie Aktien oder Immobilien bis zur Unkenntlichkeit. Etwa die Hälfte aller jemals in Umlauf gebrachten Dollars wurden innerhalb des letzten Jahres „gedruckt“ – in der Eurozone und für die EZB sieht es noch finsterer aus. Dank Nullzins sind verwertbare Preis- und Risikoinformationen für die Märkte weggefallen. Rettungs- und Hilfspakete für alles mögliche werden wie Kamelle vom Karnevalswagen geworfen, Politik und Medien zeigen auf die steigenden Börsenkurse und rufen „der Wirtschaft geht es blendend“, nur um sich selbst dafür auf die Schulter zu klopfen.

Dabei knirscht und stottert die Realwirtschaft, von der sich die Finanzwirtschaft längst abgekoppelt hat – und die Corona-Maßnahmen lasse ich hier mal ganz außen vor! In Deutschland werden ganze Branchen politisch gegen die Wand gefahren, die Energiewirtschaft ist ein gigantisches staatliches Subventionbuffet, das immer wieder kurz davor steht, bei Kerzenlicht stattzufinden. Unsere Autoindustrie wurde zum Selbstmord verurteilt und die Politik versorgt in diesem digitalen Bürgerkrieg marode Medien und ihre aktivistischen Munitionsfabrikanten mit frisch gestärkter Haltung und frisch gedrucktem Geld.

Dasselbe Bild in den USA, wo die per Ukas regierende neue Administration sich gerade den Zorn von links und rechts zuzieht. Anders als in Politik und Medien, lässt sich auf dem Schlachtfeld Wallstreet aber nicht so leicht links gegen rechts ausspielen. Nicht, dass man es nicht versuchen würde. Doch der Aufstand kommt nicht von links oder rechts, sondern von unten.

Aber jetzt schlägt natürlich die Stunde der Demagogen, der Framing-Experten und politischen Falschmünzer. Man bringt dieselben Geschütze in Stellung, die schon auf den anderen Schlachtfeldern zum Einsatz kamen. Wallstreetbet sei unterwandert von „alt right“ Verschwörern, die den armen Kleinanlegern das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Die Aktion sei Ausdruck des weit verbreiteten „Trumpismus“, und der Höllenfürst Donald persönlich führe sie an. Kein Vorwurf ist zu absurd, keine Zensurmaßnahme zu offensichtlich. Facebook schließt die Diskussionsgruppe von Wallstreetbet, und auch Disqus verwehrte den Reddit-Usern den Zugang mit dem Hinweis auf „Hate-Speech“ – mein Lieblings-Totschlagargument. Blockwarte, „Faktenchecker“ und Panikverbreiter gibt es nun also auch an der Börse.

„Robinhood” als Retter des Sheriffs von Nottingham

Die in den USA sehr weit verbreitete Handels-App „Robinhood“, einst angetreten mit dem Ziel, die „Kleinen“ im Kampf gegen die „Großen“ zu unterstützen, beschränkte den Handel der Aktien von GameStop und einigen anderen Firmen mit dem irrsinnigen Argument, die Anleger zu schützen. Man konnte die Aktien zwar noch verkaufen, aber nicht kaufen. Der Kurs kannte ab da logischerweise nur eine Richtung: nach unten. Ein Schelm, der da eine Rettungsaktion zugunsten der Hedgefonds wittert. Mittlerweile und nach massiven Protesten und Klagen erlaubt „Robinhood” wieder begrenzte Käufe. Fünf Aktien pro Tag. Das ist natürlich ein schlechter Witz.

Doch auch in dieser Reaktion sehen wir Parallelen zu den Schlachtfeldern Politik und Medien. Sobald es ein Gegner auf Augenhöhe geschafft hat, werden die Regeln geändert. Ganz gleich, wie peinlich genau man sich an geltende Regeln gehalten hat. Um die Regeln ändern zu können, braucht man aber vor allem eins: die politische Drehtür. Eine möglichst enge Verbindung derjenigen, die die Gesetze machen, mit denen, die davon profitieren. Man kennt das ja auch in Deutschland, wo die Lobbyorganisationen voll mit ehemaligen Politikern und die Parlamente voller Lobbyisten sind.

Die Reddit-User haben einen großen Sieg errungen, auch wenn einzelne Investoren teuer dafür bezahlen werden. Die Aufmerksamkeit der Hedgefonds wendet sich unterdessen anderen Märkten zu, und es ist zweifelhaft, ob Reddit oder eine andere Community dieses „David gegen Goliath“ anderswo wiederholen kann und es eine zweite „Schlacht am Bull Run“ geben wird. Wahrscheinlicher ist, dass die SEC mittelfristig irgendeine Regelung erfinden wird, die solche Aktionen verhindert und kriminalisiert.

Die panischen Reaktionen von „Robinhood”, den sozialen Medien und der Politik könnte langfristig jedoch gewaltigen Imageschaden anrichten. Die traditionelle Vorstellung vieler Amerikaner, dass Gewinne ehrenvoll und erstrebenswert sind, wenn sie gemäß den geltenden Regeln und Gesetzen erzielt wurden, hat einen gewaltigen Schlag ins Gesicht erhalten. Man kann nicht Kursgewinne der „Großen“ feiern und diese kriminalisieren und unterbinden, wenn die „Kleinen“ dies auch mal schaffen. Das verletzt jedes amerikanische Gerechtigkeitsempfinden, ganz gleich, ob man politisch eher links oder rechts steht. Nach Medien und Politik haben nun auch die Börsen das Vertrauen der Bürger verspielt.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Foto: Helmut Jilka CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Detlef Fiedler / 31.01.2021

Der Herr Karl-Heinz Faller hat garnicht so unrecht. Shorten läuft über Derivate. Und davon gibt es unzählige. Es kommt auf das Konstrukt an. Den Wert leihen, vorerst darüber verfügen und zu einem zuvor vereinbarten Wert, zu einem zuvor vereinbarten Zeitpunkt den Wert kaufen? Oder nur zurückgeben mit Gebühr? Oder keinen festen Zeitpunkt vereinbaren? Oder keinen festen Wert vereinbaren, sondern den jeweiligen Marktwert als Basis. Oder einen Preisrahmen vereinbaren? Oder einen Stop(Preis)? Die Kombinationen und Möglichkeiten sind unzählig und höchst kompliziert. Es ist nicht gesagt das shorter sofort Nasse machen wenns nordwärts geht. Es kommt auf den Einzelfall an. Zudem müssen die nicht bei short bleiben und können Positionen u.U. auch auf long drehen oder auch zusätzliche, gegenläufige Positionen eröffnen. Ausserdem geht niemand ungesichert massiv auf short, derlei hochriskante Positionen werden üblicherweise durch andere, verknüpfte Geschäfte gehedgt. Abgesichert. Um nun auf Herrn Faller zu kommen: eben genau das können die “Kleinen” wenig bis garnicht. So sie denn überhaupt einen physischen Besitz an dem Wert haben. Zumal sie über einen Broker gehen müssen. Der kann die Geschäfte jederzeit übernehmen oder auch stoppen. Ist überall vertraglich so vereinbart. Kommt erst spike und dann ledge, müssen die Kleinen verkaufen, je schneller je besser, um noch was zu retten. Grosse Käufer drücken dann die Preise, das treibt den Kurs massiv nach Süden. Zur Freude der shorter. Wer sich auf das Parkett begibt, kann darauf umkommen. Muss jeder selber wissen. Ein hoherWert an sich nützt überhaupt garnichts. Man muss auch einen Käufer dafür finden.

bernd weber / 31.01.2021

@Karl-Heinz Faller: vollkommen richtige Frage !  viele sind glücklich wenn sie nur anderen Schaden können, einen anderen Sinn hatte das ganze nicht. Der Hedgefonds musste sich zu hohen Kursen eindecken und da jetzt keine weiteren Käufer da sind welche die Aktien zu diesem hohen Kurs kaufen wollen wird es einen Kurssturz geben bei dem viele Kleinanleger bluten werden !

Dr. Roland Mock / 31.01.2021

@Frances Johnson. „Ich finde das Shorten kriminell, nicht das, was die Kleinen gemacht haben, gut das vielleicht sekundär.“ Solange nicht Insider-Wissen im Spiel ist, finde ich Spekulationsgeschäfte überhaupt nicht kriminell; egal ob auf der short- oder auf der long-Seite. Übertreibungen gehören zum Markt. Wer keine Nerven dafür hat, sollte sich einfach von der Börse fern halten. Aber wenn man es schon so einschätzt wie Sie, dann sollte man es, bitte schön, auch kriminell finden, wenn Kleinanleger, nicht nur Hedgefonds, an der Börse wetten. @Martini: Was verstehen Sie unter „demokratischer Börse“? Mehr Demokratie als an einem Handelsplatz, an dem sich Angebot und Nachfrage frei austoben können, geht nicht. Daß Leute und Institutionen mit viel Kapital und überlegenem know how mehr an der Börse bewegen können als Kleinanleger (normalerweise) ist nichts verwerfliches. Das ist in allen Bereichen der Marktwirtschaft so, und jeder Versuch, das zu ändern, führt nur zu mehr Staat und mehr Ineffizienz. Letztlich damit zu weniger, nicht zu mehr Demokratie.

bernd weber / 31.01.2021

@albert Martini: “Leerverkäufe sind Betrug” - aber wer ist der Betrüger ? derjenige der sich die Aktien g e liehen hat oder derjenige der sie v e r liehen hat ? welcher spekulative Gedanke des V e r leihers lag zu Grunde -Kursanstieg oder Kursrückgang ? ist also nicht auch der V e r leiher ein Betrüger ?

Jan des Bisshop / 31.01.2021

Der Artikel analysiert sehr gut, wie das Establishment sich mit falsch spielen zu retten versucht. Das erinnert mich an den das Bon Mot vom ersten Americas Cup Match Race. Britannia rules the waves, America waves the rules. Am Ende bleibt alles beim alten, die Hedgefonds werden versuchen diese Schwarmereignisse zu verhindern und da ihnen die Mittel zu Verfügung stehen und die Menschen per se dumm sind, wird es ihnen gelingen.

Frank Mora / 31.01.2021

Zur Erinnerung: Auch in D gab es einen ähnlichen Fall. In der Übernahmeschlacht Porsche gegen VW gab es auch eine Kursexplosion der VW-Aktie. Niee skandalisiert wurde der Fakt, daß der damalige VW-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Ferdinand Piech als Erbe seines Großvaters Prof. Dr. Ferdinand Porsche (früher Panzerkonstrukteur und Wehrwirtschaftsführer) einer der größten Eigentümer der “angreifenden” Firma Porsche war. Insiderwissenstransfer wurde nie offensiv in den Raum gestellt. Großer Leerverkäuferspkulent war der (damals unter den 10 reichsten Deutschen aufgeführte) Adolf Merckle. Als sich der Kurs der VW-Aktie verzehnfach hatte, konnte Merckle nicht liefern und wählte den Freitod. Per Zug direkt hinter seinem Stammwerk. Das Merckle-Imperium geriet ins Schlingern. Die Politik half NICHT. Mit dem erfolgreichen Verkauf von Ratiopharm kam so viel Geld in die Kasse, daß der “Rest” der Familie erhalten blieb. Immerhin ein DAX-Konzern (Heidelberger Zement), der Pharmagroßhändler Phönix (Nr. 1 in Europa) und die Pistenraupenfirma Kässbohrer. Dazu sehr umfangreicher Grund- und Immobilienbesitz, z. B. die Goitzsche bei Bitterfeld. VW hat den Angriff von Porsche erfolgreich abgewehrt. So die weitverbreitete Legende, oder sagt man besser Narrativ? Heute gehören über 51% der VW-Aktien der Porsche SE. Eigentümer die Porschefamilie, auch die Erben des zwischenzeitlich verstorbenen Prof. Dr. Ferdinand Piech…

Markus Knust / 31.01.2021

@Karl Heinz Faller. Manchmal lohnt das Lesen das Artikels,  bevor man kommentiert. Der ist eigentlich auch so geschrieben, dass nicht nur der Vorgang erörtert wird, sondern was dort auf multiplen Ebenen vor sich gegangen ist. Deshalb mutet Ihre Frage reichlich seltsam an.

Ernst Tannenberg / 31.01.2021

@Karl-Heinz Faller: Sie haben den Kurs hochgetrieben, damit sich die Leer-Verkäufer, die die Aktien ja gar nicht besaßen, sehr viel teurer eindecken mussten und damit wahrscheinlich immense Verluste realisiert haben.

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