Matthias Matussek, Gastautor / 06.01.2018 / 06:15 / Foto: pixabay / 33 / Seite ausdrucken

Die Lüge hat einen guten Lauf

Manchmal habe ich das Gefühl zu ersticken. Dann wird das, was Sloterdijk den „Lügenäther“ im politischen Raum genannt hatte, dieses sinnenbetäubende Gemisch aus Verfälschung und ausgesparter Wahrheit und Sprachregelung, so dicht, dass ich die Fenster aufreißen und schreien möchte. Doch ein Schulterschluss aus Politik und verbrüdertem Journalismus bildet einen Riegel, der schwer zu durchstoßen ist.

Die Lüge hat, nicht erst seit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, einen guten Lauf. Für Biologen ist die Verstellung, die Mimikry, geradezu ein Überlebensprinzip. Das egoistische Gen (Dawkins) verlangt bisweilen nach der Lüge, um sich durchzusetzen. Auch die Verhaltensforscher wissen das. Der Sozialpsychologe Steffen Dietz kommt in einer „Kleinen Kulturgeschichte der Lüge“ zu dem Befund, dass die „Lüge den Normalfall der Kommunikation“ darstellt und verlangt, dass wir „lernen, damit umzugehen“.

In der Politik, so der Politologe Fritz Walter, geht es ohne Lüge schon gar nicht. Da scheinen alle von Macchiavelli gelernt zu haben, der die Lüge, den kunstvollen Betrug zum Machterhalt, rechtfertigt, denn der Zweck heiligt die Mittel. Allerdings ist die Erfolgsgeschichte der Lüge gerade hier eher dürftig. Schon Präsident Lincoln, der aus taktischen Gründen durchaus zur Lüge in der Lage war, um ein gutes Gesetz durchzudrücken, wie Spielbergs „Lincoln“ eindrucksvoll vorführte, erkannte schließlich: „Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen und das ganze Volk einen Teil der Zeit. Aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen.“

Beispiel Irak-Krieg. Mit gefälschten „Beweisen“ für eine Giftgasaufrüstung ließ Präsident Bush sich das Mandat für den Angriff auf den Irak mandatieren, mit den bekannten fürchterlichen und zersetzenden Konsequenzen. Tony Blair ließ sich die parlamentarische Erlaubnis zur Teilnahme am Irak-Krieg erschwindeln, was schließlich zu seinem Popularitätsverlust und seiner Abwahl führte.

Die Lüge vernichtet die Kommunikation

Die Wahrheit scheint auf lange Sicht in ihrer ehrbaren Strahlkraft unüberwindbar. Mahatma Gandhi zwang mit ihr das britische Empire in die Knie, Martin Luther King trug mit ihr zur Abschaffung der Apartheid in den USA bei. Sie waren erfolgreich in ihren Anliegen, erfolgreicher als Nixon, der sich in seinen Lügen verhedderte. Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass Kissinger mit seiner schattenhaften Schaukeldiplomatie den Vietnamkrieg eher verlängerte, da sich Russen und Chinesen gleichermaßen von ihm beschwindelt fühlten.

Schon Kirchenvater Augustinus erkannte, dass ein vernünftiges Zusammenleben mit der Lüge nicht möglich ist. Thomas von Aquin und Kant präzisierten: Der Lügner nimmt weder sich noch den anderen ernst, er macht Kommunikation unmöglich und zerstört das soziale Gewebe. Die Wahrhaftigkeitsregel gehört zum kategorischen Imperativ: Der Lügner nimmt Zuflucht zu einem Mittel, von dem er selber nicht möchte, dass es allgemeine Akzeptanz findet und dann auch auf ihn angewendet wird. Dass das nicht geht, ist einsehbar für jeden.

Seit den Verzückungen der Willkommenskultur gehört die gut gemeinte Lüge zur alltäglichen Erfahrung. Schnell durchschaute das Publikum jene Matadore in der Presse, die nur noch Positives berichteten und sich selbst ständig ihren Großmut und ihre edle Gesinnung bewiesen, indem sie Selbstzensur übten. Nach der Sylvesternacht von Köln 2015 und den lange verschwiegenen massenhaften sexuellen Übergriffen durch nordafrikanische Migranten brach das System in sich zusammen.

Das Gift der Lüge

Giovanni di Lorenzo bekannte für die „Zeit“ und nicht nur für sie: „Wir waren geradezu beseelt von der historischen Aufgabe“. Das Gift der Lüge hatte sich eingeschlichen und zersetzte. Und die Politik log eifrig mit. Die Behauptung der Bundeskanzlerin, man könne die Grenzen nicht schützen, war eine Lüge – die Pläne zur Grenzsicherung lagen auf dem Tisch, die Hundertschaften waren bereits vor Ort. Sie entschied sich schließlich gegen den Rat der Fachleute, weil die Umfragewerte positiv waren und sie „ungünstige Bilder“ befürchtete, wie Robin Alexander in seinem Bestseller „Die Getriebenen“ so eindrücklich nachwies.

Nun hatte die Lüge auch das Verhältnis der Bevölkerung zur politischen Klasse zersetzt. In di Lorenzos Worten: „Es gab eine beispiellose Vergiftung der Gesellschaft und einen Vertrauensverlust gegenüber den Eliten und den im Bundestag vertretenen Parteien.“ Wie einfach und wie dumm gelogen wird, bewies Fraktionschef Volker Kauder, der in einer Politsendung zu den Kosten der sozialen Unterbringung der Geflüchteten und Immigranten behauptete: „Niemandem wird etwas weggenommen.“

Möglicherweise ihm persönlich nichts, aber, so dachte sich der steuerzahlende TV-Zuschauer: 25 Milliarden pro Jahr, bis 2020 rund 100 Milliarden, das sind Summen, die selbstverständlich fehlen werden zur Bekämpfung der Kinderarmut im eigenen Lande, zur Verbesserung von Straßen und Schulen. Natürlich wird dieses Geld ihm weggenommen, schon durch die Steuer, die er entrichtet hat. Wie sagte es Papst Benedikt XVI. im Bundestag 2011, Augustinus zitierend: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“

Die Lügen haben die Kanzlerin eingeholt

Des weiteren wird ihm das Geld weggenommen, weil er es nicht über Staatsleistungen zurück erhält. Volker Kauder mag guter Absicht gewesen sein, weil er eine Neiddebatte abwenden wollte, über die die gut verdienenden Eliten ohnehin die Nase rümpfen. Aber sie sind es nicht, die hier fragen, es sind die sogenannten kleinen Leute, die den Euro dreimal umdrehen, und die wissen: Die Politik lügt, und sie lügt unverfroren.

Mittlerweile hat die politische Klasse, die das Recht brach, nahezu jedes Vertrauen verspielt, und eine Gesellschaft ohne Vertrauen verwandelt sich bisweilen in eine der Zähneblecker. Sie hat die Große Koalition der Regierenden empfindlich abgestraft an der Wahlurne. Die Lügen haben die Kanzlerin eingeholt – ihr Auftritt auf dem Breitscheidplatz, an dem sie sich erst ein Jahr nach dem fürchterlichen Terroranschlag ein paar spröde Beileidsfloskeln an die Hinterbliebenen abrang, war wahrscheinlich der gespenstischste ihrer Karriere.

Die Terroropfer, das wussten viele, zähneknirschend, waren auch ihre Opfer, denn ihre fahrlässige Handhabe der Flüchtlingskrise und der offenen Grenzen hatten es dem Mörder – und nicht nur ihm – leicht gemacht. Mittlerweile möchte rund die Hälfte der Bevölkerung nichts mehr mit ihr zu tun haben und hofft auf ihren baldigen Abgang.

Das Zähneblecken hat längst auch den Journalismus erreicht. Er hat aufgerüstet. Sloterdijk sieht ihn in einem Zustand der „Verwahrlosung“. Viele wandern in die sozialen Medien ab, die sich auch durch Zensurgesetze nicht einschüchtern lassen. Wenn das Vertrauen einmal zersetzt ist, werden es auch obrigkeitsstaatliche Maßnahmen nicht wieder herstellen können.

Leider sind auch die Kirchen massiv vom Mahlstrom der Lüge erfasst worden. Sie verlangen christliche Fernstenliebe und vergessen die Nächstenliebe, vor allem aber jene Weisheit des Thomas von Aquin, der sagte: „Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist grausam; aber Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit führt zur Auflösung.“

Man traut ihnen nicht mehr, wenn sie Dissidenten der Flüchtlingspolitik als Rechtsextreme abstempeln und in Predigten und Hirtenbriefen Politik betreiben, wenn sie Demonstranten das Licht abstellen – und nebenbei verschweigen, wie gut sie verdienen an der Flüchtlingskrise.

Zuerst erschienen in der Würzburger Tagespost

Foto: pixabay

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Leserpost

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Dirk Jungnickel / 06.01.2018

Als Schillers Poet - der Wahrheitssucher - sich nach der Aufteilung der Welt beklagt, dass für ihn nichts geblieben sei, (dass nur noch Lüge ist) fragt ihn Zeus wo er denn war als die Welt aufgeteilt wurde, (die Wahrheit verkündet wurde) , antwortet der Poet, er sei bei Gott gewesen (habe die Wahrheit gesucht ). Und er entschuldigt sich, dass er das Irdische verloren hatte. “Was tun?” spricht Zeus, “die Welt ist weggegeben, / Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein./ Willst Du in meinem Himmel mit mir leben - / So oft du kommst, er soll dir offen sein.” Aber was der Poet (der Wahrheitssucher ) im Himmel ausrichten kann, läßt Schiller ironisch aus gutem Grunde offen. Will sagen: Die Wahrheit hat kein Rückzugsrecht - sie muss ohne Verzögerung und überall der Lüge Paroli bieten.

volker kleinophorst / 06.01.2018

Einfach ein Spitzenjournalist der Mathias Mattussek

Franz Platz / 06.01.2018

Neben Thomas von Aquin und Augustinus wäre auch Arthur Schopenhauer ganz aktuell, mit seinen Worten: “Unsere Zivilisation ist eine Maskerade.” Man müsst nur das Wort “Zivilisation” durch das Wort “Politik” ersetzen.  Und: Zerbrochenes Vertrauen lässt sich mit den gleichen Personen nicht wieder herstellen.

Mike Loewe / 06.01.2018

Hervorragender kleiner Aufsatz über das Thema Lüge! Vielleicht wäre noch hinzuzufügen, dass mit den immensen Summen, die die sogenannten Flüchtlinge kosten, nicht nur Kinderarmut und Infrastruktur, sondern auch Bildungsmangel und Altersarmut und damit auch Perspektivlosigkeit hätten bekämpft werden können.

Richard DAWSON / 06.01.2018

A lie may be defined as a statement made by someone who knows it to be untrue or cares not whether it be true or false. But how does one define the ‘truth’? I suspect that 2 world wars brought the British empire to its knees rather than the ‘truth’ of a little man in a loin cloth. I suspect that the ‘truth’ of Martin Luther King would have been worthless without the support of a president who came from the south. Whether Bush told a lie in 2002 is a matter for conjecture but surely the consequences of the Iraq war can not be ascribed to the lie. If Bush had told the truth and there had been WMD would the consequences have been any different? It was more a question of incompetent execution of the war. Blair was never required to ask permission of parliament to conduct a war. He never lost an election though he did lose his popularity which he would have lost in any event. It is possible that the words ascribed to Lincoln may never have been said by Lincoln but placed in his mouth post mortem. There is no proof he said them so we may be living with a lie. On reading Oscar Wilde in the ‘Decay of lying’ I think the problem is that politicians are incapable of telling a convincing lie. They constantly look for proof of their assertions.

Bärbel Schneider / 06.01.2018

Nicht nur das kaum zurückzugewinnende Vertrauen der Deutschen in ihre Regierung, das - mit wenigen Rückschlägen - über lange Zeit gewachsen ist,  hat die besinnungs- und verantwortungslose linksgrüne Politik der Opportunistin Merkel und ihren Gesinnungsfreunde zerstört. Auch der Rassismus ist neu gewachsen, und vor allem: Hilfsbereitschaft und humane Gesinnung wurde bei den Deutschen diskreditiert. Ohne die Massen von Flüchtlingshelfern wäre das Land innerhalb kurzer Zeit zusammengebrochen, und Merkel hätte ihren Kurs korrigieren müssen. Die Menschen, die meinten, Hilfsbedürftigen zu helfen, müssen jetzt feststellen, dass sie nur für Merkels Machterhalt mißbraucht worden sind und den wahrhaft Hilflosen in den Lagern nicht geholfen wurde. Schlimmer noch: Viele weitere Kriminelle sind ins Land gekommen, weil die Grenzen nicht geschlossen werden mußten. Die Helfer müssen sich also jetzt sagen, dass sie nicht nur mißbraucht und ausgenutzt wurden, sondern auch indirekt eine Mitschuld am Tod von Maria und Mia, an der zusammengetretenen Rentnerin in Nürnberg,  an den „aus Spaß“ misshandelten und getöteten Deutschen und hier lebenden Ausländern, den gequälte „scheißdeutschen“ Schülern und an den Toten des Breitscheidplatzes auf sich geladen haben. Wie einst im Nationalsozialismus wird sich das niemand eingestehen wollen, aber es ist so.

Michael Witzany / 06.01.2018

Lieber Herr Matussek, besser kann man den Zustand unsrer Gesellschaft nicht beschreiben. Das Problem, mit den Mitteln die 2015 gereicht hätten, das von ihnen beschriebene Unheil abzuwenden, wird es 2018 und später nicht mehr möglich sein. Also wird der Sloterdijksche ‘Lügenäther’ noch undurchdringlicher. Ich hoffe nur, dass es 2018 zu einem Ende mit Schrecken der derzeitigen Kanzlerin kommt und uns damit ein Schrecken ohne Ende erspart bleibt. Wer unsrer christlichen Politiker wird den Mut zum Ende des Merkelismus haben. Dieser hat D. und der EU schon genug geschadet!

Petra Sigmann / 06.01.2018

Jaaaa Aber es bleibt dieses Nagen im Innern, dass wir belogen wurden und werden und kein Ende in Sicht ist und das Ergebnis diesen Betrugs an uns haftet und zwar für immer. Man möchte eigentlich nur noch weg- so verloren scheint unser Land .

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