Johannes Eisleben / 24.02.2019 / 14:30 / Foto: Paul Sableman / 30 / Seite ausdrucken

Die linken Ideologie-Lieferanten der Superreichen

“Nationalstolz ist für Nationen das, was Selbstbewusstsein für Individuen ist: Eine notwendige Voraussetzung für Selbstverbesserung.”(1). Das sagt nicht irgendein “Rechtspopulist” der “Grauzone” oder gar ein “Rechtsextremer”, sondern der im klassischen Sinne Linke Richard Rorty, einer der interessantesten US-Philosophen der letzten 50 Jahre und ein überzeugter Globalist, zu Beginn der 1997 erschienen Vortragssammlung “Achieving Our Country”.

Was meint er damit? Wohldosierter nationaler Stolz über die Errungenschaften der eigenen Geschichte und Gegenwart, kombiniert mit reflektierter Scham über deren Verfehlungen, ist laut Rorty notwendig, um produktiv und mit Einfallsreichtum über Politik zu debattieren. Nur wer stolz auf seine Nation ist, kann inspirierende, positive und realistische Visionen zur Verbesserung des Zusammenlebens der Menschen entwerfen. Dann aber beschreibt Rorty in den vor über 20 Jahren verfassten Vorlesungen die Unfähigkeit der amerikanischen Linken, Stolz für ihre Nation zu empfinden. Daraus ergibt sich ein totales Versagen bei der Formulierung eines sinnhaften linken politischen Programms, eine umfassende politische Impotenz der Linken. Was waren laut Rorty die Symptome und Ursachen dieser schweren Krankheit?

Seit Mitte der 1960er Jahre bildete sich in den USA und auch bald in Westeuropa eine “cultural left”, wie Rorty sie nennt. Diese neue, kulturelle Linke sah – wie Christopher Lasch es auf den Punkt brachte – die USA als Imperium und nicht mehr als Gemeinschaft. Aus ihrer Sicht waren die USA das Land der Sklavenhalter, Imperialisten, Indianermörder, Urwaldvernichter und Fernost-Imperialisten (Vietnamkrieg) – und nicht mehr das Land, das vielen Millionen Menschen Freiheit, Wohlstand und vor der industriellen Revolution unvorstellbare Möglichkeiten zur Selbstentfaltung ermöglicht hatte. In Deutschland sah diese neue kulturelle Linke den Holocaust und die damit verbundene Schuld als die einzig mögliche Quelle der Selbstidentifikation. Allenfalls ein Verfassungspatriotismus nach Jürgen Habermas war denkbar. Ein positiver Begriff von Nation oder gar Nationalstolz wurde geächtet und verspottet.

Trotz der eigenwilligen Ausprägung, war das kein deutscher Sonderweg. Überall im Westen wurde diese negative Sicht des Eigenen gepflegt und auch noch philosophisch überhöht und vertieft. Im Westen begann die von der kulturellen Linken rezipierte Apokalyptik nach dem zweiten Weltkrieg mit Heidegger, der die industrielle Revolution und das aus ihr Folgende als “Machenschaft”, “Herrschaft des Man“, "Gerede“,”Planetarismus" und ultimativ als “Seinsvergessenheit” beschrieb, die zur “Verwüstung des Erdballs in die Verwahrlosung” führen müsse. Diese extrem negative Sicht unserer Zeit wurde von Foucault, Derrida, Lacan und Lyotard aufgenommen und bestätigt: Soziale Beziehungen seien immer nur Machtverhältnisse, menschliches Begehren sei nicht erfüllbar, das Projekt des rationalen Wissenserwerbs sei gescheitert, unsere Gesellschaft sei ein großer Verblendungszusammenhang, unsere Kultur “phallo-logozentrisch”, männlich-aggressiv und menschenfeindlich.

Synthese der Kulturlinken mit dem plutokratischen Globalismus

Rorty stellt aber auch dar, dass das Forderungsprogramm dieser neuen Linken ursprünglich einen positiven Aspekt hatte, weil es dem Schutz von sexuellen oder ethnischen Minderheiten vor kultureller Benachteiligung, vor „Sadismus“, wie er sich ausdrückt, gewidmet war. Dabei ging es nicht mehr um ökonomische Gleichheit, sondern um kulturell-gesellschaftliche Gleichberechtigung, die aus seiner Sicht auch Erfolge erzielt hat. Die soziale Ungleichheit geriet dabei aber aus dem Blick, der Fokus linker Geisteswissenschaftler verlagerte sich an den Unis von den Sozial- zu den Kulturwissenschaften.

Gleichzeitig weitete sich die soziale Ungleichheit, die bis Beginn der 1970er Jahre in den OECD-Ländern nachgelassen hatte, rapide wieder aus. Es bildete sich eine den ganz wenigen global agierenden Superreichen dienende privilegierte Dienstleisterschicht, der etwa 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung angehören. Diese Schicht gibt ihre Privilegien per Bildung und gezielter Platzierung an ihre Nachkommen weiter. 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung bleiben außen vor und werden zunehmend (re-)proletarisiert. Dieser Befund hat sich seitdem vertieft und verschärft.

Was Rorty vor zwanzig Jahren zwar ahnte, aber noch nicht im vollen Ausmaß ermessen konnte, war die seitdem vollzogene Synthese der Kulturlinken mit dem plutokratischen Globalismus, wie er in Medien wie dem Spiegel, der Süddeutschen, der Zeit oder dem Economist offensichtlich ist. Inzwischen hat sich die neue Linke zum engsten Verbündeten und Ideologielieferanten der globalen Superreichen und ihrer Dienstleister entwickelt. Peinlich genau wird darauf geachtet, jegliche Gegenbewegung zum plutokratischen Globalismus auf der Linken als neo-marxistisch-geschichtsblind oder auf der Rechten als populistisch, chauvinistisch, rechtsextrem, rassistisch oder gar – was auch immer das bedeuten soll – als “Nazi” zu brandmarken. Der Globalismus ist laut Rorty zu einer neuen Religion der Linken geworden, die “genauso nutzlos ist wie der Glaube an die Marxistische Geschichtsphilosophie, für die sie zum Ersatz geworden ist” (Vortrag “A Cultural Left” aus dem o.a. Band).

Rorty empfiehlt der kulturellen Linken zwei Leitlinien, um ihre Kraft als positive, emanzipatorische Bewegung wiederzugewinnen. Erstens soll die Linke mit den apokalyptischen Theorien Schluss machen und sich anstelle dessen auf einen gesunden Nationalstolz besinnen. Denn nur eine stolze Nation könne ihren Bürgern dienen. Dies gilt damals wie heute, denn “die Regierung unserer Nation ist für die absehbare Zukunft der einzige Agent, der die Amerikaner vor Selbstsucht und Sadismus schützen kann.” Mit weniger Pathos gesagt: Nur der Nationalstaat kann den Bürgern dienen - einen anderen Ort politischer Willensbildung haben wir heute nicht. Dies gilt in Deutschland genauso. Doch hüben wie drüben des Atlantiks gilt: Die Linke darf keinen Nationalstolz entwickeln, denn der wird ja von Trump propagiert.

Die zweite Empfehlung von Rorty an die Linke ist, sie solle wieder echte, produktive Sozialreformen vorschlagen. An welche er konkret dachte, hat Rorty nicht weiter ausgeführt.

Es gäbe für die Linken viel zu gewinnen

Was wären heute solche Reformen?

Kurz aufgelistet ein paar wesentliche Punkte für die Diskussion:

  • Ein Ersatz des heutigen auf Teilreserve und Fiktivwährung beruhenden Finanzsystems, das automatisch Wohlstand von unten nach oben verteilt, durch eine Realwährung mit Vollreserve.
  • Eine Beschränkung der absoluten Größe von Privatvermögen zur Eindämmung der globalen Plutokratie.
  • Eine Rückkehr zum liberalen Welthandel, zur “GATT-Globalisierung” im guten Sinne, verbunden mit einer Abkehr vom “TRIM-Globalismus”.
  • Eine massive Förderung von Produktivitätssteigerung und Automatisierung zur Reduktion der Arbeitsplatz- und Produktionsmittelverlagerung nach Asien, wenn nötig unterstützt durch qualitätssichernde Zölle.
  • Ein Ende der sinnlosen, wirtschaftsschädlichen und Arbeitsplätze vernichtenden Klimapolitik zu Gunsten einer sich auf die Vermeidung der Einbringung von Giftstoffen in die Natur konzentrierenden Umweltpolitik.
  • Eine Zuwanderungspolitik, die sich auf hochqualifizierte Migration in Verbindung mit einem machbaren politischen Asyl konzentriert, anstatt den Sozialstaat durch unkontrollierte Wirtschaftsmigration von nicht in unseren High-Tech-Arbeitsmarkt integrierbaren Zuwanderern zu zerstören.
  • Eine Rentenpolitik, die den demographischen Wandel berücksichtigt, um eine spätere, dafür aber echte Versorgung im Alter zu gewährleisten.
  • Eine innere Sicherheitspolitik, mit der Deutschland sich wieder selbst schützen kann, leider auch durch eigene atomare Abschreckung.
  • Eine umfassende Restitution der nationalen Souveränität, um Sozialpolitik sinnvoll und verantwortlich gestalten zu können.
  • Eine Restauration des Ordnungsstaats im Dienste seiner Bürger.

Mit anderen Worten: Es gibt viel zu tun für die Linken, viel zu gewinnen. Doch davon ist man bei SPD, Grünen und den SED-Nachfolgern weit weg, sehr weit. So bleibt das Feld anderen überlassen.

(1) Alle Übersetzungen vom Autor

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Margit Broetz / 24.02.2019

Danke! Endlich einmal ein differenzierender Essay, der den Widerspruch zwischen dem, was traditionell linke Positionen und Vorschläge sind bzw. waren, und dem was die heute als Linke bezeichneten Kollektiv-Selbstmord und No-Border-No-Nation Spinner zum Thema macht!

Anders Dairie / 24.02.2019

Linke Weltanschauung macht ein gutes Gewissen,  ein gut gefülltes Bankkonto im Kapitalismus ein gutes Leben.  Warum sollten sie beides nicht zusammen-führen wollen?  Das betrifft , wenn auch ein paar Stufen tiefer, die Hilfswilligen.  Schließlich schreiben FAZ, SZ, SP usw. längst nicht mehr für kleine Leute. “Armenforscher”, wie Butterwegge, machen vor diesem Hintergrund eine schlotterige Figur.  Als wiss. Beamte gehörten sie immer zum System,  das sie aushält. Vieles aus unserer Umgebung stammt aus grauer Vorzeit.  Nationalstolz ist im Grunde das Zusammengehörigkeits-Gefühl der Urhorde.  Nur die Kulisse hat sich mit der Zeit geändert.  Die Antriebskraft für die Verbesserung der Zustände,  wenn sie denn wirkt, ist der Selbsterhaltungstrieb auf weiter steigendem Niveau.

Sepp Kneip / 24.02.2019

Diesen Reform-Katalog sollte sich die AfD zu eigen machen. Einiges davon hat sie ja schon im Programm. Den Linken das zuzutrauen, grenzt schon an Wundergläubigkeit. Sie müsste zu viele ihrer Ideologien preisgeben. Gesunder Nationalstolz? Mit den Linken nicht zu machen. Aufgabe der irrsinnen Klimapolitik? Mit den Linken nicht zu machen. Eine rationale Zuwanderungspolitik? Mit den Linken nicht zu machen. Nein, diese von Ideologie zerfressenen Links/Grünen werden Deutschland und Europa nur weiter in den Dreck fahren. Wann begreifen das die Wähler endlich?

Claudius Pappe / 24.02.2019

Warum vertreten Campino und Grölemeyer linke populistische Parolen ?

Frank Pressler / 24.02.2019

Sehr gut, Herr Eisleben. Apropos Christopher Lasch; dessen “The Revolt of the Elites: And the Betrayal of Democracy” (von 1994!) ist die hellsichtige Uranalyse der heutigen Lage. Aktuell sei für die Interessierten auch auf Eric Kaufmann („Whiteshift: Populism, Immigration and the Future of White Majorities“) hingewiesen. Bei „spiked“ gibt es gerade einen längeren Artikel von ihm: „The takeover of the American mind“.

Andreas Mertens / 24.02.2019

Wie sagte es schon unser zweitgrößter Staatsratvorsitzender (Der/die größte ist und bleibt schließlich Angela M.): “Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.”  Darauf ein Lied vom “berühmten”  Ernst Busch. Das Lied der Partei! Hier schon mal die erste Zeile zum warm singen: Sie hat uns alles gegeben. Sonne und Wind (und EEG-Umlage) und sie geizte nie (EZB, Bankenrettung, Steuererhöhung)). Wo sie war, war das Leben (außer in Dunkeldeutschland). Was wir sind, sind wir durch sie (nämlich die, die schon länger hier leben). Sie hat uns niemals verlassen (seit 2005). Fror auch die Welt, uns war warm (bis zum landesweiten Blackout). Uns schützt die Mutter der Massen ( ja ja ja .. die Raute) . Uns trägt ihr mächtiger Arm (auf den fühlen wir uns täglich genommen). Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!

Rex Schneider / 24.02.2019

Vielleicht sollte zuerst aufhören sich selbst und andere zu belügen und vor allen historische Tatsachen zu verdrehen. Nehmen wir doch mal den alten Friz,  der wird von links gerne mit Nationalismus in Verbindung gebracht. War ist allerdings das am Preußischen Hof und in der militärischen Führung, deutsch verpönt war und französisch gesprochen wurde außer vor der Schlacht bei Leuthen. Preußen war ein Produkt seiner Eliten egal ob polnischer, litauischer, deutscher oder sonstiger Herkunft. Den Nationalismus haben erst Napoleons Truppen in deutsche Lande getragen,  ahnte der alte Fritz die Gefahr die vom Nationalismus ausgeht? Zeitgeschichtliche Personen, versuchen Linke für sich zu vereinnahmen oder in irgendwelche obskuren Rollen zu drängen die diese nie hatten, da sind Jakobiner Kommunisten, Terroristen Freiheitskämpfer usw. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Albert Pflüger / 24.02.2019

Die Forderung nach Förderung von Rationalisierungsmaßnahmen ist falsch. Rationalisierung passiert von selbst. Nötig ist es, der Industrie nicht ständig Knüppel zwischen die Beine zu werfen, Infrastruktur und Energieversorgung zu sichern und gut ausgebildete Schulabgänger in die Wirtschaft zu bringen, statt sie auf geisteswissenschaftliche Seminare und Genderblödsinn an den Unis zu verteilen. Wir brauchen weniger Leute, die sich dauernd um andere kümmern, und mehr von denen, die anpacken.

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