“Nationalstolz ist für Nationen das, was Selbstbewusstsein für Individuen ist: Eine notwendige Voraussetzung für Selbstverbesserung.”(1). Das sagt nicht irgendein “Rechtspopulist” der “Grauzone” oder gar ein “Rechtsextremer”, sondern der im klassischen Sinne Linke Richard Rorty, einer der interessantesten US-Philosophen der letzten 50 Jahre und ein überzeugter Globalist, zu Beginn der 1997 erschienen Vortragssammlung “Achieving Our Country”.
Was meint er damit? Wohldosierter nationaler Stolz über die Errungenschaften der eigenen Geschichte und Gegenwart, kombiniert mit reflektierter Scham über deren Verfehlungen, ist laut Rorty notwendig, um produktiv und mit Einfallsreichtum über Politik zu debattieren. Nur wer stolz auf seine Nation ist, kann inspirierende, positive und realistische Visionen zur Verbesserung des Zusammenlebens der Menschen entwerfen. Dann aber beschreibt Rorty in den vor über 20 Jahren verfassten Vorlesungen die Unfähigkeit der amerikanischen Linken, Stolz für ihre Nation zu empfinden. Daraus ergibt sich ein totales Versagen bei der Formulierung eines sinnhaften linken politischen Programms, eine umfassende politische Impotenz der Linken. Was waren laut Rorty die Symptome und Ursachen dieser schweren Krankheit?
Seit Mitte der 1960er Jahre bildete sich in den USA und auch bald in Westeuropa eine “cultural left”, wie Rorty sie nennt. Diese neue, kulturelle Linke sah – wie Christopher Lasch es auf den Punkt brachte – die USA als Imperium und nicht mehr als Gemeinschaft. Aus ihrer Sicht waren die USA das Land der Sklavenhalter, Imperialisten, Indianermörder, Urwaldvernichter und Fernost-Imperialisten (Vietnamkrieg) – und nicht mehr das Land, das vielen Millionen Menschen Freiheit, Wohlstand und vor der industriellen Revolution unvorstellbare Möglichkeiten zur Selbstentfaltung ermöglicht hatte. In Deutschland sah diese neue kulturelle Linke den Holocaust und die damit verbundene Schuld als die einzig mögliche Quelle der Selbstidentifikation. Allenfalls ein Verfassungspatriotismus nach Jürgen Habermas war denkbar. Ein positiver Begriff von Nation oder gar Nationalstolz wurde geächtet und verspottet.
Trotz der eigenwilligen Ausprägung, war das kein deutscher Sonderweg. Überall im Westen wurde diese negative Sicht des Eigenen gepflegt und auch noch philosophisch überhöht und vertieft. Im Westen begann die von der kulturellen Linken rezipierte Apokalyptik nach dem zweiten Weltkrieg mit Heidegger, der die industrielle Revolution und das aus ihr Folgende als “Machenschaft”, “Herrschaft des Man“, "Gerede“,”Planetarismus" und ultimativ als “Seinsvergessenheit” beschrieb, die zur “Verwüstung des Erdballs in die Verwahrlosung” führen müsse. Diese extrem negative Sicht unserer Zeit wurde von Foucault, Derrida, Lacan und Lyotard aufgenommen und bestätigt: Soziale Beziehungen seien immer nur Machtverhältnisse, menschliches Begehren sei nicht erfüllbar, das Projekt des rationalen Wissenserwerbs sei gescheitert, unsere Gesellschaft sei ein großer Verblendungszusammenhang, unsere Kultur “phallo-logozentrisch”, männlich-aggressiv und menschenfeindlich.
Synthese der Kulturlinken mit dem plutokratischen Globalismus
Rorty stellt aber auch dar, dass das Forderungsprogramm dieser neuen Linken ursprünglich einen positiven Aspekt hatte, weil es dem Schutz von sexuellen oder ethnischen Minderheiten vor kultureller Benachteiligung, vor „Sadismus“, wie er sich ausdrückt, gewidmet war. Dabei ging es nicht mehr um ökonomische Gleichheit, sondern um kulturell-gesellschaftliche Gleichberechtigung, die aus seiner Sicht auch Erfolge erzielt hat. Die soziale Ungleichheit geriet dabei aber aus dem Blick, der Fokus linker Geisteswissenschaftler verlagerte sich an den Unis von den Sozial- zu den Kulturwissenschaften.
Gleichzeitig weitete sich die soziale Ungleichheit, die bis Beginn der 1970er Jahre in den OECD-Ländern nachgelassen hatte, rapide wieder aus. Es bildete sich eine den ganz wenigen global agierenden Superreichen dienende privilegierte Dienstleisterschicht, der etwa 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung angehören. Diese Schicht gibt ihre Privilegien per Bildung und gezielter Platzierung an ihre Nachkommen weiter. 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung bleiben außen vor und werden zunehmend (re-)proletarisiert. Dieser Befund hat sich seitdem vertieft und verschärft.
Was Rorty vor zwanzig Jahren zwar ahnte, aber noch nicht im vollen Ausmaß ermessen konnte, war die seitdem vollzogene Synthese der Kulturlinken mit dem plutokratischen Globalismus, wie er in Medien wie dem Spiegel, der Süddeutschen, der Zeit oder dem Economist offensichtlich ist. Inzwischen hat sich die neue Linke zum engsten Verbündeten und Ideologielieferanten der globalen Superreichen und ihrer Dienstleister entwickelt. Peinlich genau wird darauf geachtet, jegliche Gegenbewegung zum plutokratischen Globalismus auf der Linken als neo-marxistisch-geschichtsblind oder auf der Rechten als populistisch, chauvinistisch, rechtsextrem, rassistisch oder gar – was auch immer das bedeuten soll – als “Nazi” zu brandmarken. Der Globalismus ist laut Rorty zu einer neuen Religion der Linken geworden, die “genauso nutzlos ist wie der Glaube an die Marxistische Geschichtsphilosophie, für die sie zum Ersatz geworden ist” (Vortrag “A Cultural Left” aus dem o.a. Band).
Rorty empfiehlt der kulturellen Linken zwei Leitlinien, um ihre Kraft als positive, emanzipatorische Bewegung wiederzugewinnen. Erstens soll die Linke mit den apokalyptischen Theorien Schluss machen und sich anstelle dessen auf einen gesunden Nationalstolz besinnen. Denn nur eine stolze Nation könne ihren Bürgern dienen. Dies gilt damals wie heute, denn “die Regierung unserer Nation ist für die absehbare Zukunft der einzige Agent, der die Amerikaner vor Selbstsucht und Sadismus schützen kann.” Mit weniger Pathos gesagt: Nur der Nationalstaat kann den Bürgern dienen - einen anderen Ort politischer Willensbildung haben wir heute nicht. Dies gilt in Deutschland genauso. Doch hüben wie drüben des Atlantiks gilt: Die Linke darf keinen Nationalstolz entwickeln, denn der wird ja von Trump propagiert.
Die zweite Empfehlung von Rorty an die Linke ist, sie solle wieder echte, produktive Sozialreformen vorschlagen. An welche er konkret dachte, hat Rorty nicht weiter ausgeführt.
Es gäbe für die Linken viel zu gewinnen
Was wären heute solche Reformen?
Kurz aufgelistet ein paar wesentliche Punkte für die Diskussion:
- Ein Ersatz des heutigen auf Teilreserve und Fiktivwährung beruhenden Finanzsystems, das automatisch Wohlstand von unten nach oben verteilt, durch eine Realwährung mit Vollreserve.
- Eine Beschränkung der absoluten Größe von Privatvermögen zur Eindämmung der globalen Plutokratie.
- Eine Rückkehr zum liberalen Welthandel, zur “GATT-Globalisierung” im guten Sinne, verbunden mit einer Abkehr vom “TRIM-Globalismus”.
- Eine massive Förderung von Produktivitätssteigerung und Automatisierung zur Reduktion der Arbeitsplatz- und Produktionsmittelverlagerung nach Asien, wenn nötig unterstützt durch qualitätssichernde Zölle.
- Ein Ende der sinnlosen, wirtschaftsschädlichen und Arbeitsplätze vernichtenden Klimapolitik zu Gunsten einer sich auf die Vermeidung der Einbringung von Giftstoffen in die Natur konzentrierenden Umweltpolitik.
- Eine Zuwanderungspolitik, die sich auf hochqualifizierte Migration in Verbindung mit einem machbaren politischen Asyl konzentriert, anstatt den Sozialstaat durch unkontrollierte Wirtschaftsmigration von nicht in unseren High-Tech-Arbeitsmarkt integrierbaren Zuwanderern zu zerstören.
- Eine Rentenpolitik, die den demographischen Wandel berücksichtigt, um eine spätere, dafür aber echte Versorgung im Alter zu gewährleisten.
- Eine innere Sicherheitspolitik, mit der Deutschland sich wieder selbst schützen kann, leider auch durch eigene atomare Abschreckung.
- Eine umfassende Restitution der nationalen Souveränität, um Sozialpolitik sinnvoll und verantwortlich gestalten zu können.
- Eine Restauration des Ordnungsstaats im Dienste seiner Bürger.
Mit anderen Worten: Es gibt viel zu tun für die Linken, viel zu gewinnen. Doch davon ist man bei SPD, Grünen und den SED-Nachfolgern weit weg, sehr weit. So bleibt das Feld anderen überlassen.
(1) Alle Übersetzungen vom Autor
Beitragsbild: Paul Sableman Flickr CC BY 2.0 via Wikimedia Commons
Deutschland hat allen Grund,einen gesunden Nationalstolz zu pflegen. Daran ändern auch 12 Jahre oder der linksgrüne Gesinnungsterror nichts.
Es ist alles wunderbar und richtig was hier geschrieben wurde. Aber erreichen wir damit den einfachen Mann von der Straße? Ich glaube nicht!
Wieder anregender sonntäglicher Lese- und Denkstoff, der es in sich hat! Vielen Dank, dass Sie uns den amerikanischen pragmatischen Philosophen Richard Rorty als einen für heute anstehende Weichenstellungen relevanten Denker und Berater vorstellen. Er hätte fraglos ein Akteur von heute sein können, wenn er nicht schon 2007 verstorben wäre. Es fällt auf, dass etliche Titel dieses produktiven Wissenschaftlers nicht in deutscher Übersetzung erthältlich sind. Mein Verdacht, dass dies kein Zufall ist, beruht darauf, dass Rorty viele Dinge formuliert hat, die in der globalistisch-linken Filterblase für "nicht hilfreich" gehalten werden. Die Sprachbarriere ist noch solange hinderlich hoch, bis die bunte One World sich friedlich darauf geeinigt hat, natürlich deutsch, die Sprache von Merkels Vorreiterland zu sprechen! Für so eminent wichtige Themengebiete die profunden Erkenntnisse Rortya durch Nichtübersetzung zu exkludieren, düfte weniger Zufall als Manipulation sein. Da hilft nur Mut zur Zweit- und Drittsprache und: Achse-Leser erfahren mehr. Vielen Dank dafür!
Die unsägliche Allianz der Linken mit dem Großkapital hat nur Bestand, solange es was zu verteilen gibt. Wenn alle Verluste sozialisiert und alle Gewinne kapitalisiert sind, werden sie ihren "wahren Feind" wieder finden und dann rufen sie erneut zur Weltrevolution auf, Vernunft spielt dabei keine Rolle, Linke sind per se Revolutionäre.
Als jemand, für den Kapitalismus nichts mit Oligarchie zu tun hat, sondern mit der Freiheit, mit Oligarchien in Konkurenz zu treten, finde ich es interessant, wie häufig von Rechten neuerdings eine Art nationaler Sozialismus gefordert wird. Ich erinnere daran, dass Mussolini ursprünglich ein Linker war, der erkannt hatte, dass er auch diejenigen, die von Klassenkampf nichts halten, auf seine Seite ziehen kann, indem er seinen im Wesen sozialistischen Staat sogenannte "konservative" Programmpunkte durchsetzen ließ. Hitlers Nationalsozialismus war ebenfalls eine Kompromisslösung, die bürgerliche Eigentumsinteressen, und den sozialistischen Umverteilungskampf miteinander in Einklang brachte. Man lese mal nach, wie viel Ähnlichkeit das nationalsozialistische Weltbild mit dem Weltbild hatte, das seither von der SPD vertreten wird. Ich würde davor warnen, irgendeine Konsenslösung mit Linken zu suchen. Konservative Werte sind dazu da, eine Zivilisation in Abwesenheit staatlichen Handelns am laufen zu halten, und ohne Staat solche Dinge wie ein soziales Netz durch Familien, Gemeinden, und Privatwirtschaft zu erschaffen. Dem Staat die Steuerung darüber zu übertragen, führt in eine Dystopie. Wir sind auf diesem Weg schon viel zu weit fortgeschritten. Weitere Zugeständnisse in Richtung Links sind der falsche Weg.
"Eine Zuwanderungspolitik, die sich auf hochqualifizierte Migration..." Fehlen diesen Ländern, dann nicht selber die hochqualifizierten Menschen? Den Punkt Bildung vermisse ich vollends. Anstatt des Faches Religion, ein Fach wo nur naturwissenschaftliche Experimente gemacht werden z. Bsp.. Dann wäre man vielleicht gar nicht mehr auf intelligente Immigration angewiesen. Und diese Menschen könnten helfen ihre eigenen Länder auf Vordermann zu bringen. Was für einen Sinn macht es, nur als Beispiel, massenhaft Ärzte zu immigrieren, wenn dann dort die Leute fehlen?? Und deswegen erst recht wieder Leute flüchten, mangels hochwertiger medizinischer Versorgung. Deutschland hat Lehrermangel, vor allem in den MINT Fächern...und an vielen Schulen fehlt es an ordentlicher Ausstattung....da müsste auch angesetzt werden
Ein sehr schöner Artikel zu den ganzen Linksgestrickten. Auch wenn ich schon länger bezweifle, dass die Linke im klassischen Sinne in der Lage ist was Gescheites und realpolitisch funktionierendes auf die Beine zustellen, sie will es auch nicht mehr! Sie ist tatsächlich zum Erfüllungsgehilfen der Globalisierung geworden. Sie will werden wie diese superreiche Schicht und ja, sie bewundert die Superreichen. Das allerschlimmste dabei ist, dass sie nicht mal mehr die Sprache der normalen Bevölkerung spricht, geschweige denn versteht, die sie angeblich vertreten will. Dazu habe ich erst letzte Woche einen guten Artikel auf einer sich links verortenden Plattform gelesen. Salonlinke oder Champagnerlinke triffts fast nicht mehr, die Linke ist dabei zu degenerieren. Sie schleicht als Wolf im Schafpelz durch die Gegend und macht nur noch Politik für sich selbst, für ihre Abgeordneten, Funktionäre und Vertreter in allen möglichen Vereinen und Institutionen, und natürlich für ihre superreichen Auftraggeber. Orban in Ungarn hat schon recht mit seinen Hinweisen auf den Spekulanten und Milliardär Soros.