Tobias Kaufmann / 30.05.2007 / 14:26 / 0 / Seite ausdrucken

“Die Linke läuft Amok”

Nick Cohen , Journalist und Autor, ist politischer Kolumnist der britischen Wochenzeitung “The Observer”. Er ist ein profilierter Gegner der US-Außenpolitik und Kritiker der Regierung Tony Blair. In seinem Buch “What´s left? How liberals lost their way” (Fourth Estate, London) wirft der überzeugte Humanist der politischen Linken vor, sie habe sich in die politische Rechte der Gegenwart verwandelt - unter anderem, weil sie sich zu wenig gegen den Islamismus wende. Ein Interview:

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Cohen, Sie stammen aus einer bewusst linken Familie, waren selbst stets links - und rechnen in einem der aktuell erfolgreichsten politischen Bücher Großbritanniens gnadenlos mit der Linken ab. Was ist passiert?

NICK COHEN: Die linke Bewegung hat, bei allen Fehlern und Irrtümern, im 20. Jahrhundert einen Kern, auf den sie stolz sein kann: ihren Widerstand gegen den Faschismus. Dieser Kern ist verloren gegangen, die Linke ist vom Weg abgekommen, moralisch und politisch. Das ist mir jedenfalls rund um den Widerstand der Linken gegen den Irak-Krieg aufgefallen.

Was war daran falsch?

COHEN: Nicht die Opposition zu den Regierungen Bush und Blair oder zum Krieg an sich ist falsch, darum geht es nicht. Es geht darum, dass die europäische und die amerikanische Linke keinerlei Interesse zeigen an fortschrittlichen Irakern. Es gab keine Solidarität, um dieses Wort mal zu benutzen, mit Sozialisten, Feministinnen oder Demokraten im Irak. Über Jahre hat sich die Linke nicht für diese Menschen interessiert. Statt dessen entschuldigte und verharmloste sie im Irak ein faschistisches Regime. Ich habe das beobachtet und mich gefragt: Was ist das bloß für eine Linke, die so handelt?

Wie erklären Sie sich dieses Phänomen, das Sie so erschreckt hat?

COHEN: Mit dem Sozialismus ist ein Grundpfeiler der Linken verschwunden. Auch Themen wie Sexismus, Rassismus und Homophobie sind nicht mehr so wichtig, nicht zuletzt, weil die Linke in diesen Kämpfen sehr erfolgreich war. Übrig geblieben ist bei vielen Linken eine Position, die ursprünglich klassisch rechts war: Hass auf Amerika. Die Linke ist nicht mehr antifaschistisch. Statt zum Beispiel gegen den radikalen Islam aufzustehen, beschwichtigt sie ihn und opponiert obsessiv gegen Amerika. Für mich ist das zutiefst unmoralisch.

Die Beschwichtigung des radikalen Islam könnte damit zu tun haben, dass die Linke sich - wie der ganze Westen - vor dieser Form des Fanatismus fürchtet.

COHEN: Mit Sicherheit. Aber die rechtsradikalen Bewegungen oder die aggressive antikommunistische Politik im Kalten Krieg waren auch zum Fürchten, trotzdem hat die Linke sich gegen sie gewehrt. Daran kann es also nicht liegen. Ich fürchte vielmehr, dass es in der Linken so etwas wie klammheimliche Sympathie für islamistische Terrorgruppen gibt. Denn sie töten Amerikaner.

Sie töten jeden Westler, den sie kriegen können, im Zweifel auch Linke.

COHEN: Stimmt, das klingt schizophren. Der Islamismus widerspricht allem, woran die Linke glauben müsste. Aber die Linke läuft Amok. Nehmen sie den Irak. Wäre es heute nicht an der Zeit, dass die europäischen Regierungen, die gegen den Krieg waren, sich für das irakische Volk engagieren? Dass gerade die Linke, die doch gegen den Krieg war, sich für die Menschen im Irak einsetzt, die von Islamisten und Terroristen bedroht werden? Aber dazu sind sie nicht in der Lage, weil sie sich aus tiefstem Herzen nur eins wünschen: dass die Amerikaner scheitern.

Sie werfen der Linken nicht nur Antiamerikanismus vor, sondern auch Antisemitismus. Das ist sehr hart, oder nicht?

COHEN: Die Hamas-Charta liest sich wie ein original Nazi-Manifest. Wenn die Linke dazu nichts zu sagen hat und stattdessen Israel-Boykotte organisiert, dann überschreitet sie die Grenze zum Antisemitismus. Die Linken, die angeblich Empathie für die Palästinenser empfinden, können Ihnen doch nicht einmal sagen, wie ein palästinensischer Staat aussehen sollte.

Sie schreiben, dass die Linke es versäume, ihrer klassischen Aufgabe gerecht zu werden, nämlich den Unterdrückten der Welt beizustehen. Wer sind heute Unterdrückte?

COHEN: Da fallen mir zuerst die Frauen ein, vor allem in der islamischen Welt. Dann Gewerkschaften und Arbeiter in China. Und jene Menschen in Afrika, die unter korrupten, verbrecherischen Regimes leiden. Das Engagement von überzeugten Linken für diese Gruppen ist gering.

Im Gegenteil: Diese Liste findet sich eher auf der Tagesordnung von Neokonservativen oder Liberalen. Wie erklären Sie sich das?

COHEN: Das hat wohl damit zu tun, dass die politischen Kategorien und Lager ohnehin in Auflösung begriffen sind. Und damit, dass die Linke ihren Kompass verloren hat.

Würden Sie sich trotzdem noch als links bezeichnen?

COHEN: Ja, ich finde, ich bin ein Linker. Ich bin gespannt, was so passiert mit der politischen Linken, ob sie ihren Weg noch mal findet.

Sie erwähnen in Ihrem Buch das Euston-Manifest, ein Dokument für eine “neue Linke” - entsteht da eine neue Bewegung?

COHEN: Ich finde vieles gut, was da drinsteht. Aber ich bitte Sie, wir reden hier nur über ein Manifest! Wir leben nicht mehr im 18. Jahrhundert.

Das Gespräch führte Tobias Kaufmann, Kölner Stadt-Anzeiger, 22.5.07.

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