Roger Letsch / 11.02.2017 / 18:03 / Foto: Kani / 3 / Seite ausdrucken

Die Limburger Glockenposse und andere böse Märchen

„Sowas Verrücktes gab‘s doch früher nicht“, sagte ein Bekannter, als er von der Limburger Glockenposse erfuhr. Das Glockenspiel im Rathausturm der Limburger Innenstadt wird vorerst nicht mehr das Kinderlied „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“ spielen. Der Bürgermeister von Limburg wolle damit einer veganen, tierschützenden Mitbürgerin bloß einen Gefallen erweisen, weil die Frau sich an der Liedzeile „Sonst wird Dich der Jäger holen mit dem Schießgewehr“ störte und deshalb Protest eingelegt hatte.

Wie könne überhaupt jemand auf die Idee kommen, fragt mein Bekannter, ein Kinderlied anstößig zu finden, das schon seine Urgroßeltern von deren Großeltern vorgesungen bekamen. Mit „früher“ meine er übrigens nicht ganz so weit in der Vergangenheit, dass aus bunt schon wieder braun wird, nur ein oder zwei Jahrzehnte zurück, weiter müsse man gar nicht gehen.

Es hat natürlich schon immer das Ansinnen kleiner Gruppen oder auch einzelner Personen gegeben, die eigene Weltsicht zum Maßstab der Dinge machen zu wollen. Gerichte wurden bemüht, Petitionen verfasst, Protest und Wut schwollen an. Doch am Ende wurden die Pläne meist als das enttarnt, was sie waren: Erpressungsversuche an der Gemeinschaft und der Wille, sich selbst mit möglichst viel Bedeutung aufzuladen; wichtiger, klüger, moralischer und besser dastehen zu können als diejenigen, die man angegriffen hat.

Der Vatikan erscheint dagegen pragmatisch

"Abgelehnt!", lautete meist das Urteil, ob nun von Regierungen, Hausgemeinschaften oder Gerichten. Nur die wenigsten dieser Versuche wurden schließlich kanonisiert. Man könnte als Beispiel aus der Vergangenheit die katholische Kirche und deren Umgang mit Marienerscheinungen und anderen Wundern heranziehen. Es dauert meist lange, nein laaaaange, bis die Institutionen, welche sich mit der Prüfung solcher Ereignisse befassen, zu einem abschließenden Urteil gelangen. In vielen Fällen versucht der Vatikan vielleicht sogar mit Bedacht, die Zeugen eines „Wunders“ durch geduldiges Warten auf deren Ableben daran zu hindern, aus ihrer Entdeckung selbst Kapital schlagen zu können. Da sage noch einer, die Katholischen seien nicht zu Pragmatismus fähig!

Zurück zur Gegenwart, zurück nach Limburg. Die Autorität, die der Bürgermeister von Limburg qua Amt hat, hätte genügt, um der Tierschutzveganerin in aller Deutlichkeit klar zu machen, dass sie sich hier in einer Weise verrennt, dass es nur peinlich für sie enden kann. Tat er aber nicht. „Um des lieben Friedens willen“ ist bequemer Ersatz für das einst klare, aber oft unbequeme „Abgelehnt“ – was macht es schon, wenn man ein Kinderlied vorübergehend aus dem Programm nimmt, ist doch nicht so wichtig.

Doch, ist es. Es sind nämlich immer die alten, schwachen und unbeschützten Kettenglieder der Meinungsfreiheit, die den Bolzenschneidern der political correctness als erstes zum Opfer fallen. Ein Kinderlied weniger, wen kratzt das schon! Natürlich hätte die Tierschützerin sich auch nackt an die Anhängerkupplung eines Limburger Jägers anketten können, aber ein literarisches „Schießgewehr“, das nach Vorderlader und Ladestock klingt, ist ein viel dankbarerer Gegner, weil er nichts zu seiner Verteidigung vorbringen kann.

Die Übergriffigkeit der politischen Kaste

Dabei ist diese Aktion nur der Kollateralschaden der immer schlimmer werdenden Übergriffigkeit der politischen Kaste in möglichst jede private Lebensäußerung der Bevölkerung hinein. Es wird geregelt und normiert, was das Zeug hält. Es gibt Kampagnen für gesundes Essen, CO2-Reduktion ist heute das 11. Gebot und die Schockbilder auf Tabakwaren sind gutmeinende optische Körperverletzung schon für Kinderaugen an der Supermarktkasse.

Kein Minister – von dem der Finanzen einmal abgesehen – kann heute die Finger von der moralischen Bevormundung lassen, überall lauern Norm, Konformismus und Opportunität. Jede TV-Talkshow ist voll von selbsternannten Alltagsexperten, um die Hirne der Zuschauer gemäß der Losung der Woche stets aufs Neue zu formatieren. Der Zuschauer oder Leser, überladen mit Gigabytes aus Nullsätzen und Phrasen, sucht nach Schlüsselbegriffen in dem Datenbrei, bei denen er sich immer auf der sicheren Seite wähnt. Alles andere ist schlecht und soll verworfen werden.

Er braucht nichts weiter als weiße und schwarze Kugeln – und um letztere überall sicher zu erkennen, hat der liebe Gott den Blockwart erfunden. Wer heute politisch aktiv sein will, aber zu bequem ist, sich über grundsätzliche Begriffe wie Freiheit oder Demokratie wirklich Gedanken zu machen, der wechselt auf eines der sicheren Felder, die garantiert frei von Tretminen und Widersprüchlichkeiten sind und macht daraus eine Religion mit dualistischer Weltsicht und Heilsversprechen.

Ein genderoptimierter veganer Tierschützer, der das Klima rettet. Mindestens!

Das Ergebnis ist ein genderoptimierter veganer Tierschützer, der das Klima rettet. Mindestens! Die Übergriffigkeit des Staates ins private schlägt hier in eine immer militanter werdende freiwillige Selbstzensur über. Und wer mit der Selbsterziehung fertig ist, hat in satten Zeiten wie diesen noch genug Energie und Tageszeit übrig, um sich der Erziehung des Nachbarn und des Bürgermeisters zu widmen. Ehrenamtlich und für Gotteslohn versteht sich.

Erste Opfer dieser kollektiven Moralschübe waren Worte, die negativ konnotiert waren. Zigeuner gibt es heute nur noch als Schnitzel, als Volksgruppe haben sie den Sinti und Roma Platz gemacht. Zwar änderte das nichts an den Vorurteilen an sich, aber wegen solcher Kleinigkeiten wie der nachweislichen Ergebnislosigkeit des Begriffeverschiebens lassen wir uns nicht aufhalten!

Kleine Posse am Rande: Es gibt noch einen Ort, wo der Begriff „Zigeuner“ überlebt hat. Ausgerechnet im „Antiziganismus“ nämlich. So lautet die wissenschaftliche Bezeichnung für Zigeunerfeindlichkeit. Man hat wohl ganz vergessen, dass diese Form der gruppenbezogenen Abneigung eigentlich Antisiniromanismus heißen müsste. Eine unaussprechliche Nachlässigkeit, die nach einer sofortigen weltweiten Konferenz der Vereinigung der Antiziganzismusforscher führen sollte. Irgend eines der vielen deutschen Ministerien für Volkserziehung wird dafür schon Mittel locker machen.

Die nächsten Opfer der endogenen deutschen Moralschübe können sich selbst leider nicht mehr wehren, weil sie längst tot sind und nur noch ihr Werk fortbesteht. Dichter, Buchautoren, Liedermacher, Bänkelsänger und all die anderen Denker, Gaukler und Großeltern, die sich Geschichten ausdachten, Lieder schrieben, Bilder malten. Von Astrid Lindgren über Wilhelm Busch bis hin zu Grimms Märchen und den vielen Kinderliedern und Gedichten unbekannter Provenienz, die Ausdruck und Spiegel ihrer Zeit sind. Einschließlich böser Wölfe, rachsüchtiger Zwerge, gefressener Großmütter, Negerkönigen und Schießgewehren. Der Dichter von „Hänschen klein, ging allein“ darf nie wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht, „Hans im Glück“ nicht wegen Steuerhinterziehung angeklagt werden, weil er den Goldklumpen, immerhin Lohn für sieben Jahre Arbeit, nicht bei der Einkommenssteuer angegeben hat. Anders herum kann Rotkäppchen kein Argument dafür sein, das Kopftuch gehöre seit jeher zu Deutschland.

Und was den Jäger mit Schießgewehr in Limburg angeht…

Man kann das Holz historischer Texte und Lieder nicht mit den Messern der Neuzeit auf Korrektheit, Sanftheit und Gleichheit schnitzen. Sonst wird irgendwann der/die/das Eva den Bio-Apfel vom Baum der Korrektheit pflücken und der/die/das Adam davon nicht essen wollen, weil sich der ganze folgende Ärger wohl für die Erkenntnis, keinesfalls jedoch für die Korrektheit lohne.

Wem der Text zum Kinderlied nicht passt, der soll sich doch bitte gehackt legen, aus Limburg wegziehen oder sich vielleicht etwas Passenderes zum Klang der Glocken denken. Ich hätte da einen Vorschlag:

Finger weg von Kinderliedern,
fällt es euch auch schwer,
fällt es euch auch schwer,

Sonst soll Dich der Teufel holen,
Tierschütz-Ve-ga-ne-he-her,
Sonst soll Dich der Teufel holen,
Tierschütz-Ve-ga-neeeer.

Nachtrag

Als ich vor etwa einem Jahr einen satirischen Artikel über die geradezu religiösen Allüren mancher Tierschützer schrieb, spielte ich mit dem irren Gedanken, deren Aktionsfeld könne sich eines Tages auf Worte ausweiten. Ich konnte ja nicht ahnen, wie recht ich hatte.

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Leserpost

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Thomas Nohr / 12.02.2017

Ich habe noch garniert gewusst das Glockenspiele auch Textzeilen von sich geben. Ich denke wenn wir uns mit solchem Schwachsinn beschäftigen müssen haben wir noch keine richtigen Probleme.

Hildburg Heider / 11.02.2017

“Keine Satire vermag die Wirklichkeit zu übertreffen!” Sagte schon Karl Kraus. Ich schließe mich ab sofort der antiveganen Bewegung an. Rettet das Zigeunerschnitzel und den Negerkuß und Mohrenkopf! Schluß mit den verbalen Eiertänzen.  Es ist schon lange unerträglich, was im Namen der politischen Korrektheit an Stuß geredet wird.

Dieter Franke / 11.02.2017

Brilliant formuliert, Herr Letsch, Sie bringen diese nur vordergründige Posse auf den ernsten Punkt. Es geht in der Tat nicht nur um ein Kinderlied sondern um die Meinungsfreiheit insgesamt. Und wieso hat der Bürgermeister nicht die nette veganische Frau (wenn es sich überhaupt um eine eindeutige Frau innerhalb der approximativ 52 Geschlechtskonstrukte handelt) an eine psychiatrische Institution verwiesen - dort wäre ihr sicher Hilfe zuteil geworden.  Statt dessen wird die Mehrheit der Bürger, die schon länger dort leben, dem kranken Wahn einer einzelnen Person ausgeliefert. Deutschland ist ein Narrenhaus geworden, nur zum Unterschied zu einem herkömmlichen Narrenhaus haben jetzt die Therapiebedürftigen die Verwaltung auch übernommen.

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