Manfred Haferburg / 08.05.2016 / 06:10 / Foto: Unknown / 8 / Seite ausdrucken

Margot Honecker: Die Frau mit dem lila Stahlhelm ist tot

Was haben wir DDR-Leute nur dem lieben Gott angetan, dass er uns mit Margot Honecker strafte? Ein halbes Leben musste ich mir ihre Visage im Neuen Deutschland anschauen. Musste erleben, wie durch Sie meine Kinder im Kindergarten („der Onkel Stalin liebt die Kinder“) und in der Schule („der Dienst an der Waffe schützt den Frieden der Welt“) zu kommunistischen Nicht-Denk-Untertanen getrimmt werden sollten. Ich musste, durch sie, befürchten, dass meine kleine Tochter zur Zwangsadoption freigegeben wird, als ich in Hohenschönhausen schmorte.

Dann brach das sozialistisch-potemkinsche-Kartenhaus zusammen und Margot floh mit dem kranken Erich nach Südamerika. Wieder einmal waren die Deutschen unfähig, ihre mörderischen Diktatoren gebührend zur Rechenschaft zu ziehen und wieder einmal flohen Gesellschaftsverbrecher nach Südamerika. Nicht zu vergessen, dass der deutsch-linksbesoffene Staat ihnen ihre Rente hinterherschickte. Die "lila Hexe" (wegen ihrer stahlblau bis lila glänzenden Dauerwelle) war extrem starrsinnig und unerschütterlich von sich selbst überzeugt. Noch zwanzig Jahre nach der Pleite der DDR beharrte sie auf ihrer Position: die DDR war die sozialistische Heimat der Arbeiter und Bauern.

Unerschütterlich und von sich selbst überzeugt

Dabei war die DDR doch nichts anderes, als eine „rot lackierte Menschenbrechmaschine in sowjetischer Lizenz gebaut“ (Biermann), in der eben diese Arbeiter und Bauern unterjocht und zum Leibeigenen-Frondienst für die paar roten Bonzen geprügelt wurden.

Keine noch so offensichtliche Realität vermochte die lila Hexe von ihrer einmal gefassten Meinung abzubringen. Die lila Hexe wurde nicht von einem schlechten Gewissen für ihre unzähligen Untaten geplagt: „Die Mauertoten hätten ja nicht über den antifaschistischen Schutzwall klettern zu brauchen…“ Alternativlos eben. Das Leid der Kinder, die sie auslieferte, interessierte sie nicht.

Die Honeckers und ihre Vasallen hatten die Volkskammer der DDR zu einem Klatschverein umgestaltet, der nur mehr den weisen Beschlüssen des Zentralkomitees jubelnd zustimmen konnte. Andersdenken war nicht gestattet, jedwede Kritik am Alternativlos-Kurs wurde als feindlich-negativer Akt der Gedankenpolizei zur Bestrafung übergeben, die Andersdenkenden als „Elemente“, „Staatsfeinde“, „Gegner des Friedens“ diffamiert.

Minutenlanger stürmischer Beifall

Berufsverbote, Sippenhaft, Verunglimpfungen waren gesellschaftsfähig, die DDR-Justiz verkam zu einem Witz mit Klassenstandpunkt. Alle Parteien im politischen System waren sich in der sozialistischen Grundlinie furchtbar einig, eine Opposition fand nicht statt. Die Parteitage wurden zu unwürdigen Jubelveranstaltungen, auf denen die „führenden Genossen“ Erich und Margot minutenlang beklatscht und hochgelebt wurden („Die Delegierten erhoben sich von den Plätzen und spendeten minutenlangt starken stürmischen Beifall“).

Wenn ein paar mutige Gruppierungen von Bürgern aufbegehrten und es wagten, gegen den Kurs der Regierung auf die Straße zu gehen, wurden sie von den Medien und Politikern verächtlich gemacht und vom System als „Knechte des Imperialismus, Idioten, Schädlinge“ unterdrückt. Die besten von ihnen kamen nach Hohenschönhausen.

Warum flüchtete Margot Honecker vor dem Volk, von dem sie angeblich so abgöttisch geliebt wurde, ausgerechnet nach Südamerika? Wie die Nazis? Weil sie sich da sicher vor dem Volke fühlte.

Nun ist „die lila Hexe“ mit 89 Jahren in Chile verstorben, ungestraft und von sich überzeugt. Möge sie nachhaltig in der Hölle schmoren. Und ich? Warum kommen mir nur beim Schreiben dieses „Nachrufes“ so viele unheimliche Assoziationen ins Gemüt? Warum finde ich eine selbstverliebte unerschütterliche Überzeugung so gefährlich und verachtenswert? Warum ängstigt es mich, keinen Plan B haben zu wollen? (Napoleon und Hitler hatten keinen Plan B, als sie ihre bedauernswerten Soldaten ohne Handschuhe gegen Moskau schickten).

Warum kommen bei diesem Nachruf so viele unheimliche Assoziationen?

Und die Künstler? Als Biermann weg war, gab es in der DDR keinen erkennbaren Widerstand der Kunst mehr. Ein Teil der Künstler kümmerte unterdrückt vor sich hin, der andere, größere Teil dichtete Lobeshymnen auf die herrschenden Bonzen, so absurd sie auch waren. Heute liefern dieselben Geistesgestörten rote Rosen beim Bundeskanzleramt ab.

International war die DDR stets mit mörderischen Diktatoren verbunden. Unerschütterlich! Hauptsache sie waren der sozialistischen Idee und der Sowjetunion während ihrer Amokläufe treu ergeben. Ob Kim, Pol, Fidel oder Stalin eben. Ein Erdogan hätte da gut gepasst. Aber was weiß ich schon? Ich bin ja nur ein gelernter DDR-Ossi, sozialisiert mit Weißkohl, Rotkohl und Wruken. Was Anderes wuchs im Osten nicht, und wenn, dann wurde es in den Westen verkauft.

Ich habe gelernt, dass man der Jubelpresse genauso wenig trauen kann, wie Parlamentariern, die neun Minuten der großen Vorsitzenden zujubeln. Ich habe gelernt, dass sich hinter den guten Absichten immer nur der Mangel an Vorstellungskraft für die Nebenwirkungen versteckt. Oder Schlimmeres – Pfründe. Ich schlafe schlecht.

Der Angst-Ossi in mir wird von einem Tsunami an Déjà-Vus geplagt

Der Angst-Ossi in mir wird von einem Tsunami an Déjà-Vus geplagt. Auch heute wieder finde ich es beängstigend, wie eine absolutistisch herrschende Frau ohne Selbstzweifel und ihre unzähligen Vasallen mit freundlichem Gesicht „Freibier für alle“ bestellen, um dann die Rechnung ungefragt und unauffällig dem Personal zuzuschieben.

Wie ich auf „Personal“ komme? Gute Frage. Machen Sie mal Ihr Portemonnaie auf und schauen Sie auf Ihre deutsche ID-Card: da steht „Personalausweis“. Sie sind „Personal“, sogar amtlich. Was immer das für Sie auch heißen mag - Sie „Personal“, zahlen und Klappe halten. Sonst Nazi! Und ja, der Sozialismus neuen deutschen Typs ist komfortabler, besser ausgestattet, kommod, wie es der DDR-Sozialismus nie war. Das macht ihn so gefährlich. Brot und Bundesliga bis zum Untergang und die Kapelle spielt alles andere, nur nicht die Nationalhymne.

Foto: Unknown via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Johannes Lambert / 09.05.2016

Sehr geehrter Herr Haferburg, ich verstehe Ihre Gefühle, weil Sie - im Gegensatz zu einem Wessi wie mir - unter dieser Frau furchtbar gelitten haben. Dennoch meine ich, sollte in der Regel nach dem Tod eines Menschen das Wort der alten Römer gelten:  “De mortuis nil nisi bene!” (Über die Toten nichts außer im wohlwollenden Sinn). Um ein altes Missverständnis auszuräumen: Es heißt “bene”, ein Adverb, nicht “bonum”. Man kann die ganzen Schandtaten der Verstorbenen aufführen, aber eben mit dem emotionalen Abstand, den das Mysterium des Todes erfordert. Irgendwie können einem Menschen, die sich in ihrem Leben so fürchterlich verrannt haben, auch leid tun. Bei Margot Honecker kommt hinzu, dass sie in einer kommunistischen Familie groß wurde und eben nie den geistigen Horizont hatte, die Ersatzreligion des Kommunismus, die sie mit der Muttermilch aufsogen hatte, irgendwann einmal kritisch zu hinterfragen. Sie hat sich in einen fanatischen Starrsinn geflüchtet, um sich das moralische Scheitern ihres Lebens nicht eingestehen zu müssen. Sie führen in Ihrem Artikel Gott an. Vielleicht nimmt er auch die Seele von Margot Honecker gnädig an. Wir sollten nichts anderes hoffen.

Derek Butter / 08.05.2016

Sehr geehrter Herr Haferburg, trefflich und auf den Punkt gebracht. Bleibt abzuwarten, ob und wann den Potentaten hierzulande und anderswo in Europa die goldene, vom “Volk” bezahlte Fahrkarte in die Hölle überreicht wird. Ist ein Abwarten der gelegentlichen Wahlen nicht fahrlässig in einer “von den eigenen Kindern und Enkeln geliehenen Welt”? Was ist, wenn die eines Tages Fragen stellen?

Karin Bußler / 08.05.2016

Sehr geehrter Herr Haferburg, jeden Buchstaben Ihres Textes kann ich voll bejahen, haben wir doch eine Gemeinsamkeit, Sie Hohenschönhausen, ich Kaßberg. Wir werden aber mit unseren Erfahrungen und mit dem daraus entwickeltem Gespür für gesellschaftliches Unrecht nicht gehört oder wollen nicht gehört werden. Auf diesem Weg danke ich Ihnen für Ihre mutige und auch mahnende Schreibweise, bleiben Sie noch lange gesund, damit Sie weiterhin gelesen werden können. Mit besten Grüßen K. Bußler

Thomas Nuszkowski / 08.05.2016

Die Deutschen sind Frösche, die man lebendig kochen kann. Wenn man die Temperatur langsam genug steigert, dann bemerkt der typische Deutsche selbst dann nicht den Temperaturanstieg, wenn sich die Temperatur bereits von 20 auf 60 Grad erhöht hat. Merkel verändert dieses Land schon seit vielen Jahren. Und noch immer gibt es jede Menge Leute, die nichts bemerken. Da bin beim Autor und bezeichne diese Herrschaften ebenfalls als Geistesgestörte. Immerhin ist nun die Frage geklärt, wie die Leute in diesem Land jemals einem Hitler zujubeln konnten. Wer so doof ist, und die Transformation seines Landes in eine DDR 2.0 nicht bemerkt, der jubelt jedem zu ohne etwas zu bemerken.

Horst Jungsbluth / 08.05.2016

Wenn ich meine Verwandten in der DDR besuchte, dann wurde dort in den eigenen vier Wänden “Tacheles” geredet und ein Thema war auch immer die “Schule”, die von der “Ministerin für Volksbildung” Margot Honecker zu sozialistischen Kaderschmieden umfunktioniert wurden, wo nicht die schulischen Leistungen im Vordergrund standen, sondern der richtige “Klassenstandpunkt”.  Sie war insbesondere bei oft verzweifelten Eltern nach Mielke die meist gehasste Person in der DDR, da die Kinder in der Schule gegen ihre eigenen Eltern aufgehetzt wurden, wenn die sich nicht konform verhielten.  Als “verbrecherisch” wurde das Tragen westlicher Kleidung insbesondere von jenen Lehrern hysterisch diffamiert, die selbst die eigene Wohnung stolz mit teuren Gegenständen aus dem NSA eingerichtet hatten und diese dann vollkommen gegen “die Feinde des Sozialismus” abschotteten. Lehrer waren angehalten, “Bonzenkinder” nur beste Noten zu geben, selbst wenn die strohdumm waren. Ein Mathematiklehrer zog ernüchtert die Konsequenzen, verließ die Schule und verdiente sein Geld als Taxifahrer.

Antje Böttinger / 08.05.2016

Danke!  Der beste Nachruf, den ich bisher über diese entsetzliche Frau gelesen habe.

Christian Ahrens / 08.05.2016

Danke für die schonungslose Abrechnung. Man könnte jetzt einwenden: “de mortuis nil nisi bene!” Es gibt jedoch offenbar Fälle, in denen die Ehrfurcht vor Verstorbenen eine Verhöhnung ihrer Opfer und Überlebenden darstellen würden. Die Art, wie hingegen die “Qualitätspresse” diese Person in ihren Meldungen verharmlost und als fast schon gütige “Politikerin” einer früheren Epoche durchgehen lässt, macht auch mir Angst vor einer Rückkehr dieser Polit-Zombies. Aber: in der DDR gab es keine AfD!

Andreas Rochow / 08.05.2016

Danke, Herr Haferburg, dass Sie diese Worte der Würdigung einer gemütsarmen und gnadenlosen Lebenslang-Stalinistin gefunden haben. Freilich werden die nicht Betroffenen das für alles andere als politisch korrekt halten, in dieser Weise an die Schattenseiten der DDR zu erinnern, denn folgt man dem populärsten Linkspopulisten und SED-Partei- und SED-Parteivermögens-Retter Gysi, so war ja nicht alles schlecht in der DDR. Nein, nachdem wir ihm die Talkshows von ARD und ZDF und den Bundestag überlassen haben, dürfen wir Gysi nicht auch noch die Hoheit über die Geschichtsschreibung zur DDR überlassen! Dabei sind Alltagserinnerungen, ehrliche Nachrufe, Anekdoten, die das Leben im “real existierenden Sozialismus” hinter dem “antifaschistischen Schutzwall” illustrieren, unverzichtbar. Wir dürfen uns auch nicht zur edlen, generösen Amnesie zwingen lassen und nicht vor der pseudomoralischen Aufforderung kuschen, die Vergangenheit ruhen zu lassen und (nur) nach vorn zu schauen! Nochmal Dank für die klaren Worte. Ich teile auch Ihren Eindruck, dass der Umgangsstil der Merkel-Regierung mit ihrem “Personal” immer mehr dem der DDR ähnelt und damit einer Demokratie hohnspricht.

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