Rainer Grell / 04.11.2018 / 14:00 / Foto: Pixabay / 0 / Seite ausdrucken

Die letzten Abenteuer: Expedition in den Petitionsausschuss

Manche suchen das Abenteuer auf den höchsten Bergen dieser Welt, durchqueren die Antarktis oder die Wüste Gobi. Das ist nicht jedem gegeben. Es gibt aber ein „Jedermannsrecht“ (wie das schwedische „allemansrätt“ oder das finnische „jokamiehenoikeus“), das jedem Bürger, natürlich auch weiblichen oder sonstigen Geschlechts, ein Abenteuer ermöglicht, das es in sich hat. Ich meine eine Petition an den Deutschen Bundestag (oder einen der 16 Landtage), „ein allgemein anerkannter Bestandteil der demokratischen Grundrechte eines jeden Bürgers“ (Wikipedia).

Von diesem Jedermannsrecht hat kürzlich Vera Lengsfeld mit der „Gemeinsamen Erklärung 2018“ Gebrauch gemacht. Henryk M. Broder hat ihr bei diesem Abenteuer Beistand geleistet. Ziel ihres Begehrens, das von über 165.000 Mitstreitern getragen wurde, war, „Die Rechtmäßigkeit an den deutschen Grenzen wiederherzustellen“ und der „illegalen Masseneinwanderung“ Einhalt zu gebieten.

Über den Inhalt dieser Petition ist hinreichend berichtet worden. Wer die öffentliche Anhörung in bewegten Bildern nacherleben möchte, kann das hier tun. Ich widme diesen Beitrag ihrer rechtlich-bürokratischen Seite, die jeder kennen sollte, der sich auf diesen Camino de Santiago begibt. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat hierzu eine 32 Seiten umfassende Broschüre herausgegeben, die zur Pflichtlektüre jedes potenziellen Petenten gehört. Er kann sich stattdessen auch in einer „Ausarbeitung“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (Achtung: 93 Seiten) über die „Befugnisse und Arbeitsweise der Petitionsausschüsse des Deutschen Bundestages, der Landesparlamente und des Europäischen Parlaments“ informieren – wenn schon, denn schon. Das Referat Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages hat ebenfalls eine Broschüre herausgegeben, auf gut 60 Seiten zum „Stichwort Petitionen. Von der Bitte zum Bürgerrecht“ allerlei Wissenswertes präsentiert. Genügend Lektüre also für die bevorstehenden ungemütlichen Herbsttage. Wem das alles ein bisschen viel ist, der lese hier weiter.

Die Petition im Grundgesetz

Am Anfang steht natürlich das Grundgesetz (GG). Dieses bestimmt in Artikel 17: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“ Und Artikel 45c Absatz 1 ergänzt: „Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschuß, dem die Behandlung der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt.“ „Die Befugnisse des Ausschusses zur Überprüfung von Beschwerden regelt ein Bundesgesetz“ (Absatz 2).

Der Petitionsausschuss des 19. Deutschen Bundestages hat 28 „ordentliche“ und ebenso viele stellvertretende Mitglieder (darunter Dr. Manuela Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen, die bei der öffentlichen Anhörung zur Gemeinsamen Erklärung 2018 Verständnisschwierigkeiten offenbarte). Vorsitzender ist Marian Wendt (CDU/CSU).

Das Befugnisgesetz

Das „Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages“ vom 19. Juli 1975, kurz „Befugnisgesetz“, regelt im Wesentlichen die Pflicht der Exekutivstellen, die Arbeit des Petitionsausschusses durch Aktenvorlage, Auskunftserteilung und Zutrittsgestattung sowie durch Amtshilfe zu unterstützen. Außerdem hat der Ausschuss das Recht, den Petenten sowie Zeugen und Sachverständige anzuhören.

Die Geschäftsordnung

Auch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) enthält Regelungen, die das Petitionsverfahren betreffen (§§ 109ff. sowie § 125). Danach hat der Petitionsausschuss „Grundsätze über die Behandlung von Bitten und Beschwerden“ aufzustellen und diese zum Ausgangspunkt seiner Entscheidungen zu machen (§ 109 Absatz 1).

Verfahrensgrundsätze

Die Grundsätze unterscheiden (in Nr. 2.2) zwischen

  • Mehrfachpetitionen
  • Sammelpetitionen
  • Massenpetitionen und
  • Öffentlichen Petitionen.

Bei der Gemeinsamen Erklärung 2018 handelte es sich um eine öffentliche Petition, das heißt um eine Bitte oder Beschwerde von allgemeinem Interesse. Solche Petitionen werden im Einvernehmen mit dem Petenten auf der Internetseite des Petitionsausschusses veröffentlicht. Damit erhalten weitere Personen über das Internet die Gelegenheit zur Mitzeichnung der Petition oder zur Abgabe eines Diskussionsbeitrages hierzu (Nr. 2.2 Absatz 4).

Petitionen sind stets schriftlich oder elektronisch auf einem speziellen Formular einzureichen (Nr. 4 Absatz 1). „Ein Recht, Petitionen mündlich vorzubringen oder persönlich zu überreichen, besteht nicht“ (Nr. 4 Absatz 2).

Nummer 7 regelt die „Bearbeitung der Eingaben durch den Ausschussdienst“. Dabei handelt es sich um eine Organisationseinheit von rund 80 Personen, die „für die [28] Abgeordneten die Vorbereitung und Organisation der Petitionsbearbeitung übernimmt“ (Infobroschüre des Referats Öffentlichkeitsarbeit, Seite 26). Der Ausschussdienst schlägt für jede nicht erledigte Petition zwei verschiedenen Fraktionen angehörende Ausschussmitglieder als Berichterstatter vor (Nr. 7.11) und macht nach Beendigung seiner Arbeit „Vorschläge zur abschließenden Erledigung“ der Petition (Nr. 7.14). Die Berichterstatter prüfen den Vorschlag des Ausschussdienstes und legen dem Ausschuss Anträge zur weiteren Behandlung der Petition vor. Die Beratungen werden mit einer Beschlussempfehlung für das Plenum des Bundestages abgeschlossen (§ 112 Absatz 1 GOBT).

Richtlinie für die Behandlung von öffentlichen Petitionen

Für die Behandlung von öffentlichen Petitionen wie der Gemeinsamen Erklärung 2018 gibt es eine spezielle Richtlinie. Mit der Möglichkeit, öffentliche Petitionen einzureichen, „soll ein öffentliches Forum zu einer sachlichen Diskussion wichtiger allgemeiner Anliegen geschaffen werden, in dem sich die Vielfalt unterschiedlicher Sichtweisen, Bewertungen und Erfahrungen darstellt.“

„Voraussetzung für eine öffentliche Petition ist, dass die Bitte oder Beschwerde inhaltlich ein Anliegen von allgemeinem Interesse zum Gegenstand hat und das Anliegen und dessen Darstellung für eine sachliche öffentliche Diskussion geeignet sind“ (Nr. 2.1).

Unter Nr. 8 heißt es: „Die Mitzeichnungsfrist, in der weitere Personen die öffentliche Petition mitzeichnen oder Diskussionsbeiträge abgeben können, beträgt vier Wochen.“ Von einem Quorum ist nicht die Rede.

„Im Laufe des parlamentarischen Prüfverfahrens entscheidet der Ausschuss, ob eine öffentliche Beratung oder eine Anhörung von Petenten durchgeführt werden soll“ (Nr. 11).

Netiquette

Schließlich gilt noch eine Netiquette, in der es einleitend heißt:

„Die hier angeführten Regeln der Netiquette sind zusätzlich zu den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen – insbesondere der Richtlinie für die Behandlung von öffentlichen Petitionen – zu beachten und sollen im Forum eine sachliche Diskussion über die betreffende Petition ermöglichen. Das oberste Gebot hierfür: Behandeln Sie bitte die anderen Teilnehmer so, wie Sie selbst behandelt werden möchten. Bedenken Sie immer, dass Ihnen auch in der virtuellen Welt immer ein Mensch gegenüber sitzt und keine Maschine. Gern können Sie kritische oder kontroverse Meinungen äußern – Kritik und Kontroverse können aber nur angenommen und diskutiert werden, wenn Sie diese sachlich vortragen und nicht als persönlichen Angriff formulieren.“

Mit der Eingangsbestätigung auf eine Ersteingabe wird ein Informationsblatt versandt, das „Zehn Punkte zum Ablauf und Inhalt des Petitionsverfahrens“ enthält.

Quorum, Redezeit und Unterstützer

Am 10. Oktober 2018 habe ich folgende E-Mail an den Petitionsausschuss gerichtet:

„Der Website des Deutschen Bundestages habe ich entnommen, dass für die öffentliche Beratung einer Petition ein Quorum von 50.000 Unterstützern erforderlich ist. Ich habe aber nirgendwo eine Rechtsgrundlage für diese Regelung gefunden. Selbst die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages enthält dazu keine Angaben. Entsprechendes gilt für die Festlegung der Redezeit bei der öffentlichen Behandlung einer Petition. Ich bin nur auf § 35 GOBT gestoßen, der beim Petitionsausschuss aber nicht weiter hilft. Außerdem scheint es bei öffentlichen Petitionen die Praxis zu geben, dass der Petent Unterstützer mitbringen kann. Ist dies sowie deren Zahl irgendwo geregelt?

Für die detaillierte Beantwortung dieser drei Fragen wäre ich Ihnen sehr dankbar.“

Hierauf habe ich unter dem Datum 19. Oktober mit den bereits erwähnten Broschüren folgende Antwort erhalten:

  • Zum Quorum wurde auf die Verfahrensgrundsätze verwiesen, in deren Nr. 8.2.1 Spiegelstrich 7 von 50.000 Unterstützern die Rede ist, die innerhalb von vier Wochen nach Einreichung der Petition unterzeichnet haben müssen. Da sich diese Regelung aber nur auf Sammel- oder Massenpetitionen bezieht, in Nr. 2.2 aber zusätzlich öffentliche Petitionen genannt sind, habe ich diese Regelung nicht auf letztere bezogen. Man lernt eben nie aus.
  • Zur Redezeit wurde mitgeteilt, dass der Ablauf einer öffentlichen Sitzung „durch Ausschussbeschluss festgelegt“ wird.
  • „Ob die Petenten ‚Unterstützer‘ zur Begleitung mitbringen können, entscheidet im Einzelfall auch der Ausschuss.“

Eine schnelle und angemessene Auskunft. Danke!

Abschließende Bewertung

„Der Bundestag ist weit weg von den Menschen – so lautet ein oft verbreitetes Vorurteil. Doch die Wirklichkeit sieht meist anders aus. Wie nah das Parlament an den Menschen sein kann, an ihren Sorgen, ihren Problemen und ihren Ideen, das zeigt der Petitionsausschuss des Bundestages.“ So klingt die PR-Botschaft in der Broschüre des Referats Öffentlichkeitsarbeit (Seite 4). Wer die öffentliche Anhörung der Gemeinsamen Erklärung 2018 am 8. Oktober verfolgt hat, dürfte allerdings einen komplett anderen Eindruck gewonnen und das „Vorurteil“ bestätigt gesehen haben. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass das Hauptanliegen des Vorsitzenden war, die Zeitvorgabe und die sonstigen Regeln einzuhalten. Das eigentliche Anliegen hat ihn und die übrigen Mitglieder des Petitionsausschusses nicht interessiert. Alle waren sehr „weit weg von den Menschen“. Sollte ich mich in dieser Beobachtung irren, dann hätten die Abgeordneten auf jeden Fall erfolgreich verborgen, wie nah sie an den Sorgen, Problemen und Ideen „der Menschen“ sind.

Der Petitionsausschuss „ein Seismograf, der die Stimmung der Bevölkerung aufzeichnet“ (so der Bundestag auf seiner Website). Mag sein. Aber danach werden die Aufzeichnungen achtlos beiseite gelegt.

Die einzige Entschuldigung, die ich für die Veranstaltung finde, ist: Die Gemeinsame Erklärung 2018 war kein Fall für den Petitionsausschuss, sondern für einen Untersuchungsausschuss Asyl- und Migrationspolitik, wie ihn die AfD am 30. Mai 2018 beantragt hat (Drucksache 19/2392). Der Antrag hat allerdings keine Aussicht auf Erfolg, da die AfD nur über 92 der erforderlichen 177 Stimmen (ein Viertel der Mitglieder des Bundestages, Artikel 44 Absatz 1 Satz 1 GG) verfügt. Ob der Antrag der FDP vom 5. Juni 2018 (Drucksache 19/2524) weiterhilft, ist fraglich, da selbst bei einer gegenseitigen Unterstützung immer noch sechs Stimmen fehlen. Beide Anträge wurden zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen. Mitberatend sind

  • Auswärtiger Ausschuss
  • Ausschuss für Inneres und Heimat
  • Ausschuss für Arbeit und Soziales
  • Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
  • Haushaltsausschuss.

Die erste (nicht öffentliche) Beratung beider Anträge im federführenden Ausschuss fand am 27. September 2018 statt. Geduld ist also gefragt. So oder so.

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