Tamara Wernli / 26.08.2016 / 11:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 10 / Seite ausdrucken

Die Leiden der Beifahrerin: Männer auf Speed

22 Minuten. So lange dauert das zügige Zubereiten einer warmen Mahlzeit. 22 Minuten braucht der schnellste Esser der Welt, um 25 Big Macs zu verdrücken. 22 Minuten stehen Paare eine gemeinsame Autofahrt durch, bevor der Streit beginnt.

Hinter dem Steuer geben sich Männer alle erdenkliche Mühe, es uns Frauen leichtzumachen, dass wir sie verachten. Sie drücken etwa beim Anfahren das Gaspedal mit übertriebener Begeisterung durch, so dass es einen in den Sitz zurückdrückt und den Magen umdreht wie bei einem Raketenstart.

Sie weigern sich im Urlaub hartnäckig, Strassenkarten zu konsultieren oder jemanden nach dem Weg zu fragen, stattdessen fahren sie lieber 442 Kilometer Umwege pro Jahr – das ergab eine Untersuchung des britischen Versicherers Sheilas Wheels. Oder sie lassen ihren Fuss bis zum letzten Moment bleiern auf dem Gaspedal liegen, obwohl die Ampel – von weitem erkennbar – auf Rot steht. Das abrupte, spätest-mögliche Abbremsen bereitet ihnen offenbar eine kindliche Freude. Psychologen wissen da keine Antwort darauf (ich habe nachgefragt).

Ich sehe das nicht als Kritik, eher als Tipp

Sitze ich als Beifahrerin mit meinem Mann im Wagen, tue ich, was man als Frau in einer solchen Situation tut, ich gebe Empfehlungen zu seinem Fahrstil ab. "Schatz, du fährst zu dicht auf." Ich sehe das nicht als Kritik, eher als Tipp. (Weibliche Kritik beinhaltet hauptsächlich die Worte "immer", "jedes Mal", "ständig" und klingt so: "Du fährst immer viel zu schnell! Jedes Mal baust du beinahe einen Unfall! Ständig bringst du uns in Gefahr mit deinem Fahrstil!") Meinen ersten Tipp ignoriert er jeweils. "Schatz, fahr langsamer." Jetzt ist er bisschen gereizt, drosselt die Geschwindigkeit, für meinen Geschmack zu wenig. Ziehe ich die Thematik fort, wischt er kurz mit dem Finger Staub vom Armaturenbrett und bietet mir zwischen den Zähnen hindurch zischend an, ich möge doch selber fahren. Das tue ich natürlich nicht – es würde ja das Grundproblem nicht lösen.

Männer halten sich für die perfekten Autofahrer. Gott persönlich hat das Auto für sie erschaffen. Uns Frauen erklären sie für fahrtechnisch zurückgeblieben, dabei geht aus unzähligen Verkehrsstudien hervor, dass wir sicherer fahren und weniger Unfälle verursachen – Männer sind im Strassenverkehr oft abgelenkt und pflegen einen aggressiveren Fahrstil. Sie vollführen Manöver, die sie super clever finden, die aber eindeutig als selbstmörderisch einzustufen sind: Bei dunkelrot über die Ampel brausen, drängeln auf der Autobahn, während der Fahrt ausgiebig Intimissimi-Plakate anstarren. Und wären sie dazu in der Lage, würden sie einen Le-Mans-Start hinlegen.

Der "Ich steig aus"-Sensor ist bei den meisten Männern intakt

Viele Frauen leben wahrscheinlich noch, weil sie dank ihren Empfehlungen Schlimmes verhindern konnten. "Wenn du jetzt überholst, steig ich aus." Der Grund, warum es kaum Damen gibt, die tatsächlich aussteigen und Boulevards entlang- und Gebirgsstrassen hochmarschieren, ist – nebst dem nicht lösungsorientierten Ansatz einer solchen Aktion – der Paarkrisen-Sensor des Mannes: Anders als bei der Debatte um Wegweisungen, wo männliche Wesen scheinbar machtlos ihrem Starrsinn und einem falschem Stolz ausgesetzt sind, ist er bei der "Ich steig aus"-Warnung in den allermeisten Fällen intakt.

Der spanische Autohersteller SEAT hat vor Jahren einmal in einer Studie herausgefunden, dass die Harmonie im Auto bei einem Durchschnitts-Paar nach 22 Minuten endet. Häufigste Gründe: 1. Diskussionen um Wegweisungen, 2. Parkplatzsuche, 3. zu schnelles Fahren.

Für den Schweizer Verkehrspsychologen Peter Würsch ist die Situation im Auto eine mikroskopische Anordnung der Paarkonstellation: "Nähe, Intimität und Individualität prallen aufeinander wie unter einem Vergrößerungsglas. Das Freiheitsgefühl kollidiert mit dem Bedürfnis nach Sicherheit und Paare neigen dazu, zwischen diesen Polen einen rigiden Standpunkt einzunehmen, anstatt beide Qualitäten persönlich zu entwickeln."

Fairerweise muss man erwähnen, dass ein Beziehungsstreit im Wagen nicht in jeder Situation am Fahrstil des Mannes festzumachen ist. Ein unachtsamer Lenker rammte einst von hinten unser Fahrzeug. "Schatz, Herrgott! Pass doch auf!" Beifahrerinnen werden in ihrem Paarverhalten manchmal eben gesteuert von einem zentralen Punkt des Frauseins: dem Partner Vorwürfe machen.

Paarstreit im Auto lässt sich nicht vermeiden, sagt Peter Würsch. Man könne aber streitmildernde Begleitumstände schaffen, indem man etwa bei der Fahrt mehr Reggae hört, oder man steigt aus beziehungsökologischen Gründen paarweise auf den ÖV um. Dort kann man sich zumindest gemeinsam ärgern über Unannehmlichkeiten, an welchen man nicht selber unmittelbar beteiligt ist.

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst.  In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 27.08.2016

Wie wäre es mit der Nutzung des Angebots des ÖPV, hätte auch den Vorteil, viele -andere- nette Menschen kennen zu lernen und eröffnet die Perspektive auf ganz neue Erfahrungen im Leben. Auch die Hinweise zum zu verändernden Fahrstil kommen beim dortigen Lenker sicher gut an.  Und der Ehemann kann bei mit der vom eigenen Musikgeschmack (samt angemessener Lautstärke)  untermalten Fahrweise ganz entspannt seinen Ziel entgegen streben, ggf. auch mal neue Landschaften erfahren. Und am Ende haben sich alle ganz doll lieb. “Man muß sich nur ganz doll anstrengen. Dann schaffen wir das.”

Hjalmar Kreutzer / 27.08.2016

Es gibt Frauen und Männer, die viel mit dem Auto unterwegs sind und Männer und Frauen, die “Sonntagsfahrer” sind oder nur eine bestimmte vertraute Strecke fahren, andere Strecken oder Autobahnen ängstlich meiden. Beliebig viele Kombinationen gibt es dann mit mehr oder weniger souveränen Mitfahrern, die selbst Auto fahren oder auch nicht. Klassisches Gegenbeispiel zu Ihrer Glosse, Frau Wernli, ist die nur gelegentlich fahren dürfende Ehefrau und der daneben sitzende nörgelnde Ehemann. Vorschlag zur Güte: Wer fährt,, fährt und wird unterstützt, z.B. durch zweckdienliche ruhige Ansagen eines orientierten Beifahrers ohne Genörgel und Rechthaberei oder der Beifahrer ist einfach still und lässt den Fahrer machen, auch wenn er/sie andere Fahrgewohnheiten hat. Was natürlich auch bei Fahrerwechsel gelten soll.

JF Lupus / 27.08.2016

Liebe Frau Wernli, Sie müssen eine schwere Kindheit im Auto gehabt haben. Dennoch mein Tip an Sie: als Beifahrer Klappe halten. Mache ich auch.

Gabriele Klein / 27.08.2016

....oder man steigt aus beziehungsökologischen Gründen paarweise auf den ÖV um. “ Vorsicht, mit den Fahrkarten verhält es sich so wie mit den Losen in der Trommel, 90% sind Nieten. ...... Daher mein Tipp: Vergessen Sie den Klappstuhl nicht…...!!  Sicherheitshinweis:  Hocker und Stühle müssen DIN gerecht sein, sonst bekommen Sie Probleme mit der Bahn…...

Herwig Mankovsky / 27.08.2016

Dieses ,,nicht nach dem Wewg fragen” trotz drohenden Umweges - ich muss da lachen, zugegeben: ich erkenne mich darin,

Wieland Schmied / 27.08.2016

Zitat: “Der „Ich steig aus“-Sensor ist bei den meisten Männern intakt” Mit Verlaub, Verehrteste, dieser ‘Ausstiegs-Drohung’ (m)einer Frau würde ich sofort die Tat folgen lassen. Das ist gewiss.

Arthur Dent / 27.08.2016

Das Leiden des Beifahrers Sie fährt, ist ja schließlich ihr Auto, ich auf dem Beifahrersitz. 50m voraus staut es sich wegen der Rechtsabbieger auf der rechten Spur, Sie bremst und bleibt auf der rechten Spur, obwohl die linke Spur frei ist. Die Ampel wird rot. Naja, irgendwann wird sie auch wieder grün, Doch immer noch ein Rechtsabbieger vor uns. Auf der linken Spur fließt der Verkehr. Dann fahren wir wieder. 1 km weiter das gleiche Spiel ... Endlich angekommen - nein, ich habe sie nicht kritisiert, das habe ich schon lange aufgegeben - steige ich entnervt aus und schwöre mir das nächste Mal selbst zu fahren.  Lieber angepflaumt werden, als den Tod der Langsamkeit zu sterben. Liegt es daran, dass ich als Kind Fußball gespielt habe und es sich als vorteilhafter erwiesen hat, wenn man das Hindernis umläuft, als darauf zu warten, dass es irgendwann von selbst verschwindet? Ich weiß es nicht. Aber für mich und ich denke auch für viele andere Männer ist es ein Graus zu warten, wenn es doch andere Möglichkeiten gibt, in dem genannten Fall also nur die Fahrspur wechseln muss.

Emmanuel Precht / 26.08.2016

Ich nehme nur unter Zwang Frauen mit. Es geht mir gut. Danke!

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