Und wer alt war, galt als weise, und wer dick war, galt als stark.
Und den fetten Greisen glaubte man aufs Wort und ohne Arg.
Hübsch klang das, fast lyrisch. Jedenfalls für einen Agitprop-Song von 1966, dem Advent der sogenannten Studentenbewegung. Der Text, eine geklampfte Satire auf das überkommene, doch bereits im latenten Verwesungszustand befindliche Regime des postnazistischen Spätkapitalismus in der Bee-Ärr-Dee. Als sich die Reaktionäre nostalgisch ergötzten an den guten alten Zeiten (so der natürlich vollrohr ironisch gemeinte Titel des Liedes aus dem Album „Väterchen Franz“ des linken Barden Franz Josef Degenhardt).
Verdamp lang her, das. Kaum noch glaubhaft. Heute trauen viele Menschen eher jungem Gemüse als alten Säcken. Teenies rufen den Klimanotstand aus, Twens kreuzen vor Küsten, um die Dritte Welt in die Erste zu verfrachten. Studentinnen mit hübschen Schnuten, aus denen makellose Ahnungslosigkeit leuchtet, bekommen Posten in Aufsichtsgremien von Großkonzernen angeboten.
Die galoppierende Infantilisierung der Gesellschaft spiegelte sich in der Frage eines deutschen Mediums, ob Greta nunmehr „mit uns zufrieden“ sein könne. Um Heilandswillen, nein! Aber die Frage war sowieso rhetorisch.
Der Weltbösewicht ist nunmehr der Alte Weiße Mann (AWM). Er wird auch gern als „Boomer“ bezeichnet, weil er der Babyboom-Kohorte angehört. „Okay, Boomer“ ist die Variante von „Schnauze, Opa Umweltschwein.“
Am AWM arbeiten sich allerlei publizierende Frolleinwunder ab, zum Beispiel Sophie Passmann. Der AWM ist ein globaler Schädling, Quell jedweden Übels. Ein toxischer Gesell, besonders, wenn er auch noch ein HAWM ist, ein heterosexueller alter weißer Mann. Klicken Sie ein Foto von Henryk „Boomer“ Broder an, dann wissen Sie, wie der Prototyp ausschaut.
Das alles kommt nie wieder
Eigentlich geht ageing, Altersdiskriminierung, ja gar nicht in einer bunten, diversen, ausgrenzungsfreien Gesellschaft. Auch wegen der Rasse oder des Geschlechts sollte niemand vorgeführt werden. Aber erstens sind Rasse und Geschlecht wahrscheinlich gar keine fixen Gegebenheiten, sondern bloß Konstruktionen. Und zweitens macht man beim AWM gern mal eine Ausnahme. Schädlinge gehören weg.
Mir selber ist in meiner welken Haut dennoch ganz kannibalisch wohl als wie fünfhundert Umweltsäuen. Um einen sehr alt gewordenen, weißen Großdichter aus Weimar zu zitieren, der wohl nicht mal ein Fitzelchen schwul war. Das Behagen hat den Grund, dass ich meiner Jugend nicht übermäßig nachtrauere. Im Gegenteil. Jung sein, so kommt es mir vor, wird irgendwie immer schwieriger.
Flashback. Ohne viel Federlesen Sex haben, wenn sich’s so ergab. Futtern, was Muttern oder die Freundin oder ein Wirt auf den Tisch brachten, ohne das Zeugs auf 116 mögliche Unverträglichkeitsauslöser hin abzuchecken. Von einem wegen seiner exzellenten Manieren allseits geschätzten Menschen dunkler Hautfarbe als „Eddy der Neger“ zu sprechen, weil es im Bekanntenkreis noch einen anderen Eddy gab. Am dänischen Nordseestrand gewaltige Lagerfeuer aus teersattem Treibholz mit Altöl anfachen (richtige Großbrände waren das, wahrscheinlich bis England zu sehen). Das alles kommt nie wieder.
Und klar, auch damals, auch unter uns Jungs, wurde viel gequatscht, über Krieg, Autos, Mädchen, Rockmusik, die Mondlandung. Aber niemals wären wir auf Luxusmeisen verfallen, wie sie den gegenwärtig Jungen vom Befindlichkeitsstörungsberater „Die Zeit“ beziehungsweise seinem Kinderableger „ze.tt“ eingeimpft werden. Quietschender Quark wie im Jungspund-Spiegel „Bento“ oder auf dem Jugendportal „jetzt.de“ der „Süddeutschen Zeitung“ hat uns Boomer zum Glück nicht belästigt. Schaumwörter wie Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit, Identität oder Diversity konnten uns noch nicht die Laune vergällen.
Und heute? Da wächst eine Generation heran, die noch vor „Mama“ und „Papa“ die Wörter „Klima“ und „CO2“ brabbeln kann. Die Hysterie um Klimaschutz hat Züge angenommen, gegen welche die Kreischorgien während der Beatlemania in den 1960ern artige Events waren. Dann schon lieber alter weißer Mann.
Her mit dem T-Bone-Steak
Vorteile des alt und weiß Seins: Man muss keine Gendersternchen setzen, keine Flugscham heucheln, nicht so tun, als wollte man sich irgendwann ein Elektroauto anschaffen. Her mit dem T-Bone-Steak, wenn’s was taugt! Und was uns am Urlaubshotel zuallerhinterletzt interessiert, ist dessen Klimabilanz. Die benutzten Badehandtücher auf den Boden, ab in die Wäsche damit!
Gut, im Alter hat man gelegentlich Rücken oder eingewachsene Zehennägel. Verträgt nicht mehr so viel Alkohol, kommt beim Wandern und anderen Verrichtungen schneller aus der Puste. Aber was ist das schon gegen die Zumutungen, denen junge Menschen aktuell ausgesetzt sind?
Immer die Endgeräte auf dem neuesten Standard halten! Durch die man dann womöglich Mobbing erfährt. Zum Beispiel, wenn man sich in asozialen Netzwerken aus dem Fenster hängt und dafür verbal einen auf die Mütze kriegt von Typen, die sich ebenfalls gern aus dem Fenster hängen. Die Mobbingbeauftragte: machtlos.
Fragen, immerfort Fragen. Wie kriege ich diese peinlichen Partyfotos von Facebook oder Tinder runter, ehe sie in der Schule zirkulieren? Ist der Ahmed aus meiner Klasse wirklich so ein blöder Macho? Oder denke ich das nur, weil ich den Rassismus der Eltern verinnerlicht habe und Ahmeds kulturellen Hintergrund nicht verstehe? Kann ich weiter die Laura daten, obwohl ihr großer Bruder neuerdings bei den Rechtspopulisten mittut?
Wie anstrengend ist das denn: sich permanent damit beschäftigen, welche Umstände was mit einem machen. Vegetarisch, vegan, frugan oder lieber gar nicht essen? Verfügt die Uni über geschützte Räume, in welche Schneeflöckchen flüchten können, sollte im Audimax jemand mal etwas vortragen, das total menschen-, frauen- und/oder klimafeindlich ist? Darüber nachsinnen, ob man Mann, Frau oder irgendwas in vierundsechzig Abstufungen dazwischen ist?
Mann oder Frau, wer weiß das genau? Sissis aller Geschlechter kriegen schon die Krise, wenn sie beim Zappen versehentlich auf einen alten Film mit dem skandalösen Titel „Wie herrlich, eine Frau zu sein!“ stoßen. Unfassbar, diese Sophia Loren! Was hatten die Frauen früher bloß für ein Bewusstsein?
Das moralische Oberhaupt der besseren Welthälfte
Akif Pirinçci, der Bonner Rapper und Fährtenhund für Gender-Gaga, stellt auf seinem Blog manchmal Debatten vor, die den Rahmen alles im Vollrausch Vorstellbaren sprengen.
Zugegeben, keinen Hau zu haben, kann von Nachteil sein, aufmerksamkeitsökonomisch gesehen. Aber es beruhigt. Kaum ein Weltuntergang wird ja so heiß gegessen, wie er gekocht wird. Wer alt ist, hat zig Untergänge überlebt.
Für mich das Beste am alt und weiß sein: Ich werde den Ausgang der „gigantischen Transformation“ verpassen. Welche das moralische Oberhaupt der besseren Welthälfte uns kürzlich in Aussicht gestellt hat. Etwas unscharf freilich, für einen Zeitraum „in den nächsten 30 Jahren“.
Immer diese ambitionierten Pläne! Warum nur gehen sie zumeist in die Hose? Unvergessen bleibt der „Große Sprung nach vorn“ in Maos Sklavenstaat, ein Vorläufer der Merkelschen „Energiewende“. Ebenso legendär: die Früchte des ersten 5-Jahr-Plans der ruhmreichen Sowjetunion.
Nebenbei, vor 100 Jahren trat in den USA die Prohibition in Kraft, auch bekannt als The Noble Experiment. Sie sorgte für Konjunktur. Und zwar in der Sparte des organisierten Verbrechens. Das nie wieder verschwand, auch nicht nach 1933, dem formalen Ende des Trockenlegungsversuchs. Kurz, gigantische Vorhaben erweisen sich gewöhnlich als, sagen wir, nicht hilfreich.
Aber wer weiß? Vielleicht fällt das noble Klimaexperiment der Frau Merkel auch einfach flach, mangels Zuspruch der restlichen Welt.
Stell dir vor, es ist Gigantische Transformation und keiner geht hin.