Von Uli André
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung und Berichterstattung war die Kohlekommission keineswegs ein ergebnisoffenes, gesamtgesellschaftliches und vor allem überparteiliches Gremium. Die Vorstellung, insbesondere die Zukunft des medial heftig umkämpften, letzten heimischen grundlastfähigen Energieträgers, der Braunkohle, überließe man in Deutschland einer dem Allgemeingut verpflichteten, nahezu altruistischen Kommission, ist kindisch naiv.
Die in der Kommission letztlich vertretenen Personen und gesellschaftlichen Gruppen waren handverlesen. Die Mehrheitsverhältnisse in der Kommission insgesamt und auch die wichtige Verteilung von energiewirtschaftlicher Expertise begünstigen deutlich die Umweltszene und die für ihr Partikularinteresse streitende Energiewirtschaft.
Wesentliche Betroffene, wie der Bund der Steuerzahler, die Verbände der energieintensiven Industrie oder Vertreter der Oppositionsparteien im Bundestag, die die grundsätzliche Zielrichtung des zu erreichenden Kompromisses erschwert hätten, waren nicht beteiligt. Als einzige Oppositionspartei waren die Grünen über ihren außerparlamentarischen NGO-Arm trotz des Jamaika-Aus 2017 wieder mit von der Partie.
Ihren Arbeitsauftrag hatte die Bundesregierung zudem in einem Einsetzungsbeschluss bewusst in ein sehr enges Klimaplan-Korsett zur Erfüllung der eigenen Überzeugungen und Pläne geschnürt. Was das alles mit Allgemeingütern wie effizientem Klimaschutz oder gesunden Staatsfinanzen zu tun haben soll, blieb vielen Beobachtern bis zuletzt schleierhaft. Hohe Kosten für den Steuerzahler werden einen letztlich überschaubaren und international nicht zum Vorbild taugenden Klimaschutzbeitrag erkaufen.
Kernauftrag für die sorgfältig ausgewählten Interessenvertreter in der Kohlekommission war – neben dem Finden eines Abschlussdatums der Kohleverstromung in Deutschland und „kurzfristiger Maßnahmen“ (bis 2022) zur Reduktion einer „Klimalücke“ – die Erfüllung des „Sektorziels“ zur Treibhausgasreduktion für die Stromwirtschaft 2030. Nur Insider des politischen Berlins wissen, dass dieses Ziel aus dem Klimaschutzplan der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 stammt. Die Stromwirtschaft in Deutschland soll gemäß diesem Plan ihre Treibhausgasemissionen auf 175 bis 183 Mio. t CO2 im Jahr 2030 reduzieren.
Die Mitglieder der Kohlekommission sollten lediglich über ein sehr eingeschränktes „Wie“ dieser Treibhausgas-Reduktion – mehr Erdgas, weniger Kohle, mehr erneuerbare Energien, mehr Flexibilisierung der Stromnachfrage und so weiter – sprechen und „geeignete Maßnahmen“ empfehlen. Beim „Wie“ diskutierte die Kommission jedoch schon nicht mehr alle theoretisch verfügbaren Optionen. Ein Aussetzen des aus wahltaktischen Gründen 2011 über Nacht überhastet beschlossenen Atomausstiegs im Jahr 2022 oder die Ausrüstung von Kohlekraftwerken mit Technologien zur Abscheidung, Speicherung oder Nutzung von Kohlenstoffdioxid (CCS/CCU) sollte für Deutschland in den Diskussionen – unabhängig von ihren praktischen Implikationen – politisch gewollt keine Rolle mehr spielen. Letztlich ging es um eine wenig technologieoffene Fixierung auf die Kohleverstromung.
Weshalb machen gestandene Persönlichkeiten so etwas mit?
„Ob“ die im Klimaschutzplan 2016 dargelegten Reduktionspläne der Ministerien überhaupt sinnvoll oder machbar sind, stand laut Einsetzungsbeschluss überhaupt nicht zur Debatte. Diese viel grundsätzlichere Frage wurde höchstens noch von den Kumpels aus der Lausitz, die des Trommelns vor dem Bundeswirtschaftsministerium während der häufig zähen Sitzungen der Kohlekommission nicht müde wurden und zahlenmäßig den bürgerlichen, hippen und vor allem medial omnipräsenten „Klima-Kids“ von „Fridays for Future“ durchaus entsprachen, an die Kommission herangetragen. Jeder Hinweis auf möglicherweise effizienteren Klimaschutz in anderen Teilen der Volkswirtschaft, außerhalb der bereits auf EU-Ebene durch den Emissionshandel hinreichend regulierten deutschen Stromwirtschaft, konnte mit dem formellen Hinweis, „dies sei nicht Teil des Einsetzungsbeschlusses“ verworfen werden.
Die honorigen Kommissionsmitglieder, die ja schließlich als Vertreter eines breiten gesellschaftlichen Spektrums berufen waren, sollten nach dem Verständnis der Regierung letztlich also schlicht die genuine Aufgabe der ohnehin personell in den letzten Jahren aufgeblasenen Bundesministerien für Umwelt sowie Wirtschaft und Energie leisten (siehe hier). Sie sollten den Bundesbeamten so lediglich dabei helfen, „geeignete Maßnahmen“ für die Ziele der Regierung zu finden. Man muss sich die Frage stellen, weshalb gestandene Persönlichkeiten so etwas mitmachen.
Dass weder das Sektorziel noch der Klimaschutzplan insgesamt bisher in Gesetzesform gegossen wurden, ja sich noch nicht einmal stringent aus dem oft zitierten Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 ergeben, war nie Gegenstand der Diskussion in der Kohlekommission. Zur Erinnerung: Die Sektorziele und der Klimaschutzplan, nach denen sich von nun an peu à peu in den nächsten Jahren zuerst die deutsche Stromwirtschaft und dann die gesamte Volkwirtschaft nach den Vorstellungen der Berliner Öko-Bürokraten auszurichten haben, waren 2016 kein Projekt des Parlaments und haben bisher keinen Gesetzesrang. Dazu soll es erst jetzt kommen. Das Umweltministerium hat prompt nach dem Ende der Kohlekommission einen ersten Referentenentwurf in die Ressortabstimmung gebracht.
Der Klimaschutzplan als analytisches Rückgrat des im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD generell vorgesehenen Gesetzes wurde hauptsächlich in den Ministerien nach Beratung durch grüne Think Tanks und Institute erstellt. Anschließend bekam er öffentliche und gesamtgesellschaftliche Weihen dank eines Bürger-Dialogs mit zufällig ausgewählten Bürgern. Das lästige Parlament, als einziges hinreichend demokratisch legitimiertes Gremium der Bürger, kam bei diesem potenziell gewaltigen Umbauplan für das Land nur am Rande vor.
Genau deshalb gab es rund um die Verabschiedung im Bundeskabinett 2016 vor allem von Abgeordneten der Unionsfraktion Kritik am Vorgehen. Waren doch beide federführenden Ministerien in der Hand der Sozialdemokraten. Das Wirtschaftsministerium stand zu diesem Zeitpunkt sogar unter der Leitung von Rainer Baake, einem Politiker der Grünen, der zuvor Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe war und als einer der geistigen Väter der Energiewende gilt.
Wie aus dem Gruselkabinett der Establishment-Feinde
In der Union regte sich zu recht Widerstand, wie man heute feststellen darf. Es klingt wie aus dem Gruselkabinett der Establishment- und Energiewende-Feinde. Ministerien erstellen im Team mit NGOs und zufällig ausgewählten Bürgern im außerparlamentarischen Raum – und somit fernab der üblichen Checks & Balances – mehr oder weniger bekannte Klimapläne. Diese kommen zu Beginn unschuldig, nahezu akademisch daher. Wer kann schon etwas dagegen haben, dass Regierungen schließlich vorausschauend handeln möchten, gerade wenn es um so langfristige und komplizierte Dinge wie Klimaschutz geht? Indem die Ministerien aber in dieser Phase das Parlament umgehen, fällt ein mächtiger „Veto-Spieler“ aus. Das Parlament kann schließlich ohne weiteres die ambitionierten Pläne aufgrund der realen tagespolitischen Interessenskonflikte und Kompromisse zu leicht entgleisen lassen.
Im nächsten Schritt werden die zunächst unschuldigen Klimapläne dann in außerparlamentarischen Kommissionen zementiert. „Gesamtgesellschaftliche Gruppen“ geben in diesen Formaten – neben der Kohlekommission gibt es derzeit noch weitere Gremien für Mobilität und voraussichtlich für den Gebäudesektor – dann ihr Grünes Licht für die Pläne der Bundesregierung.
Dieses gesellschaftliche Grüne Licht dient nun wiederum als Legitimation für ein möglichst hartes Klimaschutzgesetz. Ganz auslassen kann man das Parlament schließlich nicht. Die Abgeordneten werden von den federführenden Ministerien und der außerparlamentarischen NGO-Front jedoch in dieser Phase mit dem Argument überfahren, dass ein solches Klimaschutzgesetz „alternativlos“ sei. Schließlich gäbe es ja bereits das gesamtgesellschaftliche „OK“.
Der einzelne Parlamentarier stelle sich also bei einem negativen Votum gegen den gesellschaftlichen Willen. Somit wird auch der letzte aufrechte Kritiker der Regierungspläne müde. Man muss kein Billiard-Profi sein, um hier ein ausgeklüngeltes Spiel über Bande zu erkennen. Das Spiel reicht sogar über Berlin heraus bis nach Brüssel, schließlich drohen Strafzahlungen für den Fall der mangelhaften Zielerreichung in den Nicht-ETS-Sektoren. Das Problem ist nur, dass von einem gesamtgesellschaftlichen Konsens keine Rede sein kann.
Die Kohle-Lobby wollte Entschädigungen mitnehmen
Bei der Betrachtung der Mitglieder der Kohlekommission fällt auf, dass vor allem potenziell negativ Betroffene kaum oder überhaupt nicht am Tisch saßen. Natürlich setzten sich die Gewerkschaften, vertreten durch ver.di, die IGBCE und schließlich den DGB, für die heute in der Kohlewirtschaft Beschäftigten ein. Deren Fall ins „Bergfreie“ soll mit adäquaten Sozialmaßnahmen verhindert oder zumindest abgefedert werden. Natürlich verhandelten die Wirtschaftsvertreter von DIHK, BDI und BDA im Auftrag des produzierenden Gewerbes um bezahlbare, wettbewerbsfähige Strompreise und Versorgungssicherheit.
Vor allem aber versuchte die Stromwirtschaft, vertreten von BDEW und VKU, die Eigentums- und Profitinteressen der Kohlewirtschaft maximal zu vertreten. In einer unwahrscheinlichen Allianz mit den Umweltverbänden sahen dabei jedoch Teile der Stromwirtschaft letztlich die Chance, sich absehbar unprofitable Kraftwerke vom Steuerzahler in einem politischen Kohlekompromiss abkaufen zu lassen, um die Kraftwerke ein paar Jahre früher als ohnehin geplant stilllegen zu können.
Das politische „Window of opportunity“ und der erfolgreiche „Regulatory capture“ spiegeln sich in einem deutlichen Anstieg der Aktienkurse einiger deutscher Stromversorger an den Börsen in den Tagen nach Veröffentlichung des Abschlussberichts wider. Auch die stetigen Appelle der Stromwirtschaft an die Politik, den Kompromiss der Kohlekommission nun rasch umzusetzen, ergänzen das Bild. Im Korsett der Kohlekommission und im Angesicht dieser mächtigen Phalanx von Umweltverbänden und Energiewirtschaft optimierte sich letztlich jedes Mitglied der Kohlekommission dahingehend, dass die eigenen, partikularen Prioritäten möglichst gewahrt blieben. So liest sich dann auch der Abschlussbericht der Kommission. Die Handschrift der verschiedenen Akteure ist in dem Flickenteppich aus Textbausteinen deutlich erkennbar.
Was ebenfalls erkennbar wird, ist, dass die Zustimmung zu einem Kohle-Kompromiss teuer erkauft werden musste. Jede Interessensgruppe machte ihre Zustimmung von möglichst handfesten, im Bericht verankerten finanziellen Zusagen abhängig. Den Kommissionsmitgliedern gelang somit nebenbei ein Novum in der bundesdeutschen Energiewende-Story. Ob bewusst oder unbewusst, versahen sie die klimapolitischen Pläne der Regierung erstmals mit einem für die Politik und den Bundeshaushalt auch relevanten Preisticket. Zuvor standen entweder die Vorstellungskraft der meisten Bürger ohnehin sprengende, abstrakte Größenordnungen in Billionenhöhe oder marginalisierende „Eiskugel-Vergleiche“ im Raum.
Der Kompromiss der Kohlekommission kostet den Steuerzahler jetzt jedoch, für alle absehbar, bis 2030 rund 70 Milliarden Euro, die für Entschädigungszahlungen an die Kraftwerksbetreiber, für Umrüstungen von Kohle auf Gas bei Kraftwerken der Reserve, für die strukturelle Entwicklung in den betroffenen Regionen oder für einen Zuschuss zu den Netzentgelten zur Teilstabilisierung der Strompreise verwendet werden. Durch den schnelleren Umstieg auf Erdgas werden diese Stromkosten dennoch weiter steigen, weil nicht zuletzt zusätzliche Übertragungsnetze gebaut werden müssen oder deren Bau zumindest zeitlich vorgezogen werden muss.
Der Bund der Steuerzahler war nicht eingeladen
Bisher konnten die Kosten der Energiewende stets vom Bundeshaushalt – auch aus EU-beihilferechtlichen Gründen – ferngehalten werden. EEG-Umlagen, Netzentgelte und zuletzt auch eine 2016 eingeführte Sicherheitsbereitschaft für alte Kohlekraftwerke wurden auf die deutschen Stromverbraucher umgelegt. Somit entstand ein milliardenschwerer „Schattenhaushalt“, der den Handlungsspielraum der Politik beim Bundeshaushalt nicht einschränkte. Eine erneute Belastung der Stromverbraucher mit dem Großteil der entstehenden Kosten schließt der Abschlussbericht der Kohlekommission aus (Steigerungen der Strompreise wird es dennoch aufgrund der häufigeren Preissetzung durch Erdgas in einer noch unklaren Höhe geben).
Wenn die Politik diese Art der Energiewende also will, muss sie immerhin dieses Mal die Maßnahmen aus ihrem eigenen Haushalt bezahlen, so jedenfalls die Empfehlung der Kommission. Dem Bürger kann es letztlich nahezu gleich sein. Er zahlt so oder so, über die Strompreise oder eben über ausbleibende Steuersenkungen.
Negativ betroffen bleiben also vor allem die Steuerzahler und die ihrer Haupteinnahmequelle absehbar entzogenen Regionen. Jeder von der Kohlekommission veranschlagte Euro wird nicht mehr für andere politische Ziele, beispielsweise zur Senkung oder Abschaffung des Solidaritätszuschlages, für den Ausbau der digitalen Infrastruktur oder auch zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO, zur Verfügung stehen.
Auf der Liste der gesamtgesellschaftlichen Akteure in der Kohlekommission fehlte deshalb auch konsequenterweise der Bund der Steuerzahler. Deren Vertreter hätten dem Kompromiss wohl öffentlichkeitswirksam kaum zustimmen können. Auch die Vertreter der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg waren – wie auch einzelne Abgeordnete der Regierungsfraktionen des Bundestags – nur als Gäste, jedoch ohne Stimmrecht, an den Gesprächen beteiligt. Sie übten zumindest über Proxys, beispielsweise über die ehemaligen Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen, Matthias Platzeck und Stanislaw Tillich, oder über weitere Regionalvertreter Einfluss auf die Kommissionsarbeit aus. Sie sorgten so durch eine Intervention auf höchster Stelle im Bundeskanzleramt im Dezember dafür, dass die Kommission sich doch noch ausführlicher mit Strukturpolitik beschäftigen musste und somit der ursprüngliche Zeitplan in Verzug geriet.
Die Erfahrungen mit Strukturwandel sind ernüchternd
Die Bundesländer werden mit der wirtschaftspolitischen Belastung eines vorgezogenen Ausstiegs aus der Kohleverstromung in ihren Regionen schließlich auch dann noch umgehen müssen, wenn alle heute weit überdurchschnittlich verdienenden Kohlearbeiter längst den Vorruhezustand erreicht oder mit entsprechenden Sozialpaketen abgefunden wurden. Aber dann, wenn sich die wahren Herausforderungen des Strukturwandels erst offenbaren, werden die heutigen politischen Vertreter der Länder schon längst nicht mehr im Amt sein.
Die Erfahrungen mit Strukturwandel in anderen deutschen Regionen bieten kaum Anlass zu Optimismus, dass es dieses Mal bedeutend anders verlaufen wird. Warum sollten Investoren schließlich in die Lausitz gehen, wo sie doch in Polen oder in Tschechien, unmittelbar auf der anderen Seite von Oder und Neiße, geringere Steuern, geringere Strompreise und insgesamt eine wachstumsfreundlichere Politik vorfinden? Handfesten Rückenwind aus Berlin bekommt der deutsche Osten derzeit nicht.
Nach Abschluss der Kohlekommission wird es nun darauf ankommen, dass die Politik ihre Verantwortung und ihre Rolle als Weichensteller für die klima- und wirtschaftspolitische Entwicklung des Landes annimmt und die erzielten Kommissionsergebnisse mit Blick auf das Allgemeinwohl kritisch beurteilt. Dabei sollte sie nicht davor zurückschrecken, den Konflikt mit Teilen der ministerialen Exekutive, der NGO-Szene und auch der Energiewirtschaft zu führen. Dies wird allein aufgrund der absehbar geringeren Steuereinnahmen und der sich abzeichnenden Rezession unabdingbar sein. Wenn langfristig Klimaschutz nur dann machbar ist, wenn er teuer erkauft werden kann, wird die deutsche Energiewende endgültig zum Ladenhüter.
Der Name Uli André ist ein Pseudonym. Der Autor dieses Beitrags war sehr nahe dran am Geschehen und berichtet aus erster Hand.