Objektivität, Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt sowie Ausgewogenheit: Diese Grundsätze in Artikel 11 des Rundfunkstaatsvertrages der Bundesländer beschreiben quasi die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland trotz zahlloser privater Rundfunk- und sonstiger Informationsanbieter. Sie sind vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei Angebot und Berichterstattung zu berücksichtigen.
Wörtlich lautet Artikel 11 Absatz 2:
„Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“
Ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten diesem hehren Anspruch jemals gerecht geworden sind, mag hier offenbleiben. Schließlich entstand schon das ZDF bekanntlich als Gegengewicht gegen eine von der CDU damals als zu linkslastig empfundene Berichterstattung durch die Rundfunkanstalten der ARD.
Zumindest wird von Vertretern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seit jeher betont, daß man um Objektivität und Unparteilichkeit bemüht sei. Was von diesen wohlfeilen Beteuerungen zu halten ist, ist den Aussagen zweier ARD-Journalisten in aller Deutlichkeit zu entnehmen. Ganz offen erteilen sie dem Bemühen um Objektivität und Unparteilichkeit eine klare Absage und entlarven dieses Bemühen als Lebenslüge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie werben stattdessen für einen Haltungs- oder Gesinnungsjournalismus.
Bereits 2015 äußerte der Leiter des Tagesschau-Fakten(er)finders, Patrick Gensing, vormals freier Mitarbeiter der fragwürdigen Amadeu Antonio Stiftung, dass Journalismus vor allem eine Haltung vermitteln solle. Wörtlich sagte er in einem Interview:
„Ich glaube, dass man die Leute eher gewinnen kann, wenn im Journalismus eine Haltung vertreten wird, als wenn man da irgendwie einfach nur Fakten angehäuft werden. Das ist in meinen Augen auch überhaupt nicht Journalismus.“ Kurz gesagt: Gesinnung statt Fakten. Insofern ist das gespannte Verhältnis des Faktenfinders zu Fakten nicht sehr verwunderlich.
Anwälte ohne Mandat
In ähnlicher Weise äußerte sich kürzlich auch der Moderator des ARD-Politikmagazins Monitor, Georg Restle. Er schrieb in der Juli-Ausgabe von WDR Print: „Die Forderung an uns [Journalisten] klingt dabei immer gleich: Objektiv sollen wir gefälligst sein, neutral und ausgewogen.“ Diese Sichtweise kritisiert Restle und plädiert stattdessen für einen „werteorientierten Journalismus statt blinder Neutralität“. Er wolle zwar unabhängig und unbestechlich sein (Anmerkung: das sollte doch wohl ohnehin selbstverständlich sein), aber nicht neutral.
Restle sieht Journalisten, die behaupten neutral zu sein, als Lügner an, weil niemand wirklich neutral sein könne. Er lehnt ausdrücklich die Ansicht des früheren Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrichs ab, wonach man sich als Journalist mit keiner Sache, auch nicht mit einer guten, gemein machen solle. Und er beruft sich auf den Journalisten Egon Erwin Kisch, der sich als (parteiischer) Anwalt der Geschmähten und Unterdrückten verstand. (Anmerkung: Sich als Anwalt – von wem auch immer – zu verstehen, ohne dazu von irgendjemanden ein Mandat zu haben, ist eine Anmaßung.)
Natürlich ist jedes menschliche Tun unvollkommen und somit auch eine 100prozentige Neutralität nicht möglich. Selbstverständlich fließen die eigenen Überzeugungen auch unbewusst in die Arbeit ein. Und natürlich gilt auch für Journalisten die Meinungsfreiheit. Das alles ist eine Binse.
Doch darf man von Journalisten – insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – erwarten, dass zumindest das ehrliche Bemühen um Objektivität und Überparteilichkeit erkennbar ist; dass der Einsatz für eine Sache nicht mit einem Anspruch auf die alleinige Wahrheit verbunden wird; dass andere Sichtweisen offen dargestellt werden, so dass Zuschauer und Leser sich ihre eigene Meinung bilden können und ihnen nicht eine bestimmte Meinung als angeblich richtige aufgezwungen wird.
„Haltung“ und „Werte“ vermitteln
Restle und Co. wollen einen solchen offenen Meinungsbildungsprozess nicht unterstützen. Sie wollen vorrangig „Haltung“ und „Werte“ vermitteln, natürlich ihre Werte oder was sie darunter verstehen. Sie wollen nicht überparteilich sein, sondern parteiisch. Sie wollen erziehen und praktizieren das, was man zu Recht Gesinnungsjournalismus nennt, ohne Rücksicht auf die Grundsätze im Rundfunkstaatsvertrag.
Das wäre an sich auch gar kein Problem, wenn da nicht der Umstand wäre, dass sie nun einmal Angehörige des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind und sie aus Zwangsgeldern aller Bürger alimentiert werden. Denn im Rundfunkstaatsvertrag sind eben die Grundsätze von Objektivität, Überparteilichkeit und Ausgewogenheit ausdrücklich festgelegt.
Diese mögen als Bestimmungen eines Staatsvertrages zwar nicht direkt den einzelnen Rundfunkmitarbeiter binden. Doch was ist von Mitarbeitern zu halten, die diese an ihren Arbeitgeber gerichteten Grundsätze infrage stellen (noch dazu nicht nur für sich persönlich, sondern allgemein) und für deren Nichtbeachtung – also für nichts anderes als Rechtsbruch – plädieren?
Restle & Co. wollen einen anderen Journalismus, als er von Landesregierungen und Landesparlamenten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgegeben ist. Dies zu wollen, ist ihr gutes Recht, macht sie jedoch ungeeignet für eine herausgehobene Position in den öffentlich-rechtlichen Medien. Wer so wie sie denkt, mag beim Vorwärts oder Neuen Deutschland, bei Bild, dem Tagesspiegel oder der Süddeutschen Zeitung anheuern, also bei privaten Tendenz-Medien, die keinem Rundfunkstaatsvertrag unterworfen sind. Und der kann dann dort, wie gerade erst der Verband der deutschen Zeitungsverleger (Focus, Stern, Spiegel usw.), mit dem Ehrenpreis 2018 der Bundeskanzlerin für ihre politische Gesamtleistung huldigen.
Mitfühlen, Empathie wecken – Gefühl statt Verstand
Ein weiteres aktuelles Beispiel für einen in den öffentlich-rechtlichen Medien immer häufiger anzutreffenden Gesinnungsjournalisten ist Juliane Leopold. Nicht gerade bekannt für journalistische Kompetenz ist sie seit Juli 2018 neu im Amt als Leiterin des Digitalangebots der ARD-Tagesschau. Vorher war sie beim bisher nicht besonders erfolgreichen deutschen Ableger des US-Medienportals BuzzFeed tätig, einem Unterhaltungsportal mit der Zielgruppe junge Menschen. Einen Einblick in ihr journalistisches Selbstverständnis gab sie mit folgenden Worten laut einem Beitrag in der Zeitschrift TV Diskurs:
„Auch Reportagen kommen auf die Seite. Wir haben eine große Geschichte gemacht vom Lageso in Berlin. Da ist eine Kollegin hingefahren und hat Flüchtlinge porträtiert. Aber eben auf eine BuzzFeed-Art. Es ist kein klassisches dpa-Stück geworden. Sondern es geht um Empathie, ums Mitfühlen.“
Mitfühlen, Empathie wecken – Gefühl statt Verstand. Da sind Fakten nicht unbedingt „hilfreich“. Insofern passt Leopold sicher gut ins Tagesschau-Team. Der Anspruch des Hans Joachim Friedrichs an Journalisten ist dort Vergangenheit.
Nun mag man einwenden, was sind schon zwei, drei kleine ARD-Redakteure. Doch der Umstand, dass deren offene Ablehnung der oben genannten Grundsätze des Rundfunkstaatsvertrages keinerlei Konsequenzen hat, dass weder Kollegen noch Vorgesetzte gegen diese Art von Journalismus protestieren, dass sie weitermachen dürfen wie bisher, zeigt: Diese Art Journalismus ist in den öffentlich-rechtlichen Medien weitgehend akzeptiert – und auch gewollt, wie die Einstellungspraxis bestätigt. Insofern hat die entwaffnende Offenheit dieser Journalisten ein Gutes: endlich Schluss mit der Heuchelei, man sei ja objektiv, neutral, ausgewogen und so weiter und so weiter. Schluss mit der Lebenslüge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Volle Zustimmung und Vielen Dank für die treffende Analyse. Ich erinnere mich an die Zeiten von Karl-Heinz Köpke - ein Nachrichtensprecher, der stolz war, Fakten vorzulesen - möglichst klar und neutral. Er häte nie eine persönliche Einschätzung einfließen lassen - weder direkt noch indirekt. Und er genoß - gerade deswegen - eine ungeheure Popularität in der Bevölkerung. In gewisser Weise änderte sich dieses Berufsethos mit Ulrich Wickert, der gerne ein Bonmot allgemeinphilosophischer Art zum Besten gab. Das war noch nicht "Haltung" oder "Gesinnung", selten einzuordnen in links oder rechts, aber eben schon eine Abkehr vom reinen "Nachrichtenvorleser". Heute machen Nachrichtenspecherinnen in der Sendung kritische Interviews und müssen deutlich machen, daß sie auf der "richtigen" Seite stehen.