Ulli Kulke / 04.10.2012 / 10:53 / 0 / Seite ausdrucken

Die Lebenserwartung steigt: Eine Schreckensnachricht?

Die Lebenserwartung im Land steigt sprunghaft. Das passt nicht zusammen mit dem Gerede davon, dass wir immer schlechter essen und uns die Schulmedizin kaputt macht.

Wir werden immer älter. Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes können neugeborene Mädchen heute damit rechnen, fast 83 Jahre alt zu werden, neugeborene Jungen fast 78. Auch für die heutige Rentnergeneration gilt: Sie werden im Durchschnitt erheblich älter als ihre – zeitlich versetzten – Altersgenossen vor ein, zwei Jahrzehnten. Die Lebenserwartung der Deutschen steigt in jedem Kalenderjahr um zwei bis drei Monate!

Nun kann man sich darüber streiten, ob wir alle uns darüber freuen sollen oder lieber doch davor fürchten, dass die Gesellschaft überaltert. Niemand kann bezweifeln, dass heutige 65-jährige – körperlich und geistig – erheblich agiler sind als dieselbe Altersgruppe in den 70er Jahren. Tennisplätze, Joggingpfade, Klettersteige und ähnliches sind schon heute fast reine Rentner-Parcours. Vor einer Generation noch undenkbar, zahlenmäßig wie konditionell. Quantitativ wie qualitativ spricht deshalb auch alles dafür, dass die Menschen wenigstens ein paar Monate länger arbeiten. Natürlich, ja, ja, gewiss, kommt nun die Klage, dass Arbeitsplätze für Alte fehlen. Mag ja sein, für manchen Jüngeren übrigens auch. Die Statistik sagt uns aber, dass heute wieder deutlich mehr aus der Altersgruppe über 60 in Lohn und Brot sind sind als noch vor einigen Jahren, Tendenz steigend. Die Richtung passt also, warum sollen wir davor die Augen verschließen? Doch darum soll es hier eigentlich gar nicht gehen.

Wichtiger ist die Feststellung: Die steigende Lebenserwartung ist ein Zeichen dafür, dass es uns immer besser geht. Oder werden wir immer älter, weil es uns schlechter geht? Aus innerer Trotzhaltung heraus etwa?

Die medizinische Versorgung – und da spielt nach wie vor die oft so verpönte Schulmedizin die größte Rolle – ist dafür verantwortlich wie auch die Ernährung, die uns offenbar doch nicht umbringt, auch wenn der Zeitgeist genau dies oft genug vorgaukelt. Die Nahrungssicherheit ist erheblich größer geworden. Man ist, was man isst, und das hat eben auch Einfluss auf die Gesundheit. Wenn es bei einem großen Catering-Unternehmen fürs Schulessen jetzt einmal Probleme gab, beherrscht das zwar tagelang die Nachrichten (zu Recht, um die Sicherheitsstandards aufrecht zu halten). Zum einen ist dadurch aber niemand wirklich ernsthaft zu Schaden gekommen. Zum zweiten kann keiner ehrlich behaupten, dass Mamis Wurststullen stets und republikweit frei von Bakterien oder Schimmel wären, oder kleinere Betriebe vor Skandalen gefeit. Einen Startvorteil haben die allerdings: Ihre begrenzte Reichweite schützt sie davor, mit einer vergammelten Lieferung in die Abendnachrichten des ZDF zu kommen.

All das sollte denen zu denken geben, die nicht ablassen wollen von ihren Forderungen an Papi Staat, der uns im besten Paternalismus mit Lebensmittelampeln, öffentlich-rechtlichen Restaurant-Ratings, Bionahrung für Alle und Ähnlichem beglücken soll. Ganz nebenbei straft die rapide steigende Lebenserwartung auch alle diejenigen Lügen, die da meinen, wir würden immer stärker von Elektrosmog vergiftet, von Strahlen verkrebst, vom Feinstaub hingerafft.

Eines war jetzt, im Zusammenhang mit den neuen Zahlen zur Lebenserwartung, unausweichlich und erwartbar: Die Feststellung, dass reiche Menschen älter werden als arme. Wer meint, anspruchsvoll und kritisch zu berichten, kann auf den Schlenker nicht verzichten, nachdem das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Robert-Koch-Institut dies jetzt ermittelt haben.

Es wird wohl stimmen. Alles andere hätte mich ehrlich gesagt auch zutiefst gewundert. Die Frage ist nur, warum dies nicht bei allen anderen Lebensbereichen ständig ebenso betont wird: Reiche haben die größeren, schöneren Wohnungen und Häuser, fahren die dickeren (und sichereren) Autos, machen die besseren Urlaubsreisen, tragen die besseren Klamotten. Reiche Männer haben die schöneren Frauen (reiche Frauen auch mal die jüngeren Männer). Statistisch alles belegt, an Forschungsgeldern für solche Selbstverständlichkeiten mangelt es nicht, man scheint es mit wachsender Begeisterung zu lesen. Natürlich können sich Wohlhabende auch die bessere Nahrung und die bessere Medizin leisten. Und: Sie haben die bessere Bildung – und deshalb ein höheres Gesundheits- und überhaupt allgemeines Zukunftsbewusstsein, kochen besser und vielfältiger, geben mehr für die Gesundheit aus – alles im Durchschnitt, wohlgemerkt. DIW und RKI sagen übrigens auch, dass die Unterschiede in der Lebenserwartung nicht nur im geringeren Budget begründet liegen.

Verbesserung bei Arbeitsschutz und Gesundheitsversorgung sind weiter gefordert und finden statt, aber wer solche Differenzen im Grundsatz als gesellschaftlichen Missstand sieht und deshalb prinzipiell beseitigen will, hat sich viel vorgenommen und würde sich – im unwahrscheinlichen Erfolgsfall – hinterher fragen, ob er das richtige Ziel verfolgt hatte. Wir kennen schließlich Beispiele für soetwas, auch aus der jüngeren deutschen Geschichte. Da ging es nicht allen besser sondern allen schlechter – und zwar in jeder Hinsicht.

Dabei ist diese Differenz, auf die DIW und RKI hinwiesen, wohlgemerkt relativ zu verstehen. In absoluten Zahlen trifft die gesteigerte Lebenserwartung alle gesellschaftlichen Gruppen, auch die Armen im Lande. Immer mal wieder ist die Partei „Die Linke“ zwar bemüht, uns weiszumachen, dass die Lebenserwartung in den armen Schichten im Laufe der Zeit sinke, getreu ihrer – absoluten – Verelendungstheorie, die zum unantastbaren historischen Erbe gehört. Und getreu der allzu platten Volksweisheit, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer würden (ansonsten wäre ja die Symmetrie in Gefahr und das Gesellschaftsbild droht zu kippen). Für ihre Behauptung jedoch musste sie die Daten der Rentenversicherung, die sie mal im Zuge einer parlamentarischen Anfrage von der Bundesregierung erhielt, wissentlich oder unwissentlich fehlinterpretieren. Dennoch konnte sie mit ihren Falschmeldungen bei manchen einschlägigen Medien ausführliche Nachrichtenartikel landen. Leiharbeit, Jobunsicherheit, beruflicher Stress, die Linke war dabei schnell mit ihren Erklärungen für ein Phänomen („sozialpolitischer Gau“), das ein Phantom ist und kein Fakt.

Es ist nichts dran. Es geht uns besser denn je. Allen Schichten.

Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes blog bei der WELT.

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