Es ist diese Tonlage der Kanzlerin, die am Montagabend nach der Konferenz mit den Ministerpräsidenten aufhorchen lässt ...
„Wir sagen ansonsten (...) dass auf alle nicht erforderlichen Kontakte zu verzichten ist. (...) Das heißt, die Beschränkung auf das absolut nötige Minimum an Kontakten ist zu gewährleisten. Deshalb sagen wir noch einmal deutlich: Auf private Feiern ist gänzlich zu verzichten.“
Ist-zu-verzichten!
„Gerundivum“ nennen Deutsch-Füchse diese Art der Befehlsform, eine Verneinung mit aufforderndem Charakter. Die Botschaft dahinter: Keine Widerworte, setzen!
Fünf Stunden hat Angela Merkel (66, CDU) mit den Regierungschefs der Länder gerungen, hat Themen wieder ins Beschluss-Papier schreiben lassen (etwa zur Schule und zur Quarantäne bei Schnupfen), die die Länder mehrheitlich und ausdrücklich vorher schon abgelehnt hatten. Ihr Ziel: die Kontrolle zu behalten über das Virus und das Infektionsgeschehen. Sonst nichts.
Auch die Ein-Personen-Regel steht noch im Text. Und wird von der Kanzlerin ausdrücklich verteidigt: „Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sollen auf einen festen – also immer den gleichen – weiteren Hausstand beschränkt werden. Das schließt auch Kinder und Jugendliche in den Familien ein.“
Man kann sagen, das ist weltfremd und schwierig
Prompt hagelt es Kritik: Weltfremd, Irrsinn, Katastrophe! Und sogar Merkel selbst merkt an: „Man kann sagen, das ist weltfremd und schwierig“, sagt sie am Dienstagnachmittag in der Fraktion und verweist auf die harten Maßnahmen gegen Corona in Frankreich.
„Weltfremd“ – Treffer, versenkt! Weiß die Bundesregierung eigentlich noch, was los ist im Land?
Mit 20 Mitschülern im Klassenzimmer ist okay, mit drei Klassenkameraden zu Hause üben – verboten?
Ernsthaft? Familien, die sich für eine Freundesfamilie entscheiden sollen und morgens in der Bahn mit Hunderten Fremden im Pulk stehen?
Eine Gesellschaft, bis in die privaten Haushalte hinein beliebig regier- und dirigierbar? Menschen malen nach RKI-Zahlen!
Angeblich rechnet Kanzleramtsminister Helge Braun (49, CDU), selbst Mediziner, bei Gelegenheit gern die Infektionsstatistiken nach.
Schon während der Konferenz mit den Regierungschefs hatte sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (55, SPD) über Merkel lustig gemacht, die über „lange Schlangen vor dem Lieblingsdöner am Ku‘damm“ sprach.
Der Berliner Ku‘damm ist nicht bekannt für seine Döner-Buden. Und wo es sie gibt, sind Stehtische verschwunden, markieren Klebebänder den Mindestabstand in der Schlange. Wo sie sich denn rumtreibe, hatte Müller mit einem Augenzwinkern gefrotzelt.
Abgeordnete im Tunnel
Zuvor hatte eine Werbe-Kampagne der Bundesregierung (#besondereHelden) für Debatten gesorgt. Im Stile von Weltkriegsveteranen erzählen Senioren, wie sie im Corona-Jahr 2020 durch Nichtstun zu Helden wurden.
Während im echten Leben Unis online den Betrieb aufrechterhalten, Schüler sich durch den Alltag kämpfen und Lehrlinge um Jobs bangen, empfiehlt die Bundesregierung Computerspiele mit Dosen-Ravioli und Abhängen mit Chickenwings auf dem Sofa.
Und weil Demonstranten aus ganz Deutschland vor dem Reichstag gegen das neue „Bevölkerungsschutzgesetz“ protestieren wollten, wurde den Abgeordneten per Rundschreiben empfohlen, die Tunnel zwischen den Gebäuden des Bundestags zu benutzen, statt sich auf der Straße sehen zu lassen.
Realität kann schmerzhaft sein.
Zuerst erschienen bei BILD.de