Freigeklagte E-Mails zeigen: Wissenschaftler, darunter Drosten, wollten aus unwissenschaftlichen Gründen die Debatte um die Labortheorie unterdrücken. Sie sprachen unter sich anders als gegenüber der Öffentlichkeit: Sie hielten sie nämlich durchaus für diskutabel.
Mit der Watergate-Affäre assoziieren viele den Einbruch in das Wahlkampfhauptquartier der Demokratischen Partei, deren Auftraggeber im Umfeld des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon gefunden wurden. Für Nixons Ansehen verheerender waren indessen die bekannt gewordenen Gespräche aus dem Oval Office – wo Nixon ein Tonbandsystem installiert hatte, um die Aufnahmen später für seine Memoiren zu nutzen. Im Wortlaut zu erfahren, wie der Präsident sich mit seinem Rechtsberater John Dean über die Vertuschung der Spuren unterhielt, war für die amerikanische Bevölkerung ein Schock. Wer hätte dem ersten Mann im Staat zugetraut, dass er im Weißen Haus Gespräche wie diese führt:
Dean: Wo sind die Schwachstellen? Nun, da ist zuallererst das Problem der fortgesetzten Erpressung…
Präsident: Stimmt.
Dean: … die nicht nur jetzt weitergeht, sondern die auch weitergehen wird, während diese Leute im Gefängnis sitzen, und es wird das Problem mit der Behinderung der Justiz noch verstärken. Das wird Geld kosten. Das ist gefährlich. Die Leute hier sind keine Profis für solche Sachen. Das sind Dinge, die von Mafia-Leuten gemacht werden können: Geld waschen, sauberes Geld besorgen und ähnliches. Wir verstehen einfach nichts von solchen Sachen. Es ist, äh, ist, äh …
Präsident: Das stimmt.
Dean: Das ist verdammt schwierig, so was zu machen.
Präsident: Vielleicht braucht man eine Gang, um das zu machen.
Dean: Das stimmt. Es ist ein echtes Problem, ob wir das überhaupt machen können. Außerdem gibt es noch das Problem, das Geld aufzutreiben. Mitchell hat daran gearbeitet. Er ist einer von denen, die am meisten zu verlieren haben…
Präsident: Wieviel Geld brauchen Sie?
Dean: Ich würde sagen, diese Leute werden uns über die nächsten, äh, zwei Jahre, äh, eine Million Dollar kosten.
Präsident: Das könnten wir kriegen.
Dean: Ah, ah.
Präsident: Was das Geld angeht, wenn Sie das Geld brauchen, könnten Sie das kriegen. Sie könnten eine Million Dollar kriegen. Sie könnten es in bar kriegen. Ich weiß, wo man es auftreiben könnte. Es ist nicht leicht, aber man könnte es schaffen. Die Frage ist nur, wer zum Teufel das in die Hand nimmt? Haben Sie irgendeine Idee?
Die berüchtigte Telefonkonferenz
Die E-Mails von Anthony Fauci würden auf die Öffentlichkeit vielleicht einen ähnlichen Eindruck machen wie einst die Watergate-Tonbänder – wenn denn die großen Zeitungen und Rundfunksender in den USA und Europa ihnen die gebührende Beachtung schenken würden.
Fauci (81) wurde der Weltöffentlichkeit 2020 als eines der am häufigsten zitierten Mitglieder der vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump eingesetzten Arbeitsgruppe Covid-19 bekannt.
Später wurden Fragen laut nach seiner eigenen Rolle bei der Finanzierung gefährlicher gain-of-function-Forschung am Wuhan-Institut für Virologie. Bei der umstrittenen gain-of-function-Forschung geht es darum, im Dienste angeblicher wissenschaftlicher Erkenntnis und Prävention hypothetischer zukünftiger Pandemien in der Natur vorkommende Viren im Labor für den Menschen ansteckender und gefährlicher zu machen.
Schon im Mai 2021 und Anfang 2022 waren Teile von Faucis E-Mail-Korrespondenz mit führenden internationalen Virologen aus der Frühphase der Pandemie veröffentlicht worden. Nun wurden weitere freigegeben. Zu verdanken ist das dem Journalisten Jimmy Tobias, der u.a. für die New York Times, die britische Tageszeitung The Guardian und das amerikanische Magazin The Nation schreibt. Tobias begeistert sich für Informationsfreiheit und erstritt vor amerikanischen Gerichten Zugang zu zahlreichen Quellen über den Ursprung des Corona-Virus SARS-CoV-2. Dank seines Engagements wurden nun weitere E-Mails von und an Anthony Fauci offengelegt. Sie stehen zeitlich und auch, was den Kreis der Absender und Empfänger betrifft, im Zusammenhang mit jener berüchtigten Telefonkonferenz namhafter internationaler Virologen, die am 1. Februar 2020 stattfand.
Auf schlagende Weise zeigen die E-Mails, wie Virologen, die die Theorie eines Laborunfalls in der Öffentlichkeit mit Zähnen und Klauen bekämpft haben, ganz anders sprachen, als sie unter sich waren. Nehmen wir Anthony Fauci selbst. In einem Interview mit National Geographic sagte er im Frühjahr 2020:
„Wenn Sie sich die Entwicklung des Virus bei Fledermäusen ansehen und was es jetzt da draußen gibt, neigen [die wissenschaftlichen Beweise] sehr, sehr stark dazu, dass dies nicht künstlich oder absichtlich manipuliert worden sein kann … Alles an der schrittweisen Entwicklung im Laufe der Zeit weist stark darauf hin [dass dieses Virus] sich in der Natur entwickelt hat und dann auf eine andere Spezies übergesprungen ist."
Selbst die Möglichkeit, dass jemand das Coronavirus in freier Wildbahn gefunden und in ein Labor gebracht hat, wo es dann versehentlich freigesetzt wurde, schloss er aus.
Er gab der Öffentlichkeit auch keinen Hinweis darauf, dass er die These eines Laborunfalls jemals ernsthaft in Betracht gezogen hatte.
Derselbe Fauci aber war, wie die nun publik gewordenen E-Mails zeigen, noch am 1. Februar 2020 so alarmiert über die Hinweise auf einen denkbaren Laborursprung gewesen, die er von dem Immunologen und Molekularbiologen Kristian Andersen erhalten hatte, dass er Kollegen fragte, ob man nicht „das FBI“ einschalten müsse. Konkret ging es um die verdächtige Furinspaltstelle des SARS-CoV-2-Virus, die Coronaviren von Fledermäusen nicht besitzen und die es dem SARS-CoV-2-Virus ermöglicht, besonders leicht in menschliche Zellen einzudringen.
In den zwei Monaten, die zwischen beiden Daten liegen, gab es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Faucis Meinungsumschwung plausibel erklären könnten.
Ein hochproblematischer Forschungsantrag
„Es erscheint höchst merkwürdig, warum bei einem so dramatischen Unglücksfall nicht von Anfang an – also zu Beginn des Jahres 2020 – den verschiedenen möglichen Ursachen, die auf dem Tisch lagen, also Naturkatastrophe oder Laborursprung, nachgegangen worden ist“, sagt Professor Roland Wiesendanger im Telefongespräch mit Achgut. Der Hamburger Physiker hatte im Februar 2021 mit einer Studie für weltweites Aufsehen gesorgt, in der er die Belege für die Theorie eines Laborunfalls zusammengetragen hatte. Wiesendanger weiter:
„Man ging dieser Frage nicht einmal dann ernsthaft nach, als im vergangenen Jahr ein hochproblematischer Forschungsantrag aus dem Jahr 2018 von Peter Daszak, Ralph Baric und Zhengli Shi bekannt wurde, in dem dargelegt wurde, dass man vorhatte, Furinspaltstellen in SARS-artige Coronaviren einzubauen.“
Dieser Forschungsantrag lese sich „wie eine Anleitung zur Herstellung eines SARS-CoV-2-artigen Virus“, so der Wissenschaftler.
„Spätestens dann hätte man die Möglichkeit eines Laborursprungs von SARS-CoV-2 – auch von juristischer Seite – mit gebührender Ernsthaftigkeit verfolgen müssen. Denn es steht der dringende Tatverdacht einer millionenfachen fahrlässigen Tötung im Raum.“
Man habe jedoch die Möglichkeit eines Laborursprungs „von Anfang an“ ausgeschlossen.
„In den Folgetagen jener Telefonkonferenz sind zwei Dinge passiert: Es wurde der offene Brief in der Fachzeitschrift „The Lancet“ vorbereitet, organisiert von Peter Daszak, dem Präsidenten der EcoHealth Alliance. Gleichzeitig wurde die vielleicht noch bedeutsamere Publikation in Nature Medicine mit dem Erstautor Kristian Andersen vorbereitet.“
Beide Veröffentlichungen, so Wiesendanger, hätten dazu beigetragen, dass nicht nur Politiker, sondern auch die Medien die Möglichkeit eines Laborursprungs verworfen hätten.
„In der Folgezeit fand – und das ist ja dokumentiert – eine Zensur der Laborhypothese statt. Allein die Möglichkeit eines Laborursprungs durfte in der Öffentlichkeit nicht mehr erörtert werden. Entsprechende Beiträge, etwa in sozialen Medien, wurden gelöscht. Dies ist angesichts der Katastrophe, die wir in den letzten drei Jahren erlebt haben, durch nichts zu rechtfertigen.“
„Leute fangen an, nach den Schuldigen zu suchen“
Die nun bekannt gewordene E-Mail-Korrespondenz Faucis zeigt zwei Dinge deutlich: Die beteiligten Wissenschaftler nahmen, als sie unter sich waren, die Möglichkeit eines Laborunfalls sehr ernst – waren sich aber weitgehend einig, dass dieses Thema nicht für die Ohren und Augen der Öffentlichkeit geeignet sei. Man wollte „Spannungen“ und eine „polarisierte Debatte“ vermeiden. Man fürchtete, wie Fauci es in einer schon Anfang 2022 bekannt gewordenen E-Mail ausdrückte, „Schaden“ für die „Wissenschaft, „insbesondere in China“.
„Der größte Schaden wäre bei ihm selbst entstanden“, kommentierte Wiesendanger diese Aussage damals.
„Weil Fauci diese gefährliche gain-of-function-Forschung über viele Jahre hinweg vehement verteidigt und gefördert hatte und er selbst in der Verantwortung stand, nicht zuletzt, weil er das Moratorium der amerikanischen Regierung unter Barack Obama umgangen hatte.“
Fauci trage die „volle Verantwortung“.
Der Epidemiologe Sir Jeremy Farrar, Direktor des Londoner Wellcome Trust, der medizinische Forschung weltweit fördert, verleiht in einer der nun bekannt gewordenen E-Mails der Sorge Ausdruck, dass „Leute anfangen, nach den Schuldigen zu suchen“.
Dies sollte offenbar vermieden werden. Deshalb redeten die Virologen in der Öffentlichkeit ganz anders als dort, wo sie unter sich waren. Im kleinen Kollegenkreis diskutierten sie offen über die Wahrscheinlichkeit eines Laborunfalls. Dies kommentierte Christian Drosten in einer E-Mail vom 9. Februar 2020 mit der sarkastischen Bemerkung:
„Haben wir uns nicht versammelt, um eine bestimmte Theorie in Zweifel zu ziehen und, wenn wir könnten, sie fallenzulassen? … Arbeiten wir daran, unsere eigene Verschwörungstheorie zu widerlegen?“
Wiesendanger sagt dazu:
„Durch die jüngst veröffentlichten E-Mails wissen wir, dass es vor allem drei Virologen waren, die sich gegen die Möglichkeit eines Laborursprungs stark gemacht haben. Das waren Ron Fouchier, der wohl umstrittenste Virologe, was hochrisikoreiche gain-of-function-Experimente mit gefährlichen Erregern anbelangt, Marion Koopmans (niederländische Virologin; S.F.) und Christian Drosten.“
Als Fauci das FBI informieren wollte
Wie bei den Watergate-Tonbändern geht es nicht nur um das, was gesagt wird, sondern auch darum, wie es gesagt wird. Der Ton macht die Musik.
Sehen wir uns weitere der E-Mails im Wortlaut an. Am Samstag, den 1. Februar um 0:38 Uhr Washingtoner Zeit schreibt Anthony Fauci an Jeremy Farrar. Kopien der E-Mail gehen an Kristian G. Andersen und an Patricia Conrad und John Mascola vom Nationalen Institut für Allergien und Infektionskrankheiten an den National Institutes of Health. Fauci ist zutiefst beunruhigt über das, was er von Andersen über das neuartige Coronavirus erfahren hat:
„Ich habe bis eben mit Kristian Andersen telefoniert. Er schilderte mir seine Sorge über die Furinstellenmutation im Stachelprotein des derzeit zirkulierenden (Coronavirus; S.F. ) 2019-nCoV. Ich sagte ihm, dass er und Eddie Holmes (britischer Evolutionsbiologe und Virologe; S.F.) so schnell wie möglich eine Gruppe von Evolutionsbiologen zusammenbringen sollten, um sorgfältig die Daten zu untersuchen und festzustellen, ob seine Sorgen bestätigt werden. Er sollte dies sehr rasch tun und wenn jeder mit seinen Sorgen übereinstimmt, sollten sie dies den dafür zuständigen Behörden melden. Ich denke, dass dies in den USA das FBI wäre und in Großbritannien der MI5. Es wäre wichtig, dass die Ursache seiner Sorge schnell von Experten auf dem Gebiet der Coronaviren und der Evolutionsbiologie bestätigt wird. In der Zwischenzeit werde ich meine offiziellen Kollegen in der US-Regierung von meinem Gespräch in Kenntnis setzen und feststellen, welche weitere Untersuchung sie empfehlen. Lasst uns in Kontakt bleiben.
Beste Grüße,
Tony“
Am selben Tag schlägt Jeremy Farrar vom Wellcome Trust vor, eine Telefonkonferenz mit folgenden Teilnehmern zu veranstalten: Kristian Andersen, Bob Garry, Christian Drosten, Tony Fauci, Ron Fouchier, Eddie Holmes, Marion Koopmans, Patrick Vallance. Robert („Bob“) Garry ist ein Professor für Virologie an der Tulane University in New Orleans. Patrick Vallance ist wichtigster Wissenschaftsberater der britischen Regierung, zuvor war er langjähriger Leiter der Forschungsabteilung des britischen Pharmariesen Glaxo-Smithkline.
Er würde es bevorzugen, schreibt Farrar, „diese Gruppe wirklich klein zu halten“. Es sei „klar“, betont er, dass er alle um „völlige Vertraulichkeit“ bitte.
Später kommen weitere Teilnehmer hinzu, darunter der Evolutionsbiologe Andrew Rambaut und der Genforscher Francis Collins, der damalige Leiter der US National Institutes of Health.
Früh geht es um Public Relations. Auf den Nägeln brennt Farrar die Sorge, dass die öffentliche Debatte in unerwünschte Richtungen gehen könne. Nach der Telefonkonferenz am 1. Februar schreibt er um 21:59 Uhr an alle Teilnehmer: „Ich weiß, dass Veröffentlichungen vorbereitet werden, es wird Medieninteresse geben, zudem gibt es schon Geplauder auf Twitter/WeChat.“
In einer E-Mail, deren Absender geschwärzt ist, schreibt ein „Andrew“ – es muss sich um oben genannten Andrew Rambaut handeln – am 2. Februar 2020 um 9:38 Uhr, dass es bei einer evolutionären Entstehung von SARS-CoV-2 „ungewöhnlich“ sei, dass es eine Furinspaltstelle gebe. „Dies ist für mich ein starkes Indiz dafür, dass es beim Ursprung des Virus etwas gibt, das wir bislang nicht gesehen haben.“
Er neige zu der Einschätzung, dass es einen noch nicht gefundenen Zwischenwirt gebe, in dem das Virus dieses Merkmal entwickelt habe. Die Einfügung der Furinspaltstelle mache das Virus „extrem angepasst an Menschen“. Man könne zudem folgern, „dass es nicht optimal für die Übertragung bei Fledermausarten ist“. Weiter sagt er:
„Wenn die evolutionären Ursprünge der Epidemie diskutiert werden sollen, dann, denke ich, sind die einzigen Leute mit ausreichenden Informationen oder Zugang zu Proben, die Aufschluss geben könnten, die Teams, die in Wuhan arbeiten.“
Jene Teams in Wuhan also, die von Chinas Regierung hermetisch von ausländischen Wissenschaftlern und Journalisten abgeschirmt werden.
Labortheorie „wert, in die Liste der Möglichkeiten aufgenommen zu werden“
Am 2. Februar 2020 um 6:53 Uhr leitet Jeremy Farrar einige Überlegungen von Mike Farzan (Entdecker des SARS-Rezeptors) und Bob Garry weiter. Mike Farzan hat eine Theorie, wie sich das Coronavirus so gut an den Menschen habe anpassen können:
„Eine wahrscheinliche Erklärung könnte etwas so Simples sein wie die, dass SARS-ähnliche Coronaviren über einen längeren Zeitraum die Gewebekulturen von humanen Zelllinien oder denen von Mäusen, durchlaufen haben.“
Durch „wiederholtes Durchlaufen“ dieser Zelllinien könnte zufällig bzw. durch einen Unfall (accidentally) ein Virus geschaffen worden sein, das bestens für die schnelle Übertragung zwischen Menschen geeignet sei. „All dies bringt uns zurück zu einer simplen Konversation darüber, wie das Virus eine Furinstelle gewonnen hat.“
Dies sei seiner Meinung nach sowohl in der Natur als auch im Labor möglich. Mike Farzan beziffert die von ihm geschätzte Wahrscheinlichkeit eines Laborunfalls auf 30 oder 40 Prozent, tendiert also leicht zu der Hypothese eines natürlichen Ursprungs. Bob Garry geht weiter. Er kann sich die Entwicklung der Furinspaltstelle in der Natur nicht vorstellen: „Ich kann mir wirklich kein plausibles natürliches Szenario vorstellen, bei dem man aus einem Fledermausvirus oder etwas Ähnlichem zu nCoV gelangt…“
Garry beschreibt, welche molekularen Veränderungen dazu alle gleichzeitig passieren müssten. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das in der Natur zu vollbringen wäre.“
Im Labor hingegen sei das einfach. Bei gain-of-function-Forschung würde man ein bestehendes Fledermausvirus klonen.
„Dann würde man es vielleicht eine Weile lang menschliche Zellen passieren lassen, um die RBS (Ribosomale Bindestelle; S.F.) festzulegen, dann erneut klonen und die Mutationen einfügen, an denen man interessiert ist – vor allem die polybasische (Furin-; S.F.) Spaltstelle.“
Francis Collins schreibt ebenfalls am 2. Februar 2020 an Jeremy Farrar:
„Ich habe der Idee einer Evolution im Labor im Zuge eines Durchlaufs mehrerer Gewebekulturen noch nicht viel Beachtung geschenkt, aber sie ist es wert, in die Liste der Möglichkeiten aufgenommen zu werden.“
„Wild-West“-Labore
Solche gefährlichen Experimente würde man doch wohl nicht unter der – niedrigen – biotechnologischen Schutzstufe „BSL-2“ tun, fragt Francis Collins am 4. Februar 2020 um 20:23 Uhr ungläubig. Doch: „Wilder Westen…“, antwortet Jeremy Farrar drei Minuten später. Jeremy Farrar schreibt, er sei in der Frage, ob das Virus aus der Natur oder aus dem Labor kommt, „völlig neutral“. Und weiter:
„Die evolutionären Ursprünge dieses Virus sind eindeutig wichtig. Ich weiß, dass diese Fragen von Politikern gestellt werden, beginnend in der wissenschaftlichen Literatur, sicherlich in den sozialen und Mainstream-Medien. Wenn, und ich betone wenn, sich das weiter ausbreitet, steigen Druck und Spannungen. Ich fürchte, diese Fragen werden lauter und stärker polarisiert, und die Leute werden anfangen, nach den Schuldigen zu suchen. Wir leben in einer polarisierten Welt, in der es eine schnelle Reaktion gibt, um zu versuchen, von Problemen abzulenken, indem man jemandem irgendwo die Schuld gibt. Das kann die Spannungen nur verstärken und die Zusammenarbeit verringern. Ein angesehenes Gremium, das jetzt eine Gruppe zusammenruft, um den evolutionären Ursprung davon mit einem offenen Geist, neutral und auf transparente Weise zu betrachten, ist meiner Meinung nach ein Ansatz, der wilde Behauptungen verhindern kann. Eine solche Gruppe braucht die besten Köpfe aus der ganzen Welt, nicht nur aus den USA, Europa und Australien. Sie muss transparent sein und respektiert werden. ... Ich mache mir Sorgen, wenn dies nicht ganz schnell geschieht, wird es auf möglicherweise reißerische Behauptungen reagieren.“
Im gleichen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang, in dem über die „Wild-West“-Verhältnisse der Forschung in chinesischen Labors gesprochen wird, wird also darüber diskutiert, wie man eine – gerechtfertigte – Empörung der Weltöffentlichkeit verhindern könnte.
In einer E-Mail vom 2. Februar 2020 warnt Collins, dass es beim Überzeugen der Öffentlichkeit auch auf den Ton ankomme: Ron Fouchier und Christian Drosten, findet er, präsentierten die Argumente „mit mehr Schärfe als nötig“.
Anthony Fauci warnt, dass die Zeit dränge: Es drohten „weitere Verzerrungen in den sozialen Medien“. Es sei daher wichtig, „dass wir schnell handeln“. „Hoffentlich können wir die WHO zu einem Treffen bewegen.“
Auch Jeremy Farrar wünscht sich eine Initiative „unter dem Schirm der WHO“ mit dem „Framing“: „Die Quelle und die Entwicklung von 2019n-CoV verstehen“. Es sei von höchster Wichtigkeit, so Farrar, dass „verantwortliche, respektierte Wissenschaftler und Agenturen einen Vorsprung gewinnen vor der Wissenschaft und dem Narrativ dieser Sache, und nicht auf Berichte reagieren, was sehr schädlich sein könnte“.
„Ich bin sicher, für Francis und Tony zu sprechen, wenn ich sage, dass wir hier sind und bereit, eine konstruktive Rolle dabei zu spielen.“ Zu diesem Zeitpunkt beziffert Farrar die Möglichkeit eines Laborunfalls auf „50 Prozent“.
Am 4. Februar nennt er dies in einer E-Mail an Francis Collins und Anthony Fauci eine „sehr reale Möglichkeit“. Wörtlich: „Eddie (Eddie Holmes; S.F.) wäre 60 zu 40 für Labor. Ich bleibe 50 zu 50.“
Wie Drosten mitmischte
Francis Collins antwortet, dass „Eddie“ skeptisch gegenüber der Vorstellung absichtlicher Manipulation sei, aber ein wiederholtes Passieren von Zellkulturen immer noch für vorstellbar halte.
Am 5. Februar sendet Jeremy Farrar eine E-Mail an Francis Collins, Anthony Fauci und Edward Holmes. Darin zitiert er Kristian Andersen mit den Worten:
„Ich denke, wenn man in einer Zellkultur Selektionsdruck auf ein Coronavirus ohne Furinspaltstelle ausübt, könnte man sehr wohl nach einer gewissen Anzahl von Passagen eine Furinspaltstelle generieren.“
Die Begründung: So könne das Virus viel einfacher die Zellen infizieren.
Am 7. Februar 2020 setzte Jeremy Farrar Francis Collins und Anthony Fauci über ein „Update“ in Kenntnis: Eine „chinesische Gruppe“ habe ein Pangolin-Virus gefunden, das SARS-CoV-2 zu „99 Prozent“ ähnlich sei.
„Das wäre eine Entdeckung von entscheidender Bedeutung und könnte, wenn es wahr ist, das ‚missing link‘ sein und eine natürliche Evolutionsverbindung erklären.“
Man merkt an solchen Sätzen, dass Hoffnung mitschwingt: Möge der Pangolin doch das Wirtstier sein, das erklärt, wie das Virus auf den Menschen übergesprungen ist! Die Forschung in Wuhan wäre dann aus dem Schneider. Eine „enorm schädliche Debatte“ würde im Keim erstickt. Vor einer solchen warnt Jeremy Farrar in einer E-Mail vom 8. Februar 2020:
„Die Theorie des Ursprungs des (fehlendes Wort; S.F.) hat nicht nur in den sozialen Medien, sondern zunehmend unter einigen Wissenschaftlern, in den Mainstream-Medien und unter Politikern eine beachtliche Dynamik erlangt. … Wir hofften, die Diskussion auf die Wissenschaft zu fokussieren, nicht auf irgendwelche Verschwörungs- oder andere Theorien und eine angesehene Erklärung vorzubringen, um jeglicher Debatte einen Rahmen zu geben – bevor diese Debatte mit potenziell enorm schädlichen Auswirkungen außer Kontrolle gerät.“
Die Informationen über das Pangolin-Virus – „Informationen, die noch vor 24 Stunden nicht verfügbar waren“ – seien dabei hilfreich, da sie den Fall „noch klarer“ machten, glaubt Farrar. Er wünsche sich, dass ein „wohlüberlegtes Stück Wissenschaft, frühzeitig allgemein zugänglich, helfen wird, eine polarisierte Debatte zu entschärfen“. Denn „wenn nicht, wird diese Debatte mehr und mehr stattfinden und die Wissenschaft wird darauf reagieren. Keine Position, in der man sein möchte.“ Christian Drosten möchte am folgenden Tag wissen:
„Kann mir jemand bei einer Frage helfen: Haben wir uns nicht versammelt, um eine bestimmte Theorie in Zweifel zu ziehen und, wenn wir könnten, sie fallenzulassen? … Arbeiten wir daran, unsere eigene Verschwörungstheorie zu widerlegen?“
„Darauf fokussiert, jegliche Art der Labortheorie zu widerlegen“
Die nun bekannt gewordenen E-Mails führender Virologen zeigen, dass es offenbar nicht darum ging, unbefangen und vorurteilslos – sine ira et studio – nach den wirklichen Ursachen zu forschen, sondern man machte sich vor allem Sorgen darüber, dass sich eine Debatte entwickeln könnte, die von diesen Virologen nicht mehr zu beherrschen wäre. Man wollte eine „polarisierte“ Debatte (also eine, bei der gegensätzliche Meinungen aufeinandertreffen), die als potenziell schädlich vorgestellt wurde, verhindern, und die Meinung der Öffentlichkeit in eine Bahn lenken – und offenbar ablenken von den gefährlichen Experimenten, die unter amerikanischer Beteiligung am Institut für Virologie in Wuhan stattfanden. Roland Wiesendanger kommentierte gegenüber dem Autor:
„Nach den offiziellen Zahlen haben wir weltweit zwischen sechs und sieben Millionen Verstorbene aufgrund der Corona-Pandemie, allein in Deutschland über 150.000. Die Weltgemeinschaft hat ein Recht darauf, zu erfahren, was die Ursache dieser weltweiten Katastrophe ist. Das heißt, dass allen Möglichkeiten nachgegangen werden muss.“
Durch die neu veröffentlichten E-Mails sei deutlich geworden, dass es die Absicht gegeben habe, das Narrativ eines natürlichen Ursprungs von SARS-CoV-2 voranzubringen und die Labortheorie zu verwerfen. Das zeige, so Wiesendanger, insbesondere jene oben zitierte E-Mail von Christian Drosten.
Zwei andere E-Mails weisen ebenso deutlich auf dieses Motiv, auf andere Art. In einer E-Mail vom 8. Februar 2020, 22:15 Uhr schreibt Kristian Andersen klipp und klar:
„Unsere hauptsächliche (sic!) Arbeit der letzten Wochen (sic!) war darauf fokussiert, zu versuchen, jegliche (sic!) Art der Labortheorie zu widerlegen.“
Im nächsten Satz gibt Andersen zu, dass „die wissenschaftlichen Beweise nicht schlüssig genug sind, um zu sagen, dass wir große Zuversicht in irgendeine der drei betrachteten Haupttheorien haben“.
Dennoch schreibt Andersen zur selben Zeit seinen Aufsatz „The proximal origin of SARS-CoV-2“, in dem er gleich in der Einleitung schreibt: Our analyses clearly show that SARS-CoV-2 is not a laboratory construct or a purposefully manipulated virus. („Unsere Analysen zeigen eindeutig, dass SARS-CoV-2 kein Laborkonstrukt oder ein gezielt manipuliertes Virus ist.“)
In derselben E-Mail vom 8. Februar schreibt Andersen: das, „was wir hier betrachten“ – gemeint ist ein möglicher Laborursprung – sei „weit entfernt von ‚einer weiteren Verschwörungstheorie‘, sondern vielmehr das Einnehmen einer gültigen wissenschaftlichen Herangehensweise an eine Frage, die immer häufiger gestellt wird, von der Öffentlichkeit, den Medien, Wissenschaftlern und Politikern (ich z.B. wurde in den letzten Tagen von Science, der New York Times und vielen anderen Publikationen zu genau dieser Frage kontaktiert).“
Was sie wirklich dachten, sollte ein Geheimnis bleiben
Mit SARS-ähnlichen Coronaviren werde in Wuhan seit „vielen Jahren“ gearbeitet, so Andersen, „insbesondere in Wuhan unter BSL-2-Bedingungen“. Die „Tatsache, dass Wuhan das Epizentrum der derzeitigen Epidemie“ sei, sei „wahrscheinlich ein unglücklicher Zufall“. Dennoch „wirft es Fragen auf, die man nicht von der Hand weisen kann“.
Genau diese Fragen wurden aber – auch und vor allem von den an der Telefonkonferenz beteiligten Wissenschaftlern – von der Hand gewiesen. Drosten und die anderen Unterzeichner des offenen Briefes in The Lancet bezeichneten Spekulationen, wonach das SARS-CoV-Virus womöglich keinen natürlichen Ursprung hat, als „Verschwörungstheorie“.
Marion Koopmans warnt in einer E-Mail vom 9. Februar 2020 davor, in einem an die Öffentlichkeit gerichteten wissenschaftlichen Beitrag überhaupt detailliert auf die Möglichkeit eines Laborursprungs einzugehen.
„Ich wäre nicht dafür, etwas Spezifisches zur Laborunfallshypothese zu veröffentlichen, da ich (mit Kristian) übereinstimme, dass dies nach hinten losgehen könnte. Ja, es gibt in der Öffentlichkeit Spekulationen, die angestoßen wurden von Zeitungen, darunter den Müllzeitungen. Auf spezifische Erkenntnisse zu zoomen, die der Öffentlichkeit, soweit ich weiß, noch NICHT bekannt sind, wird, denke ich, selbst Verschwörungstheorien erzeugen.“
Es könne „verstanden werden als ‚Seht ihr, auch sie denken das‘“.
Und was diese Wissenschaftler damals in Wirklichkeit über den Ursprung von SARS-CoV-2 dachten, sollte die Öffentlichkeit eben nicht erfahren. Es hätte für immer ein Geheimnis bleiben sollen, wie die Vertuschung von Watergate.
Dazu passt ein Gedanke aus einer Vorlesung des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling von 1842, den Sigmund Freud als Paraphrase in seinem bekannten, 1918 verfassten Aufsatz „Das Unheimliche“ wiedergibt:
„Unheimlich nennt man alles, was im Geheimniß, im Verborgenen, in der Latenz bleiben sollte und hervorgetreten ist.“