Felix Perrefort / 17.01.2020 / 16:30 / 11 / Seite ausdrucken

Die kurzen Beine der postkolonialen Theorie

Ein Lesetipp. 

Edward Saids Buch „Orientalismus“ gilt als Gründungsdokument einer ganzen Disziplin, den Postcolonial Studies. Unterm Strich geht es in diesem akademischen Bereich darum, diskriminierende Sichtweisen auf nichtwestliche Länder, Kulturen, Akteure und dergleichen als Produkt westlich-chauvinistischer Dominanz zu kritisieren, die wiederum in einer Kontinuität mit dem historischen Kolonialismus und Imperialismus stünde.

Auf der Homepage der Uni Trier heißt es zum Beispiel: „Das Centrum für Postcolonial und Gender Studies (CePoG) bietet eine Plattform für wissenschaftliche Ansätze, die sich kritisch mit Konstruktionen nationaler, ethnischer und geschlechtlicher Identität auseinandersetzen. [...] Dabei steht die Analyse medialer Repräsentationen von Alterität [Andersartigkeit] im Mittelpunkt. Gerade die aktuellen Globalisierungsprozesse fordern interdisziplinäre Untersuchungen dieser Zusammenhänge heraus.“

Der amerikanische Philosoph Irfan Khawaja hat sich besagte Studie von Said bereits im Jahr 2007 vorgenommen und dabei festgestellt, dass sie von einem fundamentalen Widerspruch durchzogen ist. Das dürfte folgenreich für die „Rassismuskritik“ insgesamt sein, die nämlich „maßgeblich“ von Said „inspiriert“ ist.

Inkonsistent sei das Buch im Hinblick auf die titelgebende These, der zufolge es einen Orientalismus gäbe, gegen die aus ihm heraus „konstruierte“ Welt in Schutz zu nehmen sei. Der Widerspruch, den Khawaja minutiös belegt und in angenehm zu lesender Weise entfaltet, ist leicht einzusehen: „Einerseits vertritt Said die These, der Orientalismus verfüge über ein Wesen. Andererseits klagt er den Orientalismus wegen dessen Behauptung an, der Islam habe ein Wesen.“ 

Schwindelerregende Verallgemeinerungen  

Wer heutzutage ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert, wird in Seminardiskussionen unweigerlich auf den Vorwurf stoßen, eine Argumentation sei „essentialistisch“, er unterstelle also einer Sache, etwa einer Religion, ein Wesen. „Na und?“ wäre die angemessene Antwort darauf. Um uns Sachverhalte verständlich zu machen, verallgemeinern wir sie im Hinblick auf Eigenschaften, die sie ausmachen – wir bilden uns einen Begriff. 

Said tut das selbst. Er versucht mit dem Konzept des Orientalismus, Verhaltensweisen westlicher Akteure zu erklären, während er Analoges in Bezug auf den Islam aber für unzulässig erklärt. Dabei versteigt er sich, so Khawaia, bis zu der Behauptung, dass „der Islam keinerlei erklärende Beziehung zu terroristischen Taten, die von gläubigen Muslimen in Namen des Islam ausgeübt werden, aufweise – selbst wenn diese Handlungen detailliert durch Fatwas gerechtfertigt werden, die auf den islamischen Schriften sowie islamischer Jurisprudenz basieren, von islamischen Juristen ratifiziert wurden, jene Taten selbst Vorläufer in der islamischen Geschichte haben und von Millionen Moslems gebilligt werden.“

Said und infolgedessen auch seine inzwischen unüberblickbaren Adepten nehmen also für sich selbst eine essentialistische Argumentation in Anspruch, die sie mit Bezug auf den Islam verwerfen.

Saids Auffassung zufolge umfasst der Orientalismus die gesamte westliche Haltung gegenüber dem Orient, die er von Homer und Äschylus auf der einen Seite zu Bernard Lewis und George W. Bush auf der anderen verlaufen lässt. Er verallgemeinert also frei über Zeiten, Kulturen, Genres, politische Interessen und Ansichten, Disziplinen, Berufungen, Sprachen, Religionen und einer Vielzahl anderer Kontexte hinweg, um uns weiszumachen, der Orientalismus operiere als ein einheitliches Phänomen überall auf eine einheitliche Weise. (...) Für Said ist lediglich wichtig, was sie miteinander teilen, nicht was sie unterscheidet, weil er den Orientalismus als solchen anklagen möchte und keine besondere Variante desselben. 

Antikoloniale Verschleierung von Kindern

Der seit Kurzem online zugängliche 23-seitige Essay Khawajas sei insbesondere jenen wärmstens ans Herz gelegt, die nervtötende Kommilitonen, Dozenten und Aktivisten damit konfrontieren wollen, dass ihr antirassistischer Kaiser nackt ist. Wenn es den Islam nicht gibt, existiert auch der Orientialismus nicht; wer Islamkritikern „antimuslimischen Rassismus“ vorhält, müsste Edward Said eigentlich auch „antiwestlichen Rassismus“ vorwerfen. 

Die Gegnerschaft zum Verrat an der Moderne und ihrer Freiheit muss sich an einer Vielzahl von „Fronten“ formieren. Khawajas Essay attackiert eine seiner intellektuellen Leitfiguren, auf die sich, wie bewusst auch immer, permanent bezogen wird; den „palästinensischen“ Islamapologeten anzugreifen, bringt somit auch seine Gefolgschaft in Erklärungsnot – und die agiert nicht nur in den Elfenbeintürmen der Universitäten, sondern kämpft selbstbewusst für die Verschleierung und damit sexistische Diskriminierung von Grundschulkindern, was allen Ernstes „antikolonial“ begründet wird

Auch die Thematisierung der langen Tradition des Wunsches „die andere Frau zu entschleiern“, eine koloniale Tradition, in der es darum geht, der als anders wahrgenommen Frau vorzuschreiben, was Emanzipation ist und wie diese für sie auszusehen hat, kann zum Empowerment beitragen. Im kolonialen Kontext wurde von Zivilisierungsmissionen gesprochen, in denen die „Zivilisierung“ der „anderen“ Frau nach eigenem Vorbild eine zentrale Rolle spielte.

Es bleibt zu hoffen, dass der exzellente Essay seinen Weg in private Textsammlungen, politische Lesekreise sowie auf die Literaturliste von Abschlussarbeiten und Seminarplänen findet. 

 

Das PDF findet sich hier. Die von Philippe Witzmann angefertige Übersetzung erschien zuerst in: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie, Bd. 5/Heft 1 2018. Schwerpunkt: Antirassismus und Antiimperialismus. 

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Volker Kleinophorst / 17.01.2020

Herr Perrefort, Multikulti ist antiweißer Rassismus. Was soll die “Umwandlung von einem monokulturellen Land in ein multikulturelles” (Sascha Mounk in den Tagesthemen) denn sonst sein. Michael Klonovsky in seiner Acta Diurna: “Am Dienstag besuchte ich die Premiere von “Kill Me Today, Tomorrow I’m Sick” im Berliner “Babylon”-Kino. ...Der Film ist böse, unverlogen, witzig, originell und brutal – er spielt ja im Kosovo des Jahres 1999. ... Die Lektion des Filmes, den man im besten Sinne aufklärerisch nennen kann, lautet: Wo Multikulti scheitert, fließt Blut. Dann entscheidet der Einzelne nicht mehr, wohin er gehört, sondern seine Ethnie entscheidet über ihn. Dann besteht die einzige Überlebensmöglichkeit darin, jener Gruppe anzugehören oder Zugehörigkeit zu simulieren, die das Territorium dominiert, in dem man sich gerade aufhält. Dann hast du keine Wahl mehr. Die Klugscheißer der transantionalen Organsiationen und NGOs werden dir nicht helfen. Dann kannst du dich nur zu deinesgleichen retten und hoffen, dass die Gesellschaft sich allmählich wieder entmischt.” Wer so denkt, der kriegt in Berlin im Restaurant “Cinque” Lokalverbot. (Kann man auf Acta Diurna nachlesen.)

Wolfgang Kaufmann / 17.01.2020

Schwarz ist Weiß und Hass ist Liebe. Wir basteln uns unsere Geschichte. Taqiyya für Anfänger.

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