Liebe Frau Ansari, ich weiß nicht, wer Sie sind, ich habe Ihren Namen noch nie gehört. Bin eine ungebildete Ausländerin. Aber: Wer immer Sie auch sind, ich unterschreibe jedes Wort Ihres Berichtes tausendmal. Denn genau so ist es, wie Sie es beschreiben. Man hat die Bildung kaputt gemacht, die Unis inbegriffen, die Gleichmacherei von der Kita an tut das ihre, auch die für die meisten Menschen viel zu schnelle Veränderung der Welt macht das Begreifen nicht leichter. Und dann, als Tüpfelchen auf dem i, die verschiedene Schlagworte, die sich im ersten Moment als richtig anhören, tun ein Weiteres. Ein kleines Beispiel. Vor einigen Jahren lernte ich eine junge intelligente Musikstudentin kennen. Im Gespräch fragte ich sie ein wenig aus, was für Musik sie am liebsten hat. Was sie sagte, war genau das, was ich auch liebe. Nur am Schluß sagte sie: “.. und die elektronische Musik.” Da war ich ganz anderer Meinung, aber nicht das ist wichtig, sondern ihre, der Studentin, Begründung: “Die elektronische Musik ist Ausdruck unserer Zeit.” Ich, ohne nachzudenken: “Die Atombombe ist auch Ausdruck unserer Zeit. Muß ich sie deswegen lieben?” Ausdruck einer jeder Zeit kann gut, schön usw. sein, aber auch das Gegenteil. Wer denkt darüber nach, bevor er solches, wie der obige Satz ist, verkündet? Vielen Dank für Ihren großartigen Text, liebe Frau Ansari! lg alma Ruth
Ein paar Zusätze: Jedes gute Werk, und ja, ich finde “Werke” gut, hat etwas über sich Hinausweisendes, man kann auch sagen Transzendentes( Kunst, Musik, Architektur) oder zutiefst Gleichnishaftes ( Literatur, Drama) und entfaltet einen vieldimensionalen Zustandsraum. Das zu erkennen , wenngleich nicht unbedingt zu benennen, ist jeder ernsthaft Interessierte in der Lage! Insofern ist Regietheater eine schlimme Beleidigung des Publikum und seiner Intelligenz. Solche Bevormundung durch simple, ideologisch formierte Geister braucht man wirklich nicht. Und für Neugeschaffenes, in welchem Genre auch immer, spielt Schönheit als Kategorie kaum eine Rolle mehr. Das tut den Köpfen der Menschen nicht gut.
“Lebe in deiner Zeit, aber sei nicht ihr Kind!” (Friedrich Schiller) Was für ein lächerliches, nach zwei Diktaturen schmähliches Schauspiel bietet ein Theater, das dem Zeitgeist huldigt! - Nach 25 Jahren an deutschen Bühnen von 1974 bis 99 - habe keine Worte mehr dafür. Mache inzwischen auch nicht mehr die Macher, also Intendanten, Regisseure, Kulturdezernenten dafür verantwortlich, sondern jeden Schauspieler oder Sänger, der sich nicht zu schade ist, den Kotau vor diesem Betreuten Wohnen für “Regisseure”, (also Unfruchtbare) mitzumachen. Die Werke ungeheurer Genies als Vergrößerungsglas für den eigenen Bauchnabel - pfui Deibel!
Es ist an der Zeit, so wie uns jede Woche die Nazizeit mit Hitler in Dokumenttationen, in Spielfilmen, in den Zeitungen in allen Varianten vorgesetzt wird, sich in dieser Hinsicht der Merkelzeit in gleicher Art hin zu wenden. Es ist klar wenn solche Großdichter wie R. Becher sich erniedrigt haben dem Massenmörder Stalin ein Liebesgedicht zu widmen, so wird es wohl noch zehn Jahre dauern ehe die Merkelzeit gleich dem Nazianalsozialismus von Künstlern verarbeitet werden wird. Wie in der DDR Ernst Thälmann, Straßen, Plätze, Schulen, Brücken und Flugplätze nach Merkel zu benennen, gab es da schon Vorschläge?
Wir können froh sein,daß man die Mona Lisa nicht Herrn Beuys, zur “zeitgemäßen Bearbeitung” überlassen hat.
Danke für Ihre , den Zeitgeist treffenden Ausführungen. Es passt genau zur Zeit. Die Selbstinszenierungen gehe einher mit der “Neuschreibung” der Geschichte, der Umschreibung von Kinderbüchern. Eigentlich sind es Plagiate die einzuklagen wären, denn die Basis ist ja noch vorzufinden. Die Preise steigen für Theater und Oper und das Niveau oft unter jeder Sau. Sorry, aber es passt so alles zur heutigen Zeit, wo es scheint, als ob da bald jeder seine Wurzeln abgestossen hat. Ich mag diese virtuellen Welten nicht. Dem Text gibt es eigentlich gar nichts anzufügen. b.schaller
Eine kleine Ergänzung zu Schostakowitsch (vorletzter Absatz im Artikel). Sein Leben war nicht gefährdet, weil er nicht dem sowjetischen Zeitgeist huldigte (dies hatte er, im Gegenteil, getan - siehe z. B. die 2. und 3. Sinfonie -, sondern weil eines Tages der Genosse Stalin beschloss einer Aufführung von Ss sowohl in der SU als auch im Ausland, darunter auch im Deutschen Reich des Herrn Schickelgruber, überaus erfolgreichen Oper Lady Macbeth von Mzensk beizuwohnen. Er war not amused, weil gewisse Sexszenen dem prüden Diktator nicht gefielen. Daraufhin bemühte sich der dortige Kulturbetrieb beflissentlich um Ächtung des Komponisten, dessen Leben allerdings nicht gefährdet war, hatte der Große Führer aller Kommunisten dem Komponisten Schonung versprochen, ihm allerdings “empfohlen”, doch voksnaher zu schreiben. - Das “zweite Scherbengericht”, 1946/47, betraf nicht nur Schostakowitsch, sondern auch Prokofieff, Muradeli, Majaskowsi etc. also auch Komponisten, die brav dem musikalischen “Sozialistischen Realismus” à la Tichon Chrennikow (dem sowjwtischen Gegenstück des Präsidenten der Reichsmusikkammer) gehuldigt hatten. Ich hatte seinerzeit auf der Achse auf eine Paralle zwischen Stalins Missbilligung der Lady Macbeth und der Beflissenheit des sowjetischen Kulturbetriebes und Merkels “Nicht hilfreich” in bezug auf Sarrazin und der Lemmingreaktion der Journaille hingewiesen. Übrigens: Im Westen war Schostakowitsch bei den Granden der musikalischen Avantgarde, die sich der “Ästhetik der Verweigerung” (Marcuse) verschrieben hatten, überhaupt nicht wohlgelitten, denn er galt lange - behängt mit Lenin- und Stalinorden - als Zuckerbäcker Stalins und nach 1953 als konformer Vertreter der musikalischen Reaktion. Ein Ordinarius der Musikwisschenschaft der Universität Hamburg riet sogar vehement von einer Verleihung des Gustav-Mahler-Preises an Schostakowitsch ab: Er sei zu unbedeutend.
Ihr Text bringt die Situation vor allem des Theaters – Schauspiel und Oper – auf den Punkt. Als Theater-Aficionado seit meinen Schüler-Abonnements-Tagen und dann als Gymnasiast in den 60er Jahren Statist an unserem hiesigen Staatstheater meide ich diese Etablissements seit etwa 15 Jahren tunlichst. Die großen Dramatiker, die Griechen, Shakespeare und, jüngst wiederentdeckt, Grillparzer, lese ich nur noch und vermeide, mir die Interpretationen PISA-geschädigter Jungreschissöre anzutun. Im Bereich der Oper ist es nicht besser, überall nur noch dieses beliebige, stumpfsinnige und austauschbare Einerlei. Wie Ihnen ist es auch mir schon aufgefallen, daß es seit Jahrzehnten keinen nennenswerten „Stückeschreiber“ mehr gibt, von einem Dramatiker will ich gar nicht erst reden.
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