Von Cornelia Buchta.
Ich kann's nicht lassen. Es ist inzwischen ein Ritual mit fast masochistischer Note, den frei ins Haus kommenden Sonntags-Ableger unserer Lokalzeitung aufzuschlagen. Ich lese hier über ein Zirkus-Festival, das mich interessiert und stoße auf folgende Sätze:
„Mitten in der großen Verunsicherung, die unsere Gesellschaft erfasst hat, können wir vom Zirkus lernen, worauf es wirklich ankommt. Direkt und ohne Sprachbarrieren, gleichermaßen attraktiv für alle Generationen und soziale Schichten, erzeugt er mühelos und auf künstlerisch begeisternde Weise Zusammenhalt, Offenheit, Internationalität. Und steht damit für das demokratische und gesellschaftlich integrative Kulturverständnis, für das sich unser Haus von jeher eingesetzt hat.“
Wer wollte da widersprechen? Wumm, da ist sie wieder, die Moralkeule, die zum x-ten Mal auf meinen scheinbar unbelehrbaren Schädel niedersaust. Noch ein zweites Beispiel, ehe ich den Widerspruch wage. Beim Preisträgerkonzert Jugend Musiziert fühlte sich die Leiterin des Kulturamtes zu folgender Aussage bemüßigt. Sie rief den Kindern und dem Publikum zu:
„Ihr seid das beste Beispiel dafür, dass Musik keine Hautfarbe, keine Grenzen und keine Nationalität kennt.
Zunächst einmal muss ich sagen, dass die letzten beiden Punkte dieser Aussage aus Sicht meiner langjährigen Erfahrung als Musikerin und Musikpädagogin falsch sind. Das Bedürfnis, Musik zu erzeugen mag international sein. Aber die Musik selbst will verstanden werden, sie ist eine Sprache, die sich aus der Beschäftigung mit einem Kulturraum entwickelt. Sie ist ist äußerst regional, da eng verknüpft mit den Gegebenheiten der Herkunftsregionen, wie zum Beispiel den Jahreszeiten, und mit der daraus folgenden kulturellen Verarbeitung. Ebenso ist sie beeinflusst vom politischen, religiösen und gesellschaftlichen Verhalten der jeweiligen Region – selbst der uns als „international“ verkaufte musikalische Einheitsbrei ist westlich und nicht grenzenlos.
Wie bei einem Dialekt oder einer Fremdsprache
Nationalstaatliche Grenzen, ohnehin im Laufe der Geschichte mit wechselnden Verläufen, spielen in der Musik sicher eine untergeordnete Rolle, aber regionale Verständnisgrenzen bleiben. Es ist wie bei einem Dialekt oder einer Fremdsprache: Man kann sie selbstverständlich sehr gut lernen, aber völlig heimisch wird man sich nur in der eigenen fühlen, in der man sozialisiert wurde. Um in feinere Verständnisebenen vorzudringen, braucht man einen Erfahrungsschatz, der sich vom “Neigschmeckten” schwer nachträglich erschließen lässt.
Selbstverständlich sind künstlerische und sportliche Betätigungen wie Musizieren, Akrobatik, Tanz, Teamsport und dergleichen sehr gut geeignet, um trotz Sprachbarrieren Kulturaustausch zu betreiben. Menschen, die ohnehin offen und eifrig sind, erleben dort in einen überregionalen und internationalen Umfeld selbstverständlich Gemeinschaft und Zusammenhalt. Klar. Das war auch schon vor unserer Migrationskrise so. Ich kenne und praktiziere solchen internationalen Austausch schon seit den 1990er Jahren.
Es zeugt von großer Naivität und Unwissenheit, wenn Politiker oder Journalisten behaupten, dass zum Beispiel Orchester, Ballettkompanien oder Fußballteams generell ein Paradebeispiel für gelungenen Internationalismus wären, an denen sich unsere Gesellschaft orientieren sollte. Zumindest für die Profis, die Erfolgreichen auf diesen Gebieten, gilt ein gnadenloser Konkurrenzkampf. Orchester sind hinter der harmonisch tönenden Fassade nicht automatisch Horte der Einigkeit.
Wenn 50 von Kindheit an auf extrem durchsetzungsstarkes Verhalten getrimmte Menschen unterschiedlicher Sozialisierung und Sprache aufeinander treffen, gibt es genauso viele Missverständnisse und Reibereien wie anderswo. Integration in eine Gruppe bleibt selbst bei gemeinsamem Ziel und hoher Motivation eine anstrengende Angelegenheit. Eine Übertragung dieses speziellen Multikulti-Habitats auf unsere Gesellschaft, wo es selbst an diesen beiden grundlegenden Dingen (Ziel und Motivation) fehlt, erscheint mir absurd.
Politische Instrumentalisierungen der Kultur
Noch ein kurzer Blick auf Deutschlands Lieblingssport Fußball. Da mein Mann aktiver Spieler war und sich gut auskennt, lese ich zum Spaß ab und zu den Kicker. Was wurde da nicht herumlamentiert über die fehlende Mentalität mancher Hyperbegabter, die sich dann, statt gute deutsche Tugenden wie Loyalität, Pünktlichkeit und Hingabe zu zeigen, einfach wegstreikten.
Und noch etwas zur fehlenden Sprachbarriere. In meinem Feld, der Musik, spielt die nichtmusikalische Sprachverständigung sehr wohl eine große Rolle. Ich habe international besetzte Kurse besucht, wo selbstverständlich die gemeinsame Kurs-Sprache Englisch Voraussetzung war. Ich weiß von zahlreichen Professoren, dass sie keine Studenten annehmen, die zu geringe Sprachkenntnisse haben, denn ein effektiver Unterricht mit ihnen ist nicht möglich.
Bei jeglicher Art von gemeinsamem kreativem Schaffen ist eine reibungslose Kommunikation nötig. Was noch schwerer wiegt als die Sprachbarriere, sind nationale Unterschiede in der Arbeitsweise und der Problemlösung. Jeder, der mit Menschen unterschiedlicher Nationalitäten arbeitet, wird das bestätigen können.
Was ist eigentlich mein Punkt? Ich möchte hier und in aller Form gegen die unsäglichen Verallgemeinerungen und politischen Instrumentalisierungen der der Kultur protestieren.
Ich wehre mich auch entschieden dagegen, dass Texte und Appelle, wie die oben zitierten, automatisch unterstellen, dass man als Kritiker einer misslungenen Flüchtlingspolitik gegen internationalen Kulturaustausch beziehungsweise generell gegen Ausländer ist. Ich finde, dass seit Jahren erfolgreich praktizierter kultureller Austausch in keiner Weise unkontrollierte Einwanderung rechtfertigt. Im Gegenteil, ich sehe diese Entwicklung als Bedrohung desselben. Kultureller Austausch setzt voraus, dass es unterschiedliche Kulturen gibt, die lebendig gelebt und gepflegt werden und die es wert sind, ausgetauscht zu werden. Internationaler Einheitsbrei ist wie Einkaufen bei Aldi in der Bretagne.
Die Kultur wie wir sie in Deutschland kennen und schätzen und für deren Reichtum und Vielfalt uns viele Länder beneiden, kann nur gelebt und gepflegt werden, solange Menschen in gesicherten sozialen Verhältnissen leben und genug Zeit und Geld haben, diesen kulturellen Vergnügen zu frönen. Die oben zitierten, relativ elitären und auf ein wohlhabendes Publikum angewiesenen Institutionen existieren nur, solange unsere Gesellschaft stabil ist und unsere Sozialsysteme nicht zusammenbrechen.
Zum Schluss fällt mir in diesem Zusammenhang noch der Ausspruch „Brot und Spiele (Zirkus)“ ein. Die Kulturbranche lässt sich wirklich vorzüglich als Ablenkung vor den politischen Karren spannen. Hört auf, euch mit diesen undifferenzierten Pauschal-Appellen zum Helfershelfer der “Grenzenlos-Rufer” zu machen! Besteht auf den Erhalt unserer Kultur und den konstruktiven Austausch mit anderen.
Cornelia Buchta ist Querflötistin und Musikpädagogin.