Cornelia Buchta, Gastautorin / 12.09.2018 / 06:15 / Foto: Pixabay / 46 / Seite ausdrucken

Die Kultur als Ochse vor dem Polit-Karren

Von Cornelia Buchta.

Ich kann's nicht lassen. Es ist inzwischen ein Ritual mit fast masochistischer Note, den frei ins Haus kommenden Sonntags-Ableger unserer Lokalzeitung aufzuschlagen. Ich lese hier über ein Zirkus-Festival, das mich interessiert und stoße auf folgende Sätze:

„Mitten in der großen Verunsicherung, die unsere Gesellschaft erfasst hat, können wir vom Zirkus lernen, worauf es wirklich ankommt. Direkt und ohne Sprachbarrieren, gleichermaßen attraktiv für alle Generationen und soziale Schichten, erzeugt er mühelos und auf künstlerisch begeisternde Weise Zusammenhalt, Offenheit, Internationalität. Und steht damit für das demokratische und gesellschaftlich integrative Kulturverständnis, für das sich unser Haus von jeher eingesetzt hat.“

Wer wollte da widersprechen? Wumm, da ist sie wieder, die Moralkeule, die zum x-ten Mal auf meinen scheinbar unbelehrbaren Schädel niedersaust. Noch ein zweites Beispiel, ehe ich den Widerspruch wage. Beim Preisträgerkonzert Jugend Musiziert fühlte sich die Leiterin des Kulturamtes zu folgender Aussage bemüßigt. Sie rief den Kindern und dem Publikum zu:

„Ihr seid das beste Beispiel dafür, dass Musik keine Hautfarbe, keine Grenzen und keine Nationalität kennt.

Zunächst einmal muss ich sagen, dass die letzten beiden Punkte dieser Aussage aus Sicht meiner langjährigen Erfahrung als Musikerin und Musikpädagogin falsch sind. Das Bedürfnis, Musik zu erzeugen mag international sein. Aber die Musik selbst will verstanden werden, sie ist eine Sprache, die sich aus der Beschäftigung mit einem Kulturraum entwickelt. Sie ist ist äußerst regional, da eng verknüpft mit den Gegebenheiten der Herkunftsregionen, wie zum Beispiel den Jahreszeiten, und mit der daraus folgenden kulturellen Verarbeitung. Ebenso ist sie beeinflusst vom politischen, religiösen und gesellschaftlichen Verhalten der jeweiligen Region – selbst der uns als „international“ verkaufte musikalische Einheitsbrei ist westlich und nicht grenzenlos.

Wie bei einem Dialekt oder einer Fremdsprache

Nationalstaatliche Grenzen, ohnehin im Laufe der Geschichte mit wechselnden Verläufen, spielen in der Musik sicher eine untergeordnete Rolle, aber regionale Verständnisgrenzen bleiben. Es ist wie bei einem Dialekt oder einer Fremdsprache: Man kann sie selbstverständlich sehr gut lernen, aber völlig heimisch wird man sich nur in der eigenen fühlen, in der man sozialisiert wurde. Um in feinere Verständnisebenen vorzudringen, braucht man einen Erfahrungsschatz, der sich vom “Neigschmeckten” schwer nachträglich erschließen lässt.

Selbstverständlich sind künstlerische und sportliche Betätigungen wie Musizieren, Akrobatik, Tanz, Teamsport und dergleichen sehr gut geeignet, um trotz Sprachbarrieren Kulturaustausch zu betreiben. Menschen, die ohnehin offen und eifrig sind, erleben dort in einen überregionalen und internationalen Umfeld selbstverständlich Gemeinschaft und Zusammenhalt. Klar. Das war auch schon vor unserer Migrationskrise so. Ich kenne und praktiziere solchen internationalen Austausch schon seit den 1990er Jahren.

Es zeugt von großer Naivität und Unwissenheit, wenn Politiker oder Journalisten behaupten, dass zum Beispiel Orchester, Ballettkompanien oder Fußballteams generell ein Paradebeispiel für gelungenen Internationalismus wären, an denen sich unsere Gesellschaft orientieren sollte. Zumindest für die Profis, die Erfolgreichen auf diesen Gebieten, gilt ein gnadenloser Konkurrenzkampf. Orchester sind hinter der harmonisch tönenden Fassade nicht automatisch Horte der Einigkeit.

Wenn 50 von Kindheit an auf extrem durchsetzungsstarkes Verhalten getrimmte Menschen unterschiedlicher Sozialisierung und Sprache aufeinander treffen, gibt es genauso viele Missverständnisse und Reibereien wie anderswo. Integration in eine Gruppe bleibt selbst bei gemeinsamem Ziel und hoher Motivation eine anstrengende Angelegenheit. Eine Übertragung dieses speziellen Multikulti-Habitats auf unsere Gesellschaft, wo es selbst an diesen beiden grundlegenden Dingen (Ziel und Motivation) fehlt, erscheint mir absurd.

Politische Instrumentalisierungen der Kultur 

Noch ein kurzer Blick auf Deutschlands Lieblingssport Fußball. Da mein Mann aktiver Spieler war und sich gut auskennt, lese ich zum Spaß ab und zu den Kicker. Was wurde da nicht herumlamentiert über die fehlende Mentalität mancher Hyperbegabter, die sich dann, statt gute deutsche Tugenden wie Loyalität, Pünktlichkeit und Hingabe zu zeigen, einfach wegstreikten.

Und noch etwas zur fehlenden Sprachbarriere. In meinem Feld, der Musik, spielt die nichtmusikalische Sprachverständigung sehr wohl eine große Rolle. Ich habe international besetzte Kurse besucht, wo selbstverständlich die gemeinsame Kurs-Sprache Englisch Voraussetzung war. Ich weiß von zahlreichen Professoren, dass sie keine Studenten annehmen, die zu geringe Sprachkenntnisse haben, denn ein effektiver Unterricht mit ihnen ist nicht möglich.

Bei jeglicher Art von gemeinsamem kreativem Schaffen ist eine reibungslose Kommunikation nötig. Was noch schwerer wiegt als die Sprachbarriere, sind nationale Unterschiede in der Arbeitsweise und der Problemlösung. Jeder, der mit Menschen unterschiedlicher Nationalitäten arbeitet, wird das bestätigen können.

Was ist eigentlich mein Punkt? Ich möchte hier und in aller Form gegen die unsäglichen Verallgemeinerungen und politischen Instrumentalisierungen der der Kultur protestieren.

Ich wehre mich auch entschieden dagegen, dass Texte und Appelle, wie die oben zitierten, automatisch unterstellen, dass man als Kritiker einer misslungenen Flüchtlingspolitik gegen internationalen Kulturaustausch beziehungsweise generell gegen Ausländer ist. Ich finde, dass seit Jahren erfolgreich praktizierter kultureller Austausch in keiner Weise unkontrollierte Einwanderung rechtfertigt. Im Gegenteil, ich sehe diese Entwicklung als Bedrohung desselben. Kultureller Austausch setzt voraus, dass es unterschiedliche Kulturen gibt, die lebendig gelebt und gepflegt werden und die es wert sind, ausgetauscht zu werden. Internationaler Einheitsbrei ist wie Einkaufen bei Aldi in der Bretagne.

Die Kultur wie wir sie in Deutschland kennen und schätzen und für deren Reichtum und Vielfalt uns viele Länder beneiden, kann nur gelebt und gepflegt werden, solange Menschen in gesicherten sozialen Verhältnissen leben und genug Zeit und Geld haben, diesen kulturellen Vergnügen zu frönen. Die oben zitierten, relativ elitären und auf ein wohlhabendes Publikum angewiesenen Institutionen existieren nur, solange unsere Gesellschaft stabil ist und unsere Sozialsysteme nicht zusammenbrechen.

Zum Schluss fällt mir in diesem Zusammenhang noch der Ausspruch „Brot und Spiele (Zirkus)“ ein. Die Kulturbranche lässt sich wirklich vorzüglich als Ablenkung vor den politischen Karren spannen. Hört auf, euch mit diesen undifferenzierten Pauschal-Appellen zum Helfershelfer der “Grenzenlos-Rufer” zu machen! Besteht auf den Erhalt unserer Kultur und den konstruktiven Austausch mit anderen.

Cornelia Buchta ist Querflötistin und Musikpädagogin.

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Wiebke Lenz / 12.09.2018

Ich bin musikalischer Laie, habe lediglich Klavierunterricht genossen und im Chor gesungen. Und bin Genießer. Ich gehe jedoch mit der Autorin konform: Ich traue noch nicht einmal jedem gebürtigen Europäer zu, Smetanas “Ma Vlast” zu spielen. Es fehlt die Verbundenheit zum Land, die zu spüren ist - oder eben auch nicht (egal, wie die handwerklichen Fähigkeiten sind). Ebenso können afrikanische oder amerikanische Klänge sehr wohl von Europäern für das europäische Ohr gefällig gespielt werden. Es ist aber auch hier so, dass die Verbundenheit fehlt, und es quasi einfach falsch ist, was kommuniziert wird. Dieses heißt nicht, dass man sich nicht gegenseitig kulturell befruchten sollte. Dieses wurde schon immer so gehandhabt - und Grenzen sind ganz sicher nicht per se etwas Schlechtes.

Frank Box / 12.09.2018

Wer glaubt, weitgehend bildungslose Armutsflüchtlinge islamischen Glaubens aus Afrikarabien seien an etwas anderem interessiert, als ihre kostenlose, lebenslange Versorgung, der glaubt auch an den Osterhasen! Wir und unsere Kultur gelten im Koran als minderwertig. Eine Alimentierung durch die “Ungläubigen” sehen alle Moslems als ihr gutes Recht an. Auf lange Sicht existieren im Islam nur zwei Alternativen: Unterwerfung oder Tod!

Gisela Tiedt / 12.09.2018

Musik verbindet, zumindest kann sie es. Muss aber nicht. Ich habe bisher noch in keinem klassischen Konzert eine Kopftuchträgerin gesehen. Die jungen Menschen dort haben hingegen oft einen fernöstlichen Hintergrund, Künstler wie Zuschauer. Vielleicht verbindet Musik genau das, was sich gut verbinden lässt.

Andreas Voigt / 12.09.2018

Ich kann nicht erkennen, dass in der Ellenbogen- Gesellschaft ein gemeinsames Ziel vorherrscht, wie zb. in einer Fußballmannschaft, wie zb. Ball ins Tor oder Pokal. Eher kämpft hier jeder gegen jeden. Von gemeinschaftlichen Aktivitäten auf die Gesamtgesellschaft zu schließen heisst Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Ilse Polifka / 12.09.2018

Bei diesen dümmlichen Appellen fehlt nur noch ein Hinweis auf den bösen Trump.

Bernhard Maxara / 12.09.2018

Ein wahres Wort und längst fällig, zumal aus dem Munde einer Ausübenden. Schon lange ist man der völlig unangebrachten Hervorhebung der “Internationalität” der Kunst überdrüssig, denn “man merkt die Absicht und man ist verstimmt”. Über einhundertzwanzig fest bespielte Musiktheater konzentrieren sich im deutschsprachigen Raum, was Wunder, daß jedem in dieser Welt mit einer auffallenden Stimme geraten wird: “You’ve got a good voice, you must go to Germany (Austria, Suisse).” Denn fast überall sonst in der Welt wird neben den paar größeren Häusern Stagione-Theater betrieben, was bedeutet: “Nach der letzten Vorstellung kannste wieder stempeln gehen.” Seit meiner Anfängerzeit Anfang der Siebziger füllten täglich Aberdutzende von begabten jungen Sängern aus aller Welt die Vorzimmer von Agenturen und Auditionen, und wir deutschen Anwärter sahen uns einer in Uferlose wachsenden Konkurrenz ausgesetzt. Wurden wir deswegen “ausländerfeindlich”? Natürlich nicht, denn als Künstler fühlten wir ohnehin kosmopolitisch, hinzu kam, daß aus der weiten Welt keineswegs die Schlechtesten kamen, und oftmals bewunderten wir ihre Technik, waren Kollegen und lernten voneinander. Das alles ist selbstverständlich, und wenn ich heute in einem Theater protzige Hinweise auf die ethnische Vielfalt des Personals lese, fühle ich mich sowohl als heutiger Zuschauer wie ehemaliger Kollege - ehrlich gesagt beleidigt!

Annegret Weiß / 12.09.2018

Guter Text! Übrigens: Dass es in Deutschland seit einiger Zeit zugeht wie im Zirkus ist ja kein Geheimnis. Die Frage ist: Will man in einem solchen Land leben? Und was sind die praktischen, realen Konsequenzen? Ach, was schreibe ich hier, wir wissen es doch alle!

Frieda Wagener / 12.09.2018

Tatsächlich heißt die Veranstaltung “Jugend musiziert”, nicht “Musiziert”, aber bei “Chemnitz Nazifrei” werden ja auch irgendwelche Wörter wahllos groß geschrieben, damit es wichtig und „modern” aussieht. Und: Kunst wurde schon immer von der Politik mißbraucht, nicht erst seit Goebbels.

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