Das neue EU-Programmpapier „Fit for 55“ will der EU bis 2050 gänzlich das CO2 austreiben, koste es, was es wolle. Hüten wir also unsere ausgedienten Autos mit Verbrennermotor – vielleicht sind sie wie auf Kuba bald auch bei uns der einzige Schlüssel zur individuellen Mobilität.
Die Aufzählung der Maßnahmen, Grenzwerte und Konsequenzen des EU-Programmpapiers mit dem klingenden Namen „Fit for 55“ liest sich wie eine Wunschliste aus einem imaginären Fachblatt „Folterknecht today“. Hinter der pfiffigen Alliteration verbirgt … nein, das ist das falsche Wort … grinst den EU-Insassen ein ganzer Strauß von Maßnahmen an, mit denen die EU die Welt fast im Alleingang retten will. Notfalls auch gegen den Willen der Bürger, denn die wurden nicht gefragt, ob sie den aufgelisteten Grausamkeiten freudig zustimmen. Gefragt werden sie aber noch. Nur eben nicht von Brüssel, sondern in den einzelnen Mitgliedsländern. Es ist zum Glück äußerst fraglich, ob die Pläne Timmermans und von der Leyens, der EU bis 2030 ganz und bis 2050 gänzlich das CO2 auszutreiben, etwa in Süd- oder Osteuropa auf vergleichbare Euphorie wie in der Politikblase Brüssels treffen wird.
In der deutschen Presse, die das neue zu besteigende ökologische Matterhorn ansonsten detailreich beschrieb, kamen die Widerstände denn auch nicht vor. Weder der Spiegel noch die Tagesschau oder die Süddeutsche wussten zu berichten, was dem französischen „Le Figaro“ zumindest einen kurzen Satz wert war:
„Das Abkommen wurde von Polen stundenlang blockiert, um Garantien für die Finanzhilfen zu erhalten, die es im Austausch für die Ökologisierung seiner Wirtschaft erhalten würde.“ Wie bei den meisten regulativen Großtaten der EU wird man sich auch hier Gefolgschaft teuer erkaufen müssen. Wer die Zeche am Ende zahlen wird? Na, da kommen Sie sicher selbst drauf, liebe Leser.
3,5 Millionen neue Ladestellen in 8 Jahren
Das Lustige an den EU-Plänen ist, dass sie tatsächlich Zahlen enthalten, an denen man den waltenden Wahnsinn messen kann. Allein für den Umbau des Verkehrssektors in Richtung E‑Mobilität und Wasserstoff (alle 60 Kilometer Ladesäulen und alle 150 Kilometer eine Wasserstofftankstelle, EU-weit entlang der Hauptverkehrswege) will man in acht Jahren, also bis 2030, ambitionierte 3.500.000 neue Ladestellen gebaut haben.
Zum Vergleich: Der E‑Mobilitäts-Musterknabe Deutschland schaffte von 2020 bis 2021 einen Zuwachs von 900 Ladesäulen. Insgesamt sind es heute ganze 23.300. Selbst wenn man Anzahl und Ausbautempo auf die EU verteilt, stellt sich die Frage: Wer soll die Dinger bauen? Mit welchem Strom sollen sie betrieben werden? Von den Wasserstofftankstellen (2019 gab es in der gesamten EU ganze 140 Stück) schweigen wir hier aus Höflichkeit ebenso wie von den weiteren 16,3 Millionen Ladesäulen bis 2050. Es ist, als hätten die Astronauten von Apollo 11 beschlossen, statt nur zum Mond lieber gleich zum Pluto zu fliegen. Und zwar deshalb, weil man sie bezüglich der Fähigkeiten ihres Raumschiffes im Unklaren gelassen und stattdessen mit Optimismus und politischen Parolen überschüttet hätte. Armstrong und Aldrin landeten bekanntlich auf dem Mond. Der EU hingegen steht eine harte Landung in der Realität bevor.
Der „Fit for 55“-Plan hat den Makel, dass er völlig ignoriert, in welchen Schwierigkeiten beispielsweise Deutschland bei der Umsetzung vieler dieser Teilpläne bereits heute steckt. Stattdessen skaliert man die deutschen Pläne von Energiewende, Verkehrswende und all der anderen „Wenden“ einfach hoch und hofft das Beste. Alles auf einmal, ist die Devise. „Alles auf Strom“ ist der Koks, den sich die Bürokraten durch die Nase ziehen. Doch während die EU-Kommission vor jeden Baum eine Ladesäule stellen will, argumentieren deutsche Klimaretter längst in Richtung Reduzierung des Individualverkehrs. Sei es nun aus moralischen, autoritären oder mathematischen Gründen, weil sich nun mal nicht leugnen lässt, dass mangels Energie nur ein Bruchteil des aktuellen Verkehrs in der elektrischen Zukunft ankommen kann. Doch warum nicht all die willigen Hersteller nutzloser Ladeinfrastruktur vorher kräftig verdienen lassen?
Während man vorgibt, das neue, vereinigende „Symbol“ der EU sei die Ladesäule, wissen wir hierzulande bereits, dass es eher das Lastenfahrrad sein wird. In den Niederlanden, der Heimat des Klimaschutzkommissars Frans Timmermans, mag man sich in diese Kurve legen können. In Paris, Rom oder Warschau halte ich das für ausgeschlossen. Doch wo selbst der chronisch optimistische deutsche Wirtschaftsminister kleinlaut anmerkt, dass man nicht wisse, woher der ganze zusätzliche Strom für Transport, Güterverkehr, Heizung und den ganzen Rest kommen soll (eine Tatsache, die selbst schlichten Gemütern wie mir bereits vor fünf Jahren klar war), ruft die Süddeutsche eilig „Windräder, Windräder, Windräder“ und wünscht sich, dass nun endlich (!) auch sakrosankte Landschaften in den Schwachwindgebieten Bayerns und Baden-Württembergs „optisch gebrochen“ werden. Aussichten müssen brechen für den energetischen Endsieg.
Die sozial verträgliche Umgestaltung
Kurz vor der Bekanntgabe des energiepolitischen Pyramidenbaus der EU-Kommission gab Timmermans ein Interview, in welchem er einen unverstellten Blick auf seine Ahnungslosigkeit ermöglichte.
„Und wir müssen das auch auf den Transport ausweiten, auf Lieferungen, und auch auf das Heizen von Wohnhäusern. […] Wir suchen nach effizienteren Ergebnissen, die auch in der Lage sind, die Umweltbelastung ohne Energie-Armut zu verringern.“
Energie-Armut dürfte das Stichwort sein, unter dem die künftige EU firmieren wird, die von Timmermanns und von der Leyen – der eine nicht gewählt und die andere stand nicht mal auf einem Wahlzettel – in einen dirigistischen Nannystaat umgewandelt wird. Auf die Frage, ob diese Umwandlung nicht teuer sei, antwortet Timmermanns:
„Das wird der Markt schon regulieren. Ich kann zwar vorhersagen, dass der Preis steigen wird, aber nicht schnell, sondern Schritt für Schritt, damit alle die Möglichkeit haben, sich anzupassen.“
Ändert euch. So einfach ist das.
Nachdem er mit dem Schienenwolf über ganze Industrien gefahren ist, will Timmermanns die Aufräumarbeiten dem Markt überlassen. Das ist geradezu obszön, beispielsweise angesichts der Zukunft des Lieferverkehrs, der elektrisch mit einem Viertel der Reichweite, halber Zuladung, doppeltem Fahrzeuggewicht und zehnfacher „Tankzeit“ auskommen muss – und da reden wir noch nicht von LKWs. Und was macht es schon, dass alles teurer wird, man kann sich ja anpassen!
Unsereiner kann gar nicht schnell genug hinterherverdienen, um all die Herzensprojekte der EU-Kommission finanzieren zu können. Vermutlich wird die Dynamisierung der Gehälter Brüsseler Spitzenbürokraten mühelos Schritt halten können mit dem Tempo des Umbaus. Bei Ihnen und mir, liebe Leser, bin ich mir da nicht so sicher. Doch auch für uns gibt es einen Ausweg. Auf die Frage, wann es nach seiner Meinung keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr geben werde, antwortet Timmermanns:
„Das müssen wir uns fragen, wenn sie nicht mehr gebaut werden. Denn ihre Nutzung im Straßenverkehr zu verbieten, wäre sehr schwierig. Und eines werden wir mit Sicherheit nie sagen: Ab diesem Jahr sind sie verboten!“
Nicht dass solche Nichtigkeiten wie Bestandsschutz in Brüssel letztlich viel gelten würden, aber wir dürfen noch hoffen. Stellen Sie Ihre ausgedienten Verbrenner also gut und sicher ab, liebe Leser. Sie könnten sich dereinst zum Rückgrat einer energetischen Mangelwirtschaft erweisen wie auf Kuba. Verachtet von der Regierung, aber bitter nötig für das bisschen Individualverkehr auf der Insel, das man sich aus den Fünfzigern bis heute bewahrt hat. Ein schwacher Puls zwar, aber immer noch ein Puls. Die Insel EU, demnächst nach dem Plan der EU-Kommission abgeschottet von der Welt durch ein selbstverhängtes CO2-Embargo, ist dann zwar sicher bald Selbstversorger bei CO2-neutralem Stahl, Kupfer und Zement, darf aber nur aus der Entfernung dabei zusehen, wie sich die Weltwirtschaft immer weiter Richtung Asien und China verlagert. Zumindest Timmermans ist optimistisch.
„Diese neue Wirtschaft bringt zwei Millionen Arbeitsplätze mit sich. Die Herausforderung bei dieser Revolution besteht – wie schon damals bei der Dampfkraft und den fossilen Brennstoffen – darin, den Bürgern die Möglichkeit zu verschaffen, sich umzuschulen. Sich neu zu qualifizieren. Einfach um weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Andere Fähigkeiten.“
Ändert euch. So einfach ist das. Joe Biden nannte es einst „Learn to code“, doch das gilt natürlich nicht für die digital legasthenische EU. Hier werden später alle entweder im EU-Parlament oder jener neu zu schaffenden Brüsseler Behörde arbeiten, in der die Energiebedürftigkeit der EU-Bürger festgestellt, verwaltet und durch erzieherische Maßnahmen abgestellt wird. Diese Fähigkeit zu erwerben, dürfte zumindest einigen meiner Landsleute nicht schwerfallen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.