Von Wolfgang Mayr.
Es war ein Erdrutsch: Satte 56 Prozent der Korsen stimmten für die autonomistische Allianz Pè a Corsica. Giugli (Gilles) Simeoni wurde als Chef der korsischen Verwaltung bestätigt, ebenso sein Koalitionspartner Ghjuvan Guidi (Jean-Guy) Talamoni als Präsident des regionalen Parlaments. Ein Votum für mehr Selbstverwaltung, für Autonomie, eine Absage an den französischen Zentralismus. Eine politische Nebenrolle spielen die Parteien in der französischen Nationalversammlung die „Macronisten", und die Republikaner erhielten jeweils 13 Prozent, knapp 19 Prozent stimmten für den rechten Autonomisten Mandoloni. Die Autonomisten siegten auch deshalb, weil nur die Hälfte der Korsen zur Wahl ging.
Die siegreichen Autonomisten fordern Staatspräsident Macron zu ernsthaften Verhandlungen über die Zukunft der Insel auf. Aufgrund der Verwaltungsreform gibt es ab Januar 2018 nur mehr den Verwaltungsbezirk Korsika, eine bürokratische Voraussetzung, um für die gesamte Insel eine einheitliche Sozial- und Wirtschaftspolitik betreiben zu können.
Ein Blick nach Neukaledonien
Zu entsprechenden Maßnahmen haben bereits Gewerkschaften und linke Gruppierungen aufgerufen. Die Allianz setzt auf Autonomie, die Selbstständigkeit sei kein Thema, teilten die Wahlsieger kompromissbereit der französischen Regierung mit. Man werde aber aufmerksam verfolgen, wie die Bürger der ehemaligen Kolonie Neukaledonien stimmen werden. 2018 entscheiden die Neukaledonier über ihren Status, ob sie bei Frankreich bleiben oder unabhängig werden wollen.
Die Verwaltungsreform des ehemaligen sozialistischen Staatspräsidenten Hollande war für die korsischen Autonomisten ein Brandbeschleuniger, das Elsass hingegen wurde an die Kandare genommen. Aus Spargründen ließ Hollande die Zahl der Regionen von 22 auf 14 verringern. So sollten 50 Milliarden Euro eingespart werden. Die Gebietsreform sieht die Fusion der Regionen Picardie und Champagne-Ardenne sowie Auvergne und Rhône-Alpes vor. Auch die Regionen Midi-Pyrénées und Languedoc sollen zusammengelegt werden.
„Paris hat die zentralistischen Zügel angezogen", kommentieren die Kritiker die Reform. Grand Est, Großer Osten, heißt die Region im Osten Frankreichs, die das Elsass, Lothringen sowie die Champagne und den französischen Teil der Ardennen in den neuen Verwaltungsbezirk zwängt. Pierre Klein von der Initiative „Citoyenne Alsacienne" beschreibt die Reform als eine Zusammenführung der ehemaligen Regionen, aber ohne ein Mehr an Befugnissen und Geld. Obwohl die Region zweimal so groß ist wie Belgien, sind ihre Kompetenzen im Vergleich zu den deutschen Bundesländern oder den Schweizer Kantonen verhältnismäßig gering,
Deutsch geht zurück
Eine vertane Chance, so sehen es viele, das Elsass zu einem Bindeglied mit dem deutschen Nachbarn Baden-Württemberg und den nördlichen Schweizer Kantonen umzugestalten. Etwa Jean-Marie Woehrling von der René-Schickele-Gesellschaft. Diese engagiert sich für die Zweisprachigkeit im Elsass und in Lothringen. Die Elsässer verstehen sich als Brücke zum alemannischen Raum. Der Verwaltungsbezirk Grand Est, der bis Reims vor die Tore von Paris reicht, ist keine Brücke.
Als solche empfinden sich auch die Leute in der Champagne-Ardenne nicht. Für sie ist die Zweisprachigkeit kein Anliegen, genauso wenig die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Woehrling befürchtet, dass die neue Superregion zu einer Spracherosion beitragen wird. Noch wird die Hälfte der Schülerinnen und Schüler im Elsass zweisprachig erzogen, aber die Deutschkenntnisse gehen rapide zurück, heißt es bei der Schickele-Gesellschaft.
Valerie Debord, die Vizepräsidentin der Region Grand Est, hingegen verteidigt und lobt die Reform. Sie sei zwar schlecht gemacht und brutal durchgezogen worden, aber richtig. Richtig deshalb, weil sie Ober- und Unter-Elsass zusammenzuführe. Ähnlich argumentiert Philippe Richert, der zurückgetretene Präsident der neuen Region. Sie werde das Elsass nicht knicken, denn die Identität der Elsässer habe auch ohne feste Verwaltungsstrukturen bestanden, das Elsass werde weiter existieren.
Woehrling und Klein sind davon nicht überzeugt: Verwaltungsstrukturen sickern ein, in Schulen, in die Medien, die Grand Est würde irgendwann die Erinnerung an das Elsass verdrängen. Das Zusammenlegen der beiden Departements Ober- und Unterelsass zu einem Departement mache den Schaden nicht wett. Das Departement Elsass-Lothringen werde im großen Osten aufgehen, die noch vorhandenen – wenn auch dürftigen – regionalen Besonderheiten verschwinden.
Frankreich ist zu zentralistisch
Die kritischen Wortmeldungen werden von einem Großteil der Elsässer geteilt. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CSA – im Auftrag gegeben von der regionalistischen Partei „Unser Land" – lehnen mehr als zwei Drittel der Bürger das Aufgehen von Elsass-Lothringen im Großen Osten ab. Mehr als 100 bekannte Persönlichkeiten aus der Region unterzeichneten einen Aufruf für mehr Eigenständigkeit. Der Soziologe Philippe Breton beschreibt die Gebietsreform als eine sehr tiefe Wunde. Die Umfrage ist für Breton ein Aufschrei, ein Protest. In der CSA-Umfrage sagten 38 Prozent, dass sie sich vor allem als Elsässer fühlen. 61 Prozent sind der Meinung, dass Frankreich zu zentralistisch ist. Zwei Drittel wollen, dass der Deutsch- und der Elsässischunterricht weiter entwickelt werden. Die Hälfte der Befragten fordert, dass die Regionalsprache Elsässisch neben Französisch einen offiziellen Status im Elsass erhält.
Während die Korsen die Reform zu ihren Gunsten politisch umdeuteten, haben es die sanften elsässischen Regionalisten von der Partei „Unser Land" deutlich schwerer. Bei den Departements- und Regionalwahlen 2015 stimmten 16 Prozent für „Unser Land", die Partei wurde zur drittstärksten elsässischen Kraft. Bei den Parlamentswahlen holte sich der Front National die meisten Stimmen im Elsass, beim zweiten Durchgang siegte Macron. Auf dem Land gingen viele Bürger nicht zur Wahl. Damit wurde – deutet der Soziologe Breton – der Unmut über die Gebietsreform signalisiert.