Veranstalter in Deutschland, die mich zu Vorträgen oder Lesungen einladen, wenden sich dazu oft an Kooperationspartner, um die Kosten zu teilen. Ich komme von weither und verursache dadurch einen gewissen Aufwand. Bisher haben die parteinahen Stiftungen der verschiedenen politischen Parteien Deutschlands bei solchen Gelegenheiten gern als Kooperationspartner fungiert und aus ihren üppigen Fonds ein paar Euro zu Honorar und Reisekosten beigesteuert.
Im Frühjahr dieses Jahres gab die Friedrich-Ebert-Stiftung in Leipzig den Auftakt, mich wegen kritischer Äußerungen zur Politik der Bundesregierung nicht mehr einzuladen, sogar wieder auszuladen, nachdem man mich bereits eingeladen hatte. Das hat Staub aufgewirbelt bis nach Amerika und Israel und nicht zur Verbesserung von Deutschlands Image beigetragen. Die SPD-nahe Stiftung hätte mich am Reden gehindert, schrieb die Jerusalem Post, „because he wrote articles critical of the German government’s pro-Iranian regime policies that jeopardize the security of the Jewish state.“
Die Anregung zum Nachdenken wurde nicht aufgegriffen, sondern hinter den Kulissen für weitere Maßnahmen gesorgt. Resultat: Es bleibt nicht beim Boykott durch die Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) darf mich nicht mehr einladen. Die Leiterin ihres Hamburger Büros schrieb dieser Tage an einen Veranstalter, der ihr Kooperation für einen Abend mit mir im März 2020 vorschlug: „Die Konrad-Adenauer-Stiftung Hamburg möchte ausdrücklich gerne in 2020 eine Kooperationsveranstaltung mit Ihnen machen, aber bitte mit einem anderen Referenten.“
Der Pluralismus wurde hinterrücks außer Kraft gesetzt
Es sind eigentlich zwei verschiedene Stiftungen, die zu verschiedenen Parteien gehören – aber sie agieren wie eine. Der Pluralismus wurde hinterrücks außer Kraft gesetzt. Dafür gibt es ein deutsches Wort: Gleichschaltung. Das Traurige ist, dass ich die Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung Hamburg kenne. Und daher weiß, dass nicht sie für den Boykott verantwortlich sind. Einige von ihnen mögen und schätzen mich. Sie sind allesamt jünger als ich, sie gingen noch zur Schule, in den Kindergarten oder waren nicht einmal geboren, als ich schon mit ihrer Stiftung gearbeitet habe. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat in den vergangenen 35 Jahren viele Veranstaltungen mit mir organisiert oder andere Organisatoren darin unterstützt, darunter etliche, in denen ich die Politik früherer Bundesregierungen offen kritisiert habe.
Was ist inzwischen in Deutschland geschehen? Die Demokratie wurde durchorganisiert, gesäubert, ordentlich und überschaubar gemacht. In den so bereinigten Machtstrukturen bedarf es nur noch eines verabredeten Signals, um eine unliebsame Person durchgängig auszuschalten. Unter Vervollkommnung verstand man in Deutschland fast immer Totalisierung. Die alte Bundesrepublik, vierzig Jahre lang von den Vertretern gestandener Demokratien beaufsichtigt, war eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat. Unter der anderthalb Jahrzehnte währenden Kanzlerschaft einer FDJ-Funktionärin ist Deutschland in seine alten Muster zurückgefallen. Die heutigen Machthaber, in hermetischen Apparaten aufgewachsen, vermissen nichts, für sie ist die Welt in Ordnung, ihre Demokratie perfekt.
Es ist von neuem ein System, in dem man wegen einer abweichenden Meinung bestraft und für Mitläufertum belohnt wird. Das Ergebnis dieser negativen Auslese sind Apparatschiks, die zwar im Sinne des Apparats gut funktionieren, aber wegen ihrer andressierten Mediokrität, ihres Mangels an Kreativität, ihrer Unfähigkeit zu schöpferischer Kontroverse nicht imstande sein werden, die Herausforderungen von Deutschlands Zukunft zu bewältigen. Und obwohl das alle spüren, kann die schleichende Lähmung offenbar niemand mehr aufhalten. Ich stelle es mir schrecklich vor, heute in Deutschland jung zu sein und in diesem Ambiente überleben zu müssen.
Eine erfreuliche Nachbemerkung:
Der Ebenezer Hilfsfonds Deutschland e.V. will die Veranstaltung mit Chaim Noll ermöglichen. Sie ist geplant fuer den 25.3. 2020, 19.00 Uhr in der Gedenkstaette Kontorhaus Messberg 1 in Hamburg.
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Beitragsbild: Freud CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

"Die Demokratie wurde durchorganisiert, gesäubert, ordentlich und überschaubar gemacht." Man muss es deutlicher sagen: Die Demokratie wurde abgeschafft.
Nachsatz: Das ist genau das, was uns in Panik versetzten müsste! Stattdessen laufen „wir“ einer fanatischen Göre hinterher, die einen Horror vor CO2 hat (ein unschlagbares Geschäftsmodell!) und deshalb in mittelalterlicher Hexenmanier den Weltuntergang beschwört. Dumm, dümmer, deutsch. (Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals so etwas von mir geben würde...)
Herr Noll, danke für diesen Artikel. Sie werden fehlen. Ihr letzter Absatz ist die Essenz dessen, was in Deutschland falsch läuft. Es scheint eine tiefe Sehnsucht zur Uniformität und zur Gleichmacherei zu geben. Das Land ist zunehmend unfähig zur Debatte und zur Kreativität, und das trotz materiellem Reichtum. Und ja, es ist gerade nicht schön in Deutschland jung zu sein. Die Frage ist, was tun? Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob durch gesellschaftliches Engagement die jetzigen Zustände geändert werden können. Das fängt bei den Parteien an und geht bei den Kirchen weiter. Diesen habe ich beiden schon den Rücken gekehrt. Meine (kleine Sparten-) Gewerkschaft sehe ich inzwischen auch kritisch, halte ihr aber noch die Treue. Sieht so der beginnende Zerfall der Zivilgesellschaft aus? Unsere aktuellen Zustände beschreibt W.B. Yeats, wenn auch schon 100 Jahre früher: "The best lack all conviction, while the worst are full of passionate intensity." Haben Sie einen Vorschlag, was man tun kann? P.S.: Ich habe eine Greencard beantragt.
Erst werden die Kritiker diffamiert, isoliert, mund-tot gemacht - später lässt man den Mund weg... hatten wir das nicht schon zweimal...
Seien froh, Herr Noll, dass Ihnen wegen unliebsamer Äußerungen wenigstens Ihre israelischen Bürgerrechte nicht aberkannt werden können. Auf den deutschen Pass –falls Sie einen haben- können Sie ja wohl zur Not verzichten. // All diese kerzengeraden Aufrechten merken gar nicht, wie weit sie schon ins Totalitäre (Hitlerische) abgeglitten sind. // »Die alte Bundesrepublik, vierzig Jahre lang von den Vertretern gestandener Demokratien beaufsichtigt, war eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat.« Gerhard Polt dazu in einem Sketch mit Blick auf die damalige CSU: »Was braucha mia a Opposition, mir san ja schon a Demokratie...«
Es ist auch schrecklich, als alter Mensch in diesem Deutschland leben zu müssen, wenn man im früheren, demokratischen Deutschland aufgewachsen ist, wenn man erlebt hat, dass Politiker Fachkompetenz besaßen und daß dieses Land sich nicht den Eurokraten unterwarf, sondern eine führende Wirtschaftsmacht in einem gemeinsamen Markt war. All das haben die Verbrecher der neuen deutschen Diktatur zerstört. Es ist schrecklich, heute als Deutscher in Deutschland leben zu müssen, Fremder in eigenen Land.
Ein Urteil beurteilt auch immer seine Richter!