Henryk M. Broder / 12.04.2020 / 10:30 / Foto: Manfred Werner / 64 / Seite ausdrucken

Die Kollateralnutzer der Corona-Krise: Teil 1 – Konstantin Wecker

Es ist nicht alles schlecht in diesen Tagen, und es gibt nicht nur Kollateralschäden, sondern auch Kollateralnutzen, oder wie wir Börsianer gerne sagen: Windfall benefits.

Zum Beispiel: Ostern wird nicht auf Weihnachten verlegt, aber die traditionellen Ostermärsche fallen heuer aus. Das ist schon mal eine gute Nachricht. Was uns u.a. erspart bleibt, sind Auftritte von Konstantin Wecker, der die Friedensbewegung seit Jahrzehnten musikalisch begleitet. Weil der Ostermarsch in diesem Jahr "60 Jahre alt wird", so Wecker in einer Mitteilung an seine „Freundinnen und Freude", und es heute mehr denn je darauf ankommt, "den Stopp aller Rüstungsproduktionen und Rüstungsexporte zu fordern", hat Wecker gestern, Ostersamstag, ein "Antikriegskonzert" gegeben, das "live & digital & kostenlos weltweit" gestreamt wurde. Das machen derzeit viele Künstler, die wegen Corona keine Konzerte geben dürfen. Auch Andachten, Gottesdienste und Lesungen wurden ins Netz verlegt. Nur die Begräbnisse der Corona-Toten finden noch analog statt.

Da sieht man mal wieder, wozu der technische Fortschritt taugt. Vor 17 Jahren, kurz vor Beginn des Golfkrieges, musste Wecker noch ganzheitlich nach Bagdad fliegen, um dort im "Künstlercafé" ein Konzert zu geben. Vorher bat er seine Freunde "um finanzielle Unterstützung, um Hilfsgüter wie Medikamente und Milchpulver mitzunehmen", die er in Bagdad verteilen wollte. Als echter Undercover-Samariter begann er seine humanitäre Mission damit, dass er sich zusammen mit Saddam Hussein fotografieren ließ. Gut, es war nur ein Porträt von Saddam Hussein, das jemand in der Besenkammer des "Künstlercafes" aufgehängt hatte, aber immerhin war es der Präsident.

Derweil saß ich in Berlin und verfolgte Weckers Mission live im irakischen Fernsehen. Mit Alex, Burekas, Falafel, Hummus, Judith und Tabule.

Zurück in Deutschland erklärte Wecker in einem SPON-Interview, warum er nach Bagdad gereist war und was er dort erlebt hatte. "Ein Iraker sagte mir hinterher, dies sei der schönste Abend seines Lebens gewesen, er habe weder Texte noch Musik richtig verstehen können, aber die Sprache meines Herzens."

Die Sache hatte ein kleines heiteres Nachspiel. Wecker setzte seinen Schwiegervater in Marsch, der gegen mich beim Landgericht Verden (!) eine Einstweilige Verfügung beantragte, mit der mir untersagt werden sollte, zu behaupten, "dass ein Leben an der Seite von Wecker zu schweren Wahrnehmungsstörungen der Wirklichkeit führen muss". Die EV kam nicht zustande, nur bekam ich seitdem nie wieder Freikarten für ein Wecker-Konzert. 

Und nun singt er wieder, der Konstantin, für den Frieden und gegen den Krieg, live & digital & kostenlos weltweit, diesmal nicht aus dem "Künstlercafe" in Bagdad, sondern von der BR KulturBühne, er singt "vom globalen Ausnahmezustand in Zeiten von Covid-19, vom Grauen heutiger Kriege und den Profiten der Rüstungskonzerne und Waffenhändler, aber auch von seinen Träumen und Hoffnungen auf seiner Suche nach einer besseren und herrschaftsfreien Welt".

Bis es so weit ist, wird er weiter Lieder singen, in denen sich johlen auf unverhohlen reimt, Tresen auf genesen und wichtig auf richtig. Das ist gelebte Antifa. Mach es gut und zeige Mut, sage Nein und bleibe rein.

Foto: Manfred Werner Tsui CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Volker Matthes / 12.04.2020

Da halte ich mich s mit @FrankMichael Goldmann Teil 1. Der billige Seitenhieb gegen Wecker „erweckt“ den Eindruck, dass es Ihnen, sehr geehrter Herr Broder, auch um eine Schmähung der Friedensbewegung geht. Das hat sie aber nicht verdient. Wir werden alle noch sehen, ob der Frieden in Zeiten des neuen kalten Krieges so sicher ist, dass man nicht mehr dafür auf die Straße muss.

Jörg Klöckner / 12.04.2020

Die Öffentlichkeit ist die ewig junge Hure, denen geltungssüchtige alte Männer umso weniger widerstehen können, je mehr sie ihre eigene Nutzlosigkeit begreifen. Sie müssen fast schon triebhaft die Bühne betreten, wenn sich eine Gelegenheit bietet - sei es bei Flüchtlingscamps, Kriegsschauplätzen, Schlepperrouten, in der Dritten Welt, oder als moralisierende Beschimpfer und Belästiger wehrloser Zuhörer vor den Bühnen der Wohlstandsgesellschaft. Sie sind die Marketender im Tross des Schicksals, und sie gaukeln uns auch noch vor, dass sie es seien, die die Schlachten schlagen. Echte Kriegsgewinnler! Katastrophentouristen, die in der ersten Zuschauerreihe sitzen müssen. Was wären sie unbedeutend, wenn es keine Missstände gäbe!

J.Schuster / 12.04.2020

Der Wecker wirbelt wieder mächtig ( weißen ) Staub auf .

Stephan Jankowiak / 12.04.2020

So, gegen meinen aktuellen Standpunkt, weil Wecker aktuell nicht mehr kompatibel mit meinigem ist, trotzdem eine Lanze ich brechen tu für diesen genialen Piano/Klavierspieler, schlichtweg Musiker und Sänger mit Wahnsinnsstimme (hat jawohl eine Opernausbildung). Ja, auch als Achsepate habe ich immer noch sein gesamtes Repertoire der 80er und 90 er auf LP und CD (Grönemeyers “Bochum” LP habe ich, fotografisch dokumentiert, nach seiner Sportpalastschreierei demonstrativ zerbrochen)und gerade, weil ich Achsepate bin. Ich bekenne mich schuldig, kaum ein Konzert in meiner Region mit meiner damaligen Lebensgefährtin und jetzigen Frau von Wecker ausgelassen zu haben. Es ist halt das Gesamtwerk, was zählt. Wie bei vielen anderen auch. Was ist gegen “Freiheit, Wecker, heißt keine Angst haben vor nichts und niemanden (“Willi”; gerade jetzt und schon immer mein Leitspruch)” oder “Ihr wärt hier so wichtig, Sophie und Hans,Alexander und all die andern. . . .  Wie alle, die zwischen den Fahnen stehn, Denn die aufrecht gehn, sind in jedem System nur historisch hoch angesehn.  (Weiße Rose)”. Und alle die von allem nicht genug bekommen, lauschet den genußvollen Zeilen von “Genug, kann nicht genügen”, ich ende mit “schon schweigen ist Betrug”

Walter Weimar / 12.04.2020

Das keine Freikarten für ein Konstantin-Wecker-Konzert zu bekommen ist ein Adelstitel. Herr Broder, sie Drückeberger. Dann müssen eben andere zugeführt werden.

Wolfgang Nirada / 12.04.2020

Ach ja - gestern hams an Willi daschlong und heute einen Feuerwehrmann… Aber das kriegen die schon nicht mehr ganz auf die Reihe - die weichgekoksten Schrumpfköpfe samt ihrer dumpfbackigen Fangemeinde…

Bertram Scharpf / 12.04.2020

Hat mal jemand Weckers Verdienste gewürdigt für den Frieden in Kolumbien?

Karl Heinz Brandt / 12.04.2020

Frank@Stricker, ich fühle beim Namen Renan Demirkan mit Ihnen . Ich saß vor Urzeiten zufällig neben der Madame , die ja die Liebe von den Moslems gelernt hat , in einem Kölner Restaurant. Weil ich aufgrund ihrer alles übertönenden Lautstärke nicht umhin kam ihrem Gespräch zu folgen , hatte ich nach 20 Minuten den Wunsch mir das Messer ins Atemzentrum zu rammen . Vor der Vorspeise zahlen erschien mir seinerzeit angemessener .

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