Leute aus dem Norden, die als „Experten“ für notleidende Menschen auftreten, werden in Afrika immer unbeliebter. Weder können wir Afrika „retten“, noch andere von dem „alternativlosen“ deutschen Weg überzeugen. Ein Situationsbericht anlässlich des Klimagipfels.
In den Diskussionen nach meinen Vorträgen werde ich seit einiger Zeit aus dem Achtsamkeits-Milieu mit fordernden Fragen und Statements zum Klimawandel in Afrika konfrontiert. Die gutmeinenden Fragesteller gefallen sich in ihrer moralischen Überlegenheit. Das kommt meines Erachtens von der überproportionalen Klimaberichterstattung vor allem in den öffentlich-rechtlichen Medien. ( Afrikaner sagen mir: „C'est l'overdose„). Wetterdienste stellen sich in den Dienst der Katastrophen-Berichterstattung (vergleiche Ulli Kulke am 30.10.21 auf der Achse „Katastrophen-Gedröhne zum Klimagipfel – eine Gebrauchsanleitung“).
Der Klimawandel wird als einziges wichtiges Problem – auch für Afrika – dargestellt, dem sich alles andere rigoros unterzuordnen habe. Das Medientrommelfeuer zum Thema Klimaschutz hat bei vielen Menschen Zukunftsängste erzeugt. Wer widerspricht oder die alarmistischen Schlussfolgerungen nicht teilt, wird rasch als Klimaleugner gestempelt. Schön wäre es, wenn diese Menschen zur Sache sprechen würden, anstatt sich in Anfeindungen zu verlieren und die Legitimität des Gesprächspartners anzugreifen. Aber Positionen, die ihrem Denksystem widersprechen, kommen gar nicht mehr vor.
Wenn ich bei dem Meinungsaustausch auf andere drängende Probleme der Afrikaner hinweise, etwa dass das Leben in einigen Staaten Afrikas für viele ein täglicher Überlebenskampf ist: Arbeitslosigkeit, dass familiäre Bindungen bei Stellenbesetzungen wichtiger sind als berufliche Eignung, Nahrungsmittelversorgung, Zugang zu sauberem Trinkwasser, fehlende medizinische Versorgung will man nicht gelten lassen. Das Thema Klimawandel könne nicht „zweitrangig“ betrachtet werden.
Kaum einer dieser zur Selbstgefälligkeit neigenden Rechtschaffenen weiß, dass über die Hälfte der Bevölkerung Afrikas keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen hat. Dass die Versorgung mit Trinkwasser mangelhaft ist. Gesundheitsgefahren wie ein Anstieg von Malaria – mehr als Covid 19 – eine große Sorge sind. Die übereifrig achtsamen, meist jungen Menschen möchten eine „konsequente Klimapolitik“ in Afrika durchsetzen und Afrikanern „helfen“ dafür ein „Bewusstsein zu entwickeln“. Denn insbesondere die Deutschen kämpfen für das Gute, sind also unfehlbar. Gebildete Afrikaner stehen aber nach meinem Eindruck auf dem Boden von Tatsachen – und nicht von Einbildungen. Und Leute aus dem Norden, die als „Experten“ für notleidende Menschen auftreten, werden in Afrika immer unbeliebter.
„Empathie wird regelmäßig mit bloßer Identifikation verwechselt und falsch deklariert. Statt mit einem notleidenden Menschen mitzufühlen, identifiziert man sich etwa mit dem Retter und Helfer. Das fördert das Wohlbehagen des empathisierenden Menschen, aber auf Kosten der Menschen in Not.“ (Fritz Breithaupt, Die dunklen Seiten der Empathie, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 2017)
Aktuell nehmen 25.000 Weltrettungsbotschafter, Lobbyisten, Klimaaktivisten, NGOs (die ihre Interessen durchdrücken wollen) an der 26. Weltklimakonferenz in Glasgow teil. An Geld scheint es nicht zu fehlen, denn allein die Übernachtungskosten betragen bis zu 700 Dollar pro Nacht. Präsident Xi, dessen Land mehr als ein Viertel der globalen CO2-Emissionen emittiert, hat die Teilnahme an der UN-Konferenz abgesagt. (Die EU Mitgliedstaaten sind mit etwa acht Prozent der weltweiten CO 2 Emissionen beteiligt.) Neben Präsident Xi wird auch Wladimir Putin nicht nach Glasgow reisen. Auf der Konferenz werden sich die westlichen Staaten vermutlich mehr oder weniger mit sich selbst beschäftigen.
Afrika wird nicht an Deutschland und Europa genesen
Afrikaner zweifeln nicht am Klimawandel. Aber wo endet die notwendige Aufklärung und wo beginnt der Alarmismus? Vor allem wird die Vorbildfunktion Deutschlands erheblich überbewertet. Ein wirkliches Gewicht hat Deutschland nicht. Weder können wir Afrika „retten“, noch andere von dem „alternativlosen“ deutschen Weg überzeugen. Afrikaner können durchaus zwischen unserem hohen Anspruch und der Wirklichkeit unterscheiden.
Seltsamerweise wollen aber Afrikaner von meist jungen hochmütigen Europäern, die noch nie einen Fuß auf den Kontinent gesetzt haben, nicht Umweltprojekte und Ratschläge aufgedrängt bekommen und dadurch bevormundet werden.
Die landwirtschaftliche Fakultät an der Universität Stellenbosch/Südafrika, ebenso wie die entsprechende Fakultät an der Rhodes University in Grahamstown gehören zu den führenden Fakultäten auf den Gebieten Umwelt/Klimawandel. Hinzu kommen die landwirtschaftlichen Fachhochschulen in den SADC-Ländern (außer Südafrika, Botswana, Lesotho, Mosambik, Namibia und Swasiland). Das Thema Klimawandel, Resilience, moderner Landbau in ariden und semi-ariden Gebieten wird dort tagtäglich gelehrt und dazu geforscht. In vielen Fällen ist der Erkenntnisstand viel weiter als bei uns in Europa.
Ich habe nicht den Überblick über alle Universitäten in Afrika, die sich mit dem Thema beschäftigen. Aber eine der renommiertesten privaten Hochschulen Afrikas möchte ich noch erwähnen:
Der Ghanaer Patrick Awuah Jr. gründete im März 2002, nach einem Studium in den USA (unter anderem MBA von UC Berkeley’s Haas School of Business) und Tätigkeit bei Microsoft, die Ashesi University in Accra/Ghana. Ziel ist es, zukünftige Führungspersönlichkeiten auszubilden. Sie werden finanziell durch Stipendien der Universität unterstützt. Die Hälfte der etwa 2.000 Studenten aus 28 Ländern sind Frauen. 2016 wurde das Ghana Climate Innovation Center ins Leben gerufen. Das Hauptaugenmerk ist dabei nicht so sehr Grundlagenforschung, sondern die lokale Umsetzung durch afrikanische Start-Up Jungunternehmer, die schon während der Studienzeit lernen sollen, wie man privatwirtschaftlich einen profitablen und nicht subventionierten Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels erreichen kann (das heißt nicht nur einen Pool von Beratern bilden, die dann bei internationalen Organisationen oder NGOs einen einträglichen Job finden). Die Studenten lernen die Techniken, wie man solche Projekte anpackt. Erfreulicherweise legt die Universität auch großen Wert auf eine Analyse, was nicht erreicht wurde (failure-report).
Ein Klima-Aktivismus wie in Europa funktioniert in Afrika nicht. Ressourcenstarke Staaten, zum Beispiel Angola, Kamerun, Gabun, Äquatorialguinea, haben wenig Interesse an einem Wandel. Mehr Energie könnte auch mehr Wohlstand für die Menschen bedeuten. Die Menschen hoffen auf Besserung ihrer Lage durch die Schaffung neuer Jobs. Leider ist das oft Theorie, weil gerade diese Staaten lausig regiert werden. Beispiel: Nigeria verfügt nicht einmal über genügend Raffinerien, um den Rohstoff in Benzin zu verwandeln, und ist daher auf Benzinimporte angewiesen.
Fossile Stromerzeugung bleibt wichtig
Die chronische Unterversorgung an umfassender und verlässlicher Elektrizität ist ein zentrales Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent. Rund 600 Millionen Menschen, also fast die Hälfte aller Afrikanerinnen und Afrikaner, haben keinen Zugang zu elektrischem Strom. Wo eine Stromversorgung grundsätzlich möglich ist, ist diese oftmals unzuverlässig oder unverhältnismäßig teuer. Energiearmut ist sowohl für die wachsende Mittelschicht in den großen Städten wie auch auf dem Land ein großes soziales Problem. Selbst innerhalb Subsahara-Afrikas gibt es dabei erhebliche Unterschiede: Während zum Beispiel in Südafrika über 80 Prozent mit Strom versorgt werden, sind es in Südsudan nicht einmal neun Prozent der Bevölkerung. In vielen afrikanischen Städten kommt es regelmäßig zu Stromausfällen. Das Surren der Dieselgeneratoren zur Eigenversorgung ist dort ein allseits vertrautes Geräusch.
Afrikaner, die unter Stromausfällen leiden oder auf dem Land gar kein Stromnetz haben, setzen auf vorhandene Ressourcen: neue Kohlekraftwerke [34 Kohlekraftwerke – davon 19 in Südafrika] liefern derzeit ein Drittel der benötigten Elektrizität auf dem Kontinent, auch wenn das europäischen Klimaaktivisten nicht gefällt: In Südafrika stammt 90 Prozent der Energie aus Kohle. Auch Botswana, Simbabwe, Tansania, Mosambik und andere Länder wollen das Versorgungsdefizit verringern und setzen auf Investitionen in den Kohlesektor. Zahlreiche neue Kohlekraftwerke sind auf dem Kontinent geplant. Die Mehrheit der geplanten oder der sich in Bau befindenden Kraftwerke befinden sich im Südosten Afrikas.
China, Russland und Frankreich helfen beim Ausbau der Kohlewirtschaft. Auch Gas soll für Kraftwerke genutzt werden. Es gibt neu entdeckte Gasvorkommen in Mosambik, Tansania, Ghana, Nigeria und dem Senegal. Für die grüne Energie fehlt es in den meisten Ländern – mit Ausnahme teilweise in Kenia – an der Infrastruktur.
Nature Energy veröffentlichte 2021 eine Studie nach der es unwahrscheinlich ist, dass die Stromerzeugung in Afrika in diesem Jahrzehnt grün wird. Weiterhin würden fossile Brennstoffe den Energiemix dominieren. Die Wissenschaftler der Universität von Oxford haben mehr als 2.500 in der Planung befindliche Kraftwerke und deren Chancen auf eine erfolgreiche Inbetriebnahme untersucht. Das Ergebnis: Der Anteil von Erneuerbaren Energien – ohne Wasserkraft – an der afrikanischen Stromerzeugung bleibt im Jahr 2030 wahrscheinlich unter zehn Prozent.
Erneuerbare Energien benötigen auch das passende Stromnetz und Speicher, um Schwankungen auszugleichen. Schwankungen bei einer solchen Energieerzeugung entstehen, weil auch in Afrika der Wind unterschiedlich stark weht und die Sonne unterschiedlich stark scheint.
Die afrikanischen Länder werden ihre Energieerzeugung auch weiterhin ausbauen. Für einen Kontinent, in dem immer noch Millionen Menschen ohne Elektrizität leben, bleibt die fossile Stromerzeugung wichtig, um das Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahrzehnten voranzutreiben. Kohle ist relativ günstig und der Betrieb der Kraftwerke nicht von den Launen der Natur abhängig, wie es bei Solar-, Wind- und Wasserenergie der Fall ist
Großes Interesse an Milliardenzahlungen aus den Industrieländern
Die häufigen Demonstrationen zur „Rettung der Welt“ (afrikanische Kinder gehen auch freitags in die Schule) schaffen politischen Druck und Aufmerksamkeit, führen aber kaum zu einer rationalen Umweltpolitik. In China hat die Regierung kürzlich 153 zuvor stillgelegte Kohleminen wieder in Betrieb genommen und will die Kohleproduktion um 220 Millionen Tonnen im Jahr steigern – ein Anstieg um sechs Prozent. Der Import von Kohle wird ebenfalls um 15 Millionen Tonnen oder 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen. In China wurden neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 100 Gigawatt genehmigt oder sind bereits im Bau. Das ist zweieinhalb Mal so viel wie die Kapazität aller bestehenden Kohlekraftwerke in Deutschland. Beruhigend: China verspricht immerhin dem Westen bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden.
Die prekäre Situation in afrikanischen Ländern ist ein hausgemachtes Übel, also Ergebnis schlechter und in wirtschaftlicher Hinsicht inkompetenter Regierungsführung und schwache Bildungssysteme. Und überall dieselben Verfahren der Veruntreuung, dieselben kleinen Arrangements, dieselben Tricks, derselbe Klientelismus, Kultur der Straffreiheit, dieselbe klägliche Feigheit der Eliten.
Natürlich haben diese Politiker – oft autokratisch regiert – großes Interesse an Milliardenzahlungen aus den Industrieländern. Diese Politiker führen die Misere in ihren Ländern – nachdem die Kolonialzeit nach über 60 Jahren nicht mehr so recht zieht – auf den Klimawandel zurück, um – oft von deutschen und europäischen Gesinnungsethikern unterstützt – als Opfer von ihrem eigenen Versagen abzulenken.
Reformprozesse – mit Ausnahmen etwa in Ruanda, Botswana, Ghana und dem Senegal – gehen nur langsam voran. Zwar gibt es auch anderswo immer wieder lokale Erfolge, diese können aber häufig noch nicht auf die nationale Ebene übertragen werden.
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).