Wie in der Corona-Zeit in gravierender Weise die (Heils)-Interessen der Gläubigen missachtet wurde.
Unter jenen Institutionen, die sich willig dem Corona-Narrativ unterwarfen, das regierungsamtliche „Pandemie“-Regime exekutierten und Kritiker maßregelten, war auch die Katholische Kirche, mit gut zwanzig Millionen Mitgliedern immer noch die größte Glaubensgemeinschaft in Deutschland und dank eines immensen Vermögens und üppiger Kirchensteuereinnahmen die einflussreichste. Dabei legten die deutschen Bischöfe eine Staatstreue, man könnte fast sagen Staatshörigkeit, an den Tag, die sonst eigentlich nur von den Orthodoxen oder von staatskirchlich verfassten Protestanten wie den deutschen Lutheranern bekannt ist.
Wie dabei in gravierender Weise die (Heils)-Interessen der der Kirche anvertrauten Gläubigen missachtet wurden, das hat Stefan Mückl, Professor für kanonisches Recht an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom und zuletzt juristischer Berater (Aufregung um Missbrauchsgutachten: Stefan Mückl gibt Antworten (benedictusxvi.org) des emeritierten Papstes Benedikt XVI., in einer schon 2021 veröffentlichten Analyse minutiös dargelegt - als früher Beitrag zu einer dringend nötigen Aufarbeitung der Coronazeit. Wobei sich heute die Frage stellt, ob die Kirche aus ihrem Verhalten gelernt hat. Eine Frage, die angesichts des Furors, mit dem sich die Kirchenoberen nun auch dem „Kampf gegen rechts“ verschrieben haben, wohl verneint werden muss.
Mückl förderte zum Teil skurrile Anweisungen zutage, wie die einer Diözese vom April 2020, wonach Sterbende „nur noch in wirklich dringenden Notfällen und auf ausdrücklichen Wunsch des Sterbenden“ von einem Seelsorger besucht werden dürften. Oder der kirchenamtlichen Auslegung des in Rechtsverordnungen einiger Länder enthaltenen Verbots von „Ansammlungen in der Öffentlichkeit von mehr als zwei Personen“. Kirchliche Behörden hätten dies, so Mückl, unbesehen in dem Sinne interpretiert, dass sich auch in einer Kirche, unabhängig von deren Größe, „maximal zwei Personen aufhalten“ dürften. Gewissermaßen die rechtliche Gleichbehandlung des riesigen Kölner Domes mit einer Hauskapelle.
„Maßnahmen neuer Qualität“
Nachdem zunächst nur größere kirchliche Versammlungen, darunter sogar eine Bischofsweihe, verschoben und unter anderem die Spendung der Mundkommunion untersagt worden waren, hätten die kirchlichen Behörden, so Mückl, an den Tagen vor dem 3. Fastensonntag, dem 15. März 2020, „Maßnahmen neuer Qualität“ ergriffen. Dabei habe die von dem erzliberalen Oberhirten Kardinal Reinhard Marx geleitete Erzdiözese München-Freising eine Vorreiterrolle gespielt.
Zu diesen „Maßnahme neuer Qualität“ zählte vor allem die Absage sämtlicher öffentlicher Gottesdienste im Gebiet der Erzdiözese, eine ganz außerordentliche, den Kern kirchlicher Verkündigung betreffende Entscheidung, für die der Bischof die Gläubigen sogar teilweise von der im kanonischen Recht verankerten „Sonntagspflicht“ Moraltheologe begrüßt Rückkehr zur Sonntagspflicht - katholisch.de befreite, dem kirchlichen Gebot, den Sonntag zu heiligen und an diesem Tag eine Messfeier zu besuchen. Sogar Totenmessen wurden verboten, nur das kirchliche Begräbnis durfte gewährt werden.
Als dann mit den von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel geleiteten Bund-Länder-Runden die Coronapolitik zentralisiert wurde und bereits in einer der ersten dieser Treffen am 16. März 2020 ein Verbot aller „Zusammenkünfte in Kirchen. Moschen, Synagogen“ beschlossen wurde, gaben die (Erz-)Bistümer sofort die Einstellung sämtlicher Gottesdienste bekannt - eine devote Geste vorauseilenden Gehorsams, waren diese Maßnahmen doch noch gar nicht in rechtliche verbindliche Formen gegossen worden.
Während dieser ersten Phase der „pandemischen“ Maßnahmen seien die staatlichen Restriktionen widerspruchslos hingenommen, die Frage, ob möglicherweise die Religionsfreiheit berührt oder gar verletzt sein könnte, „erst gar nicht gestellt worden. „Die Kirche erfüllte mustergültig die staatsbürgerliche Pflicht zur Gesetzesbefolgung und verzichtete auf ihr Recht, die staatlichen Restriktionen gerichtlich überprüfen zu lassen“, resümiert Mückl. „Mehr noch, sie machte sich diese zu eigen und verteidigte sie auch gegen manche kritische Stimme aus den Reihen der Gläubigen.“ Gottesdienstausfälle seien „fast als Luxusproblem“ dargestellt worden.
Im Kerngebiet der Seelsorge, in auffallender Weise versagt
Von Mitte März bis Ende April 2020 kam das kirchlich-sakramentale Leben (Gottesdienste, Taufen, Eheschließungen, Beichten, Krankensalbungen) nahezu vollständig zum Erliegen. Hierbei stelle sich, so Mückl, die Frage, inwieweit die Kirche ihrem eigenen Anspruch, „allumfassendes Heilssakrament“ zu sein, unter den erschwerten Bedingungen von Corona gerecht geworden sei. „Hat sie also das ihr Vorgegebene getan, um den Gläubigen (und anderen Menschen, die von sich aus darum nachsuchten) in Zeiten außergewöhnlicher Herausforderungen mit ihren spezifischen Mitteln zu stärken?“
Mückls Antwort fällt im Großen und Ganzen negativ aus, ungeachtet eines „spürbaren Qualitätssprungs der Kirche im Internet“: Doch die Beziehung der Kirchenmitglieder zu Gott und anderen Gläubigen erschöpfe sich nicht in bloßer Virtualität., sondern bedürfe der „realen Präsenz, um die Fülle göttlicher Heilszusagen zu erfahren“. Kurz: Die Kirche hat in ihrem Kerngebiet, der Seelsorge, in auffallender Weise versagt und die ihr anvertrauten Schutzbefohlenen im Stich gelassen. „Das Heil der Seelen, welchem die Spendung der kirchlichen Sakramente vorrangig dient, muss in der Kirche immer das oberste Gesetz sein, auch und gerade in Zeiten von Not, Krieg und Seuchen“, so Mückl. Das kanonische Recht enthalte Vorkehrungen, um jenseits der Normallage diesem Auftrag gerecht zu werden.
Erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, ermutigte die katholischen Oberhirten, kritischere Töne gegenüber der Staatsgewalt anzuschlagen. In ihrem Beschluss vom 10. April 2020 betreffs der Verfassungsbeschwerde eines Gläubigen zum Verbot der österlichen Eucharistiefeiern hatten die Richter Gottesdienstverbote als „überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit gewertet und eine „fortlaufende Prüfung ihrer Verhältnismäßigkeit anhand jeweils aktueller Erkenntnisse“ gefordert.
Jetzt legten die Kirchen in Abstimmung mit staatlichen Behörden eigene Sicherheitskonzepte vor mit zulässigen Höchstzahlen von Gottesdienstteilnehmern, Mindestabständen und Verbot des Volksgesangs“. Doch auch hier reizte die Kirche nicht die ihr eröffneten Spielräume aus, im Gegenteil. „Bisweilen gingen die kirchlichen Schutzmaßnahmen über das vom Staat geforderte hinaus“, so Mückl trocken.
Das einträgliche Konstrukt des staatlichen Kirchensteuereinzugs
Warum handelte die Kirche zumindest in den ersten Phasen des Corona-Geschehens so staatsergeben, wie sie handelte? Eine Vermutung lautet dahingehend, dass die Kirchenoberen die Staatsgewalt und die sie tragende Mehrheitsgesellschaft mit einer besonders eifrigen Erfüllung staatsbürgerlicher „Pflichten“ milde zu stimmen gedachten, zumal nach den Skandalen der letzten Jahrzehnte und eingedenk der Tatsache, dass sie mit ihren überlieferten Grundsätzen nach wie vor in großen Teilen quer zum gesellschaftlichen Mainstream steht. Schließlich geht es nicht zuletzt darum, das für die Kirchen so einträgliche Konstrukt des staatlichen Kirchensteuereinzugs und andere Privilegien nicht in Frage zu stellen.
Ein weiteres Beispiel dieser Attitüde stammt aus dem Herbst 2022: Obwohl niemand es von der Kirche gefordert hatte, entschied sie sich, im Zuge der nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine aufkommenden Hysterie bezüglich der Öl- und Gasvorräte, den Winter über die Kirchen nicht zu heizen. Nachdem man schon mit Corona die Gotteshäuser zur Hälfte geleert hatte, wurde der verbliebene Rest noch einmal um die Hälfte reduziert - denn der in den Kirchen noch präsente Teil der Bevölkerung legt durchaus Wert auf halbwegs annehmlich temperierte Innenräume. Den Vogel schoss ein Kirchenfunktionär ab, der allen Ernstes meinte, im Mittelalter seien die Kirchen ja auch nicht geheizt gewesen.
Zudem hat sich auch in den Kirchen eine Wissenschaftshörigkeit breit gemacht, bei der für göttliches Heilswirken offenbar kein Platz mehr ist. Als der Papst am 27. März 2020 auf dem menschenleeren Petersplatz zu Rom einen außerordentlichen Segen „Urbi et orbi“ spendete, bei dem auch ein historisches Pestkreuz aus dem 16. Jahrhundert zur Kulisse gehörte, nahmen deutsche Universitätstheologen Anstoß an diesem „vormodernen Weltbild“. Eine solche Epidemie, hieß es, werde durch die Medizin und durch medizinischen Fortschritt bekämpft, aber nicht durch ein Bittgebet.
Quelle: Die Katholische Kirche in der Corona-Pandemie, in: Stefan Mückl (Hrsg.), Religionsfreiheit in Seuchenzeiten, Duncker&Humblot, Berlin 2021, S. 135-162
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.