Die historische Fußnote: „Strafet die Schmeichler“

Dieser Rat eines Kurfürsten zum Umgang mit Beleidigungen von den Untertanen sollte jene heutigen Politiker erreichen, die kritische Bürger mit Strafanzeigen traktieren.

Wenn einen die Nachwelt mit dem Beinamen Cicero bedenkt, sozusagen als Nachfolger des großen römischen Redners, ist das schon recht schmeichelhaft. Im Falle des brandenburgischen Kurfürsten Johann (1455 bis 1499) beruht der Zusatz, der erst später üblich wurde, wohl auf einem Irrtum. Über nennenswerte rhetorische Fähigkeiten des Herrschers schweigt sich die gesicherte Überlieferung jedenfalls aus. Das Haus Hohenzollern hat bedeutendere Persönlichkeiten aufzuweisen als Johann Cicero, und die von ihm durchgesetzte Biersteuer dürfte damals ähnlich populär gewesen sein wie die heutige. Ein auf dem Sterbebett an seinen Sohn und Nachfolger Joachim I. verfasster Vermächtnisbrief, welchen der Historiker Nikolaus Leutinger 1587, also weit nach dem Tod des Kurfürsten veröffentlichte, gilt ziemlich sicher als freie Gestaltung Leutingers.

Lange her und klingt bislang nicht so aufregend? Aufregend wäre vielleicht wirklich etwas viel versprochen, aber gerade besagter Vermächtnisbrief ist eine Fußnote wert. Durch die Worte, die ihm ein wohlwollender Geschichtsschreiber in den Mund resp. die Feder gelegt hat, hätte sich Johann Cicero vermutlich recht gut getroffen und verstanden gefühlt. Vor allem aber zeigt das Schreiben, womit man vor ein paar hundert Jahren glaubte, das öffentliche Pluspunktekonto des – in diesem Fall brandenburgischen – Herrschers füllen zu können. 

So schreibt Johann Cicero (bzw. Nikolaus Leutinger) etwa: Es stehen viele in dem Wahn, man erweise sich alsdann erst recht fürstlich, wenn man die Untertanen beschweret und durch gewaltsame Zwangsmittel ihr Vermögen erschöpfet. Überspringen wir mal die oben erwähnte Biersteuer und lassen den Satz so stehen. Weiter heißt es: Vom Kriegführen halte ich nichts. Es bringt nichts Gutes. Wenn man nicht zur Beschützung des Vaterlandes und um eine große Unbilligkeit abzuwenden, den Degen ziehen muß, ist’s besser, davon zu bleiben. Das wiederum findet sich im Wirken Johann Ciceros tatsächlich so bestätigt, auch wenn er nicht ohne bewaffnete Auseinandersetzungen ausgekommen ist. 

Praktische Verhaltensregeln

Ein Gottesfürchtiger denket allezeit, daß er von seinem Tun Gott in kurzer Frist werde Rechnung erstatten müssen. Der Gedanke, der Herrscher müsse möglicherweise jemandem Rechenschaft über seine Entscheidungen geben, war verbreitet. Es handelt sich um einen aus heutiger Sicht antiquierten Begriff von Verantwortung, nämlich einen mit Konsequenzen für Verfehlungen. Seinem Sohn gibt der Kurfürst auf: Liebster Prinz, ich lasse Euch ein großes Land… schaffet, daß Eure Untertanen liebreich und sanftmütig beieinander wohnen mögen. Zu diesem Ende bitte ich Euch, Ihr wollet an einem wohlgelegenen Ort eine Universität aufrichten, in welcher die Jugend wohl unterwiesen und zu guten Sitten und Künsten angeführet werde. Joachim I. sollte dann 1506 in Frankfurt/Oder eine Universität gründen, von – echter – Bildung versprach man sich etwas.

Und auch ganz praktische Verhaltensregeln hat Johann Cicero für seinen Nachfolger: Hätte Euch jemand bisher beleidigt, so bitte ich, daß Ihr es vergessen wollet. Es steht keinem Fürsten wohl an, wenn er eine im Privatstand empfangene Unbilligkeit rechnen will. Würde und Dimensionen scheinen noch eine Rolle gespielt zu haben, ebenso wie das Bestreben, Peinlichkeiten zu vermeiden. Weiter heißt es: Hingegen strafet die Schmeichler, die alles Gute Euch zu Liebe und nichts zu des Landes Wohlfahrt reden wollen.

Lassen wir die  Holprigkeiten – Unklarheiten der Überlieferung, die Frage, ob die Regeln immer konsequent befolgt wurden – beiseite, so bleibt die Erkenntnis, dass selbst so mancher Satz eines zweitrangingen Herrschers, und sei er nur zugeschrieben, die gute alte Zeit tatsächlich als gut erscheinen lässt.

 

Dr. Erik Lommatzsch ist Historiker und lebt in Leipzig.

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Leserpost

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Sam Lowry / 01.12.2024

Auf dem Bild: Der neue Bundeskanzler/in. Jo, immer weiter in den Abgrund und noch Gas geben… ihr Doitschen seid so blöde…

A. Kaltenhauser / 01.12.2024

Die heute Regierenden fühlen sich doch als die Herrscher über ihr Reich. Dabei sind sie, ähnlich der meisten britischen Adeligen nur “Hausnummern”. Dieser Begriff wurde geprägt, da ein deutscher Herrscher damals weniger Finanzmittel zur Verfügung hatte als ein britischer und man ihn deshalb spöttisch betrachtete. Das lag daran, dass z.B. der deutsche Fürst Verpflichtungen nebst Verwaltung, Schulen etc. gegenüber seinen “Untertanen” hatte, der Brite aber rein privatwirtschaftlich agierte und ungeniert und unbeeinflusst seinen eigenen Reichtum mehrte. Ein Umstand, der heute in GB noch immer nicht verstanden wird. Also “Mehr Schein als Sein” ...

Didi Hieronymus Hellbeck / 01.12.2024

„Hätte Euch jemand bisher beleidigt, so bitte ich, daß Ihr es vergessen wollet.“ Nein! Jedenfalls „Nein“ in Bezug auf Dr. Robert Habeck, eine nobelpreisaffine Geistesleuchte, die uns aktuell erklärte, dass eine sinkende Inflationsrate sinkende Preise bedeutet. Damit hat Herr Dr. Habeck eine seit Jahrzehnten kursierende wirtschaftspolitische Fehldeutung, wonach nachlassende Inflation ein Nachlassen des Preisauftriebs (jedoch keineswegs sinkende Preise) bedeutet, überzeugend widerlegt. Bereits hinsichtlich der neuen Bewertung des Phänomens „Insolvenz“ hatte er wissenschaftlich Bahnbrechendes geleistet. Ein Mann wie Dr. Habeck steht geistig so hoch, so beeindruckend, ja kolossal, dass jedwede – auch kleinste – Beleidigung eine nationale Schande wäre. Herrn Dr. Habeck gar mit einem „Schwachkopf“ zu assoziieren, sollte daher mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgt werden.

T. Murx / 01.12.2024

Ich bezweifle den letzten Satz. Wenn Merkel heute ein Buch mit dem Titel “Freiheit” veröffentlicht, warum sollte Habeck in 20-25 Jahren nicht z. B. “Bescheidenheit und Demut” veröffentlichen? Schließlich ist er ein nur umständehalber verhinderter Literatur-Nobelpreisträger (siehe bei Miosga). “Denn Demut und Bescheidenheit geziemete allzeit einer jeden gehobenen Person:In im gehobenen Amte, so auch mir, ohne Scheiß.” (fiktiver Nobelpreisträger für Literatur in ungefähr 20-25 Jahren)

Wolf Köbele / 01.12.2024

Und den Vater von Friedrich II. müßten Sie auch anführen: der hat die zerrütteten Finanzen in Ordnung gebracht, keinen Krieg geführt und dennoch “Soldatenkönig” geheißen, und seine Skepsis bis Verachtung gewissen Juristen gegenüber kundgetan.  Denunziation gab es damals eher als private Angelegenheit; der Staat unterhielt keine Denunziantenstadl unter dem Tarntitel “Meldestellen” oder gar geschäftsmäßige Verfolgung auch Unschuldiger durch sich liberal nennder Minderjuristen.

Else Schrammen / 01.12.2024

Und heute sind wir von den gebildetsten und fähigsten grünen Schwarzköpfen umzingelt, die sich durch ein Echo aus der guten alten Zeit nicht aus der Ruhe und um ihre Besonnenheit bringen lassen und nicht die Schmeichler strafen, sondern den frechen und unbotsamen großen Lümmel “Volk”, der sich erdreistet, Kritik zu üben.

Marc Jenal / 01.12.2024

Die Polizei/Justiz nebst den öffentlichen Medien scheint in Teilen vorrangig der Sicherung der Herrschaft der Regierenden zu dienen, Anderes scheint teils eher zweitrangig. In Esslingen gab es den Fall, in welchem glaubwürdig Morddrohungen gegen eine Vermieter und dessen Verwandte geäussert und ihm scheinbar vom Drohenden Waffen und Brandsätze gezeigt wurden. Die Polizei/Justiz hatte scheinbar Anderes zu tun (gemäss reitschuster.de). Resultat: Des Vermieters Sohn ist nun tot, seine Verlobte erlitt schwerste Brandverletzungen. Hätte der Vermieter statt eine Morddrohung besser Gigi DˋAgostino-Musik, das Rufen rechter Parolen oder Regierungskritik/Beleidigungen gemeldet, dann hätte es vielleicht geklappt mit einer Hausdurchsuchung, die Brandsätze wären vielleicht sichergestellt und der Sohn noch am Leben. Wie lange kann man, falls das stimmt, eine solche Prioritätensetzung aufrecht erhalten?

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