Henryk M. Broder / 24.07.2016 / 13:53 / 10 / Seite ausdrucken

Die Helden der mürrischen Indifferenz und der trotzigen Gelassenheit

Es gibt in der Bundesrepublik keine Reichspressekammer und auch keine Zensurbehörde, aber irgendwo in diesem Land muss es ein „Ministerium für Wahrheit“ geben, das Empfehungen für den Umgang mit heiklen Themen gibt und auch konkrete Vorschläge macht, wie man Situationen beschreiben und interpretieren sollte. Aus diesem Ministerium kommt auch die Maßgabe, zwischen Amokläufern und Terroristen zu unterscheiden und so lange von einem Amoklauf zu sprechen, bis man bei dem Amokläufer einen Mitgliedsausweis des IS gefunden oder der IS ein Bekennervideo des Täters ins Netz gestellt hat. Dann ist der Amokläufer ein mutmaßlicher Terrorist, wobei man immer noch unterscheiden muss, ob er "auf Anweisung einer terroristischen Organisation" gehandelt hat oder nur von ihr "inspiriert" war. Wobei man immer noch prüfen muss, ob er als Junge in der Schule gemobbt wurde, was sowohl die Entwicklung zum Amokläufer wie zum Terroristen erklären könnte. Schauen Sie hier

Ja, sauberes Differenzieren ist die halbe Zwangsgebühr. So kommt es, dass die herbeigerufenen Experten nicht das Selbe, aber immer das Gleiche sagen. Deswegen rät Prof. Dr. Herfried Münkler zur „mürrischen Indifferenz“ gegenüber dem Terrorismus, während Thomas Baumann vom MDR "trotzige Gelassenheit" empfiehlt. 

Beides, die mürrische Indifferenz wie die trotzige Gelassenheit, sind das Schmieröl der Wirklichkeitsverweigerung. Man kann es sich leisten, mürrisch indifferent oder trotzig gelassen zu sein, wenn man bei einem Ausflug von einem Gewitter überrascht wird. Oder in einer Schlange vor einem Schalter stehen muss. Nicht aber angesichts einer Bedrohung, die von der Politik durch das Ignorieren von Tatsachen verursacht wurde. Nicht auf einem Schiff, das auf einen Eisberg zusteuert, nicht in einem Bus, der bremsenlos auf einer Bergstrecke unterwegs ist und schon gar nicht in einem Flieger mit lauter blinden Passagieren Bord und einem Kapitän im Cockpit, der immer nur "Ich schaffe das!" ruft.

Mit der mürrischen Indifferenz und der trotzigen Gelassenheit ist spätestens dann Schuß, wenn ein Amokläufer bzw. ein Terrorist vor einem steht und eine Glock in der Hand hält, die man nicht an jeder Ecke bekommen kann. Nicht einmal Herfried Münkler oder Thomas Bauman wären dann indifferent und gelassen genug, um erst einmal zu fragen: "Was bist du denn für einer, ein Amokläufer oder ein Terrorist?" Sie würden um ihr Leben rennen, schneller als der Schall, über Bänke, Stühle und Tische, dem nächsten Polizeiauto entgegen, um den anrückenden Beamten den Rat zu geben: "Jungs, jetzt nur die Nerven nicht verlieren, klärt bitte als erstes, ob es sich um einen Amokläufer oder einen Terroristen handelt!"

 

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Leserpost

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Helmut Eberhardt / 25.07.2016

Hallo Herr Broder, Sie sprechen mir mit Ihren Artikeln zutiefst aus der Seele. Aufmerksam geworden bin ich auf die Achse des Guten indirekt durch Ihr Gespräch mit der selbsternannten Islam-Wissenschaftlerin Eva Marie Kogel. Obwohl ich Sie aus Ihrer früheren Spiegel-Zeit kenne, musste ich Sie erst mal wieder für mich aktuell-googeln. Und nun bin ich hier. Was soll man machen? Wo soll man sich engagieren? AfD? Pegida? Gibt es denn keine seriösen Menschen, die sich organisieren? Was macht man mit den ganzen Flüchtlingen? Rausschmeißen? Überwachen? Einsperren? Mir kommt die derzeitige Situation vor wie ein fortgeschritten gestreuter Krebs, an dem man entweder selbst zugunde geht oder sich eine Chemotherapie verpasst, die letztendlich das gleiche bewirkt.

Paul Mittelsdorf / 25.07.2016

Die Deutschen haben noch gar nichts kapiert. All die Aufregung, die Trauer, die Wut - nur politisch auch zu handeln, dazu sind die wenigsten bereit.

Oliver Radtke / 25.07.2016

Lieber Herr Broder, wie immer sehr treffend formuliert und das, was wirklich weh tut, deutlich benannt. Es ist diese Art der Wirklichkeitsverweigerung über die zu sprechen sein wird (nur um einen anderen bekannten Blödschwätzer zu zitieren). Und letztlich sollten wir vielleicht in diesem Zusammenhang nochmals intensiv über André Glucksmanns “Macht der Dummheit” nachdenken, denn dort schreibt er u.a.: “Den Vollidioten erkennt man daran, dass er durch nichts aus der Fassung zu bringen ist.”  Und als was sonst als Idiotie soll man Aussagen wie “mürrische Indifferenz” und “trotzige Gelassenheit” werten?

Martin Wessner / 25.07.2016

Über die gleiche Sache habe ich mir auch Gedanken gemacht. Es gibt schon einen Unterschied zwischen einem Amoklauf aus persönlichen Gründen, der praktisch immer ein Racheakt darstellt und einen Terroranschlag aus ideologischen Gründen, mit dem man gesellschaftliche, bzw. politische Forderungen durchsetzen will. Diesen durchaus bedeutenden Unterschied herauszustellen war und ist aber nicht der eigentliche Antrieb jener Protagonisten, denen Sie zu Recht eine kaltschnäuzige, fast schon menschenverachtende Relativierung einer sehr bedrohlichen neuen Wirklichkeit vorwerfen. In der Tat geht es den Experten in Sachen Terrorismus offenbar vorallem darum, alles was ihr saturiertes und bequem ausgepolstertes Weltbild in Gefahr bringen könnte, gradezu zwanghaft zu leugnen. “Umdenken? Nein danke! Das ist viel zu anstrengend und unangenehm. Und dann müsste man sich schließlich auch noch selber Fehler eingestehen. Das geht auf gar keinen Fall!” Wenn sich derartig geistig starre Fachleute und jene die auf sie hören nur selbst in Gefahr bringen würden, dann wäre es nicht so schlimm. Aber stattdessen werden wir alle durch deren Weigerung die Realitäten anzuerkennen gefährdet, denn wer sich nicht fürchten will, der ist auch nicht Willens sich und andere adäquat zu schützen. Die Argumentation der von Ihnen kritisierten “Probleme_in_Luft_Auflöser” läuft darauf hinaus zu sagen: Alle Täter sind gleich, da alle, ob weltlicher Amokläufer oder religiöser Suizidattentäter, von den selben sozialen und (krankhaften)psychischen Motivationen angetrieben werden, die nach der statistischen Wahrscheinlichkeit sowohl bei den Christen, den Buddisten, den Konfuzianern, als auch bei Atheisten und sonstigen Glaubensgruppen in gleicher Verteilung anzutreffen sind. Also braucht man sich, so die verblüffende Erkenntnis, keinerlei Sorgen mehr über unsere muslemischen Mitbürger und die muslemischen Flüchtlinge im Land zu machen, da deren Anfälligkeit für Gewalttaten -zumindest nach dieser Logik- auch nicht höher als bei beispielsweise katholischen Almbauern in Oberbayern ist. So ist die Sache aus der Welt und man kann auf sie keinen “Ihr habt uns das mit eingebrockt”-Finger weisen, denn wo kein Kläger, da kein Richter.

Thomas Roth / 24.07.2016

Also KEIN terroristischer Hintergrund. Wie schön. Dann ist es wohl ein Ausdruck einer neuen Lebenswirklichkeit, in der Konflikte mit tödlicher Gewalt ausgetragen werden. Zumal die Scharia Ungläubige und Frauen sowieso als Menschen zweiter und dritter Klasse empfindet. Die ist nicht die Art, in der ich das Miteinander täglich neu ausgehandelt wissen will. Legalität, Rechtsstaat und staatliches Gewaltmonopol sind mir lieber.

Lubomir Rehak / 24.07.2016

Wieviele Schweigeminuten müssen wir noch in der mürrischen Indiferenz oder in der trotzigen Gelassenheit verharren, bis den Politikern etwas außer Rechtsextremismusbekämpfung einfällt? Oder ist das wirklich alles, was die EU im Kampf gegen Terror fähig ist? Dann lieber gleich auflösen. Mit freundlichen Grüßen Lubomir Rehak aus Wien

Karla Kuhn / 24.07.2016

Der Herr Prof. Dr. rät also zur “mürrischen Indifferenz” gegenüber dem Terrorismus.  Ich gehe mal davon aus, dass er weiß, was Indifferenz bedeutet. Wer indifferent ist, ist nicht gleichzeitig mürrisch.  Ich stelle mir das so vor, der gute Prof. kondoliert einem Angehörigen mit den Worten: “Tut mir leid, was mit Ihrem/r ......... passiert ist, ich rate Ihnen aber zur “mürrischen Indifferenz. ”  Ich habe das Gefühl, das Phrasendreschen hat Hochkonjunktur. Genau so bescheuert ist die Aussage von T. Baumann, der die “trotzige Gelassenheit” empfiehlt.  Schade, dass ich das nicht schon viel früher erfahren habe, dass es eine “trotzige Gelassenheit” gibt, sonst hätte ich meinem Kind und meinen vier Enkeln gesagt:” Ihr könnt mich nicht ärgern, ich besitze eine “trotzige Gelassenheit.” Vielleicht kommen beide mal in den “Genuß” ihre wirklich dämlichen Phrasen ausprobieren zu müssen. Die Hinterbliebenen und die Verletzten, egal ob körperlich oder psychisch müssen sich doch angesichts dieser hanebüchenen Aussagen verhöhnt fühlen. Genau wie die Opfer mit der “Armlänge Abstand.” Wo schweben eigentlich unsre sogenannten “Eliten” rum? In der Realität jedenfalls nicht mehr.

Pavel Hoffmann / 24.07.2016

Bei einem Amokläufer erwartet man meistens eine spontane Tat. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der “Amokläufer” sich bereits Wochen auf die Tat vorbereitet hat. Jetzt müsste man, wie Sie Herr Broder richtig bemerkt haben, nur eine IS Flagge oder Bekennervideo finden um die Tat ( selbstverständlich des Einzeltäters) doch als Terror einzuordnen.

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