Von Leonard Raumark.
Durch die zunehmenden Vorstöße in die „Safe Spaces“ der Frauen senken einige wenige Aktivisten die Toleranz für Transsexuelle sogar noch.
Es ist viel Richtiges über die schädlichen Konsequenzen des Trans-Aktivismus geschrieben worden, insbesondere in Bezug auf Kinder und Jugendliche, denen das Recht zugesprochen werden soll, schon im jugendlichen Alter irreversible Eingriffe in ihre körperliche Entwicklung ohne Einwilligung der Eltern vornehmen zu lassen und in Bezug auf Frauen, die ihre Bereiche und „safe spaces“ nach und nach an Männer verlieren, die sich als „Frau“ definieren, etwa im Sport oder bei Frauenhäusern und Vergewaltigungs-Krisenzentren. Eine weitere Gruppe jedoch, die in der Öffentlichkeit nicht als Verlierer des Trans-Aktivismus wahrgenommen, vielmehr regelmäßig als „Sieger*innen“ bejubelt wird, sind Transgender-Personen selbst, sowohl die Aktivisten unter ihnen als auch diejenigen, die einfach nur in Ruhe leben wollen.
Dies erscheint nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Die Gesetzgebung wie auch die politische und soziale Praxis der letzten Jahre in Ländern wie Deutschland, Großbritannien oder den USA hat die angeblichen Interessen von Trans-Personen zu einem zentralen gesellschaftlichen Anliegen gemacht und jegliche Art von Trans-Aktivismus, wenn nicht direkt gefördert, so doch sehr wohlwollend betrachtet und meist gegen jedwede Kritik verteidigt, nicht immer mit sehr feinen Mitteln. Wenn diese Veränderungen auf allen Ebenen einen Sinn haben sollen, dann muss es doch wohl darum gehen, das Leben von wirklichen Trans-Personen, „Queers“, „nicht-binären“ Menschen etc. leichter und angenehmer zu machen. Tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, dass die Aktivisten exakt das Gegenteil von dem erreichen werden, was sie anzustreben vorgeben und dass das Wohlbefinden von Transgender-Personen dabei auf der Strecke bleibt.
Tickende Zeitbomben?
Hatten die meisten Menschen vor zehn Jahren eine positive oder wohlwollend-neutrale Haltung zu dem Personenkreis – Ablehnung aus persönlichen oder ideologischen Gründen gab es selbstverständlich auch, war aber nicht im Mainstream – beziehungsweise zeigten Mitgefühl mit den Betroffenen, die ja „nichts dafür konnten“, so ändert sich die Wahrnehmung mehr und mehr zum Negativen, je schriller und aktivistischer die Szene wird. Bei einer Begegnung mit einer Transgender-Person gilt jetzt nicht mehr, dass man einfach „Normalität“ als Leitlinie des Handelns verwendet, sondern die Person wird automatisch mit den Exzessen der Trans-Aktivisten in Verbindung gebracht; unfair auf individueller Ebene, aber unvermeidlich. Im beruflichen Kontext kann dies nur zu Ausschluss und Isolation führen: Arbeitgeber werden sich dreimal überlegen, ob sie eine Transgender-Person einstellen wollen, wenn sie Angst haben müssen, möglicherweise einen Querulanten an Bord zu holen, und auch wenn es zu einer Einstellung kommt, so kann ein Beharren auf den „richtigen Pronomen“ oder eine Überempfindlichkeit gegenüber als beleidigend oder ausschließend empfundenen Bemerkungen seitens der Kollegen nur dazu beitragen, den Unternehmensfrieden zu stören. Niemand möchte mit jemandem zusammenarbeiten, der wie ein Schießhund darauf wartet, sich über einen beklagen zu können oder gar vor Gericht zu ziehen, weil eine Kollegin sich einer unpassenden Wortwahl schuldig gemacht hat.
Freundschaft kann man nicht einklagen
Insbesondere in den USA, wo Gerichte Klägern teils astronomische Summen zusprechen, dürften solche Menschen von nun an als tickende Zeitbomben gesehen werden, die man besser nicht einstellt. Die Situation wird auch dadurch nicht besser, wenn Transgender-Personen die Möglichkeit haben, sich in eine Stelle einzuklagen; hierdurch erhalten sie zwar eventuell den Job, aber nicht die Akzeptanz oder Sympathie des Unternehmens oder des Kollegiums. Dies liegt unter anderem auch daran, dass eine Kommunikation „auf Eierschalen“ nicht funktionieren kann. Jede Art von menschlicher Kommunikation enthält immer auch Elemente, die unglücklich gewählt sind, unpassend ausgedrückt werden oder schlicht „falsch rüberkommen“; ein Kommunikationspartner, der sich durch die Unebenheiten ständig angegriffen fühlt, wählt den Weg der Selbst-Isolation, da sich die Kommunikation mit ihm auf das Förmliche und Notwendigste beschränken wird (und jeder irgendwo Beschäftigte weiß, dass ein solches Arbeiten eine Qual sein kann – vergleichbar mit „Dienst nach Vorschrift“). Zusätzliche Probleme können sich daraus ergeben, dass einige Kollegen möglicherweise religiös und kulturell anders sozialisiert wurden als der jeweilige Mainstream und sich daraus noch mehr Konfliktpotenzial ergibt.
Im privaten Bereich sieht es für Transgender-Personen noch schlechter aus. Hat man im Beruf nicht immer die Wahl, mit wem man sich abgeben möchte, so ist man im Privatleben frei, und niemand kann sich in eine Freundschaft „einklagen“. Zu den Problemen in der Berufswelt kommt noch hinzu, dass private Kommunikation noch wesentlich „unvorsichtiger“ und lockerer ist und dass beispielsweise spielerische Aggression ein Ausweis von Freundschaft ist. Menschen, die in diesem Kontext auf den „richtigen“ Pronomen bestehen und jede saloppe Bemerkung in den falschen Hals kriegen, werden keine Freunde außerhalb ihrer „Blase“ finden.
Der Rückzug der Frauen aus dem Frauensport
Auch im Bereich des Sports werden die Transgender-Personen zu den Verlierern gehören. Dass sich als Frauen bezeichnende Männer den echten Frauensport zerstören werden, ist unvermeidlich; es ist offensichtlich, dass insbesondere in Sportarten mit Körperkontakt der biologische Vorteil der Männer drastisch ist. Nun kann eine Trainerin eines Frauenteams im Prinzip entscheiden, welche Spielerinnen sie in ihrer Mannschaft einsetzen will und daher alle Trans-Personen ablehnen (sie muss dies ja nicht explizit begründen). Bietet die Gesetzgebung einem Mann jedoch die Möglichkeit, auf dem Rechtsweg einem Team beizutreten, so wird dies nicht dazu führen, dass in Zukunft beispielsweise Frauen-Fußballmannschaften von Transpersonen angeführt werden und diese spiel- und saisonentscheidende Erfolge feiern können. Stattdessen werden die Frauen aufhören, den Sport zu betreiben; nur wenige Spielerinnen werden die Frustration und das Verletzungsrisiko akzeptieren wollen und daher aufgeben oder auf andere Sportarten ausweichen, bei denen möglicherweise noch die klassischen Regeln gelten. Wie dies ein Triumph für die Trans-Person sein soll, bleibt unklar. Selbst wenn der Spielbetrieb weitergeführt wird, wird der „Mann“ immer ausgegrenzt bleiben (insbesondere, wenn er sich den Platz im Team mit juristischen Mitteln erkämpfen musste); bricht die Mannschaft auseinander – und die Personaldecke beim Frauenfußball ist sehr dünn – wird er derjenige sein, der sie zerstört hat. Die sozialen und psychologischen Vorteile, die Sport mit sich bringt, werden sich nicht einstellen; stattdessen wird die Transgender-Person als massiver Störfaktor wahrgenommen und dementsprechend sozial isoliert werden.
Schließlich fehlt Trans-Personen, die sich außerhalb ihrer „Komfortzone“ bewegen wollen, auch noch die Möglichkeit, die zahlenmäßig stärkeren Gruppen offensteht, nämlich die Solidarisierung mit anderen Mitgliedern der jeweiligen Gruppe, die im Laufe der Zeit nachrücken und eine Stütze darstellen können, die die möglicherweise schwierige Anfangszeit leichter zu bewältigen macht. Eine derart mikroskopisch kleine Gruppe, die darüber hinaus auch noch in zahllose „Identitäts“-Untergruppen zerfällt, kann eine solche kritische Masse etwa in einem Unternehmen nicht erreichen.
Der Krieg gegen den Humor
Ein Mensch, der von seiner peer group, den Medien und/oder der Politik ständig daran erinnert wird, „Regelverstöße“ seiner Umgebung als Beleidigung, Angriff oder auch nur Anlass für ein „belehrendes Gespräch“ zu betrachten, wird nach und nach zu Neurotizismus, Fanatismus und Intoleranz erzogen. Ein Aspekt eines neurotischen Weltbildes ist es, dass es keine Lappalien gibt; alles ist wichtig, nichts ist trivial und kann einfach abgehakt werden. Weder Schulterzucken noch „Leben und leben lassen“ gehören dazu, ebenso wenig der Mond und der bellende Hund. Der Fanatismus beinhaltet, dass nicht nur alles wichtig ist, sondern die „Sache“, für die man eintritt, die allerwichtigste überhaupt; daher ist Kritik oder gar eine humorvolle Behandlung des Themas vollkommen inakzeptabel. Gleichzeitig teilt der Fanatismus die Welt und Gut und Böse auf, wobei der überwältigenden Mehrheit die Rolle der Bösen oder zumindest Unaufgeklärten zufällt. Aus diesen beiden Aspekten ergibt sich zwangsläufig eine Erziehung zur Intoleranz, d.h. exakt der Haltung, die die Woke-Aktivisten angeblich so leidenschaftlich an allen Fronten bekämpfen.
Auch wenn ein Transgender-Individuum keinerlei Veranlagung zu diesen drei Problemen haben sollte, wird vermutlich schon das (häufig digitale) Umfeld es dahingehend motivieren, sich selbst das entsprechende Verhalten „beizubringen“. Da dies meist zu Ausgrenzung und Konflikten im sozialen Umfeld führen wird, kommen zu diesen dreien noch alle entsprechenden negativen Folgen hinzu, etwa das Gefühl der Isolation, das Fehlen kollegialer oder freundschaftlicher Beziehungen oder die Unzufriedenheit mit den eigenen Leistungen und Errungenschaften, die durch eine „Identitäts“-Haltung zwangsläufig kompromittiert werden müssen – schon allein wegen der mangelnden Teamfähigkeit.
Cui bono?
Wenn es zutrifft, dass Transgender-Personen vom Trans-Aktivismus nicht nur nicht profitieren, sondern tatsächlich Schaden durch ihn erleiden und in ihrem Leben mit Problemen konfrontiert werden, die sie ohne den Aktivismus nicht hätten, stellt sich die Frage, wer eigentlich von der ganzen Bewegung profitiert. Die erste Gruppe sind die üblichen Verdächtigen: Parteien, Politiker, NGOs, Berufs-Aktivisten und ähnliche Personen und Institutionen, die politisches, ideologisches und ökonomisches Kapital aus der Bewegung ziehen. Dass politischen und gesellschaftlichen Bewegungen das Wohl derjenigen Menschen, die sie zu vertreten vorgeben, häufig gleichgültig ist und sie lediglich ihre eigene Agenda durchsetzen wollen, ist eigentlich eine Binsenweisheit, wie auch schon oft von explizit linker Seite festgestellt wurde (etwa in Bezug auf religiöse Eliten und die einfachen Gläubigen); dass die direkt Involvierten diese Zuschreibung natürlich empört zurückweisen und behaupten, sie träten für ihre Klientel ein, versteht sich ebenfalls von selbst.
Die zweite Gruppe sind diejenigen „Transgender“-Personen, die keine sind – die zynischen Pragmatiker, die ihren „Geschlechterwechsel“ (den sie dann ja ein Jahr später rückgängig machen können) nur zu ihrem persönlichen Vorteil einsetzen, etwa um eine Stelle zu bekommen, eine Medaille zu gewinnen oder auf einem Quotenplatz zu landen. Und sie sind es, die das Bild der Transgender-Personen in Zukunft prägen werden und somit die authentischen Transgender-Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung mit hinunterziehen werden. Eine Handvoll korrupter Politiker kann die Reputation eines ganzen Berufsstandes ruinieren; eine Handvoll „falscher“ Transgender-Personen kann den echten dasselbe antun. Die „Siege“ des Transgender-Aktivismus werden sich als bittere Niederlagen für die einzelnen Menschen herausstellen, die unser aller Mitgefühl verdient haben. Die Aktivisten haben erreicht, dass Menschengruppen, die bis vor einigen Jahren meist mit aufgeklärter Toleranz und Gleich-Gültigkeit betrachtet wurden, immer negativer wahrgenommen werden.
Kritiker der Transgender-Bewegung erwecken manchmal den Eindruck, sie hielten Transgender-Personen für einen monolithischen Block, der zu einhundert Prozent hinter den Aktivisten steht. Das wäre ein Novum in der Geschichte der sozialen Bewegungen. Transgender-Personen sind (muss man es wirklich schreiben?) Individuen, die ihre eigenen Entscheidungen auch unter massiver Beeinflussung von verschiedenen Seiten treffen können, und es wäre zu wünschen, dass viele von ihnen dem Transgender-Aktivismus deutlich sichtbar den Rücken kehren. Dessen Macher und Antreiber vertreten definitiv nicht ihre Interessen, und eine Emanzipation der Trans-Personen vom Trans-Aktivismus ist überfällig.
Der Autor ist promovierter Soziologe und arbeitet als Hochschuldozent in NRW. Er hat in den Bereichen Geschichtswissenschaften und Soziologie geforscht und publiziert.