In was für einer irren Welt leben wir eigentlich? Versuchen wir trotzdem mal, die Sache sine ira et studio zu betrachten, also so nüchtern und objektiv wie möglich. Da lassen wir hunderttausende junger Männer, die außer „Asyl“ kein Wort Deutsch können, ohne Papiere ins Land. Und dann hocken da an die 200 junge Männer und Frauen in Syrien, die für den IS gekämpft oder ihn sonst unterstützt haben sollen. Sie behaupten, Deutsche zu sein und wollen nach Hause. Und das bereitet schier unüberwindliche Schwierigkeiten.
Wo bleibt da der sonst so viel zitierte Rechtsstaat, den gerade der heutige Außenminister immer wieder beschworen hat, als er noch das Amt des Bundesjustizministers bekleidete. Da schreibt Clemens Wergin, Leiter des Auslandsbüros der „Welt“ in Washington, einen Satz wie diesen: „Unseren Gesellschaftsmüll etwa auf Kosten der Kurden in Syrien zu entsorgen ... wäre unfair“. Andererseits: „Ein wenig nahöstliche Härte ist diesen Bestien durchaus zuzumuten.“ Vom „Gesellschaftsmüll“ zu „Bestien“, man mag die Sprache kaum glauben. Der Satz mit dem „Gesellschaftsmüll“ findet sich allerdings nur in der Druckausgabe vom 19. Februar, während sie im Online-Kommentar vom Tag zuvor fehlt.
Moment mal, hatten wir das nicht schon mal mit dem „entsorgen“? Wurde nicht einigen „Pöblern“ wegen weit geringerer Untaten die Menschqualität abgesprochen. Nannte der Vermittler bei der Geiselnahme von Beslan (Seite 87 linke Spalte) im September 2004 die Terroristen nicht ebenfalls „Bestien“.
Wozu das gut ist? „Als Ungeziefer, Parasiten oder Schädlinge bezeichnen vor allem totalitäre Ideologien und Regime vermeintliche oder wirkliche Gegner. Diese Form der verbalen Diffamierung bereitete sowohl in den stalinistischen Säuberungsprozessen als auch in der nationalsozialistischen Judenverfolgung die physische Vernichtung vor. Die Entmenschlichung von Verfolgten, indem man sie zu Ungeziefer erklärt, ist in totalitären Regimen stets der erste Schritt zur Vernichtung. Wer Ungeziefer ausrottet, begeht keinen Mord an Menschen. So dient die aggressive Rhetorik auch zur Schuldentlastung der Täter.“ Belastete Begriffe also.
Das Verschwinden rechtsstaatlicher Maßstäbe
Nicht zu vergessen auch die Äußerung der Pfarrerstochter, Christin und langjährigen Vorsitzenden der „Partei mit dem C im Namen“, Angela Merkel, die in souveräner Ignoranz des fünften Gebotes verkündete (ab 1:25): „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.“ Was hätte die Kanzlerin wohl gesagt, wenn die Kommandoaktion nicht unter der Präsidentschaft von Barack Obama, sondern von Donald Trump stattgefunden hätte? Der „Göttinger Mescalero“, der sich später als der Deutschlehrer Klaus Hülbrock entpuppte, empfand bei der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback durch die Rote Armee Fraktion wenigstens noch „klammheimliche Freude“, während Merkel sie unverhohlen zum Ausdruck brachte.
Was das alles zu bedeuten hat? Vielleicht höre ich das Gras wachsen, aber für mich sind das Anzeichen dafür, dass einigen politisch Verantwortlichen die rechtsstaatlichen Maßstäbe abhanden gekommen sind. Da wo es passt, hat sich das Recht dem Willen der Regierenden zu beugen. Da wo es nicht passt, sollen die Falschparker, Steuerhinterzieher und Leute, die Putzfrauen schwarz beschäftigen, die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Dabei bestimmt doch Artikel 20 Absatz 3 GG unmissverständlich: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“
Einschlägigee Gesetze sind in diesem Fall das „Paßgesetz vom 19. April 1986 (BGBl. I S. 537), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 7. Juli 2017 (BGBl. I S. 2310) geändert worden ist“ sowie das „Konsulargesetz vom 11. September 1974 (BGBl. I S. 2317), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. April 2018 (BGBl. I S. 478) geändert worden ist“.
§ 1 Absatz 1 Paßgesetz bestimmt: „Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes aus- oder in ihn einreisen, sind verpflichtet, einen gültigen Pass mitzuführen und sich damit über ihre Person auszuweisen.“ Nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Paßgesetz wird der Pass auf Antrag ausgestellt. Für die Ausstellung sind die von den Bundesländern bestimmten Passbehörden zuständig (§ 19 Absatz 1 Satz 1 Paßgesetz). Befindet sich der Antragsteller, wie hier, im Ausland, ist das Auswärtige Amt mit den von ihm bestimmten Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland zuständig (§ 19 Absatz 2 Paßgesetz). Für Syrien wäre das die deutsche Botschaft in Damaskus, zu der das Auswärtige Amt allerdings bekannt gibt: „Die Botschaft Damaskus ist bis auf weiteres für den allgemeinen Besucherverkehr geschlossen. In Notfällen kann deutschen Staatsangehörigen in Syrien keine konsularische Hilfe geleistet werden. Nächste erreichbare deutsche Auslandsvertretung ist die Deutsche Botschaft Beirut. Diese hat in einem gewissen Umfang die Betreuung von Konsularfragen übernommen.“
Nach § 5 Absatz 1 Satz 1 des Konsulargesetzes sollen die Konsularbeamten Deutschen, die in ihrem Konsularbezirk hilfsbedürftig sind, die erforderliche Hilfe leisten, wenn die Notlage auf andere Weise nicht behoben werden kann.
„Wo wir auch unseren Beitrag leisten“
Nach § 7 Absatz 1 Nr. 1 Paßgesetz ist der Pass zu versagen, „wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, daß der Paßbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.“ Ist der im Ausland befindliche Deutsche im Besitz eines Passes, so kann dieser nach § 8 Paßgesetz entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die nach § 7 Abs. 1 die Passversagung rechtfertigen würden.
Danach stellt sich die Sach- und Rechtslage derzeit wie folgt dar:
- Mutmaßliche deutsche Terroristen, die sich in Syrien dem IS angeschlossen haben, können nur nach Deutschland zurückkehren, wenn sie im Besitz eines gültigen Reisepasses sind.
- Besitzen sie keinen Reisepass, können sie diesen gegenwärtig in Syrien gar nicht oder nur in Beirut/Libanon oder Bagdad/Irak beantragen.
- Die Ausstellung des Passes kann versagt werden. In diesem Fall wäre eine legale Rückkehr nach Deutschland nicht möglich.
- Ein gültiger Pass kann eingezogen werden. In diesem Fall wäre eine legale Rückkehr nach Deutschland ebenfalls nicht möglich.
- Liegen den deutschen Behörden keine Erkenntnisse darüber vor, dass ein rückkehrwilliger Deutscher den IS unterstützt hat (§ 129a Strafgesetzbuch), kann der Pass weder versagt noch entzogen werden und die Einreise ist zu gestatten.
Ein wirkliches Problem stellen danach diejenigen Personen dar, die einen deutschen Pass besitzen und über die keine (ausreichenden) Erkenntnisse vorliegen.
An dieser Stelle ist es vielleicht zweckmäßig, was die Bundeskanzlerin anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Bern am 3. September 2015 erklärt hat:
„Ich glaube erst einmal, dass der Islamismus und der islamistische Terror leider Erscheinungen sind, die wir ganz stark natürlich in Syrien haben, in Libyen haben, im Norden des Irak haben. Aber zu denen leider die Europäische Union (sic!) eine Vielzahl von Kämpfern beigetragen hat. Und wir können nicht sagen, das ist ein Phänomen, das uns nichts angeht, sondern das sind zum Teil Menschen, oft sehr junge Menschen, die in unseren Ländern aufgewachsen sind und wo wir auch unseren Beitrag leisten (sic!).“
„Mit euren Gesetzen werden wir herrschen“
Mit dieser an Klarheit kaum zu überbietenden Aussage sollte sich das Problem doch eigentlich lösen lassen, zumal die Kanzlerin anschließend noch erklärt hat, dass Angst noch nie ein guter Ratgeber war.
Je mehr man sich allerdings in die Tiefe der Details begibt, in denen bekanntlich der Teufel steckt, desto verzwickter wird die Sach- und Rechtslage, wie Florian Flade bereits am 30. Juli 2018 in der „Welt“ unter der Überschrift „Soll Deutschland seine Terroristen zurückholen?“ geschildert hat.
Wie Laokoon mit seinen Söhnen hat sich die Bundesrepublik im Laufe ihrer 70-jährigen Existenz in ein Gestrüpp von Rechtsvorschriften verwickelt, aus dem es immer weniger ein Entrinnen gibt und das uns zu ersticken droht. Ganz wie der Imam von Izmir bereits 1999 erkannt hat: „Dank eurer Gesetze werden wir euch beherrschen“ (Necla Kelek, Die fremde Braut, Kiepenheuer & Witsch, 2006, Seite 253). Dieser Gordische Knoten kann nur durch einen neuen Alexander durchschlagen werden, aber der ist weit und breit nicht in Sicht.