Im Rathaus Köpenick im Berliner Südosten wird traditionell gern der deutsche Untertanen- und Unterwerfungsgeist vorgeführt. Heute wie vor 110 Jahren. Damals, im Oktober 1906, war es der Schuster Wilhelm Voigt, dem es allein durch das Anziehen einer preußischen Hauptmannsuniform gelang, einen kleinen Trupp Soldaten unter seinen Befehl zu stellen, das Köpenicker Rathaus zu besetzen, den Bürgermeister zu verhaften und die Stadtkasse zu beschlagnahmen. Anschließend lachte die Welt darüber, was ein Uniformierter mit den Deutschen alles machen kann
Heute genießen Uniformen nicht mehr diese Autorität. Aber dafür gibt es andere allgegenwärtige Unterwerfungsreflexe, die es vorzuführen lohnt. Wo könnte man das besser tun, als im Köpenicker Rathaus, mag sich die dort ansässige Kulturamtsleiterin gedacht haben, um dann die Rolle als Hauptfrau von Köpenick zu übernehmen. Annette Indetzki braucht dazu keine Uniform, sondern nur einen Briefkopf ihres Amtes und die geeignete Gelegenheit für eine schöne Köpenickiade
Die bot sich mit einer Fotoausstellung in den Fluren des geschichtsträchtigen Rathauses. Anfang März wurde das „22. Fotoklub Forum Berlin“ von Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) eröffnet. Rund 300 Bilder von 191 Fotografen hingen seitdem in den Fluren des Rathauses in der Köpenicker Altstadt, ohne den inneren Frieden zu stören. Darunter zwei künstlerische Aktfotos, ein Schwarz-Weiß-Bild von Jan Gießmann und eines von Wolfgang Hiob.
Zwei Aktfotos sollen im Tresor verschwinden
Sie ahnen schon, was jetzt kommt? Wochenlang passiert nichts, bis plötzlich Kulturamtsleiterin Indetzki an die Fotografen schreibt, sie mögen die anstößigen Fotos entfernen. Und war es 1906 die Hauptmannsuniform, vor der alle stramm standen und taten, was befohlen wurde, so reicht dafür 110 Jahre später die Behauptung, die Regeln einer ganz bestimmte Gruppe von Menschen, die leicht reizbar und deshalb besonders rücksichtsvoll zu behandeln ist, würden verletzt. Das heutzutage selbst in deutschen Amtsstuben fremde Glaubensregeln beachtet werden, wollte die Hauptfrau von Köpenick doch sicher vorführen, als sie begründete, warum die künstlerischen Akte weg müssen: Es „kommen viele Menschen mit Migrationshintergrund in das Rathaus, deren religiöse Gefühle durch Aktfotos nicht verletzt werden sollen.“
Das ist doch eine gelungene Satire, oder? Annette Indetzki wollte uns wie weiland Wilhelm Voigt vorführen, welche absurden Züge die freiwillige Unterwerfung inzwischen annimmt. Was Italiens Regierung jüngst ernsthaft praktizierte, als sie in den Kapitolinischen Museen in Rom mehrere nackte Statuen aus Respekt gegenüber dem Glauben des iranischen Präsidenten Ruhani verhüllen ließ, wollte Frau Indetzki doch sicher nur auf eine weitere absurde Spitze treiben.
Wie bitte, das war keine Satire? Das sollte man ernst nehmen? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Allein dieser kunstvolle Formulierung: „Menschen mit Migrationshintergrund“ und „deren religiöse Gefühle“. Als hätten alle Migranten nur eine Religion. Und die nennt man sicherheitshalber nicht einmal beim Namen. Denn auch da ist der Islam ja empfindlich. Seine Regeln sollen gelten und werden von seinen Anhänger gern auch brutal durchgesetzt. Doch diese Brutalität wiederum hat nie etwas mit dem Islam zu tun. Wer auf diese Verbindung hinweist, der provoziert ja nur wieder die sensiblen Muslime. Wie Frau Indetzki diese schon weitgehend akzeptierte Absurdität in einem Halbsatz vorführen kann, das ist doch eine großartige satirische Verknappung, oder?
Das Köpenicker Rathaus ist jetzt eine verhüllte Zone
Leider werden Satiriker ja derzeit oft missverstanden. Die Fotografen jedenfalls haben ihre Bilder abgehängt und andere Kollegen ihre Werke aus Protest gleich mit. Statt einfach nur darüber zu lachen. Aber wir sind ja in Köpenick, da folgte man damals widerspruchslos der Uniform und steht heute stramm, wenn ein möglicher Konflikt mit islamischen Gepflogenheiten angemahnt wird. Erst später lacht die Welt darüber. Hoffentlich.
Dabei sollte das satirische Talent der Hauptfrau von Köpenick wirklich endlich anerkannt werden, denn die Kulturamtsleiterin strebt nach Höherem und immer wurden ihre Stärken offenbar übersehen. Schon seit drei Jahren ist sie nämlich bei der Bewerbung um andere Ämter erfolglos. 2013 wollte sie Bezirksamtsleiterin in Hamburg-Altona werden und wurde dort einfach nicht gewählt. Im Jahr darauf versuchte sie es als Sozialsenatorin in Rostock. Als sie hier nicht gewählt wurde, zog Indetzki vors Verwaltungsgericht. Damit brachte sie seinerzeit zwar Unruhe ins Rostocker Rathaus, doch Senatorin wurde sie nicht. Versucht sie sich jetzt mit Satire zu empfehlen? Oder sollte ich sie missverstanden haben und sie empfiehlt sich bloß als Meisterin der behördlichen Unterwerfung für höhere öffentliche Ämter. Vielleicht hat ja Bundesjustizminister Heiko Maas eine Stelle für sie, denn der Kampf gegen nackte Haut auf öffentlichen Abbildungen verbindet beide ja offenbar.
Zuerst erschienen auf Peter Grimms Blog sichtplatz.de