Gastautor / 20.03.2016 / 14:04 / 16 / Seite ausdrucken

Eine Erwiderung auf Henryk Broder: Die haben Smartphones!

Von Martina Winkler.

Sehr geehrter Herr Broder, es geschieht selten, dass mich ein Text in einer deutschen Tageszeitung nicht schlafen lässt, aber nun ist es soweit. Dass es sich dabei um Ihren Kommentar zu Idomeni handelt, mag Sie sogar freuen. Mich nicht. Ihre ironische Kritik an Norbert Blüm – geschenkt. Dass es sich hier um Prominentenhumanität handelt, scheint ziemlich eindeutig, aber so funktionieren Politik und oft auch Showbusiness eben.

Aber Ihr krudes und regelrecht bösartiges Geschreibe über eine angebliche Leidenskultur der arabischen Welt ist zynisch und häuft zudem so viele Widersprüche an, dass Sie da vielleicht doch noch ein paar Gedanken dran verschwenden sollten. Und dabei funktioniert Ihr Totschlagargument der „political correctness“ als Schutzschild leider nicht. Denn man muss Ihnen gar keinen Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit vorwerfen. Man könnte es sicher, aber es ist gar nicht notwendig. Ihrem Text fehlt es schlicht an Logik.

 „Leidenskultur“ ausgerechnet dem Islam zuzuschreiben, ist an sich schon merkwürdig angesichts der Besessenheit beispielsweise der Katholiken von Märtyrern. Noch absurder wird es aber, wenn man Hunderttausende von Menschen, die sich aufmachen, um in klapprigen Booten und zu Fuß riesige Entfernungen zurücklegen, als passiv und irgendwie gern tatenlos leidend beschreibt. Dieser Mangel an Logik müsste eigentlich jedem auffallen (nicht den zahllosen Internetnutzern, die Ihren Text gern als Anlass für weitere Hetze nehmen natürlich, aber jemandem wie Ihnen vielleicht schon).

Natürlich wollen Sie auch die vielen Menschen aus der vermeintlichen arabischen Leidenskultur nicht sehen, die sich hier in Deutschland für Flüchtlinge einsetzen oder direkt in den Flüchtlingslagern innerhalb und außerhalb Europas  helfen, aufräumen, medizinisch versorgen, Stullen schmieren, Unterricht für Kinder organisieren… Dass dies meist nicht die Frauen mit vier kranken Kindern sind, sondern eher die bösen bösen jungen Männer, vor denen hier in Deutschland viele solche Angst haben, ist hoffentlich auch für Sie nachvollziehbar. Aber Sie häufen auf das rechte Argument, diese Menschen verdienten keine Hilfe, noch ein weiteres, besonders perfides: Die wollen ja gar keine Hilfe, die fühlen sich ganz wohl in ihren Zelten, im Regen, im Schlamm, mit hustenden Kindern (sehen Sie, ich kann auch polemisch werden, wenn ich will).

Und natürlich die Smartphones. Die haben Smartphones! – ich glaube, dieses „Argument“ habe ich schon irgendwo einmal gehört. Sie gehen natürlich schlauer vor und werfen den Flüchtlingen nicht ausdrücklich vor, dass sie über diese Errungenschaft verfügen und entsprechend keine Hilfe benötigen. Nein, Sie liefern der Pegida lieber ein weiteres Telefonargument: wenn die Smartphones haben, dann wissen die ja auch ganz genau, was sie wo erwarten können. Die haben doch alle Informationen! Tja, in Deutschland hat auch fast jeder ein Smartphone – das verhindert aber nicht, dass die Menschen reihenweise auf die dümmsten Hoaxes hereinfallen.

Die Tatsache, dass sehr viele Flüchtlinge über Smartphones verfügen, bedeutet ja nicht, dass es keine Gerüchte und keine Fehlinformationen gäbe. Ganz im Gegenteil. In die gleiche Richtung zielt Ihr Vorwurf, die Flüchtlinge seien irrationalerweise (naja, Araber eben!) auf nur eine einzige Option fixiert, in diesem Fall den Wunsch, die Grenze nach Mazedonien zu überqueren. Nun wimmelt es nicht gerade von Optionen. Griechische Flüchtlingslager bieten seit Jahren nur katastrophale Zustände an, aber keinerlei Perspektive. Das hat sogar Deutschland anerkannt, das seit 2011 nicht mehr nach Griechenland zurückführt.

Ach ja, ich vergaß, eine Perspektive, mit Schulbesuch für die Kinder und Arbeitsmöglichkeiten für die Erwachsenen, das wollen die glücklich leidenden Araber ja gar nicht. Herr Broder, jetzt habe ich mich auch in Ihrer Logik verirrt. Ihre Art zu schreiben ist gefährlich. Und bitte verstehen Sie das nicht als ein Kompliment.

Beste Grüße

Martina Winkler

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Leserpost

netiquette:

Paul Siemons / 22.03.2016

Ich finde es sehr gut, dass dem Beitrag von Frau Winkler hier Platz geboten wurde. So kann sich jeder Leser ein authentisches Bild von Leuten machen, deren Bessermenschlichkeit ihnen jedes Gefühl für Realität und Relationen genommen hat.

gabriele scheiffele / 22.03.2016

Sehr geehrte Frau Winkler, schon seit längerem meide ich die achgut-Seiten. Das gebetsmühlenhafte Angeklage: die haben smartphones( viele technologisch etwas unterentwickelten Staaten habe die Festnetzära nahezu übersprungen), Die überwiegend jungen geflohenen Männer werden regelmäßig mit dem Attribut “gewaltbereit” versehen. Der Vorwurf, dass die Flüchtlinge kommen , weil Frau Merkel sie eingeladen hat. Gääähn. Wurde von irgend einem der Autoren der Ansatz einer Idee, wie mit der Situation umzugehen ist, formuliert? Ist mir dann entgangen. Viel Gezetere, das sich unendlich wiederholt. Deshalb bin ich erfreut, als ich mich mal wieder aufgerafft habe um auf die achgut Seite zu gehen etwas Frisches zu lesen. Danke Mit freundlichen Grüßen Gabriele Scheiffele

Ulrich Maschmann / 21.03.2016

Hallo Frau Winkler, es ist nur gut, daß Leute mit Ihren augenscheinlich grenzenlosen Erfahrungen und Erkenntnissen immer so zielgenau verorten können, was zu denken, zu äußern und zu schreiben zulässig oder gefährlich ist - Kompliment!  Erheblich wertvoller für den Erhalt und die Förderung der demokratischen Grundlagen scheinen mir indessen die noch immer selbstständig denkenden - und insbesondere auch im Hinblick auf den Mainstream einschließlich der abstrusen selbstzerstörerischen Flüchtlingspolitik - kritisch distanzierten Betrachter wie Herr Broder zu sein.  Die Nebensatzanmaßung, mit der Sie Herrn Broder gar Rassismus und Fremdenfeindlichkeit andichten, hätten Sie besser unterlassen. U. Maschmann

George Norman / 21.03.2016

Martina Winkler schrieb: “Krude’‘, ‘‘Bösartig’‘,’‘Zynisch’‘,’‘Rassistisch’‘, ‘‘Fremdenfeindlich’‘, ‘‘Hetze’’ ‘‘Gefährlich’’  etc. Ach, Frau Winkler. Da haben Sie ja das komplette gutmenschliche Empörungsarsenal losgelassen und mit Unterstellungen nur so um sich geworfen. ‘‘Islamophob’’ hatten sie glaube ich noch vergessen. Der Beitrag von Herrn Broder hat Ihnen offenbar nicht gefallen und sie sind anderer Meinung. OK. Ihr Versuch allerdings, die eigene Meinung als die moralisch überlegene darzustellen, wirkt peinlich konstruiert. Ich hatte beim Lesen eigentlich auf neue Informationen und überzeugende Gegenargumente gehofft. Kommt das noch im zweiten Teil? ‘‘Polemisch kann ich auch’’ schreiben sie. Nein Frau Winkler, tut mir leid. Auch Polemik können Sie leider gar nicht.  

Joschua Pauli / 21.03.2016

Ihr Verweis auf die Logik, die angeblich in Broders Text fehlen soll, geht am Kern der Sache vorbei. Das Handeln von Menschen unterliegt nicht notwendig logischen Gesetzen und ebenso wenig ist dies für menschliche Überzeugungssysteme der Fall. Ohnehin gilt, dass man den Islam als Leidenskultur ganz unabhängig vom Katholizismus auffassen kann. Logisch schließt sich das, egal wie groß die Rolle des Leidens im Katholizismus auch sein man, jedenfalls nichts aus. Doch von logischen Fragen einmal ganz abgesehen, ist es nicht besonders überzeugend, hier ausgerechnet den katholischen Märytrerkult gegen den Islam in Stellung zu bringen - angesichts muslimischer (und das heißt nicht zuletzt: arabischer) junger Männer, die sich tagtäglich im Namen Allahs in die Luft sprengen oder sonst irgendeine Möglichkeit finden, möglichst großes Leid nicht nur auf ihre Feinde, sondern auch über sich selbst und ihre Glaubensbrüder und Schwestern zu bringen. Christopher Hitchens hat den Islam einmal als schreckliches Trio aus Selbsthass, Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit bezeichnet. Diese Einschätzung verstößt genauso wenig gegen die Logik wie jene Broders. Der Islam ist - wie alle Religionen - voller Widersprüche. Gleiches gilt für die Überzeugungssysteme und - daraus folgend - die Handlungen seiner Anhänger.

Walter Knoch / 21.03.2016

Ich will ja nicht bösartig sein - aber vielleicht doch. Wenn man anderen mangelnde Logik vorwirft, sollte man mehr beherrschen, als die rechte - Verzeihung - die richtige Schreibung des kleinen Wörtchens. Von Ihren vielen Anmerkungen - die eher eigenwilligen Interpretationen und Unterstellungen sind - greife ich nur eine auf: Wo gibt es die katholische Märtyrerbessenheit. Die katholische Kirche - deren Mitgliedschaft ich aus Respekt und Achtung aufkündigte - ehrt den Blutzeugen, der wegen seines Glaubens gemordet wurde. Sie ehrt Menschen, die Ihrem Glauben treu blieben, treu bis in den Tod - die keine Gewalt ausübten, die Opfer von Gewalt wurden. Vergleichen Sie - bitt gar schön - diesen Märtyrerbegriff, mit dem der Religion des Politikers und Gewaltherrschers Mohammed: der ist dort Märtyrer, wenn ich den Lehrer machen darf, der “mit Gut und Blut’ kämpft, damit am Ende auf der Erde nur noch ein Glaube herrscht. Als Belohnung winken ihm die bekannten Seligkeiten, die mir mit dem Gedanken an meine Tochter im Hinterkopf verschiedene Reize auslösen. Sorry, ihre Argumentation beginnt schon mit einem falschen Begriff: dem allgegenwärtigen “Flüchtling”. Andere Semantiken sind von jetzt auf nachher “ausgestorben worden”. Dabei wollen Sie, die Sie der Hetze bezichtigen, vielleicht auch helfen, wenn auch auf andere Art. Entschuldigen Sie bitte noch einmal: Wenn auf der einen Seite Hetzer am Werk sind, sind auf der anderen vielleicht Brunnenvergifter unterwegs. Aber diese boshafte und bösartige Invektive nehme ich mit dem Ausdruck des tiefsten Bedauerns zurück. Sollten Sie ab und an bei meinen Anmerkungen meinen Ironie und Sarkasmus feststellen zu müssen: Sie liegen richtig. Auch Polemik war beabsichtig. Anders kann man sich dessen, was da täglich auf einen herunterregnet, nicht mehr erwehren.

Magdalena Schubert / 21.03.2016

Sehr geehrte Frau Winkler, ja, die männliche Logik, damit hatte ich ebenso zeitlebens meine Probleme und überhaupt: die völlig unterschiedliche Wahrnehmung von Situationen und Ereignissen! Leider kann ich Ihnen jedoch, was die Lage in Idomeni angeht und Ihre Kritik an Henryk Broder, nicht zustimmen, trotz weiblicher Intuition und obwohl ich schlaflose Nächte aufgrund von medialer Berichterstattung aus eigener Erfahrung sehr gut kenne. Sie lassen sich von Gefühlen leiten, die mir ebenso vertraut sind, nämlich starkem Mitgefühl bis hin zu wachsender Verzweiflung. Aber das Wesentliche ist meines Erachtens in diesem Fall, die komplexen Zusammenhänge zu sehen, die vielfältigen und vielschichtigen Hintergründe zu erkennen - was sicherlich nicht einfach ist bei der Fülle von Falschinformationen was das Flüchtlingsthema betrifft. Ich persönlich habe über 40 Jahre meiner Zeitung (der Süddeutschen) vertraut und mir nie träumen lassen, dass sich das je ändern könnte. Ich habe mich immer als eine aktive Leserin bezeichnet, aktiv in dem Sinne, dass ich Anteil nehme, mitdenke, Stellung beziehe - auch in Form von Leserbriefen und Spenden. Als im Herbst die Grenzen geöffnet wurden, gehörte meine Empathie selbstverständlich den Flüchtlingen. Aber schon bald irritierte mich die Art und Weise der überall und zunehmend aggressiver auftretenden “Gutmenschen”, das Eindreschen auf kritische Bürger, das völlig einseitige Medienspektakel. Ich bekam beim Lesen nur noch Bauschmerzen und spürte immer deutlicher, dass das mit echter Humanität nichts mehr zu tun hatte. Ich begann mich anderweitig zu informieren, Auslandspresse zu lesen, Artikel im Netz zu beachten: aufschlussreiche Interviews und viele Insider- und Augenzeugenberichte von konvertierten Muslimen, Professoren, Wissenschaftlern, Psychologen, Verfassungsrechtlern und wirklich freien Journalisten. Ich habe -im Gegensatz zu den Aussagen unserer Politiker und Mainstreammedien- mit Erstaunen festgestellt, dass die Menschen im Netz keinen ideologischen Wortmüll absondern, keine leeren Phrasen dreschen, sondern in der Regel kluge, achtsame, nachdenkliche Kommentare, die auf Lebenserfahrung, eigenständigem Denken und Erfassen von realen Zusammenhängen basieren. Ich habe mich mit der anderen Seite, nämlich der angeblich “rechtsextremen” auseinandergesetzt und konnte keinen Hass entdecken, stattdessen eine mich zutiefst erschreckend gewalttätige Hetze auf der linksgrünen Seite. Ja, die menschliche Logik, die eigene, persönliche Sicht der Dinge - die uns so häufig voneinander trennt.  Vielleicht lesen Sie zu Idomeni noch die beiden Artikel hier auf der Achse: “Flüchtlingshelfer gehen in Idomeni über Leichen” von Vera Lengsfeld und “Irrwitz mit Ansage” von Thilo Thielke. Möglicherweise kommen Sie dann zu einem etwas anderen Urteil… Herzlichst, Magdalena Schubert

Markus Freuler / 21.03.2016

Offenbar reicht es der Autorin, als Argument das Wort “krude” anzuführen. Mehr ist da nicht, deshalb ist es schon recht mutig, dieses Geschreibsel Replik zu nennen. Kleines Detail am Rande: Den Unterschied zwischen einem katholischen und einem moslemischen Märtyrer könnte Frau Winkler ziemlich einfach erkennen, indem sie zuerst einem katholischen Märtyrer begegnet und dann einem moslemischen. Aber wichtig : unbedingt Reihenfolge einhalten.

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