Julian Pahlke ist ein Sprecher von „Jugend Rettet e.V.“ und hat ein eigenes, festgefügtes Weltbild. In dieser Welt gehört sein Verein zu den Guten, denn es ist nicht nur gut, Menschen aus Seenot zu retten, es ist auch gut, wenn alle Migranten, denen man das Label „Flüchtlinge“ anheftet, sicher von Nordafrika nach Europa gebracht werden. In einer Welt, in der sich die Guten eindeutig ausmachen lassen, weiß man auch sofort, wer die Bösen sind. Das sind all die, die die Guten, wie Pahlkes Verein, daran hindern, ihr gutes Werk zu tun. Der Verein ist dieser Tage bekanntlich in die Schlagzeilen geraten, weil die italienische Staatsanwaltschaft gegen einige Mitglieder wegen des Verdachts der Beihilfe zur illegalen Einreise ermittelt. Konkret soll die Staatsanwaltschaft den selbsternannten Rettern vorwerfen, Migranten quasi nach Absprache mit den Schleusern von deren Schlauchbooten übernommen zu haben.
Als einen Beweis präsentierte die Justiz der Öffentlichkeit Fotos, auf denen man das Vereins-Schiff „Iuventa“ sieht, das gerade Schlauchboote mit Migrationswilligen erreicht, während auf der anderen Seite der Schlauchboote die Schleuser die Bootsmotore abbauen, um sie wieder mit an die afrikanische Küste zu nehmen. Die werden ja nicht mehr gebraucht, denn den Rest der gut bezahlten Schleuser-Dienstleistung, also die weitere Fahrt nach Europa, übernehmen jetzt ja die Retter.
Kein Anruf vom Schleuser
Muss man daraus schlussfolgern, dass es eine Absprache zwischen Rettern und Schleusern gab, wie es die italienischen Staatsanwälte offenbar tun? Julian Pahlke findet diese Schlussfolgerung nicht gerechtfertigt, ebenso wenig wie die Konsequenzen der italienischen Staatsanwaltschaft. Die ermittelt nicht nur, sondern ließ das Schiff der Retter vorerst an die Kette legen. Retter-Sprecher Pahlke erklärte der BILD-Zeitung dazu: „Die Crew möchte zurück ins Einsatzgebiet, Menschen retten. Wir haben nur dieses eine Schiff und wollen es so schnell wie möglich wiederhaben. Es gab keine Telefonate mit Schleppern.“
Auch sonst habe die Organisation nur Kontakt zu den Schleppern gehabt, wenn diese vor der libyschen Küste neben dem Rettungsschiff gelegen haben. „Die sind gekommen, um die Motoren der Boote zu holen, von denen wir die Menschen gerettet haben. Man nennt die ‚Engine Fisher’“, erklärt Pahlke.
Und weiter: „Unsere Crew kann die Gefahr schwer einschätzen, die von diesen Menschen ausgeht. Die kommen, während wir ein Boot evakuieren und nehmen den Motor ab. Wir übergeben die Menschen dann an die italienische Küstenwache oder zum Beispiel an ‚Ärzte ohne Grenzen‘.“
Die einen holen den Motor, die anderen die Menschen
Und wieso sind die Schlepper pünktlich zur Motorenbergung vor Ort, wenn die Retter ein Boot evakuieren? Wenn es nicht abgestimmt ist, dann beobachten die Schlepper das Vorgehen der Retter so genau, dass sie deren Einsätze mit einkalkulieren können? Auch wenn es in Pahlkes Weltbild sicher nicht passen wird: Die Retter sind in diesem Spiel nicht die Guten, sie sind die Helfer der Schlepper, die aus dem Wunsch vieler Millionen Bewohner Afrikas und Arabiens, in den Genuss von Europas Wohlstand zu gelangen, ein profitables Geschäft gemacht haben, ein Geschäft, in dem um zahlende Kundschaft geworben wird.
Nehmen wir an, die Schiffbesatzung, die Migranten von Schlauchbooten aufnahm, während die Schlepper gleichzeitig die Motoren von den Schlauchbooten holten, hatten wirklich nichts mit denen verabredet. Warum sind sie angesichts dieser Szene aber nicht einmal ins Nachdenken gekommen?
Haben sie nie darüber nachgedacht, dass jeder Migrant, den sie aus einem Schlauchboot bergen, um ihn sicher nach Europa zu bringen, tausende Dollar für seine Reise bezahlt hat? Warum steigen diese zahlenden Kunden wohl in Schlauchboote, von denen sie wissen, dass die niemals aus eigener Kraft an die italienische Küste kommen können? Aus Verzweiflung oder doch eher in der Hoffnung, auf dem Meer müsse man nur, wie von den Schleusern versprochen, eines der zahlreichen europäischen Schiffe erreichen, die einen dann sicher ans Ziel bringen?
Der Umstand, dass die Schleuser nach Übernahme ihrer Kundschaft durch die Retter, die Motoren holen kommen, muss doch auch den Möchtegern-Guten vor Augen führen, dass sie in diesem Moment eine Dienstleistung erbringen, für die die Migranten den Schleusern viel Geld bezahlt haben. Je mehr Retterschiffe auf dem Mittelmeer unterwegs sind und je näher sie an der afrikanischen Küste operieren, desto weniger seetüchtig müssen die Schlauchboote der Schleuser sein.
Gibt es Zweifel im Retterweltbild?
Im Retterweltbild mögen solche Zweifel vielleicht auch gelegentlich aufkommen, doch sie werden mit dem Argument erschlagen, dass mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken würden, wenn man weniger Rettungsschiffe auf dem Wasser hätte. Auch jetzt ertrinken ja immer noch etliche Migranten, die nicht auf ein vom Schleuser versprochenes Rettungsschiff treffen. Das ist kurzfristig sicher auch richtig und alle Beteiligten stehen vor einem Dilemma.
Natürlich könnte man sagen, man zieht die europäischen Schiffe aus dem Mittelmeer ab. Möglicherweise ertrinken zunächst mehr Migranten, doch das spricht sich unter der zahlenden Kundschaft vielleicht schnell herum. Keiner würde mehr nach Zahlung hoher Geldbeträge eine Nussschale besteigen, die ihn beinahe sicher in den Tod fährt, weil die Chancen auf Rettung gering sind. Selbst wenn man davon ausgeht, dass deshalb irgendwann die Zahl der ertrinkenden Migranten wieder sinken dürfte – dauerhaften Erfolg verspricht auch diese zynisch anmutende Kalkulation nicht. Denn irgendwann würden die Schleuser ihre Dienstleistung teurer anbieten, weil ihre Schiffe immerhin eine realistische Chance versprechen müssen, mit ihnen ein europäisches Ufer lebend zu erreichen. Und das wird natürlich nicht allen gelingen.
Solange sich die guten Retter nicht damit auseinandersetzen, wie eine entscheidende Ursache für das florierende Schleusergeschäft beseitigt werden kann, helfen sie vor allem den Schleusern. Und eine wichtige Ursache sind die Anreize, die beispielsweise Deutschland bietet. Die Schleuser können ihre Kundschaft aus der zahlungsfähigen afrikanischen Mittelschicht damit ködern, dass sie am Ziel Rundumversorgung, kostenlose ärztliche Behandlung und Taschengeld erwarten, nebst allerlei Chancen, die sich dann auftun würden. Vor allem wirken all diese Wohltaten als Bürgschaft dafür, dass die Schleuser ihr Geld bekommen, weil die Geschleusten auf diese Weise wissen, wie sie die Schulden, die sie für die Reise gemacht haben, abbezahlen können.
Die falschen Anreize müssen verschwinden
Erst wenn diese steuerfinanzierten Schleuserbürgschaften, wenn die Anreize verschwinden, wird sich die Zahl der Schleuserkunden reduzieren. Sollte man nun die Sozialleistungen für Asylbewerber völlig abschaffen? Nein, es reichte, man würde auch mit Asylantragstellern grundsätzlich so verfahren wie mit allen einheimischen Antragstellern auf Sozialleistungen auch: Gezahlt wird nach der Bewilligung des Antrags, nicht allein dafür, dass er gestellt wird. Das schließt Härtefallregelungen nicht aus, die müssen aber nicht die Regel sein. Aber viele wohlmeinende Helfer, die alle Migranten derzeit zu „Flüchtlingen“ verklären, vergessen gern, dass es sich bei ihnen nicht um die Ärmsten handelt. Und die meisten von ihnen fliehen auch nicht vor Krieg, Terror, Folter oder Verfolgung, haben also keinen Anspruch auf Asyl in Europa. Jeder, der mit den Schleusern gereist ist, hat dafür pro Person tausende Dollar bezahlt. Geld, das in der Heimat der Migranten als Investition fehlt. Wer das Geschäft der Schleuser durch Anreiz, Bürgschaft oder Mittun unterstützt, kann nicht zu den Guten in diesem Spiel gehören, so sehr er sich das auch zurechtinterpretieren möchte.
Dieser Beitrag erschien auch auf Peter Grimms Blog sichtplatz