Hannes Stein / 12.08.2008 / 04:42 / / Seite ausdrucken

Die Grundtorheit Thomas Manns

Noch eine kleine Anmerkung hierzu: Der Antikommunismus sei “die Grundtorheit des 20. Jahrhunderts”, sagte Thomas Mann leider tatsächlich. Dazu sollte man wissen, dass Thomas Mann 1955 anlässlich des Schillerjahres eine im wesentlichen unpolitische Rede in Weimar hielt und sich als Repräsentant des einen, des ungeteilten, besseren usw. Deutschland feiern ließ. Der DDR-Staatsdichter Johannes R. Becher (“Es wird ganz Deutschland einstmals Stalin danken, In jeder Stadt steht Stalins Monument, Dort wird er sein, wo sich die Reben ranken, Und dort in Kiel erkennt ihn ein Student”), Johannes R. Becher also hieß Thomas Mann damals in Weimar willkommen.
Diese Rede ist kein Ruhmesblatt. Denn gleich neben Weimar liegt Buchenwald. Und das KZ Buchenwald war nach 1945 unter neuem Management, jenem der Sowjets, weiterbetrieben worden. Keineswegs nur alte Nazis saßen hier bis 1950, auch Sozialdemokraten, Christen oder einfach Leuten, die der sowjetischen Besatzungsmacht nicht passten, wurden dort geschunden. Der Antifaschist und amerikanische Staatsbürger Mann hätte einen guten Eklat verursachen können, wenn er auf diesen Umstand hingewiesen hätte; überhaupt wäre der eine oder andere Satz am Platze gewesen, ob Herr Ulbricht und Co. wirklich die geistigen Erben Schillers waren, eines Dichters, der bekanntlich den Tyrannenmord guthieß. Aber nix. Kein Mucks. Kein Sterbenswort.
Thomas Mann machte sich Illusionen, wie so viele linksliberale Intellektuelle (und er kam ja außerdem relativt spät zum Linksliberalismus, als junger Mann war er noch ein ironischer Konservativer). Der Autor von “Joseph und seine Brüder” glaubte, dass die Sowjetunion reformierbar sei; dass es zu einer Verschmelzung von westlicher Demokratie und östlichem Sozialismus kommen könne. “Denn ein Mann, der die Macht braucht, nur weil er sie hat, gegen Recht und Verstand, der ist zum Lachen. Ist er´s aber heute nicht, so soll er´s in Zukunft sein, und wir halten´s mit dieser”, heißt es in diesem wunderbaren Roman.
Ja, das ist alles sehr edel. Aber 1955 in Weimar war Thomas Mann blind, taub und stumm. Und diese Blindheit ist in Wahrheit die Grundtorheit unserer Epoche—oder jedenfalls ein großer Teil von ihr.

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