Die Hochmoselbrücke ist ein imposantes Bauwerk. In 160 Metern Höhe überspannt sie nahe des Weinstädtchens Ürzig auf 1,7 Kilometern Länge das Moseltal und schafft seit November 2019 eine durchgehende, autobahnähnliche Verbindung zwischen dem Rhein-Main-Gebiet und dem Ballungsraum Lüttich in Belgien – quer durch Hunsrück und Eifel. Auf der Projekt-Homepage des Landesbetriebs Mobilität Rheinland-Pfalz heißt es, die Fahrbahn des „Hochmoselübergangs“ sei so hoch, dass darunter der Kölner Dom Platz hätte. „Als Balkenbrücke ist die Brücke einerseits zwar schlicht und unaufdringlich, andererseits durch die lichten Höhen und großen Stützweiten aber äußerst leicht und transparent“, schwärmen die Bürokraten.
Jahrelang gab es Proteste gegen die schon seit den 1960er Jahren geplante Brücke mitten durch ein weltbekanntes Weinbaugebiet und die grandiose Landschaft der Mittelmosel. Für Weinkenner hat der Name Ürzig mit seinen berühmten Riesling-Steillagen einen beinahe magischen Klang. Und die Einzellage „Ürziger Würzgarten“ wäre in Frankreich längst zum Grand Cru geadelt worden. Die Franzosen wären wohl nie auf die Idee gekommen, in solch einer Umgebung eine Autobahn zu bauen. Und wenn doch, hätten sie wenigstens einen Stararchitekten beauftragt, wie den Briten Norman Foster, der das wagemutige Millau-Viadukt über der Schlucht des Tarn plante, heute eine Touristenattraktion mit Informationszentrum und Restaurant. Dagegen wirkt die Moselbrücke doch nur wie das Produkt einer deutschen Autobahndirektion.
Grüne Flexibilität
Ganz an der Spitze des Protests gegen das „überflüssige Wahnsinnsprojekt“ fanden sich dereinst die Grünen. „Das Moseltal lebt von Weinbau und Tourismus, nicht von Transportern, die darüber hinweg rasen“, sagte die damalige grüne Landessprecherin Eveline Lemke im Jahre 2010. Und eine gewisse Jutta Blatzheim-Roegler, heute stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende im Mainzer Landtag und Sprecherin für Mobilität, fügte hinzu: „Noch kann die Bedrohung des Mittelmoseltals zwischen Zeltingen-Rachtig und Ürzig mit seinen weltberühmten Weinlagen und einer einmaligen Landschaft und Natur im Naherholungsgebiet 'Moselsporn' gestoppt werden.“ Das Netz vergisst nichts.
Ein Jahr später saß Lemke als Ministerin für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung in einer von Kurt Beck geführten rot-grünen Landesregierung in Mainz und ihre markigen Worte waren nichts mehr wert. Zur Enttäuschung nicht nur ihrer Anhänger an der Mosel war die Brücke jetzt offenbar nicht mehr ganz so wahnsinnig, als dass man sie im rot-grünen Koalitionsvertrag nicht durchgewunken hätte.
Dafür durften sich die Grünen mit ihrem Steckenpferd austoben, der Energiewende in dem von Windkraftwerken reich gesegneten Land zwischen Mosel und Rhein und Saar. Fertiggestellt wurde das Mosel-Viadukt erst unter Malu Dreyer als Ministerpräsidentin einer Ampelkoalition zusammen mit Grünen und FDP. Ob die Grünen bei der letzten Mainzer Wahl 2016 für ihre Flexibilität abgestraft wurden, als sie nur noch knapp in den Landtag kamen? Fünf Jahre zuvor hatten sie mit mehr als 15 Prozent ein Rekordergebnis erzielt, allerdings auch von dem Fukushima-Effekt profitiert: Kurz vor der Wahl war in Japan infolge eines Erdbebens mit nachfolgendem Tsunami das gleichnamige Atomkraftwerk explodiert.
Realpolitik und Märchenstunde
Das grüne Waterloo an der Mosel scheint sich jetzt in Hessen zu wiederholen, wo die Proteste gegen den Weiterbau der A49 von Gießen nach Kassel, dem die Ökopartei im schwarz-grünen Koalitionsvertrag mit CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier ebenfalls zugestimmt hatte, nicht abreißen wollen. Seit einem Jahr halten Aktivisten den Dannenröder Forst besetzt, ein Waldgebiet zwanzig Kilometer östlich von Marburg, immer wieder kommt es zu Demonstrationen, die an die gewalttätigen Proteste gegen die Rodung des Hambacher Forstes zugunsten des Braunkohletagebau erinnern. Und der grüne Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al Wazir ist auf Tauchstation gegangen.
Da kommt ein Entlastungsangriff aus Berlin gerade recht. Medienwirksam sprachen sich Grünen-Ko-Chefin Annalena Baerbock und der grüne Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter, für einen generellen Stopp weiterer Autobahnbauten in Deutschland aus. Und die Medien griffen begeistert zu, die Süddeutsche Zeitung präsentierte die bei näherem Hinsehen ziemlich hohle Forderung sogar auf der Titelseite. Natürlich wissen die Grünen, dass das Papier, auf dem der Bundesverkehrswegeplan gedruckt wird, besonders geduldig ist. Viele dort gelistete Projekte dürften niemals eine Chance auf Realisierung deutlich vor dem Sankt Nimmerleinstag haben, zumal die öffentlichen Kassen infolge Corona leer sind.
Deshalb wird eifrig über Bande gespielt. Die grünen Amtsträger in den diversen Landesregierungen machen Realpolitik, während die Bundestagsfraktion für die Märchenstunde zuständig ist. Und wenn es, wie zu erwarten, im nächsten Herbst eine schwarz-grüne Bundesregierung geben wird, läuft es wie gehabt: Die Grünen müssen ein paar ziemlich unbekömmliche Kröten schlucken, etwa bei Migration, Innerer Sicherheit und Verkehr, und halten sich an der Energiewende schadlos. Allerdings dürfte es dann ziemlich egal sein, ob unter und zwischen abertausenden von Windrädern und Solarfeldern, die Deutschland schon heute verschandeln, noch ein paar neue Autobahnen und Bundesstraßen gebaut werden. Und daran würde sich auch nichts ändern, wenn Sir Norman Foster bald Windmühlen entwerfen würde.