Henryk M. Broder / 15.12.2019 / 12:00 / Foto: Pixabay / 123 / Seite ausdrucken

Die grüne Nummer

Ich weiß, man soll nicht gleich „Nazi!“ schreien, wenn einem irgendetwas auffällt, das Erinnerungen an die Nazi-Zeit weckt. Das Tanzverbot am Karfreitag zum Beispiel, das für alle Länder der Bundesrepublik gilt, aber in jedem anders gehandhabt wird, hat seinen Ursprung in einer Regelung, die von den Nazis als ein „Ausdruck der Solidarität der Jugend mit der kämpfenden Front“ eingeführt wurde.

Auch das steuerliche „Ehegattensplitting“ steht in der Tradition der NS-Familienpolitik. Und wer am 1. Mai für mehr soziale Gerechtigkeit und höhere Löhne demonstriert, sollte wissen, dass der „Kampftag der Arbeiterklasse“ im Dritten Reich als „Tag der nationalen Arbeit“ begangen wurde. Auch die Autobahn und der Volkswagen standen auf dem To-Do-Zettel der Nazis weit oben.

Und so war ich nur mäßig überrascht, als ich neulich las, die Stadt Vilshofen an der Donau würde Hausbesitzern, „die nachhaltig leben“, eine „grüne Hausnummer“ geben, die allen, die vorbeigehen oder vorbeifahren, signalisieren soll, dass der Besitzer der Immobilie einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leistet.

Und war da nicht der Gelbe Stern?

Voraussetzung sei, dass beim Bau energieeffiziente Materialien zum Einsatz kamen und auch an eine Solaranlage gedacht wurde. Wer öffentliche Verkehrsmittel nutzt oder mit einem E-Auto zur Arbeit fährt, der bekommt die „grüne Nummer“ eher als sein Nachbar, der möglicherweise kalt duscht, aber mit einem Benziner oder Diesel die Luft verpestet. Diese Art der positiven Stigmatisierung werde in anderen Gemeinden bereits erfolgreich praktiziert.

Ich konnte nicht umhin, ich musste sofort an den „gelben Stern“ denken, den die Juden vom 1. September 1941 an im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten tragen mussten, um den Nazis die Erkennungsarbeit zu erleichtern.

Die Analogie mag übertrieben sein, ganz daneben ist sie nicht. Zum einen ist der Umweltschutz das Einfallstor für den Überwachungsstaat, der seine Bürger bis ins Badezimmer kontrolliert. Zum anderen kommt er dem deutschen Bedürfnis nach Aussondern und Denunzieren entgegen. Dass es diesmal nicht die Juden trifft, sondern die Umweltsünder, macht die Sache nicht besser, es zeigt nur, wie flexibel und nachhaltig eine Tradition sein kann. 

Kurzum: Moosgrün ist das neue Hellbraun.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

 

Von Henryk M. Broder erschien am 8. November 2019 das Buch „Wer, wenn nicht ich – Henryk M. Broder“. Der Autor befasst sich darin mit „Deutschen, Deppen, Dichtern und Denkern auf dem Egotrip“. Das Buch kann im Achgut.com-Shop vorbestellt werden. Die zweite Auflage ist ab dem 18. Dezember lieferbar.

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Werner Arning / 15.12.2019

Der Deutsche ist ein sozial denkender Mensch. Einer, den es stark interessiert, was der Nachbar so treibt. Einer, der wissen will, was denn die anderen Deutschen so denken. Was sie machen, was sie umtreibt und ob sie etwas besser oder schlechter machen als er selber. Er will wissen, ob sie sich genauso anstrengen wie er selber. Ob sie ebenfalls einen Beitrag leisten für die Gesellschaft. Ob sie dich einbringen im Sinne der Allgemeinheit. Im Sinne der Gemeinschaft. Und dann vergleicht er gerne. Wer liefert den besten Beitrag? Wer verhält sich sozial am verantwortlichsten? Wer gibt ein gutes Beispiel ab? Wer verhält sich vorbildhaft? Und wer nicht? Wer verhält sich unsozial? Egoistisch? Wer denkt nur an sich? Dieses alles fragt sich etwa der Franzose nicht, oder kaum. Es interessiert ihn wenig, was der Nachbar denkt und ob er seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommt. Der Franzose ist ein Individualist. Die Sache mit den grünen Hausnummern würde es dort nicht geben können. Undenkbar. Zu Deutschland passt es. Der Deutsche fühlt sich für das Allgemeinwohl mitverantwortlich. Diese an sich positive Eigenschaft hat den Nachteil, dass eine Neigung besteht, Andere zu überwachen und das Verhalten Anderer im Bedarfsfall korrigieren zu wollen. Er schreckt auch nicht davor zurück, Andere entweder belohnend oder tadelnd zu „markieren“. Auch dieses wäre etwa in eher individualistisch geprägten Gesellschaften undenkbar. Die Grünen passen zu Deutschland. Anderswo (mit wenigen Ausnahmen) wären sie „so“ eher schwer vorstellbar. Die Grünen sind wahrscheinlich die „Überwacher“ und „Korrigierer“ schlechthin. Sie vertreten „das Deutsche“ am eindeutigsten. Und unter ihnen könnte man sich auch die flächendeckende Einführung der grünen Hausnummern vorstellen, aber wie man sieht, nicht ausschließlich unter ihnen. In Deutschland ist das alles möglich. In einem grünen Deutschland nur um so mehr. Alles ein bisschen extremer. Extrem deutsch.

Gottfried Meier / 15.12.2019

Hellbraun ist schon ein wenig untertrieben!

Karla Kuhn / 15.12.2019

P. Wedder, die goldenen Hausnummern sind sogar für mich, als “gelernte” DDRlerin neu. Immerhin habe ich bis 1975 in der DDR gelebt aber solche Nummern kenne ich nicht. Allerdings war unser “gut bürgerliches Haus” auch kein sozialistisches Vorzeigeprojekt und einem derartigen Hauswart hätten wir Beine gemacht. Da freiwillig kein Mensch aus diesem schönen Haus ausgezogen ist, konnte auch kein “Bonbonträger” einziehen. Ich glaube, viele solcher A…kriecher gab es nur in den NEUBAUTEN.

Dirk Jungnickel / 15.12.2019

Also jetzt mal die Luft anhalten, oder ist das Satire ? Von goldenen o.ä. Hausnummern in der DEDEER habe ich als gelernter “DDR”  Bürger nie weder etwas gesehen oder gehört !  Reicht es nicht, wenn die von der SED installierte Staatssicherheit Aktengebirge über ihre Untertanen ansammelte und die Knäste füllte ? Und dass die Täter - Partei uns heute unter Steigbügelhaltung grün - roter Muschpoke Humanismus und Anmahnung an Rechtsstaatlichkeit vorspielen darf ?????

Dr. Gerhard Giesemann / 15.12.2019

Vielleicht sollte man den Grünkreuz-Blödsinn nicht mit der teuflischen Stigmatisierung von Menschen in Verbindung bringen - gelb, schwefelartig, als Farbe des Teufels, extra so gewählt, welche Christenmenschen haben da wohl beratend mitgewirkt … ? Andererseits: Christusleugner - Klimashoa: Es bleibt grotesk. Eli, Eli, lamá sabachtami.

Marc Blenk / 15.12.2019

Lieber Herr Broder, diese überhebliche Stigmatisierungs - und Preisverleihungsunkultur und dieser Ehrenwahn… Das gab es zuerst im Kaiserreich und die Nazis, wie die Kommunisten habens übernommen. Für alles herrschend Ideologische gibt es nun wieder einen Kennzeichnungswahn für Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Das neue eiserne Kreuz ist jetzt natürlich grün. Tüvplaketten politischer Willfährigkeit. Mittel totalitären Denkens, das sich vom rein autoritären dadurch unterscheidet, dass er nicht einfach bestimmt, sondern weit darüber hinaus Wille und Bewußtsein der Menschen bestimmen möchte. Die Schaffung des neuen Menschen ist ein alter linker Traum. Man möchte ihn so oder so haben. Wer abweicht bekommt genauso eine Kennzeichen wie der, der schon rein ist. Und natürlich sollen am Ende alle die grüne Plakette haben. Was also tun? Niemals auf das blaue Hausschild verzichten. Es wird das Kennzeichen derer, die nicht bereit sind, sich den totalitären Ansinnen zu beugen. Und soviel Formen totalitärer Kennzeichnung, die auf den Markt kommen, soviel Möglichkeiten für Protest und Widerstandsgeist gibt es auch. Noch haben wir die Möglichkeit. Die Juden hatten sie nicht.  Also: Wehret den Anfängen und tretet den neuen grünen und linken Antidemokraten und Feinden der Freiheit in den Allerwertesten.

Rolf Mainz / 15.12.2019

Da ist noch Luft nach oben. Wie wäre es damit: alle AfD-Mitglieder werden ab sofort gezwungen, eine blaue Hausnummer anzubringen. Damit die wirklich guten Demokraten gleich wissen, wessen Hauswand zu beschmieren ist samt Zerstörung im Umfeld parkender Fahrzeuge usw. Am besten wäre sogar: ein blaues Symbol offen auf der Kleidung zu tragen. So geht Meinungsfreiheit, so funktioniert Demokratie. 1000 Jahre lang, wenn es sein muss.

Steffen Rascher / 15.12.2019

Mir geht es auch enorm gegen den Strich mit der grünen Tyrannei. Ich habe deshalb bei Umweltfragen.org unterschrieben. Das ist mal keine Petition, sondern ein Paket von Fragen an alle Bundestagsfraktionen warum sie so entschieden haben wie sie es taten. Ist doch mal spannend. Die Antworten werden veröffentlicht. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Mal sehen, wer hier die grüne Hausnummer bekommt.

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