Eine Expertin für den NDR: Annika Brockschmidt. Ihr Buch, für das sie nicht in die USA reiste: „Amerikas Gotteskrieger“. Es strotzt nur so vor pauschaler Abwertung alles Konservativem, die bis zur Paranoia reicht. Und dient den Tagesschau-Faktenfindern als Alibi für Verschwörungs-Geraune. Eine amüsierte Abrechnung.
„Das gehört zum journalistischen Handwerk“, antwortete mir der NDR im Juli. Ich hatte wissen wollen, woher Pascal Siggelkow, der Tagesschau-„Faktenfinder“, die Information hatte, dass „weiße Evangelikale“ in den USA im Verbund mit „rechten Katholiken, Protestanten, Mormonen und denominationslosen Christen" eine gefährliche Verschwörung bildeten, deren „gemeinsamer Nenner“ „weißer, christlicher Nationalismus“ sei: „die Vorstellung, dass die USA von und für weiße, konservative Christen gegründet sei“. So schrieb es Siggelkow auf tagesschau.de.
Siggelkow und die ARD behaupteten also nichts anderes, als dass die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung Ideen unterstütze, die mit kriminellen, rassistischen Organisationen assoziiert werden. „Mit brennenden Kreuzen für ein weißes und protestantisches Amerika“, lautete die Überschrift eines Artikels, der 2014 auf der Website des Deutschlandfunks erschien. Da ging es um den Ku Klux Klan – und es waren fast die gleichen Worten wie in dem Beitrag über amerikanische Christen.
Christen werden bei der ARD in einen Topf geworfen mit Rassisten. Wo ist der Unterschied zwischen Millionen christlichen Kirchgängern und einem Mob, der Schwarze teert und federt und an Bäumen aufhängt? Dass zumindest beides in eine ähnliche Richtung gehe, war die Suggestion des „Hintergrund“-Artikels mit dem Titel: „Evangelikale in den USA: Desinformation im Auftrag des Herrn“.
Alarmierende Dinge waren da zu lesen, wie etwa, dass es eine „rechtspopulistische Nichtregierungsorganisation“ gebe, deren Ziel es sei, „die biblischen Werte wiederherzustellen“. Eine gefährliche Untergrundorganisation offenbar. Ihre ruchlosen Methoden: Sie würde „große Konferenzen“ organisieren, die „eine Menge biblischer Bezüge“ hätten. Um Himmels willen!
Wenn ein vom deutschen Gebührenzahler bezahlter „Faktenfinder“ eine religiöse Gruppe pauschal des Rassismus bezichtigt, darf man nach seinen journalistischen Methoden fragen: Hat er das überprüft? Hat er Umfragen gemacht? Hat er auch nur mit einem einzigen der inkriminierten Christen gesprochen, dem er ohne jeglichen Beleg unterstellt, ein Land „nur für Weiße“ anzustreben? Nein, so etwas machen die Öffentlich-Rechtlichen nicht. Siggelkow bezog seine Meinungen von den Lieferanten seines Vertrauens. So wie Verleihnix, der Fischhändler bei Asterix, der seinen Fisch aus Lutetia bezieht, weil er seinen Kunden „Qualität“ schuldet.
Die „Expertenmeinung“ des NDR
Die Antwort des NDR auf meine Frage war: Bei der Aussage handele es sich „um eine Expertenmeinung“. Die Expertin: Annika Brockschmidt. Die war zwar noch nie in den USA, ist aber sehr prinzipienfest. Laut des fachkundigen Achgut-Autors Dr. Dr. Marcus Ermler ist sie das „Postergirl des deutschen Antiamerikanismus“. Man könnte sie auch als Fundamentalistin bezeichnen. In einem Tweet vom 1. September 2023 klagt sie über den Pluralismus in sozialen Medien:
„Twitter schlägt mir jetzt tweets von Friedrich Merz vor und ich glaube der Algorithmus hat da ernsthaft etwas falsch verstanden“
Der Algorithmus, soll das heißen, hat noch nicht geblickt, dass Brockschmidt mit Scheuklappen durchs Leben geht und nicht durch abweichende Meinungen ennuyiert werden möchte – gilt Friedrich Merz doch aus hermetischen Gründen als „Transatlantiker“.
Annika Brockschmidt, so die NDR-Presseabteilung, stütze sich „auf die Recherchen zu ihrem Buch ‚Amerikas Gotteskrieger‘“. Und das sei dann doch wohl zertifizierter Journalismus:
„Experten zu einem Thema zu befragen und deren Erkenntnisse in einen Text einfließen zu lassen, gehört zum journalistischen Handwerk.“
Das muss das Handwerk mit dem goldenen Boden sein, von dem man immer wieder hört. Wie so oft, wenn Amerikaner erfahren, was in Deutschland über sie geschrieben wird, war Matthew Karnitschnig, der Europa-Korrespondent der linksliberalen amerikanischen Tageszeitung Politico, erschrocken, als er Brockschmidts Buch las. In einem ausgewogenen Beitrag, für den er Brockschmidt Gelegenheit zu einer Stellungnahme gab (die diese aber ungenutzt ließ), gab er einerseits zu, dass „die politische Polarisierung, die die amerikanische Politik kennzeichnet“ und die „rassistischen Spannungen, die ihre Geschichte geprägt haben“, „nicht zu leugnen“ seien. Brockschmidt aber stelle „das Land als eine Art dystopische Höllenlandschaft“ dar, als „eine kaputte Demokratie, die von einer gut organisierten Kabale bibeltreuer weißer Rassisten bedroht wird“. Brockschmidts – so wörtlich – „Feuer und Schwefel“ seien
„umso bemerkenswerter, als sie ihr Porträt Amerikas anscheinend gemalt hat, ohne die USA zu besuchen oder auch nur mit den Subjekten ihres Buches gesprochen zu haben — den ‚heiligen Kriegern‘, die Amerika angeblich ins Verderben treiben (die einzigen zitierten Einzelgespräche sind mit einer Handvoll Akademikern).“
Einem Amerikaner, der Brockschmidts Buch lese, erscheine es als nichts anderes als eine „Karikatur“. „Daten, die ihrem Narrativ einer schleichenden radikalen christlichen Übernahme der USA widersprechen, wurden einfach ignoriert.“
Auf mehrfache schriftliche Anfragen von Politico, ob sie für das Buch in den USA recherchiert oder sich dort aufgehalten habe, habe Brockschmidt nicht geantwortet. In einer Erklärung, die nach der Veröffentlichung des Artikels herausgegeben wurde, sagte Brockschmidt, dass es „aufgrund der Coronavirus-Pandemie" nicht möglich gewesen sei, in den Vereinigten Staaten für das Buch zu recherchieren. Ihr Buch sei ja auch gar „keine Reportage“, sondern ein Werk der „historischen und zeitgeschichtlichen politischen Analyse“. Merke: Anders als die niedere journalistische Form der Reportagen bedürfen „historische und zeitgeschichtliche Analysen“ keiner Empirie, keiner Erforschung der Wirklichkeit.
Brockschmidts christliche „Fußsoldaten“
Klar, dass ich diese historische Analystin sprechen möchte. Bevor ich Annika Brockschmidt kontaktiere, besorge ich mir freilich erst ihr Buch. Wer weiß, vielleicht hat der Kollege von Politico es missverstanden? Vielleicht hat der Faktenfinder Siggelkow Frau Brockschmidt völlig falsch zitiert (es wäre ja nicht das erste Mal)? Schlagen wir ihr Buch auf. „Christlichen Nationalismus“ definiert Brockschmidt so:
„Wenn in diesem Buch über Christlichen Nationalismus gesprochen wird, dann ist damit nicht das Christentum als Oberbegriff für verschiedene Glaubensgemeinschaften gemeint … Christlicher Nationalismus muss vielmehr als kulturelles Phänomen verstanden werden, das zwar stellenweise seine Legitimation aus der Bibel ableitet, aber das in erster Linie eine politische, keine rein religiöse Bewegung ist.“
Annika Brockschmidt hat also gar nichts gegen Christen – solange diese ihre Ansichten für sich behalten, sich nicht für Schullehrpläne interessieren, keinesfalls in irgendeiner Form publizistisch tätig sind (die Existenz christlicher Radiosender und Fernsehprediger ist ihr ein besonderer Graus), nicht für öffentliche Ämter kandidieren, ihre Kinder nicht erziehen und am besten nicht einmal von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Christliche Wähler nennt sie „Fußsoldaten“.
Christen darf es also geben, aber man soll sie nicht hören und nicht sehen, und sie dürfen vor allem keinen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben, der vergleichbar wäre mit dem, der anderen gesellschaftlichen Gruppen zugestanden wird.
Etwas überraschend ist, dass „auch orthodoxe Juden“ laut Brockschmidt „unter dem Begriff Christlicher Nationalismus“ zu subsumieren seien (S. 17). Diese Wiedervereinigung von Judaismus und Christentum nach zweitausend Jahren zeigt die Willkür ihrer Begriffe. Die „christlichen Nationalisten“ und „religiösen Rechten“, die sie auf 400 Seiten mit ihrem Furor belegt, sind – so scheint es – einfach alle, die sie nicht leiden kann, weil sie religiös geprägt und kulturell eher konservativ sind. In der nächsten Auflage ihres Buches wird sie vielleicht auch amerikanische Hindus und Sikhs zu den „christlichen Nationalisten“ zählen.
Das Christenleben als Horrorfilm
Brockschmidt führt uns ein in die Geisterbahn, die der christliche Glauben ist:
„Mit der Endzeiterwartung und der Vorfreude auf die kommende Rückkehr von Jesus ist auch eine ungeheure Angst verbunden, denn dann wird Gott entscheiden, wer wirklich ein ‚guter‘ Christ war, wer also im Rahmen der Rapture [Entrückung; S.F.] in den Himmel kommt und wer nicht. Wer mit diesem Glauben aufwächst, fürchtet ständig, nicht gläubig genug zu sein und im schlimmsten Fall allein auf der Erde zurückgelassen zu werden …“ (S. 299)
Das Christenleben ist ein Horrorfilm. Sehr lebensnah und völlig vorurteilsfrei ist auch Brockschmidts Beschreibung, welche Änderungen das Aufkommen christlicher Radiosender in den 1980er Jahren mit sich brachte:
„Nicht nur Hausfrauen, die daheim die Kinder erzogen, hörten tagsüber Radio und wandten sich mit Fragen und Nöten an den freundlichen Fundamentalisten von nebenan.“ (S. 164)
Viele Christen, weiß Brockschmidt, hätten eine irritierend hohe Zahl an Kindern, weil sie nämlich „nach dem Leitbild leben, so viele Kinder wie möglich zu gebären“, „um einen stetigen Nachwuchs an Gotteskriegern zu gewährleisten“. (S. 271)
Nach der Highschool gehen diese Gotteskrieger laut Brockschmidt auf christliche Hochschulen wie das Patrick Henry College (PHC). Dort werden sie dazu aufgestachelt, die Macht für Jesus zu erobern. Der Professor ruft ihnen dann etwa zu: „Leute, ihr müsst in den Senat der Vereinigten Staaten gewählt werden – das ist die Lösung“! (S. 272). Diese christlichen Universitäten sind, wie könnte es anders sein, Brutstätten sexueller Aggression. Brockschmidt weiß von dem Fall eines „ehemaligen Studenten“ zu berichten, der „nie seinen Abschluss machte“, aber „diverse Skandale hinter sich hat“. „Mehrere ehemalige Mitstudentinnen am PHC haben ihn sexuell aggressiven, unerwünschten Verhaltens und sexueller Übergriffe bezichtigt.“ Als dieser ehemalige Student in North Carolina für ein politisches Amt kandidierte, hätten „160 Alumni sich in einem offenen Brief an die konservativen Wählerinnen und Wähler“ gewandt und vor diesem Mann gewarnt.
Denken wir einen Augenblick darüber nach. Ein (!) ehemaliger Student ohne Abschluss, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, 160 (!) frühere Kommilitonen, die öffentlich vor dessen Wahl warnen. Was zeigt uns das? Die betreffende Hochschule muss wohl ein Ort sein, wo zu sexuellen Übergriffen förmlich ermuntert wird, oder? Glaubt zumindest Brockschmidt: Schließlich folge das College ja „dem komplementaristischen Geschlechterrollenbild“. Und da kommt sowas her. Interessant. Was ist mit linken US-Universitäten wie Harvard, Yale, Columbia, Rutgers oder Berkeley, wo es immer wieder Klagen über sexuelles Fehlverhalten von Studenten und Lehrpersonal gibt? Was mag dort, in den Elfenbeintürmen progressiven Denkens, nicht mit dem Geschlechterrollenbild stimmen? Das hat Brockschmidt nicht untersucht.
Die geheimen Umtriebe der Christen
Um die „Bewunderung“ zu beweisen, die Christen angeblich „für den Fanatismus totalitärer und faschistischer Bewegungen“ hegten, nimmt sie ausgerechnet Pastor Rick Warren, der, wie sie selbst schreibt, 2008 auf Wunsch Barack Obamas das Eröffnungsgebet bei dessen Amtseinführung zum Präsidenten sprach. Warren habe einmal in einer Predigt über totalitäre Herrscher wie Adolf Hitler und Mao gesprochen und über den Fanatismus der vom Bösen Verblendeten. Dann habe er laut Brockschmidt die Frage gestellt:
„Was würde passieren, wenn amerikanische Christen, wenn die Christen der Welt, wenn nur die Christen in diesem Stadion, die Anhänger Jesu, sagen würden: ‚Jesus, wir sind dein?‘ Was für ein spirituelles Erwachen würden wir dann haben?“
Für Brockschmidt beweist dies, dass der Pastor Hitler und Mao bewundert und eine Diktatur errichten will. Ein Fall für das FBI und die Homeland Security.
Es wird noch besser. Um ihre Pläne zu verschleiern, bedienten sich Christen einer Geheimsprache, glaubt Brockschmidt: Die Wörter „Fairness“ und „Gerechtigkeit“ bedeuteten in Wahrheit, die Steuern senken zu wollen, „Werte“ seien ein geheimes Codewort für „evangelikale Ideologie“ (S. 164f.). Jetzt, wo sie das aufgedeckt hat, werden die Christen sicherlich ähnlich Schiffbruch erleiden wie Hitlers Marine, nachdem die Briten den Enigma-Code geknackt hatten.
Man lache nicht. „Christliche Hardliner“ hätten in den USA schon „einige Erfolge verbuchen“ können, warnt sie. So erlaube der Bundesstaat South Dakota geschlechtsumwandelnde Operationen bei Kindern erst ab einem Alter von 16 Jahren. Brockschmidt warnt davor, dass diese Kinder sich bis dahin schon umgebracht haben könnten.
Manches, was Brockschmidt in ihrer Wut hervorbringt, klingt paradox. Obwohl sie den Christen vorwirft, die Gesellschaft ändern zu wollen, scheint sie sich an anderer Stelle darüber zu beklagen, dass sie es nicht genug tun:
„Sie vertrauen darauf, dass Gott die Gelegenheit zum Reichtum schaffen wird. Das bedeutet auch: Es gibt keinerlei Grund, das bestehende politische oder wirtschaftliche System zu ändern.“ (S.175f.)
Kein Systemwechsel? „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“? How dare you!
Landhaus des Schreckens
Ein Highlight in Brockschmidts Buch ist die Stelle auf Seite 282, wo sie beschreibt, wie christliche Muttis sich auf perfide Weise tarnten – so täten, als seien sie, wie soll man sagen?, irgendwie normal:
„Die mediale Offensive der Christlichen Nationalisten macht auch in anderen Bereichen Boden gut: Viele der Mütter, denen in religiösen Kreisen die Aufgabe des Homeschoolings ihrer Kinder zufällt, haben Instagram für sich entdeckt und präsentieren ihren Lifestyle in einer idyllischen, rustikalen Ästhetik. Die Instagram-Mütter, die die ‚Soldaten‘ der Kulturkämpfe von morgen (gemeint sind ihre Kinder; S.F.) heranziehen, könnten auch gut gestylte Hippies sein – ihre Ästhetik unterscheidet sich optisch kaum von öko-bewussten Mommy-Bloggern. Sie tragen lange Röcke, ihre Landhäuser sind perfekt dekoriert, pausbäckige, rotwangige Kinder tollen über polierte Holzböden. Doch die romantische New-England-Optik sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein zutiefst geschichtsrevisionistisches Weltbild propagiert wird.“
Fanden in New England nicht auch die Hexenprozesse von Salem statt? So fügt sich ein Mosaikstein zum anderen. Hütet euch vor pausbäckigen Kindern auf polierten Holzböden.
Brockschmidt vs. Paulus
Besonders gefährlich sind laut Brockschmidt jene Christen, die es für möglich halten, dass wir in der Endzeit leben – also in jener Phase in Gottes Plan, wo laut dem christlichen Glauben alles schlimmer wird, ehe es besser wird. „Endzeit-Gläubige“ seien „eher bereit, alle (sic!) Verschwörungsmythen zu unterschreiben", zitiert Brockschmidt eine „Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der University of Chicago“. Klar, dass die Studie das sagt – anderenfalls hätte Brockschmidt sie ja nicht zitiert. Auf über 400 Seiten hat sie kein einziges Mal etwas zu sagen, was die von ihr angegriffenen Christen irgendwie sympathisch erscheinen oder Zweifel daran aufkommen lassen könnte, dass sie etwas anderes sein könnten als bösartige Verschwörer, die bekämpft werden müssen.
Auch auf den Apostel Paulus ist Brockschmidt sauer. Sie macht ihn dafür verantwortlich, „Verschwörungsmythen“ überhaupt erst den Weg bereitet zu haben. Sie zitiert aus dem Korinther-Brief, wo Paulus vor selbsternannten Experten, Besserwissern, Scheinheiligen, Großmäulern und anderen Faktenfindern warnt:
„Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden. Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit der Welt entlarvt? … Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen“ (1. Kor. 1,19-21; 1,25).
Die Stelle hat eine theologische Bedeutung, die Brockschmidt ausblendet; es geht um den Glauben (die „Torheit“) an den Kreuzestod Jesu. Interessant ist, dass Brockschmidt sich von diesen Bibelworten direkt angesprochen fühlt; sie packt, wie immer, die Wut. Das sei ja wohl „Ablehnung“ von „Expertenmeinungen“, schimpft sie. „Weise“ soll also „nicht der Experte“ sein, „sondern der Ahnungslose“? Was erlaubt sich dieser Paulus? Grumpf. Man beachte die Dichotomie: „Experten“ (wie sie selbst) auf der einen Seite, auf der anderen Seite all die anderen – die Ahnungslosen.
Parallelen zur antisemitischen Paranoia
Brockschmid gibt vor, eine großangelegte Verschwörung von christlichen Dunkelmännern aufzudecken, die in „Netzwerken“ „mit scheinbar unerschöpflichen finanziellen Mitteln“ operieren, um ihre „Agenda“ durchzusetzen und „statt von Wahl zu Wahl“ „in Jahrzehnten und Jahrhunderten“ rechneten. Die Parallelen zum Verschwörungsdenken von Antisemiten sind augenfällig. Brockschmidt hat die Verschwörung der Juden, die angeblich die Welt kontrollieren, durch eine geheime Verschwörung von Christen ersetzt. Sie warnt vor einem „Netzwerk“, „von dessen Existenz die meisten Menschen gar nichts wissen“, das aber „die Lebensrealität eines großen Teils der amerikanischen Bevölkerung“ forme. Selbst der Nachrichtenfluss werde von Christen kontrolliert. Dank eines „ausgeklügelten Systems“ aus „politischen Organisationen, Medien-Imperien, Basis-Aktivismus“ und der „Unterstützung von Großspendern“ hätten die Christen die Republikanische Partei übernommen und griffen nun nach der Weltherrschaft: Ihr „Ziel am Horizont“ sei „nicht allein die Christianisierung der Vereinigten Staaten, sondern die der ganzen Welt. Was andere Größenwahn nennen würden, sehen sie als ihren heiligen Auftrag an. Ihr globales Netzwerk von Gleichgesinnten in anderen Ländern immer weiter auszubauen, empfinden sie als Verpflichtung.“
In ihrem Eifer und ihrem Glauben an mächtige unsichtbare Netze gleicht Brockschmidt einem Joe McCarthy. Man kann sich vorstellen, wie sie einen Untersuchungsausschuss leitet und Menschen vorlädt, um zu fragen: „Sind Sie oder waren Sie je Mitglied einer christlichen Kirche? Hören Sie christliche Musik? Tragen Sie manchmal lange Röcke? Leben Sie in einem perfekt dekorierten Landhaus? Haben Sie schon einmal daran gezweifelt, dass Experten immer die absolute Wahrheit verkünden? Leben wir Ihrer Meinung nach in der Endzeit? – Wer eine der Fragen mit ja beantwortet, ist verdächtig.
Die Hasspredigerin
Das Vorurteil, die Engstirnigkeit und die Intoleranz sind Brockschmidts Waffen. Sie heftet zig Millionen Menschen, die sie nie getroffen hat, pauschal Etiketten an, entwirft ein Zerrbild dessen, was diese Menschen sind. Ihr schlichtes Weltbild hat sie aus zweiter Hand, aus Büchern und Internetartikeln, die von Autoren stammen, die so ähnlich denken wie sie. Sie lebt in einer Echokammer, wie das eingangs genannte Twitter-Zitat zeigt. Ein Algorithmus, der sie mit anderen Meinungen konfrontiert, habe „ernsthaft etwas falsch verstanden“, glaubt sie.
Annika Brockschmidt ist eine Hasspredigerin. Ihre Sprache und ihre Botschaft sind darauf aus, Christen – vor allem amerikanische – zu erniedrigen und ihren Glauben lächerlich zu machen. Es geht hier aber nicht nur um Christenfeindlichkeit. Brockschmidts Methoden der pauschalen und hämischen Abwertung von Menschen wären genauso abzulehnen, wenn sich ihr Hass gegen eine andere Gruppe richten würde. Bei vielen anderen hätte der Rowohlt Verlag ein solches Hassbuch aber nicht riskiert. Christen sind ein beliebtes und bequemes Opfer, denn sie schlagen nie zurück. Und es ist schick, gegen Christen zu sein, zumal gegen amerikanische. Auf diesen Zug springt Rowohlt auf, und das Geschäft mit der Hetze hat sich sicherlich für den Verlag bereits gelohnt.
Es sei ein „aufrüttelndes Porträt“ sagt der Klappentext. Christenfeindlichkeit plus Antiamerikanismus: ein Erfolgsrezept, das in Deutschland immer gelingt. Die Zeiten ändern sich und bleiben doch gleich. Liest man Brockschmidts von Paranoia getränkte Gedanken über Christen, meint man, einer Krisensitzung im Palast des römischen Kaisers Nero zu lauschen: „Wir haben nicht genug Löwen!“
Lesen Sie im nächsten Teil: Ein Dialog mit Annika Brockschmidt.
Siehe: Annika Brockschmidt: Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet. Hamburg 2021. Hier bestellbar.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).