Bei einer globalen „Gesundheitskonferenz“ (World Health Summit) in Berlin, gesponsert von Impfkonzernen und der Bill-Gates-Stiftung, trugen auch Lauterbach und Drosten ihre fragwürdigen Ideen vor. Mit dem Pandemievertrag will die WHO die Macht, über die Privatkonzerne ihre Interessen durchsetzen können.
Vom 15. bis 17. Oktober fand in Berlin der Weltgesundheitsgipfel (World Health Summit) statt, eine der weltweit wichtigsten strategischen Konferenzen für globale Gesundheit. Er bringt – so ist auf der offiziellen Webseite zu lesen – „jedes Jahr führende Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Industrie und Zivilgesellschaft zusammen, um die Weichen für eine gesündere Zukunft zu stellen“. Der World Health Summit wurde 2009 anlässlich des 300. Jubiläums der Charité-Universitätsmedizin Berlin gegründet und wird seitdem dort veranstaltet. Schirmherren sind Bundeskanzler Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Adhanom Ghebreyesus. Über 300 Teilnehmer aus über 100 Nationen waren diesmal vor Ort. Die Veranstaltung ist hervorragend dokumentiert: Etliche Stunden Videomaterial stehen auf dem YouTube-Kanal des Gipfels zur Verfügung. Hier kann man etwa die Eröffnungszeremonie genießen und sieht Gesundheitsminister Karl Lauterbach bemüht feierlich einziehen. Man könnte sich köstlich amüsieren, wäre nicht die Thematik alles andere als zum Lachen. Denn über den Hebel „Gesundheit“ lässt sich trefflich Weltpolitik machen.
Das diesjährige Motto des Gipfels lautete denn auch: „A Defining Year for Global Health Action“. Zu deutsch etwa: „Ein entscheidendes Jahr für die globale Gesundheit“. Zentrale Themen waren: Lehren aus COVID-19 für künftige Pandemieprävention und -reaktion, Nachhaltige Gesundheit für die Menschen und den Planeten, G7/G20-Maßnahmen zur Verbesserung der globalen Gesundheitsgerechtigkeit sowie Nutzung der Potenziale der digitalen Technologien für die globale Gesundheit. Der World Health Summit positioniert globale Gesundheit als zentrales politisches Thema und orientiert sich dabei an den in der Agenda 2030 verankerten Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) – mit anderen Worten an der vollständigen Transformation der globalen Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne von Nachhaltigkeit und Klimaneutralität. Das akademische Gerüst des World Health Summit besteht aus der „M8 Alliance of Academic Health Centers, Universities and National Academies“, einem internationalen Netzwerk aus führenden Universitäten, Forschungsinstituten und Health Centers aus aller Welt. Präsident des World Health Summit ist Prof. Dr. Axel R. Pries, der betont, dass Fortschritte bei der universellen Gesundheitsversorgung und bei der Bekämpfung der Klimakrise nur durch verstärkte multinationale Zusammenarbeit erzielt werden könnten.
Auffällig ist die Vermengung der Themen Gesundheit und Klimakrise. Hierfür wurde auf dem Gipfel sogar der Begriff „Green Health“ („Grüne Gesundheit“) verwendet. In einem Dokument mit dem Titel „Statement on Green Health” („Stellungnahme zur Grünen Gesundheit”) heißt es u.a., dass der Gipfel die WHO dabei unterstütze, nachhaltige Gesundheitssysteme mit geringem CO2-Ausstoß aufzubauen. Dafür hat die WHO im vergangenen Jahr eigens eine Allianz für transformative Maßnahmen zu Klima und Gesundheit (Alliance for Transformative Action on Climate and Health, kurz: ATACH) gegründet, in der sie ausdrücklich die kollektive Macht der WHO-Mitgliedstaaten und anderer Akteure nutzen will, um die Integration des Zusammenhangs von Klimawandel und Gesundheit in die jeweiligen nationalen, regionalen und globalen Pläne umzusetzen. Bislang haben sich über 75 Länder in dieser Allianz zum Aufbau klimaresistenter und emissionsarmer Gesundheitssysteme verpflichtet. Die WHO definiert den Klimanotstand nämlich als eine der größten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit und bezieht sich dabei auf den IPCC-Bericht 2023. Der sogenannte Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz: IPCC) ist eine UN-Institution und wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) ins Leben gerufen. Er fällt auf mit Modellierungen von katastrophalen Klimakrisen-Szenarien, die jedoch seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen nicht standhalten.
Die WHO hat alle Fäden in der Hand
Dennoch beziehen sich sowohl die WHO als auch der Weltgesundheitsgipfel in ihren Forderungen an die globale Klimapolitik auf das Ziel der Klimaneutralität. Jede Organisation, in jedem Sektor, überall, müsse ihren Teil dazu beitragen, wird in dem Dokument „Statement on Green Health” insistiert. Auch das Gesundheitswesen sei darauf auszurichten. Wörtlich wird hervorgehoben: „Wäre der globale Gesundheitssektor ein Land, so wäre er der fünftgrößte Treibhausgasemittent des Planeten.“ Und die „führenden Vertreter des Gesundheitswesens“ proklamieren: „Es liegt in unserer Verantwortung als führende Vertreter des Gesundheitswesens, auf dem Weltgesundheitsgipfel ein Ende des ‚business as usual‘ in Bezug auf den Klimaschutz zu fordern.“ Daher rufen sie die Regierungen konkret dazu auf, Null-Emissionsziele für die Gesundheitssysteme festzulegen. Jedes Krankenhaus, jede Arztpraxis, jedes öffentliche Gesundheitszentrum und jeder Angehörige der Gesundheitsberufe müsse handeln und könne handeln.
Kein Wunder also, dass auch Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, in ihrer Videoansprache zur Eröffnungszeremonie des Gipfels die UN-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 hervorhebt. Außerdem weist sie auf die neue globale Gesundheitsstrategie der EU („EU global health strategy“) und deren „One-Health“-Ansatz hin. Erstere wurde von der EU-Kommission Ende letzten Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt: In ihr wird betont, wie wichtig es sei, bedeutende Faktoren für Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Klimawandel und Umweltzerstörung, Ernährungsunsicherheit, Konflikte und andere humanitäre Krisen anzugehen. Daher sehe die Strategie einen breit angelegten Ansatz zur Berücksichtigung der „Gesundheit in allen Politikbereichen“ vor, damit in verschiedensten Politikfeldern ein echter Beitrag zu den Gesundheitszielen geleistet werden könne. Es werden drei Grundvoraussetzungen für eine bessere Gesundheit ermittelt: Digitalisierung, Forschung sowie qualifizierte Arbeitskräfte. Ferner soll die globale Gesundheitssicherheit gestärkt und die Bevölkerung vor Bedrohungen geschützt werden, indem Prävention, Vorsorge und Reaktion sowie Früherkennung von Gefahren verbessert werden. Dazu gehöre etwa auch ein gerechterer Zugang zu Impfstoffen, außerdem verbindliche internationale Regeln für Pandemien, eine stärkere Überwachung, ein besserer Nachweis von Krankheitserregern sowie ein Gesamtkonzept, das alle Zusammenhänge zwischen Umwelt, Tier-/Pflanzengesundheit und menschlicher Gesundheit berücksichtigt (Konzept „Eine Gesundheit“).
Mit „Eine Gesundheit“ („One-Health“) wird der Fünfjahres-Aktionsplan bezeichnet, den die WHO zusammen mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH, gegründet als OIE) entwickelt hat (wir berichteten hier). Dazu hat die WHO im vergangenen Jahr eine 70 Seiten umfassende Broschüre veröffentlicht, die den Titel trägt: „One health joint plan of action (2022–2026) – Zusammenarbeiten für die Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen und der Umwelt“. Darin spielen auch die Auswirkungen des Klimawandels eine zentrale Rolle, und es wird eine „globale Governance im Bereich One Health“ gefordert
A bissl Israelkritik
Wenn also EU-Kommissarin Kyriakides von der „EU global health strategy“ und dem „One-Health“-Ansatz spricht, sind das nicht einfach wohlklingende Begriffe, sondern es steht ein umfassend ausgearbeiteter Plan zur globalen Gesundheitspolitik dahinter, bei der die WHO alle Fäden in der Hand hat. Dabei ist diese UN-Organisation in hohem Grad abhängig von privaten Geldern einschlägiger Stiftungen wie etwa der Bill & Melinda Gates Foundation und der Impfallianz GAVI, die jedoch keine demokratischen Mandatsträger sind. Mit anderen Worten: Privatkonzerne können über die WHO ihre eigenen Interessen durchsetzen. Ausgerechnet dieser Institution die globale Gesundheitspolitik anzuvertrauen, ist also mehr als fragwürdig. Kyriakides appelliert offen an potenzielle Geldgeber: „Lassen Sie uns die diesjährigen G7- und G20-Gipfel als Sprungbrett nutzen, um die Zukunft der Gesundheitsfinanzierung mitzugestalten. Lassen Sie uns die ganze Kraft privater Investitionen und Philanthropien für den Dienst der wichtigsten globalen Gesundheitsprioritäten mobilisieren.“ Und: „Lassen Sie uns die zentrale Rolle der Industrie bei der Innovation nutzen.“ Übrigens betreibt auch die Berliner Charité ein eigenes Center for Global Health und fungiert als Geschäftsstelle nationaler und internationaler Global Health-Netzwerke.
Mia Amor Mottley, Premierministerin von Barbados und Organisatorin der „Bridgetown-Initiative“, die von Geberländern, Investoren, IWF und Weltbank einen neuen globalen Klimafonds fordert, weist in ihrer Videobotschaft ebenfalls auf die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 hin. Die Pandemie hätte „in vielerlei Hinsicht der große Gleichmacher sein können und sollen“, gibt sie zu bedenken, stattdessen habe sie jedoch z.B. eine Ungleichheit beim Zugang von Impfstoffen offenbart. Darüber hinaus fordert Mottley wirksamere Finanzierungsmechanismen, die dem globalen Süden etwa bei der Beschaffung von Arzneimitteln helfen.
WHO-Chef Tedros thematisiert in seiner Eröffnungsrede zunächst den „Konflikt in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten“. Dieser sei „eine schreckliche Erinnerung daran, wie schnell die Gesundheit von Millionen von Menschen gefährdet werden kann“. Tedros, der Karl Lauterbach „meinen Bruder“ nennt, verurteilt zwar „die Angriffe der Hamas auf israelische Zivilisten“ als „ungerechtfertigt und schrecklich“, doch er zeigt sich auch sehr besorgt über „israelische Angriffe auf palästinensische Zivilisten“. Die WHO fordere die Hamas auf, die zivilen Geiseln freizulassen, appelliere jedoch auch weiterhin an Israel, „seine völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Gesundheitseinrichtungen einzuhalten“.
Die üblichen Verdächtigen
Dann kommt Tedros auf den globalen Gesundheitsnotstand durch COVID-19 zu sprechen. Nicht zuletzt durch die Innovationskraft von Impfstoffforschern und -entwicklern sei der Notstand beendet worden. Aber COVID-19 habe auch die erschütternden Ungleichheiten in unserer Welt offengelegt, wobei die ärmsten und anfälligsten Gemeinschaften am stärksten betroffen seien und als Letzte Zugang zu Impfstoffen und anderen Mitteln bekämen. Tedros kritisiert den Mangel an Koordination zwischen den Nationen und zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen sowie die Verbreitung von Fehlinformationen. Das neue Pandemieabkommen und die überarbeiteten Internationalen Gesundheitsvorschriften würden jedoch die entscheidenden rechtlichen Grundlagen für einen One-Health-Ansatz schaffen. Dass Tedros von dem geplanten Pandemieabkommen und den Internationalen Gesundheitsvorschriften, die gerade überarbeitet werden, begeistert ist, überrascht wenig, würden sie ihm doch im Fall eines „Notstandes“ einen immensen politischen Einfluss eröffnen (wir berichteten hier, hier und hier). Allerdings scheinen die Verhandlungen über den Pandemievertrag gerade ins Stocken zu geraten, wie Tedros bedauert. Auch sein „Bruder“ Karl Lauterbach weist darauf hin, dass es eine sehr wichtige Frage sei, „ob wir bis Mai ein Pandemieabkommen haben oder nicht“. Denn ohne Pandemievertrag würde die nächste Pandemie zu einer schlimmeren Situation als während der Coronakrise führen.
Kommen wir nun also zu unseren Lokalhelden Karl Lauterbach und Christian Drosten. Beide durften als Redner am Panel „Learning from COVID-19 for Future Pandemic Prevention, Preparedness and Response“ teilnehmen. Lauterbach ist der Ansicht, dass ein Pandemieabkommen nicht funktionieren wird, wenn es eine Beschränkung geistiger Eigentumsrechte beinhalten würde. Er sprach sich daher gegen die Einschränkung von Patentrechten aus. Außerdem stuft er die Pandemieprävention als stark unterfinanziert ein. Darin stimmt ihm Drosten zu, der in Hinblick etwa auf den Influenza-Virus H5N1 mehr Tests und die Einrichtung von Sequenzier-Zentren fordert. Drosten betont, dass jedes pandemische Virus der Atemwege historisch durch die Viehzucht gekommen sei. Damit will er möglicherweise verbergen, dass er offensichtlich in die Vertuschung des mehr als plausiblen Laborursprungs des Coronavirus verwickelt ist. Sowohl Lauterbach als auch Drosten warnen vor einer „Desinformations-Pandemie“. Daher solle dagegen vorgegangen werden, dass irgendjemand, der irgendeinen akademischen Abschluss hat, mitten in einer Pandemie über den Kern des Problems sprechen kann. Stattdessen müssten Expertengremien gebildet werden, die den Stand des Wissens für die Gesellschaft zusammenzufassen.
Damit befinden sich beide voll und ganz im Einklang mit dem kürzlich verabschiedeten EU-Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, kurz: DSA), auf dessen Grundlage die EU-Kommission im Fall von Krisen, die sie selbst ausrufen könnte, die Sozialen Medien kontrollieren könnte. Und auch die WHO, die durch den Pandemievertrag ebenfalls befugt wäre, einen globalen Notstand auszurufen, arbeitet etwa mit NewsGuard zusammen, um „Fehlinformationen“ zu unterdrücken. Vor diesem Hintergrund stellt sich zwangsläufig die Frage: Geht es der WHO und dem Weltgesundheitsgipfel wirklich um die globale Gesundheit im Sinne des Wohlergehens individueller Menschen weltweit? Auffällig ist, dass als strategische Partner des Gipfels Konzerne und Lobbyisten wie Pfizer, die Bill & Melinda Gates Foundation, Johnson & Johnson und CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) aufgeführt werden. Als weitere Unterstützer werden u.a. The Club of Rome, die Impfallianz GAVI, das Robert Koch-Institut (RKI), die Rockefeller Foundation und der Wellcome Trust genannt, und als Medienpartner sind u.a. DIE ZEIT Verlagsgruppe und der Tagesspiegel beteiligt. Der Verdacht liegt also nahe, dass vor allem die Pharma- und die Digitalkonzerne von den Aktivitäten der WHO und des Weltgesundheitsgipfel profitieren und öffentliche Kritik daran möglichst unterbunden werden soll.
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.