Herbert Ammon, Gastautor / 03.12.2021 / 15:00 / Foto: DLR / 16 / Seite ausdrucken

Die Gefahren des grünen Winds

Der grün dominierte Koalitionsvertrag sieht wahnwitzige Energiepläne vor, die obendrein alles andere als umweltfreundlich sind. Werden Naturschutz-Organisationen dagegen rebellieren?

Die Ampel steht auf Grün. Unter Olaf Scholz als neuem Bundeskanzler muss die Regierung nur noch durchstarten, um im zweiten Corona-Winter „mehr Fortschritt [zu] wagen“. Der mit Progressiv-Denglisch angereicherte Koalitionsvertrag, konzipiert als voluminöses Handbuch zur großen „Transformation“ der deutschen Gesellschaft, ist nicht nur sprachlich fragwürdig. Wo vom „Gestalten“ politisch-gesellschaftlicher Prozesse die Rede ist, können wir davon ausgehen, dass es darum geht, konzeptionelle Unklarheiten und innere Widersprüche mit schönen Worten zu verhüllen.

Dass der angekündigte Fortschritt selbst bei den öffentlich stets fröhliche Gemeinschaft zelebrierenden Grünen erst mal mit traditioneller Rangelei um Kabinettsposten beginnt, gehört zur Ironie des politischen Alltags, wo allzu oft Macht mit Moral kollidiert. Für den Fortgang der Dinge ist es von geringem Belang, dass Cem Özdemir das Minsterium für Ernährung und Landwirtschaft übernimmt und nicht Anton Hofreiter. Wichtiger ist die Frage, wie die Grünen und – von Christian Lindner im Finanzministerium abgesehen – die „grün“ dominierte Regierung die Ziele Umwelt-, Tier- und Landschaftsschutz, Klimaschutz und „saubere“ Energiegewinnung, technologischen Fortschritt und wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt unter einen Hut bekommen können. 

Dass die genannten Themen auch einen außenpolitischen Bezug haben, wird nicht nur in der Absage der künftigen Außenministerin Baerbock an Nordstream 2 erkennbar. Die Ankündigung bedeutet eine Abkehr von der unter Merkel verfolgten Energie- und Russlandpolitik. Im Falle der Nichtinbetriebnahme der zweiten Gaspipeline könnte sich Deutschland des Beifalls von Polen, der baltischen Staaten, der Ukraine und den USA gewiss sein. Mehr als ungewiss wäre indes die Energieversorgung des Landes in den kommenden Jahren, in denen der Übergang durch „saubere“ Energien (Windkraft, Solarparks, „grüner“ Wasserstoff) erreicht werden soll. Unabweisbar wird Deutschland im Zuge des – gerade auch durch Ausbau der Informationstechnik – wachsenden Energieverbrauchs auf den Import von Energie, darunter eben auch das weniger klimaschädliche Erdgas, nicht verzichten können.

Widerspruch von Ideologie und Wirklichkeit

In den absehbaren Szenarien von Stromausfällen und Energieknappheit mögen sich die Grünen – und alle ähnlich gestimmten Klimaschützer – über die Diskrepanz von reinen Zielen und politischer Machbarkeit, über den Widerspruch von Ideologie und Wirklichkeit, hinwegsetzen, wenn es darum geht, die Defizite durch Stromimporte aus französischen und polnischen Kernkraftwerken auszugleichen. Innerhalb der EU werden die grünen Deutschen mit ihrem antinuklearen Credo an ihre Grenzen stoßen.

Die Grünen gefallen sich – insbesondere in ihrer nicht unberechtigten Aversion gegen Putin – in ihrer Rolle als Verfechter reiner Moralpolitik. Zu empfehlen wäre indes ein mehr pragmatisches, mithin realpolitisches Herangehen an die komplexe Wirklichkeit. Diesbezüglich erhellend ist der soeben auf „Foreign Affairs“ erschienene Aufsatz der Klima- und Sicherheitsexperten Jason Bordoff und Meghan L. O’Sullivan. In einer breit angelegten Analyse der globalen energiepolitischen Zukunftsfragen plädieren die Autoren für die Beibehaltung der Strategischen Ölreserve und die weitere – gemäßigte – Nutzung von Gas und Nuklearenergie in den USA. 

Sie richten implizit den Blick auf das Dilemma der Europäer, die ohne russisches Gas und ohne Kernkraftwerke ihren Energiebedarf – nicht zuletzt im technologischen Wettberwerb mit China – nicht befriedigen werden können. Zu recht verweisen sie auch auf die problematischen Aspekte der für „grüne“ Systeme erforderlichen Rohstoffe wie Kobalt, Lithium, Nickel, Kupfer und Seltene Erden. Im Blick auf das Klimaziel – von „nur“ 1,5 Grad Erderwärmung bis 2050 – werde sich die Nachfrage nach diesen Materialien bis 2040 gegenüber heute versechsfachen.

Manch unangenehmer Gegenwind

Komplette Naivität ist den Grünen nicht zu unterstellen. Es ist daher nicht anzunehmen, dass in der Ampel-Koalition, in ihrem „grünen“ Umfeld sowie in den auf grüne Technologie ausgerichteten Unternehmen die skizzierten Widersprüche „sauberer“ Energiepolitik gänzlich unerkannt seien. Gleichwohl herrscht bei den Grünen die medial verstärkte Tendenz vor, die mit der „Klimarettung“ verknüpften politischen – und technologischen – Fragen zu ignorieren und durch eine Mischung aus apokalyptischer Rhetorik und moralisch aufgeladenem technokratischen Optimismus zu überspielen.

Es bleibt abzuwarten, ob über Nordstream 2 doch noch Gas nach Deutschland gelangt. Als Lösung der Energiekrise sieht der grüne Plan die Versiegelung von „nur“ zwei Prozent der Gesamtfläche der Bundesrepublik mit Windrädern sowie die forcierte Verlegung von Stromtrassen – mit erheblichen Energieverlusten – vor. Außerdem werden die Strompreise weiter steigen, was für Unmut sorgen wird. Parallel dazu werden die Proteste gegen die Landschaftszerstörung zunehmen. Bereits jetzt herrscht darüber Streit bei den Umweltverbänden NABU und BUND, den bis vor Kurzem wichtigsten Verbündeten der Grünen in der „Zivilgesellschaft“. Wenn deutlich wird, dass den vornehmlich in urbanen Lebensräumen beheimateten Grünen an Natur- und Landschaftsschutz nicht allzuviel gelegen ist, könnte der Ampel-Koalition noch manch unangenehmer Wind entgegenschlagen. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Herbert Ammons Blog.

Foto: Deutsches Zentrum für Luft und Raumfahrt dlr.de CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Harro Heyer / 03.12.2021

“Moving to a net-zero global economy will lead to conflicts—and ultimately produce winners and losers.” Dieser Feststellung im verlinkten Aufsatz ist zuzustimmen. Die Abkehr von fossiler Energie ist bedächtig und stetig voran zu bringen ohne die Grundlagen der Industriegesellschaft zu beschädigen. Das ist kein Problem, weil die Klimakatastrophe nicht eintreten wird. Alle reden von der Apokalypse, kaum einer kann sagen wie denn nun CO2 in der Atmosphäre die komplexen Prozesse beeinflusst. Mit dem Klimahype konnte man jetzt Wahlen gewinnen. Das war das wesentliche Ziel der Grünen. Ihre gläubigen Jünger werden in wenigen Jahren sehr enttäuscht sein.  Ebenso wird der aufgeregte Anteil in der Klimawissenschaft einen erheblichen Reputationsverlust erleiden.

RMPetersen / 03.12.2021

>Wo vom „Gestalten“ politisch-gesellschaftlicher Prozesse die Rede ist ... < ... riecht es nach Totalitarismus, nach geqälten und emordeten Abweichlern, Un- bzw. Andersgläubigen und Querdenkern. Die Erwartung, dass mit dieser Sprache inhaltliche Unterschiede zwischen den Koalitionspartner vernebelt werden sollen mag stimmen, darf aber mE nicht die Hoffnung stützen, dass “es schon nicht so schlimm kommen wird”. Ob es um die sprachlich-begriffliche Umerziehung vom Kindergarten bis zur Behördenwelt geht, um die Stärkung der Staatsplanung, die Erziehung der Untertanen mit Zertifikaten und Punkten sowie kleinstteiligen Verboten bis in die Privatwohnungen hinein (- Vorbild VRChina) und schliesslich das Schleifen der letzten individuellen Freiheiten - die Hardliner werden sich durchsetzen. Und die FDP ist doch jetzt schon beim Recht auf körperliche Unversehrtheit gegen staatliche Übergriffigkeit eingeknickt. Ich erwarte eine bisher einmalige Kooperation zwischen “demokratischen Zentralismus” a la SED und Großkapital mit besonderen Kontrollaufträgen an die sog. Plattform-Firmen Google, Amazon, Twitter etc. und Machtgewinn der zugehörigen Hardware-Firmen. Neu ist, dass die Etiketten “Sozialismus” und “Umweltschutz” dazu dienen, eine globale Oligarchenherrschaft zu etablieren. Natürlich zu unserem Guten, für unsere Gesundheit und für die Weltrettung.

Rainer Drexler / 03.12.2021

Man könnte hier Klaus Kinski aus einem seiner legendären Wutausbrüche im Dschungel zitieren „die sind ja geisteskrank, sollte man einsperren“ etc. usw. Ich würde mich ja gerne hier ausklinken, habe aber leider noch 3-4 Jahre zu Arbeiten. Aber ich sitze in meinem Sessel und harre der Dinge die da kommen. Ein Trost, ist hier die Achse und dass es Menschen gibt, die genauso denken wie ich selbst. Ich bin gespannt wann die rosarote Seifenblase platzt und 80-90% der Leute hier in D merken dass es rasant abwärts geht. Da könnte man auch den Spruch von Maggie Thatcher zitieren „ den EU Sozialismus, wird es solange geben, bis Deutschland das Geld ausgeht“ Also bis denne…

Wally Wallner / 03.12.2021

Was soll dieser unnötige, unbegründete Halbsatz “....insbesondere in ihrer nicht unberechtigten Aversion gegen Putin…”?. Zugeständnis, dass man selbst auf der main-stream-linie mitschwimmt. Oder? Ich empfehle sich gerade auch hinsichtlich Putin / Russland gelegentlich die Artikel auf den Nachdenkseiten.de zu Gemüte zu führen um dann evtl. die eigene Meinung zu überdenken. Denn man muss kein Russland-/Putin-Freund sein um zu Erkennen, dass die Grünen auf der einen Seite zwar dem Soziallismus und Naturschutz nahestehen wollen, aber wie es in dem Artikel am Ende steht “....dass den vornehmlich in urbanen Lebensräumen beheimateten Grünen an Natur- und Landschaftsschutz nicht allzuviel gelegen ist,..” Eigentlich sind die Grünen m. E. typische Vertreter der Emporkömmlinge, für die Natur demonstrieren und dann mit dem 3-Liter-SUV oder 80 Tsd-€-PKW zum Bioladen fahren, um dort Güte-Klasse-A-Obst frisch eingeflogen vom Bio-Bauern aus Südamerika kaufen!

Fritz kolb / 03.12.2021

Grüner Mist eben.

Ludwig Luhmann / 03.12.2021

Wer das Wort “Klimaschädlich” so benutzt, als ob er damit ernsthaft etwas real Existierendes bezeichnet, der sitzt tief in einer Falle, die nicht nur Grün ist!

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