Wolfram Weimer / 28.09.2017 / 12:30 / Foto: ABC Television / 19 / Seite ausdrucken

Die Flöhe husten: GroKo nach Schamfrist und ohne Schulz?

Eigentlich müsste Martin Schulz nach dem historischen SPD-Wahldebakel ehrliche Selbstkritik üben, Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Das tut er aber nicht. Nicht einmal im Ansatz. Er beschimpft lieber Angela Merkel oder die AfD, stilisiert sich zum „Bollwerk der Demokratie" und betreibt munter offensive Machtpolitik. Das politische Berlin reibt sich die Augen, wie die SPD in den Nachwahltagen von ihrem Vorsitzenden politisch gedungen wird. Schulz versuchte den Trick von Frank-Walter Steinmeier aus dem Jahr 2009 zu wiederholen. Der hatte im September 2009 als desaströs geschlagener Kanzlerkandidat die Schockstarre der SPD per Sofortzugriff genutzt und erklärt, er führe die SPD nun stolz in die Opposition und entschied den Fraktionsvorsitz blitzschnell für sich. Es war der Putsch eines Verlierers, und er gelang.

Schulz wagt nun Ähnliches. Seine Blitz-Festlegung der SPD auf einen alternativlosen Oppositionskurs macht der Partei die Gestaltungsräume unnötig eng und gerät zusehends in die Kritik, weil die Interessen Deutschlands (eine stabile Regierung zu bekommen) damit denen der Partei untergeordnet werden. Eine Haltung, die zur SPD und ihrer historisch mehrfach gelebten Verantwortung gar nicht passt. Sein Auftritt am Wahlabend erinnerte manche Genossen sogar an Gerhard Schröders legendäre Elefantenrunde von 2005, als er im ersten Affekt der verblüfften Republik erklärte, die SPD werden niemals in eine Regierung unter Angela Merkel eintreten. Erst nach und nach regt sich unter Sozialdemokraten nun die Debatte, ob eine Flucht vor der Macht wirklich die klügste Entscheidung sei.

Vorübergehender Trost für die verletzte Seele

Doch Schulz legt seine Machtblitz-Strategie doppelt an. Gleichzeitig mit seinem Oppositionsentscheid wollte er selber auch noch Fraktionschef werden. Das untersagte ihm die in den Krisenstunden versammelte Parteispitze. Daraufhin ließ er rasch verbreiten, Andrea Nahes werde nun Fraktionsvorsitzende. Er persönlich habe sie – die alte Erzfeindin von Sigmar Gabriel – sofort vorgeschlagen. Damit stößt Schulz sowohl Thomas Oppermann als auch Sigmar Gabriel offen vor den Kopf. Nicht nur der bürgerliche „Seeheimer Kreis“ in der SPD fühlt sich überrumpelt. „Er reißt im Fallen noch die Tischdecke der SPD herunter“, ärgern sich Gefolgsleute von Sigmar Gabriel.

Gabriel hat zu dem Oppositionsentscheid und zur Fraktionsfrage bislang auffallend geschwiegen, denn der Blitzkurs von Schulz bedeutet seine völlige Entmachtung. Schon seit Monaten sind Schulz und Gabriel offene Rivalen an der Spitze der SPD. Die Nominierung von Andrea Nahles wirkt für viele Genossen wie eine letzte Rache Schulz’ an seinem Vorgänger. Damit ergibt sich die fasst sprichwörtliche Situation, dass wenn zwei sich streiten, eine Dritte gewinnt. Andrea Nahles profitiert vom Machtkampf der beiden Männer. Sie wird nun die Trümmerfrau der SPD.

Langsam dämmert es allerdings führenden Genossen, dass der radikale Oppositionskurs möglicherweise die verletzte Seele von Martin Schulz tröstet, der Partei aber nicht weiterhilft. Immerhin 9,5 Millionen Deutsche haben die SPD gewählt, um deren Inhalte politische Wirklichkeit werden zu lassen. Nun wirft Schulz die aus verletzter Eitelkeit einfach weg – sie sollen in der kommenden Legislatur keine Rolle spielen, weil er meint, der SPD täte jetzt mal Opposition gut. Die Debatte darüber hat begonnen. Und so könnte es wie 2005 kommen, dass sich die SPD nach einer Schamfrist von einigen Wochen doch noch Regierungskonsultationen stellt. Damals zog sich er schmollend-polternde Gerhard Schröder zurück, diesmal könnte es Martin Schulz werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European hier.

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Leserpost

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Klaus Wenzel / 28.09.2017

Die SPD wollte Schulz hundertprozentig und sie hat ihn bekommen. Man weiss nicht, ob man ihn als wahrnehmungsgestört bezeichnen oder seine Dreistigkeit anerkennen soll. Das schlechteste Wahlergebnis seit Menschengedenken für die SPD, aber Schulz und Nahles fällt ausser unflätigen Bemerkungen über die Partner von gestern und Durchhalteparolen nix ein. Der Mann wird sich vermutlich an seinen Posten klammern, bis ein anderer, lukrativer in Sicht ist. Jedoch läßt auch Frau Merkel wenig Selbstkritik erkennen. Schuld an diesem Desaster für die CDU und die SPD tragen meines Erachtens aber auch die Funktionäre und Parteimitglieder, die das alles - von außen betrachtet- klaglos mitmachen. Das ist sicher bedenklich, weitaus schlimmer ist doch, dass genau dieser politische Reflex - aussitzen, durchstechen, einigeln, weitermachen wie gehabt - die Wähler in Scharen zu dubiosen Scharlatanen treibt, die viel versprechen, aber erst noch zeigen müssen, was sie wirklich politisch halten (können). Unterdessen kann einem Angst und Bange um die Zukunft unseres Landes werden.

Dirk Jungnickel / 28.09.2017

Es ist ja ehrenwert Frau Nahles zur Seite zu springen, Herr Bauer,  aber Sie springen leider daneben, wenn Sie das am Begriff der Trümmerfrau festmachen. Die SPD steht nun mal vor den Trümmern ihrer Politik und Frau Nahles wird sich an den Aufräumarbeiten führend beteiligen müssen, zugespitzt gesagt, als Trümmerfrau. Wo haben Sie denn das aufgelesen: Der Begriff sei ein “neonazistischer Propagandabegriff” ?  Und welche türkischen Mitbürger haben seit Mai 1945 die Ruinen beseitigt ? Bitte etwas mehr Sorgfalt, wenn es um deutsche Geschichte geht. Geschichte wird ohnehin in Deutschland schon ausreichend politisch instrumentalisiert !

Klaus Fellechner / 28.09.2017

Ich Frage mich ernsthaft,wie konnte die SPD einen Mann wie Schulz zum Kanzlerkandidaten küren.Einen Eurokraten,einen Mann der ein Charisma hat wie ein vertrockneter Blumenstrauss.Wenn die SPD keine anderen Kandidaten hat und nicht versteht was das Wahlvolk bedrückt,dann,ja dann hat sie wirklich ausgedient. Wenn CDU und SPD nicht aufpassen,dann geht es ihnen wie den grossen Parteien in Frankreich,sie wachen eines Morgens auf und sind nicht mehr da!

Dr. Roland Mock / 28.09.2017

Mir ist auch aufgefallen, daß Gabriel sich nach der Wahl komplett zurückgehalten hat. Ist ja nun wirklich nicht seine Art. Ich stimme dem Autor zu: Die Groko ist noch lange nicht vom Tisch. Leider. Dennoch: Daß Merkel sie will ist bekannt. Nur könnte sie sich bei entsprechenden Planspielchen arg verkalkulieren: Nahles ist erkennbar auf Krawall und einen strammen Linkskurs gebürstet. Und der bayrische Löwe hat gebrüllt, er wolle “die rechte Flanke schließen”. Wie soll das gehn? Einfacher als Jamaica wirds auch nicht. Meine bescheidene Empfehlung: Die CSU soll aus der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU austreten; ihr eigenes Ding machen. Eher à la FJS selig als à la Horst. Und die SPD soll so richtig krass auf Antikapitalismus und Klassenkampf machen. Dann kann sie sich mit der LINKEn wiedervereinigen und wir haben wieder eindeutige Fronten in unserem verweichlichten konsensorientierten durchgegenderten Deutschland.

B.Klingemann / 28.09.2017

Kein SPD-Vorsitzender seit Hans-Jochen Vogel hat die Rolle der SPD als “große Volkspartei” aufrecht erhalten oder gar stärken können. Die Kanzlerschaft Gerhard Schröders bildete die berühmte Ausnahme. Der häufige Wechsel ihrer Vorsitzenden seit 1990, die allesamt nachhaltig versagten, ließ nur diejenigen unbeeindruckt, die einst bereits Willy Brandt zum Kanzler wählten. Heute steht die SPD sowohl für personelle als auch für inhaltliche Beliebigkeit. Ihr Markenkern und ihre Ziele sind nicht greifbar, wohl aber ihr Machtanspruch. Insofern ist sie mit einem anderen Vorsitzenden der perfekte Koalitionspartner für die CDU. Leider.

Peter Schnittker / 28.09.2017

Beide Wahlverlierer, also nicht nur Schulz, sondern auch Merkel, sollten zurücktreten. In einer solchen veränderten Situation könnte die SPD ohne Gesichtsverlust koalieren.

Rainer Küper / 28.09.2017

Lieber gar keine Regierung, als ein Koalition mit der abgewirtschafteten SPD. Vor 30 Jahren wären Parteiführungen nach solchen Wahlniederlagen ohne wenn und aber zurückgetreten. Heute denken sie nicht daran. Im Gegenteil, sie meinen, ohne sie, die Wahlverlierer ginge es nicht und machen munter in demselben Stile weiter. SPD, CDU und CSU unterscheiden sich in Machtgeilheit nicht einen Millimeter. Es wird Zeit für die Ablösung der parlamentarischen Demokratie durch die direkte Demokratie.

Robert Bauer / 28.09.2017

Nahes als “Trümmerfrau der SPD”? Diese Bezeichnung wird der gutaussehenden, sympathischen und beruflich erfolgreichen Frontfrau der SPD nicht gerecht. “Trümmerfrau” ist ein belasteter, quasi neonazistischer Propagandabegriff, seit wir wissen, daß nicht die sogenannten Trümmerfrauen, sondern unsere türkischen Mitbürger seit Mai 1945 die Ruinen des III. Reiches zu blühenden Landschaften ausgebaut haben.

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